Malek hätte sich ohrfeigen können, dass er sich von dem Priester hatte täuschen lassen. Wie konnte man auch erwarten, dass das Böse fair spielte? Er war selbst einst böse gewesen. «Es ist enttäuschend!» sprach Skarion nun verachtend. Seine Stimme erklang dabei von ziemlich weit her. «Und vor dir habe ich mich einst so gefürchtet. Ich hatte so grossen Respekt vor dir und nun bist du so ein Weichling geworden.» Dieser Worte trafen Malek mehr als er geahnt hatte und auf einmal gingen ihm Gedanken durch den Kopf, die ihn selbst erschreckten. Hatte er wirklich die richtige Entscheidung getroffen, als er seine Mächte in den Dienst des Guten gestellt hatte? In seiner früheren Form, wäre er diesem elenden Priester, mehr als gewachsen gewesen, nun aber fürchtete er sich plötzlich schrecklich davor, nicht bestehen zu können. Er versuchte mit zitternden Händen einen weiteren Lichterball entstehen zu lassen, damit er wenigstens sah, wo er sich befand. Doch es fiel ihm beängstigend schwer.
Er schaffte es dann aber zum Glück doch noch und erkannte nun, dass er sich in einem Art Spiegellabyrinth befand. Überall um ihn herum waren Spiegel, in denen er sich selbst hundertfach wiedergespiegelt sah. Das was er erblickte, gefiel ihm gar nicht, es war ein ängstliches Gesicht, dass sich nun gehetzt umsah. «Nun Malek! Siehst du wer du wirklich bist?» rief Skarion. «Du zitterst vor Angst, alles wird schwer und du weisst nicht, was du tun sollst, weil du freiwillig deine unglaubliche Macht, welche das Böser dir einst verlieh, aufgegeben hast. Es ist wahrlich traurig, nicht wahr?
Und nun schau, welchen Schrecken du einst verbreitet hast! Du warst so mächtig! So unbezwingbar und alle anderen haben vor dir gezittert!»
In diesem Augenblick tauchten neue Szenen in den Hunderten von Spiegeln auf und diese zeigten alle Momente aus Maleks Vergangenheit, als Magier der Finsternis. Die Bilder waren voller Qual, voller Schrecken und Malek verabscheute zutiefst, was er da erblickte. Die furchtbaren Bilder prasselten auf ihn herein, ein jedes traf ihn wie ein Peitschenhieb. Schliesslich begann er verzweifelt zu schluchzen «Nein! Nein! Das wollte ich nicht!»
«Das wolltest du nicht?» rief Skarion. «Und das soll ich dir glauben? Du hast deine Macht damals genossen, du warst ohne Schranken ohne belastendes Gewissen, du warst so grossartig, so furchteinflössend. Niemand konnte dir trotzen.» Malek schrie verzweifelt: «Das ist nicht wahr! Ich hasse, was ich all diesen unschuldigen Menschen angetan habe.» «Und doch ist da irgendwo in dir etwas, dass sich nach dieser Stärke zurücksehnt, weil du weisst, dass das Licht dir niemals dasselbe bieten kann, wie es die Mächte der Finsternis vermögen.» «Das stimmt nicht! Ich will nicht mehr ohne Liebe leben, ich will nicht, dass mein Herz noch einmal versteinert!»
Doch tief im Inneren erkannte Malek, dass Skarion nicht in allem unrecht hatte. Der Weg der Finsternis, war ihm einstmals einfacher erschienen. Er hatte seine damalige Macht wirklich genossen und dieser Wahrheit, konnte er sich nicht entziehen. Konnte es tatsächlich sein, dass er doch schlussendlich einen finsteren Fleck in seiner Seele gab, der sich die alte Macht zurücksehnte? Er mochte dieses schwache, sich hilflos windende Ich nicht, nein er hasste es. Er wollte es vernichten, wollte sich nicht mehr damit auseinandersetzen. Aber war es nicht das was wahres Leben ausmachte? Galt es nicht, dieses Dunkle und auch diese Schwäche in sich zu erkennen, anzunehmen und schliesslich zu verwandeln?»
Und... auf einmal kehrte eine seltsame Ruhe in ihn ein und in diesem Augenblick veränderten sich auch die Bilder in den Spiegeln. Er sah nun lauter Szenen, welche aus seinem Leben stammten, als es den bösen Malek noch nicht, oder nicht mehr gegeben hatte. Er sah Nofrete, sah wie sie und er sich liebevoll an den Händen hielten, er sah all jene, die ihm Liebe und Vertrauen geschenkt hatten. Er sah auch Pia und Benjamin, ihre so selbstverständliche Neigung zum Guten, ihr Bedürfnis, anderen Geschöpfen stets Freude und Frieden zu bringen. Er erinnerte sich an Pias Wort, die sie zu ihm gesprochen hatte, bevor sie sich in die Schlacht gegen Skarion und seinen finsteren Wächtern gestürzt hatten und er sah auch all die Menschen, die er geheilt hatte, darunter den armen Bettler, dem er sein Augenlicht zurückgegeben hatte.
