Eine weitere Prüfung für Malek
Während Benjamin das Gespräch mit dem Berg- Deva führte, ging Malek voller Sorge und tief niedergeschlagen, weiter hinauf auf den Gipfel. Doch er konnte Ben nirgends ausmachen. Dieser befand sich gerade an einem, für ihn nicht einsehbaren, Ort. Zur Sorge, kam nun auch immer mehr die Wut dazu. Die letzten Tage, waren teilweise unerträglich gewesen. Malek konnte all die Streitereien und die schwere, dunkle Atmosphäre, die von ihnen allen Besitz ergriffen hatte, kaum mehr ertragen. Als jetzt Benjamin auch noch einfach so davongelaufen war, spürte der Magier, wie übel er das seinem jungen Schützling nahm. Da hatte er nun die ganze Zeit mit den beiden Jugendlichen an diesem oftmals so unwirtlichen Ort zugebracht, alles getan, damit sie immer genug zu essen hatten und wenigstens in der Höhle gut von der Kälte draussen abgeschirmt waren und sie benahmen sich so verzogen.
«Das sind nicht mehr die Kinder, die ich einst kennengelernt habe,» murmelte er vor sich hin, während er sich müde auf einem grossen Felsblock niederliess, der umgeben war mit weiteren Felsbrocken. «Ich hätte nie gedacht, dass sie so nerven könnten, besonders Benjamin. Wo ist nur ihr Vertrauen geblieben? Ihr unerschütterlicher Enthusiasmus? Hinfort geweht, wie Staub im Wind…»
«Sie sind eben doch nur schwache Menschenkinder,» vernahm er nahe bei sich eine Stimme. Doch diese Stimme, war ihm nicht bekannt. Es war weder jene der Alten Windfrau noch jene des Berg- Devas. Er hielt nach ihrem Ursprung Ausschau und hinter dem gegenüberliegenden Felsen, trat nun auf einmal eine Gestalt, in einer schwarzen Kutte, hervor. Malek erschrak. Sie sah aus wie einer der schwarzen Druiden, die ihm damals, als er noch böse gewesen war, gedient hatten. Ihr Gesicht war verborgen, man erkannt nur einen Teil ihres Mundes und ihrer bleichen Haut.
«Warum nur, mühst du dich so mit den beiden ab?» fuhr die Gestalt weiter und kam näher. Der Magier wich etwas zurück.
«Nur keine Angst,» sprach der Kuttenträger. «Ich meine es nur gut mit dir.»
«Wer bist du?»
«Einer deiner treuesten Diener. Bis heute habe ich dir die Treue gehalten, darum schmerzt es mich, wenn ich sehe, was aus dir geworden ist.»
«Was soll das heissen?» fragte Malek verärgert.
«Du hast dich selbst ganz aus den Augen verloren, nur wegen dieser… kurzlebigen Kreaturen, die sich Grosse Führer nennen.»
«Sie nennen sich nicht selbst so, sie werden von allen so genannt.»
«Wie auch immer!» die Gestalt machte eine abschätzige Handbewegung, als wolle sie Ungeziefer vertreiben. «Sie sind alles andere als Grosse Führer, schau sie dir nur an! Nicht mehr als verzogene Teenager, die sich für etwas Besonderes halten. Hast du das wirklich nötig? Hast du es nötig dich von irgendjemandem auf diese Weise herumschubsen zu lassen? Macht dich das nicht wütend?»
«Doch schon…,» musste Malek eingestehen.
«Und warum haust du dann nicht einfach ab?» «Weil ich eine Aufgabe zu erfüllen habe.» Der Kuttenträger lachte auf.
«Ach wirklich? Und warum lässt der grosse Malek sich von Kindern dirigieren, was er tun soll?»
«Es sind nicht Pia und Benjamin, die mir diesen Auftrag gaben. Es sind höhere Wesen, die mir das sagten.»
«Höhere Wesen?! Das ich nicht lache! Das ist doch nur um dich bei der Stange zu halten, damit du dir deiner eigentlichen Bedeutungslosigkeit in diesem Spiel nicht bewusstwirst. Du hättest so viel mehr zu tun, so viele bedeutendere Dinge.»
«Natürlich gibt es vieles, was ich in meinem Reiche noch verbessern muss, aber die Mission der Geschwister ist gerade wichtiger als alles andere und sie brauchen meine Hilfe.»
«Sie nutzen dich doch nur aus, um ihren kleinen, narzisstischen Traum, als etwas Besonderes angesehen zu werden, zu erfüllen. Menschen sind so. Ich aber, würde dich niemals betrügen und ich würde auch niemals so etwas wie das hier, von dir erwarten.» Der Kuttenträger schlug nun seine Kapuze zurück und Malek blickte in ein ebenmässiges, wenn auch sehr bleiches Gesicht, mit schmalen Wangenknochen und schwarzem, langem Haar. Die grünblauen, stechenden Augen, des fremden Mannes, richteten sich nun eindringlich auf Malek und er sprach:
«Es gibt noch mehr wie mich, die immer noch glauben, dass du für Grösseres ausersehen bist. Du bist nicht dazu berufen, der Lakai irgendwelcher Kinder zu sein, sondern dazu, mehr als eine einzige Welt zu beherrschen. Für mich bist du nach wie vor ein Gott.»
