„Verstehe. Du hast dich hier aber schnell eingelebt, wie ich sehe.“ Auch wenn sich Sezuna nichts anmerken ließ, überkam sie doch ein ungutes Gefühl. Der Kerl war einfach nur gruselig. Er schielte kurz an ihrer Schulter vorbei, als er sich wieder ihren Augen zuwandte. „Wir werden uns bestimmt noch öfters sehen.“ Er setzte dazu an zu gehen, als er sich doch noch einmal zu Sezuna hinunterbückte, um ihr ins Ohr zu flüstern. „Ach ja, und willkommen-“ Im nächsten Moment wurde der mysteriöse Mann von Sezuna weggezogen und die Rothaarige erkannte Kaden, der den Mann am Kragen gepackt hatten und ihn in die andere Richtung schubste.
„Du hast für heute genug gekuschelt“, rief Kaden ihm hinterher und wandte sich zu Sezuna. „Was war los? Ich hab deine Angespanntheit bis ans andere Ende des Raumes gespürt“, flüsterte Kaden gepresst an Sezuna gewandt.
„Das war Reyes. Ihr haltet euch lieber von ihm fern. Es werden so einige Gerüchte über ihn erzählt. Zwielichtiger Typ und so weiter. Er ist so gut wie immer hier“, erklärte Havok beiläufig, während sie ein Glas polierte.
Sezuna blickte noch immer mit großen Augen zu Kaden und ihre Nervosität nahm nicht ab. Auch bei den Worten von Havok wurde es eher schlimmer.
Für Kaden ein deutliches Zeichen, dass sie etwas gesehen, oder wahrgenommen hatte, dass sie noch nicht richtig begriff, dass sie aber in erhöhte Alarmbereitschaft versetzte.
Etwas, was auch Kaden nicht gerade freute.
„D...Danke“, stammelte sie leise. Sie fühlte sich nicht gerade so, als wären sie hier auf der Erde und damit auf ungefährlichem Boden. Eher im Gegenteil. Es kam ihr sogar noch eine Spur gefährlicher vor, weil man die Gefahr nicht so leicht erkannte.
Kaden zögerte nicht lange und zog sie, durch die drängelnde Menschenmasse hindurch, nach draußen an die frische Luft. Dort angekommen hielt er jedoch nicht an, sondern erst, als sie in einer dunklen Gasse angekommen waren, wo Kaden sich sicher war, dass sie ungestört reden konnten.
„Was zur Hölle ist los, Kätzchen, sprich mit mir!“ Der Vampir packte sie an den Schultern und schüttelte sie leicht, um sie wieder in die Gegenwart zu holen.
„Der Typ er... ich glaub er weiß was.“
Kaden musterte sie einen eindringlichen Moment und ließ dann seufzend von ihr ab.
„Sei nicht albern. Woher denn? Der Typ ist ein Mensch. Das hab ich deutlich gespürt.“
Kaden entfernte sich einige Schritte und schien schon fast erleichtert nach Luft zu ringen.
„Ich weiß, ich bin nicht blöd. Aber irgendwas stimmt mit ihm nicht“, entgegnete Sezuna, über die Naivität ihres ehemaligen Freundes, gereizt und begann angestrengt nachzudenken.
„Sieh dich an. Wir sind keine 24 Stunden hier und du wirst schon paranoid. Hast du irgendwas anderes rausgefunden, außer dass du dich für so attraktiv hältst, dass du dir bereits jetzt einen Stalker angelacht hast?“
Sezuna knurrte unwillig. „Als hätte ich ihn mir angelacht. Der kam von selbst zu mir. Aber seine Augen… Die waren alles andere, als normal für einen Menschen“, sagte sie und wurde in ihrem Satz immer leiser.
Dann begann sie mit einer Haarsträhne zu spielen, indem sie sich diese immer wieder nachdenklich um den Finger wickelte.
„Ich habe von einem Hotel gehört, in dem Gäste immer wieder auf mysteriöse Weise verschwinden. Ich denke dort könnten wir mit den Untersuchungen anfangen“, meinte sie dann und entschied sich, außer Acht zu lassen, dass sie sich mit Kaden verkracht hatte.
Es fühlte sich an wie früher und sie mochte dieses Gefühl. Dennoch war da noch immer, tief in ihr drin, dieses böse, lauernde Etwas, das ihr sagte, dass es nicht wieder so sein konnte wie Früher.
Ihr gegenseitiges Vertrauen war zerstört und das war an jedem Tag deutlich zu spüren.