All das war ihm nicht mehr möglich gewesen, als er sich dem Bösen verschrieben hatte. Er hatte kaum mehr Heilkräfte besessen. Alle hatten sich nur vor ihm gefürchtet, doch nun erfuhr er wieder wahre Liebe und Hingabe. All diese Menschen dort draussen, sie vertrauten ihm. Sie vertrauten darauf, dass er- der unbekannte Magier Miros aus einer anderen Welt, sie von Skarion befreite. Er erinnerte sich an all die armen Menschen in den Kerkern, an die Not, die das Böse anrichtete, wenn es die Macht übernahm. Er dachte an seine Sünden zurück, von denen es noch so viele wieder gut zu machen galt. Er fiel auf die Knie: «Grosser Geist des Lichtes und des Lebens,» betete er leise «bitte hilf mir diese Prüfung zu bestehen, hilf mir all den Menschen zu helfen. Denn es ist mein Auftrag! Dafür bin ich hergekommen. Du weisst alles von mir, du weisst auch um meine Dunkelheit, doch du weisst, dass ich diese umwandeln möchte. All meine Schwächen, ich lege sie vor dir nieder! Bitte sende mir deine Mächte des Lichts, damit ich die nötige Kraft für all das finden kann!»
In diesem Moment wurde es ganz hell um ihn und ein warmes Licht breitete sich im Spiegellabyrinth aus. Es umhüllte den Magier ganz und dieser fühlte sich wieder wunderbar gestärkt. Als er nun wieder in die Spiegel blickte, geschah etwas Unglaubliches! Die Gestalten in den Spiegeln, begannen ihm Mut zuzusprechen. Sie sagten ihm, wie sehr sie ihn liebten, sagten ihm, dass sie ihm vertrauten. Alle sprachen nun zu ihm: Pia, Benjamin der Bettler, Nofrete und noch viele, viele mehr. Ihre liebevollen Worte, berührten ihn tief und auf einmal fiel die ganze Angst, all die Hilflosigkeit von ihm ab.
Er richtete sich zu seiner vollen Grösse auf und erhob seine Arme. Dann sammelte er all seine Kraft über der Brust und eine gewaltige Druckwelle wurde in diesem Moment, von ihm ausgesandt! Die Druckwelle liess die Spiegeln in hundert Stücke zerspringen und vor ihm stand auf einmal wieder Skarion, welcher ihn nun seineseits, ängstlich ansah. «Da bist du also!» sprach Malek mit finsterer Stimme. «Es wird Zeit, dass deiner Herrschaft ein Ende gesetzt wird. Es war ein grosser Fehler, dir solche Macht zu verleihen. Du gehörst hier nicht hin! Im Namen des Lichtes, verbanne ich dich hiermit für immer aus der Welt der Lebenden, auf dass du niemals mehr zurückkehren mögest!» Skarion wollte fliehen, doch er war wie erstarrt und konnte sich nicht rühren. Maleks neu erstarkte Magie, hielt ihn an Ort und Stelle und zu seinem grossen Entsetzen erschien nun ein wirbelndes, finsteres Portal vor ihm, welches wie ein schwarzes Loch aussah. Er konnte kaum fassen, dass Malek zu so einem mächtigen Zauber fähig war.
Der Ort hinter der undurchdringlichen Finsternis, flösste dem Priester Angst und Schrecken ein. Zu seinem grossen Entsetzen tauchten nun, zu allem Übel, auch noch schwarze Tentakel auf und ergriffen ihn! Laut schrie er auf, als die Tentakel ihn immer mehr hinein in die Finsternis zogen. Er versuchte sich irgendwo festzuhalten, doch es gab nirgends etwas, woran er sich festhalten konnte.
Da wo einst noch die vielen Spiegel gewesen waren, befand sich nur noch ein dunkles Nichts und nur um Malek herum, glomm noch ein goldener Schein. «Gehe nun hin und empfange das Schicksal, dass du dir selbst erwählt hast Skarion!» rief dieser nun, dann schleuderte er einen letzten Lichtblitz gegen den Priester und dieser wurde hineingeschleudert in das Portal! Malek sprach eine Zauberformel und das unheimliche Portal schloss sich sogleich wieder. Skarion war besiegt!
Zutiefst erschöpft sank der gute Magier in die Knie und dann verschwanden alle Illusionen um ihn herum und er fand sich wieder im finsteren Kerker des dunklen Tempels, in der Grauen Stadt.