«Ein Gott? Das war ich nie und werde es niemals sein.»
«Oh doch! Die Schriften unserer Gemeinschaft, sehen in dir die Inkarnation unseres Gottes, den wir seit uralten Zeiten verehren. Sein Name ist Balorion.»
«Nie etwas von ihm gehört.»
«Das erstaunt mich nicht. Balorion war unglaublich mächtig und einer der ersten Götter, die es gab. Viele kennen ihn heute aber nicht mehr. Er war riesenhaft und mit einem Auge, das imstande war, unglaubliche Zerstörung anzurichten.»
«Ich glaube an keine solchen Götter.»
«Solltest du aber, denn sie existieren noch immer, wenn auch in einer anderen Form. In die schlummert die Macht dieses Gottes, denn ich und meine Brüder glauben, dass sein Blut in deinen Adern fliesst. Du bist ein Nachfahre von ihm.»
«Ach was! Das ist doch alles Blödsinn!»
«Wenn es nicht so wäre, hätte dir der Höllendrache Gob damals niemals so schnell gehorcht und du wärst nie imstande gewesen, solch gewaltige Flüche auszusprechen.»
«Das hat der Herr der Finsternis möglich gemacht. Doch davon will ich nichts mehr wissen. Ich diene nun dem Licht.»
«Ach das Licht…» Was hat es dir schon zu bieten, ausser Leid?» «Das stimmt nicht! Das Licht ist gütig und freundlich, es hat mir gezeigt, was wirklich zählt.»
«Das ist doch nicht dein Ernst! Warum nur ziehst du so ein langweiliges Leben im Dienste des Lichtes, der unglaublichen Macht, die dir Balorion schenken könnte, vor?»
«Weil ich mich gewandelt habe. Ich will nichts von deinem abgedrehten Göttergeschwafel wissen. Es gibt nur das göttliche Licht oder die Mächte der Finsternis und ich habe mich für Ersteres entschieden.»
«Aber damit verfehlst du ganz klar dein Potenzial. Es gibt nicht nur ein grosses Lichtwesen oder einen Herrn der Finsternis. Balorion hat dir viel mehr zu bieten. Deshalb lass diese verzogenen Gören aus der Menschenwelt doch hier allein und kehre in dein Reich zurück. Dort wirst du mehr gebraucht. Du wirst von uns gebraucht. Oder willst du noch mehr Tage mit ständigen Streitereien, eingepfercht in diese unwirtliche Höhle, zubringen?»
Malek dachte darüber nach. Tatsächlich war ihm dieser Gedanke schon ziemlich unangenehm und er merkte, wie sehr es ihn eigentlich nach Hause zurückzog.
«Höre doch auf dein Gefühl!» forderte ihn der Kuttenträger auf. «Wenn du nach Hause willst, tu es doch! Du könntest einfach verschwinden.»
Malek war hin und her gerissen, zwischen der Sehnsucht diesen Ort hier endlich zu verlassen und dem Pflichtgefühl den Turner Kindern gegenüber. Auch das was ihm dieser seltsame Mann über seine scheinbar göttliche Herkunft erzählt hatte, gab ihm zu denken. Ein Teil in ihm hätte irgendwie gerne geglaubt, dass er dieser besondere, göttliche Nachfahre war. Doch ein anderer Teil warnte ihn eindringlich vor den Einflüsterungen dieses Kuttenträgers, der doch so anders war, als die dunklen Druiden, welche ihm einst der Herr der Finsternis zur Seite gestellt hatte. Jene waren wie Roboter gewesen, die seine Befehle einfach widerstandslos ausgeführt hatten.
Doch der Mann, der hier zu ihm sprach, schien viel eigenständiger zu sein und irgendwie faszinierte er Malek auf unerklärliche Weise. Aber nein! Was für Gedanken bewegten ihn da! Er schüttelte sich. Ihm war, als hätten die Worte des Fremden ihn irgendwie eingelullt. Doch das durfte nicht sein. So etwas Ähnliches war ihm schon damals, als Nofrete ihm von ihrer Heirat mit einem anderen Mann erzählt hatte, passiert. Damals hatte der Herr der Finsternis seine Trauer und seinen Zorn ausgenutzt, um ihn unter seinen Einfluss zu bringen. Doch das würde ihm bestimmt nicht noch einmal passieren!
«Lass mich in Ruhe!» fuhr er den Kuttenträger an, der ihn noch immer mit seinem kühlen, blauen Blick gefangen hielt. «Ich lasse mich ganz bestimmt nicht noch einmal von der Finsternis verführen. Welcher dunklen Gottheit du auch immer dienen magst, ich habe nichts mit ihr zu schaffen! Ich werde die Turner Kinder bestimmt nicht im Stich lassen, nur weil es mal etwas schwieriger wird. Liebe und Freundschaft bedeuten, gute wie schlechte Zeiten miteinander zu teilen und ich liebe die Turner Kinder, fast wie meine eigenen Kinder. Also hör auf mit deinen giftigen Einflüsterungen!» Mit aller Gewalt riss er sich los und wandte sich von dem Kuttenträger ab.
Er lief so schnell er konnte zurück zur Höhle, wo die Geschwister ihm bereits, voller Erleichterung, entgegenliefen!