Sezuna hätte sich dafür ohrfeigen können. Ohne Vorsicht solche Gefühle in Kaden Gegenwart zu fühlen, war gefährlich. Aber, als würde sie es kontrollieren können. Vorsichtig hob sie den Blick zu Kadens Rücken, um eine Reaktion abzuwarten, doch nichts geschah.
„Ich hab auch einige davon reden hören. Dachte aber eher es sei sowas wie ein Gerücht. Ich hab sogar eine kleine Gruppe belauscht, die meinte sie wollten sich für Mutproben dort treffen.“
Kurz lachte er auf, bei diesem absurden Gedanken. „Als würden sie darum betteln zu sterben.“
Er schien kein bisschen auf Sezunas Gefühle einzugehen und die junge Vampirin wusste nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte.
„Ich habe eine Adresse, wir könnten zumindest nachschauen gehen, ob es sich wirklich um ein Gerücht handelt. Was ich so mitbekommen habe, betrifft es nur spezielle Zimmer dieses Hotels und die wurden geschlossen, weil dort keine Gäste mehr einziehen wollen“, erklärte sie und ging gedanklich alle Wortfetzen durch, die sie aufgeschnappt hatte. Dann runzelte sie die Stirn. „Mein Gefühl sagt mir aber, dass die Zimmer nicht das Problem sind“, erklärte sie. Irgendwas musste sie gehört, oder wahrgenommen haben, was diese Vermutung bestätigte. Sie wusste nur nicht mehr was.
„Wir sollten die anderen verständigen und uns die Sache wenigstens mal ansehen“, fügte Sezuna hinzu und packe ihr Handy aus. Doch noch bevor sie einen Kontakt aussuchen konnte schloss Kaden zu ihr auf und legte eine Hand auf ihr Handy.
„Wir brauchen sie nicht. Wir sehen nur kurz nach dem Rechten, ob da überhaupt was dran ist“, beschwichtigte der Dunkelblonde die Vampirin. „Oder brauchst du deinen Wachhund?“
Ohne die letzte, spitze Bemerkung, hätte es sein können wie früher. Aber auch so fühlte es sich an wie früher, was auch der Grund war, warum Sezuna zögerte und schließlich ihr Handy wegsteckte, obwohl sie wusste, dass es falsch war.
Sie sollten den anderen zumindest mitteilen, wo sie waren, falls ihnen etwas zustieß.
Sie waren hier in unbekanntem Territorium und keiner wusste genau, was auf sie zukam.
Plötzlich legte Kaden einen erleuchteten Gesichtsausdruck auf.
„Ahh. Jetzt verstehe ich. Du hast Angst nicht wahr? Es könnte ja vielleicht dort spucken“, flüsterte Kaden mit einem gespielt bedrohlichem Ton und fummelte mit seinen Fingern in Sezunas Haaren rum. Provokant schob sie seinen Arm weg und sah ihn fest und bestimmt an.
„Ich hab keine Angst!“ Bei dem Tonfall musste sie sich selbst daran erinnern, dass sie beide keine kleinen Kinder mehr waren, ehe das hier in einem inoffiziellen Wettstreit ausartete.
*Verdammter Kaden!*, fluchte Sezuna stumm und fragte sich wirklich wie er es immer wieder schaffte diese Seite in ihr hervorzurufen. Sie war eine erwachsene, verantwortungsbewusste Frau!
„Wetten du traust dich nicht die ganze Nacht da drin, in einem der verfluchten Zimmer zu bleiben?“
Sezunas Augenbraue zuckte.
Verdammt sei dieser Vampir! Er wusste genau, dass sie seine Wetten nie abschlagen konnte.
Bei jedem anderen wäre sie jetzt einfach gegangen, doch bei Kaden war es ihr irgendwie wichtiger, dass er sie nicht für einen Feigling hielt.
„Selbst wenn es verflucht ist. Ich bin doch kein kleiner, schwacher Mensch“, erklärte sie zischend, aber leise, falls sie jemand beobachtete.
Seine dunkelbraunen Augen verengten sich, während ein breites Grinsen seine Lippen umspielte.
„Wird da jemand überheblich?“, summte er belustigt und machte sich bereits auf den Weg zurück zur Straße.
Sezuna machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir befinden uns hier auf der Erde. Was soll schon großartig geschehen“, meinte sie, konnte aber ihre leichte Unruhe vor Kaden nicht verstecken. Dieser spürte sofort, dass sie sich nicht so sicher war, wie sie klang.
