In der Unterwelt- Das Inferno
Erneut entzündeten sie eine Fackel und schauten sich um. Das Gewölbe, in dem sie sich befanden, war mit einem schrecklichen Gestank erfüllt, überall lagen Knochen und Schädel herum und ein grässliches Seufzen und Klagen, hallte von den Wänden wider.
«Das sind die ruhelosen Seelen, die Gob zum Opfer gefallen sind,» flüsterte Malek. «Wenn wir selbst Geister wären, würden wir sie sehen, so aber bleibt uns dieser traurige Anblick wenigstens erspart.»
«Dieser Ort hier ist furchterregend,» meinte Pia und tiefes Mitleid für die klagenden Opfer, des grässlichen Monsters erfasste sie.
«Sollten wir nicht besser wieder in Gedanken miteinander kommunizieren?» fragte Ben besorgt.
«Ja, das wäre vielleicht besser, jetzt da der Herr der Finsternis ziemlich sicher von unserer Ankunft hier Wind bekommen hat, wird er nichts unversucht lassen, um uns dingfest zu machen. Da ist es besser, er kriegt wenigstens nichts von dem mit, was wir weiter besprechen. Vorhin bei Gob, war es beinahe unmöglich nur in Gedanken zu kommunizieren, aber ab jetzt, halten wir das wieder ein.» Darauf sprach Malek auf telepathischem Wege an die Geschwister gewandt: «Ich glaube wir müssen dort hinten raus, dort befindet sich die nächste Pforte.»
«Wie viele Pforten, sind es eigentlich insgesamt?» fragte Pia, ebenfalls im Geiste. «Das weiss ich leider nicht genau. Manchmal liest man von sieben, manchmal von neun Pforten oder weniger, doch wir werden es ja schon bald sehen.»
«Was wird uns wohl hinter diesen Toren erwarten?» «Auch das kann ich nur schwer sagen. Zumindest bleiben uns einige Schrecken erspart, da wir uns noch immer in unserem materiellen Körper befinden. Gefahren können dennoch überall lauern. Also seid auf der Hut!»
Die Freunde gingen vorsichtig weiter. Die Luft wurde nun immer stickiger und sie spürten deutlich, wie die dunkle Schwingung, mehr und mehr zunahm. Es stank fürchterlich nach Schwefel, ein wahrhaftiger Pesthauch.
«Zum Glück tragen wir die Gewänder der Klarheit,» meinte Pia «ich glaube sonst würden wir es physisch und psychisch hier niemals aushalten.» Malek nickte und sie kamen zur dritten Pforte.
Stöhnen und Klagen, war dahinter ebenfalls zu hören, doch es klang nicht nach einer besonderen Gefahr. Sie traten an das Tor heran und erblickten in der grossen Tür, noch eine kleinere Tür mit einem Knauf zum Öffnen. Als Ben den Knauf jedoch drehen wollte, spürte er eine unglaubliche Hitze an seiner Hand. Zum Glück wurde er nicht davon verbrannt, dank der Gewänder.
«Dieser Türknauf ist siedend heiss! Dahinter muss sich ein wahres Inferno befinden.»
«Wir müssen die Tür aber trotzdem öffnen. Am besten wickeln wir ein Stück Stoff darum, um die Hitze wenigstens ein wenig abzuhalten,» schlug Malek vor. Er reichte dem Jungen ein Stofftaschentuch und dieser versuchte den Knauf nochmals zu drehen. Wieder jedoch, spürte Ben dieselbe Hitze.
«Also das Taschentuch hilft nicht viel. Nun gut was sollst! Ich gehe einfach mal aufs Ganze und öffne die Tür so. Ich hoffe die Gewänder halten stand.»
«Das müssen sie, denn wenn sich dahinter wirklich so ein Höllenfeuer befindet,wie wir vermuten, werde sie noch einiges mehr aushalten müssen.» «Also dann los!» Benjamin umfasste den Knauf fest entschlossen und drehte ihn mit aller Kraft im Uhrzeigersinn. Die Tür schwang auf und eine unglaubliche Hitze schlug ihnen gleich darauf entgegen. Sie traten in ein riesiges Gewölbe aus dessen Boden, Wände und Decke, immer wieder grellgelbe Feuersalven schossen. Sie hörten nun lautes Schreien und Klagen.
«Mein Gott!» sprach Pia und drückte sich, zusammen mit ihren Begleitern, in den Schutz der Tor- Nische, durch die sie gekommen waren.
«Was ist das? Dieses Feuer… es ist furchtbar und muss unglaublich heiss sein! Es ist kein normales Feuer. Es ist voller Zerstörungswut und… Bosheit. Und dieses Klagen und Schreien… was nur bedeutet das? Werden hier so viele arme Seelen gepeinigt, aber…ich dachte, die Hölle entsteht in jedem selbst und nicht, dass es so einen schrecklichen Ort gibt.» «Wir können nicht wissen, warum diese Seelen hier verweilen,» erwiderte der Magier. «Ich vermute aber, dass sie sich selbst aus irgendeinem Grund, dazu entschlossen haben, diesen Weg des Leidens zu gehen. Die Mächte der Finsternis bauen sich ihre Macht auf den falschen Idealen dieser Menschen auf und machen sich einen Spass daraus, sie zu peinigen. Wir können die Auswirkung dieses Feuers auf die Seelen hier, nicht genau definieren, aber ich glaube, dass sie hier fortgehen könnten, wenn sie wollten oder wenn sie einfach wüssten, dass sie weggehen können.»
«Aber können sie wirklich weggehen?» fragte Pia tief betrübt. «Werden sie hier nicht gefangen gehalten. Könnte uns der Herr der Finsternis womöglich auch so etwas antun?»
