Sie gingen nun weiter und kamen schliesslich in eine Grotte, in welcher sie alle Szenen ihrer Erlebnisse in der Grauen Stadt, die so sehr unter Skarions Herrschaft gelitten hatten, sahen. Auch Malek sahen sie, wie er den Bettler und viele andere, arme Menschen heilte.
«Es ist schon wunderbar, wie sich Malek doch verändert hat!» sprach Pia. «Es ist unser bester, treuster Freund geworden und wir haben sehr vieles mit ihm durchgestanden.»
«Vertraut ihr Malek denn heute wirklich oder denkt ihr noch ab und zu daran, dass er vielleicht auch wieder von seinem guten Wege abkommen könnte?» fragte die Windfrau, was die Geschwister ziemlich erschütterte.
«Also was mich betrifft,» sprach Pia «Ich vertraue ihm jetzt vollkommen. Er macht jetzt so viel Gutes und es ist wunderbar, dass wir ihm eine zweite Chance geben konnten.»
«Das finde ich auch wunderbar und das ist vermutlich die aller-grösste Tat, die ihr vollbracht habt.» freute sich die Windfrau.
«Das Feuer der ewig göttlichen Liebe hat uns aber auch dabei geholfen,» sprach Benjamin etwas ernster. «Ohne es, ich weiss nicht, wie es herausgekommen wäre. Manchmal da denke ich schon darüber nach, was gewesen wäre, wenn es nicht funktioniert hätte oder es vielleicht nicht von Dauer ist. Ab und zu fürchte ich mich auch ehrlich gesagt etwas davor, dass Malek vielleicht wieder verführt werden könnte. Noch haben ihn die dunklen Mächte nicht ganz aus den Fängen gelassen, das zeigt ja Maleks seltsame Begegnung mit diesem schwarzen Druiden, gerade vor kurzem.»
«Du vertraust Malek also nicht 100%-ig?»
Benjamin dachte nach: «Eigentlich ja schon, ich glaube wirklich, dass er sich sehr bemüht und bisher hat er uns auch nie enttäuscht. Aber ob es nicht doch wieder einmal einen Moment geben kann, wo er vielleicht von neuem auf die Probe gestellt wird? Vielleicht, wenn er Enttäuschungen, wenn er Schmerzen erlebt, mit denen er nicht klarkommt, … Vielleicht wäre es dann doch möglich, dass er wieder den Weg des Lichts verlässt.»
«Du vertraust Malek also doch nicht!» rief Pia ziemlich aufgebracht. «Aber das ist unfair. Er tut doch so viel Gutes! Er hat doch schon mehrmals bewiesen, dass er unser Vertrauen verdient hat! Wie kannst du nur so etwas denken? Wenn Malek das wüsste, es würde ihm das Herz brechen! Das sagst du nur, weil ihr euch Anfangs unseres Aufenthaltes hier so oft gestritten habt, aber das war auch deine Schuld!»
«Ich sehe, dass ihr beide euch in diesem einen Punkt, einmal nicht einig seid,» stellte die Windfrau ernst fest.
«Es sieht ganz so aus!» sprach Pia und warf Ben einen vorwurfsvollen Blick zu.
«Es tut mir leid,» sprach dieser «aber manchmal habe ich schon diese Ängste. Ich sehe einfach, dass die Finsternis alles versucht, um Malek zurück zu gewinnen und was, wenn sie einst doch erfolgreich ist?»
«Das ist doch Blödsinn! Erinnerst du dich? Malek erzählte uns doch, dass er dem Schwarzen Druiden sagte, er liebe uns fast wie seine eigenen Kinder und dass er uns niemals im Stich lassen werde, auch wenn es mal schwierig wird.»
«Das stimmt allerdings!» meinte die Windfrau «Ich kann es bezeugen. Ich habe es gesehen, als Malek mit dem seltsamen Kutten-träger geredet hat. Malek hat sich damals als sehr vertrauenswürdig erwiesen.
«Siehst du!» rief Pia. «Und du sagst so etwas, schäm dich Benjamin!»
Der Junge fühlte sich sehr elend.
«Du kannst einfach nicht richtig vertrauen!» warf Pia ihm vor. «Du denkst so oft, dass du betrogen wirst oder man Spielchen mit dir spielt. Was nur ist mit dir los?»
«Ich habe eben schon etwas mehr erlebt als du und ich weiss, dass man auch nicht grenzenlos vertrauen darf. Eine gesunde Vorsicht ist immer angebracht.»
«Damit hat dein Bruder schon nicht unrecht,» stimmte die Alte Windfrau zu. «Es gibt wirklich jene, die das Vertrauen anderer missbrauchen oder Spiele mit ihnen treiben. Die Kunst besteht darin, eine gesunde Menschenkenntnis zu entwickelt, um zu unterscheiden, wer es gut mit einem meint und wer einem nur benutzt.»
«Aber Malek benutzt uns doch nicht!» ärgerte sich Pia «Er hilft uns immer so viel!»
«Das sehe ich doch alles auch,» versuchte Benjamin zu erklären, «aber da ist auch noch etwas Dunkles, das ich manchmal in ihm fühle und ich weiss nicht, wie stark dieses noch ist.»
«Du fühlst Dunkles in ihm?»
«Ja, irgendwie ist da noch etwas, das ihm anhaftet und das mich manchmal verunsichert und das hat wirklich nichts mit unseren Streiten letzte Woche zu tun. Ich glaube einfach, dass er manchmal noch immer mit sich ringt. Das heisst aber nicht, dass ich ihm grundsätzlich nicht vertraue. Ach, es ist schwer zu beschreiben.»