Aber da beide früher schon sehr oft selbstsicheres Auftreten gemeinsam geübt hatten, war Sezuna mittlerweile sehr gut darin ihre Gefühle vor anderen zu verbergen.
Wenn Kaden an ihre erste Begegnung zurückdachte, musste er grinsen.
Damals war sie ein kleines, völlig unsicheres Kind gewesen, das sich vor allem verstecken wollte.
Heute bot sie jedoch sämtlichen Problemen mit einer beeindruckenden Selbstsicherheit die Stirn.
Irgendwie machte Kaden das stolz, weil er wusste, dass er dafür verantwortlich war.
Der einzige Grund, weshalb es ihr so leicht fiel, sich Kaden zu nähern, war zum Großteil aber auch die Tatsache, dass Sezuna Kadens Mutter kennengelernt hatte. Dieser schüttelte sich kaum erkennbar, bei dem Gedanken an die Frau, die ihm das Leben geschenkt hatte. Die beiden hatten sich immer sehr gut verstanden und genau das war es, was Kaden ganz und gar nicht lustig fand. Im Gegensatz zu Sezuna.
Doch er konnte ihr einfach nicht böse sein... zumindest früher nicht.
Er konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken, als er wieder an die früheren Wettkämpfe denken musste, die vielleicht dumm waren, aber dennoch ihre Freundschaft ausgemacht hatten.
„Wer zuerst da ist!“ Mit diesen Worten bewegte sich Kaden in übermenschlicher Geschwindigkeit und Sezuna sah ihn mit großen Augen hinterher.
*Dieser Idiot, kann doch nicht einfach-!*
Sie blickte sich mehrmals um, ob es jemand bemerkt hatte, doch die Straße war leer.
Davon abgesehen, würden die Menschen sie wahrscheinlich sowieso nicht bemerken. Hoffte sie.
Dennoch zögerte sie kurz, bevor sie sich dazu entschied Kaden zu folgen.
Woher wusste dieser eigentlich, wo es lang ging?
Der Vampir bog in eine Gasse ein und blieb dann stehen. Kurz darauf blieb Sezuna ebenfalls neben ihm stehen.
Wenigstens war er schlau genug einen Ort zu wählen, wo man sie nicht sofort bemerkte.
„Das ist die falsche Richtung“, bemerkte sie trocken und Kaden schenkte ihr ein Grinsen.
„Und ich dachte immer du bist der Brummkreisel ohne nennenswerten Orientierungssinn“, meinte er belustigt.
Das war eine Schwäche, die Sezuna schon lange hatte. Auch wenn sie sich alles merkte, so versuchte sie doch ständig ihre Umgebung nicht so deutlich wahrzunehmen, um ihr Gehirn zu entlasten. Das sorgte jedoch dafür, dass sie oft nicht wusste, wo sie war, oder wo sie lang gelaufen war.
„Soll das etwa heißen du bist absichtlich blindlings irgendwohin gerannt?“, fragte Sezuna entgeistert und rückte ihr kirschrotes Haar zurecht. Kaden zuckte grinsend mir den Schultern.
Er wollte nur wissen, ob sie ihm immer noch so blind vertraute, wie sie es damals tat. Obwohl sie wusste, dass Kaden den Weg nicht kannte, war sie ihm gefolgt. Das war schon immer eine Art Vertrauensbeweis unter ihnen gewesen. Kadens Grinsen wurde noch breiter, nachdem er festgestellt hatte, dass sie ihm immer noch traute, trotz ihres Streits, und es schien auch nicht wieder so schnell zu verschwinden.
„Sag jetzt einfach nichts“, zischte Sezuna, der soeben dasselbe bewusst wurde, wie Kaden.
„Wer ist dümmer der Idiot, oder derjenige der dem Idioten folgt?“
Sezuna verdrehte die Augen und unterdrückte ein Grinsen. „Andererseits kann ich es auch verstehen. Schließlich bin ich nun mal unwiderstehlich“, erklärte Kaden, als wäre es eine Selbstverständlichkeit.
„Ja, ja. Ich bevorzuge immer noch eine Schokotorte mit Sahne und Erdbeeren, wenn ich die Wahl habe“, meinte sie mit einem Grinsen, das fast so wirkte, als wolle sie ihn verführen.
Dann warf sie ihm einen Luftkuss zu, ehe sie sagte: „Los, du unwiderstehlicher Hengst, sei ein Gentlemen und führ mich zu dem bösen, bösen Spuk-Hotel, damit ich dir beweisen kann, dass ich auch ohne Möchtegern-Machomänner klar komme.“