«Der Herr der Finsternis kann gar nichts tun, wenn wir ihm nicht unsere Energie überlassen. Darum lasst euch nicht dazu verleiten, euch von seiner Macht vereinnahmen zu lassen. Wir müssen jetzt weiter, kommt!»
«Aber… diese schrecklichen Feuer, wir wissen nicht, ob die Gewänder wirklich standhalten!» wendete Benjamin ein. «Was haben wir alle die letzten Tage über Vertrauen gelernt?» fragte der Magier tadelnd.
«Malek hat recht! Vertrauen ist das Allerwichtigste!» stimmte Pia zu. «Wir werden das überstehen Ben! Wir dürfen uns nicht wieder von der Angst gefangen nehmen lassen. Los weiter! Wir müssen einfach schauen, dass die Feuersalven uns möglichst selten treffen.» «Ich werde noch zusätzlich versuchen, uns mit einem magischen Schutzschild zu schützen,» schlug Malek vor, «obwohl ich nicht genau weiss, wie viel dieser in diesem Inferno ausrichten kann. Achtet einfach auf die verkohlten Öffnungen in Wänden, Decke und Boden. Die Salven folgen einem gewissen Rhythmus, versucht diesen Rhythmus mit eurem Geiste zu erfühlen und dementsprechend zu handeln!» Die Geschwister nickten.
«Ich gehe mal voran, denn ich habe in solchen Dingen am meisten Erfahrung. «Am besten wir treten dort drüben als erstes hin, dort kam gerade eine Salve aus dem Boden, also haben wir ein paar Sekunden. Jetzt!»
Malek sprang auf die besagte Stelle und konzentrierte sich. «Jetzt dort und… Achtung ducken! Nach rechts, nach links! Hochspringen! Dort rüber, jetzt dort! Spürt ihr den Rhythmus?»
Ja tatsächlich, die Geschwister fühlten ihn immer mehr und ihr Instinkt half ihnen dabei, auf die richtigen Stellen zu treten. Auch ihre telepathische Verbindung mit Malek, erwies sich einmal mehr als sehr nützlich.
Sie hatten schon beinahe den ganzen Weg geschafft, als Pia auf einmal von etwas umklammert und zurück gerissen wurde. Sie schrie auf und in diesem Augenblick wurde sie von einer der Feuer- Salven getroffen. Sie stürzte benommen zu Boden und blickte voller Entsetzen in die Augen einer brennenden Frau. «Hilf mir!» schrie diese «Hilf mir! Ich muss hier raus!» «Lass mich!» schrie das Mädchen und trat verzweifelt um sich. Die Frau wich etwas zurück und schaute Pia bekümmert und flehend an.
Malek und Benjamin hechteten zurück und halfen dem Mädchen auf die Beine. Ganz knapp entkamen sie einigen weiteren Feuersalven und dann… standen sie auch schon vor der nächsten Pforte!
Schwer atmend liessen sie sich zu Boden fallen. Sie blickten zurück und sahen nun auf einmal mehrere verzweifelte Gesichter in den Flammen auftauchen. «Helft uns!» hörten sie ihre wispernden Stimmen «bitte helft uns, wir sind hier gefangen.» Pia empfand tiefes Mitgefühl und es tat ihr sehr leid, dass sie vorhin so grob mit der brennenden Frau umgegangen war.
«Ihr seid hier nicht gefangen, wenn ihr euch entschliesst zu gehen,» sprach sie «Ihr könnte euch immer entschliessen zu gehen.»
«Aber wir empfangen hier doch unser Urteil, für unsere Vergehen. Nur Gott kann uns befreien, doch er hat uns verlassen.»
«Das Göttliche verlässt euch niemals, wenn ihr das Ausmass seiner Liebe begreifen würdet, könntet ihr durch diese Türe dort hinaus schreiten und niemand könnte euch aufhalten.»
«Ist das wirklich wahr?» fragte nun wieder die Frau, die Pia vorhin aufgehalten hatte.
«Ja, dort hinten ist die Tür! Du kannst gehen! Geh doch, um Himmels Willen!»
Die Frau drehte sich langsam nach der Pforte mit dem Knauf um und auf einmal erloschen die Flammen um ihren Körper mehr und mehr. «Ich kann… gehen…ich kann… gehen.» Langsam, als wären ihre Beine halb erlahmt, ging sie herüber zu jener Pforte, die die drei Freunde gerade durchschritten hatten. Noch einmal schaute sie sich fragend um und blickte dann erstaunt an sich herunter. Die Flammen- Salven, konnten sie auf einmal nicht mehr erreichen, sie ging einfach durch sie hindurch. Als sie vor der Tür stand, drehte sie sich nochmals um und fragte : «Kann ich… wirklich gehen?»
«Ja!» riefen nun auch Benjamin und Malek «du kannst gehen! Tu es!»
«Aber… was wird dann aus mir?»
«Alles wird sich finden, wenn du dich befreien kannst!»
«Befreien…» sprach die Frau erneut. Ich kann… frei sein! Ja! Ich kann frei sein!» Und dann glitt sie einfach durch die Pforte hindurch und war verschwunden.
«Sie hat es geschafft!» freute sich Pia «sie hat es tatsächlich geschafft, du hattest recht Malek!»
«Einige der brennenden Menschen folgen ihr sogar! Schaut!» rief Benjamin ungläubig.
Und tatsächlich… mehrere der gepeinigten Seelen traten ebenfalls zur Pforte und waren gleich darauf verschwunden.
«Gut gemacht Schwesterchen!» Ben klopfte dem Mädchen anerkennend auf die Schultern. Malek lächelte tief bewegt und zusammen setzten die Freunde ihren Weg durch die Unterwelt fort.