«Ich kann Benjamins Gefühle verstehen,» versuchte die Windfrau zu vermitteln. «Malek hat tatsächlich noch einen dunklen Anteil in sich, den haben aber alle Lebewesen, auf die eine oder andere Art. Bei Malek war diese Dunkelheit einst nur besonders mächtig und darum verstehe ich, dass Benjamin auf der Hut sein will.»
«Glaubst du denn auch, dass Malek wieder von seinem Wege abkommen könnte?» fragte Pia bekümmert an die Windfrau gewandt.
«Ich kann es nicht sagen. Ich weiss nur, dass er es selbst in der Hand hat. Die Zukunft ist noch etwas unklar. Ich weiss jedoch, dass Malek noch an manchen Scheideweg kommen wird und dort erst entscheidet sich, wie er mit den Dunkelheit in sich umgeht. Ihr jedoch tragt wesentlich dazu bei, dass er das Licht in seinem Herzen weiter bewahren kann. Ihr seid seine besten Freunde und das ist sehr viel Wert. Ausserdem hat er schon wahrlich Grosses geleistet, damals als er Skarion besiegt hat z.B. und als er all die armen Menschen geheilt und sich um sie gekümmert hat. Das ist ihm auch durch die Liebe zu euch und einigen anderen Menschen, gelungen. Er hat euch schon sehr viel geholfen. Euer Vertrauen in ihn, ist darum sehr wichtig für seine weitere Entwicklung, da gebe ich wieder Pia recht.»
«Da leuchtet mir natürlich vollkommen ein,» sprach Ben. «Ich wollte einfach ehrlich sein, immerhin sind wir ja dafür hergekommen.»
«Damit hast du allerdings recht,» sprach die Windfrau wohlwollend. «Achtet einfach gut darauf, dass euer Vertrauen so gefestigt wird, dass euch der Herr der Finsternis nicht gegeneinander ausspielen kann, wenn ihr in die Unterwelt geht. Denn das wird bald passieren!»
Es wurde nun auf einmal ganz hell in der Grotte und die Szenen an der Wand verschwanden. Erst jetzt erkannten sie, dass im hinteren Teil der Grotte, eine glasklare Quelle aus der Wand sprudelte, deren Wasser in einem Art Brunnenbecken aufgefangen wurde.
«Ihr habt es geschafft!» rief die Windfrau, die nun wieder leibhaftig vor ihnen stand. «So trinket denn von der Quelle der Klarheit, hier im Herzen des Labyrinths und freuet euch, denn ihr habt die Prüfungen bestanden!»
«Tatsächlich?» Die Geschwister konnten es kaum glauben. «Aber das war gar nicht so schwer, wie wir befürchtet haben.»
«Das ist, weil ihr euch selbst schon sehr gut reflektieren könnt und darum wird euch der Herr der Finsternis auch nicht so einfach verführen können. Ich bin sehr stolz auf euch! Ihr könnt nun zurück zu Malek gehen. Gleich dort drüben geht es raus!
Morgen früh, beim ersten Schein der Morgensonne, müsst ihr noch einmal auf den Berggipfel steigen und dort werde ich euch die Gewänder der Klarheit aushändigen.» «Wirklich? Vielen herzlichen Dank!» riefen die Kinder glücklich. Die Alte Windfrau lächelte wohlwollend und kurz darauf war sie verschwunden. Ein Widerhall des Lichtes, dass die Geschwister vorhin umgeben hatte, blieb jedoch zurück und sie schauten sich noch einmal erstaunt um. Die Grotte war voll mit glitzernden Kristalladern und auch der Brunnen, in dem das Quellwasser aufgefangen wurde, leuchtete magisch von innen heraus. Wenn das Wasser den Rand des Beckens erreichte, lief es über diesen hinaus und verlor sich irgendwo zwischen den Steinen auf dem Boden, vermutlich gab es dort irgendeinen unterirdischen Wasserlauf, welcher dann den Bach bildete, den sie auf ihrem Weg zur Spitzes des Berges entlanggegangen waren. Sie bückten sich und nahmen einen Schluck des glasklaren Wasser. In diesem Moment erfüllte sie eine wundervolle Klarheit und Frische und sie glaubten einmal mehr, allen weiteren Herausforderungen, ohne Probleme, gewachsen zu sein.
«Es wird Zeit, dass wir zu Malek zurückkehren,» meinte Benjamin nach einiger Zeit. Pia nickte. Bevor sie jedoch die Pforte durchschritten, welche ihnen die Windfrau gezeigt hatte, hielt der Junge seine Schwester nochmals zurück und sprach: «Bitte, erzähle Malek nichts, von dem was ich vorhin gesagt habe. Ich vertraue ihm sonst wirklich und ich weiss, dass es ihm das Herz brechen würde, wenn er von dem allem erfahren würde.» Pia nickte etwas bekümmert. «Ist schon klar. Das bleibt unter uns. Vielleicht ist es ja auch gut, wenn wir etwas vorsichtig sind. Auch wenn ich kaum glauben kann, dass Malek nochmals einen Rückfall erleiden wird.» «Ich glaube es ja auch nicht wirklich und natürlich hoffe ich auch sehr, dass meine Ängste unbegründet sind. Doch lassen wir das jetzt! Malek wartet bestimmt schon ungeduldig auf uns. Komm!»
Sie traten durch die nebelartige Pforte und kurz darauf, waren sie wieder zurück in der Höhle, in der sie ihre letzten zwei Wochen verbracht hatten. Malek lief ihnen erleichtert und voller Aufregung entgegen und die drei schlossen sich in die Arme. «Pia, Benjamin! Ihr seid zurück! Ich bin so froh! Ihr müsst mir sofort alles erzählen, was sich alles zugetragen hat!»