'Sein Name ist Ben Carstens. Auf der Rückseite des Fotos steht sowohl Adresse, als auch Beruf. Ich will dass du ihm eine Nachricht von mir überbringst...'
Die Worte von Reyes hallten in seinem Kopf wieder und wieder, während Kaden vor dem Wohnkomplex seiner Zielperson campte.
Eine Nachreicht überbringen... wohl eher eine Drohung.
Zum Glück hatte er den anderen nicht von seinem neuen Minijob erzählt.
In Anbetracht der Tatsache, dass er eigentlich ein Agent der Regierung war, schien er nun doch mehr Unruhe zu stiften, als er regeln sollte.
Aber, um ihre Aufgabe zu erfüllen, durften sie alles tun, was sie mussten. Und Reyes war nun einmal ein wichtiger Informant geworden. Es war wichtig, dass sie sich mit ihm gut stellten.
Trotzdem musste Kaden nicht gefallen, was er hier tat.
Ein Geräusch ließ ihn zucken und er wendete den Blick zu einem Auto, das gerade einparkte.
Ein Mann stieg aus und schlug die Tür murrend zu. Er hatte gräuliches Haar, das schon recht ausgefallen wirkte und auch sein Gesicht wirkte abgehärmt. Die Augen blickten müde über den Parkplatz, als er auf das Wohngebäude zu hielt.
Das war Ben Carstens. Er sah genauso aus, wie auf dem Foto. Wenn er nicht zufällig einen Zwillingsbruder hatte, dann war eine Verwechslung ausgeschlossen.
Kaden wartete einige Sekunden ab, bis Ben die Haustür öffnete und weiterlief, sodass der Vampir schnell und unbemerkt hindurch ins Treppenhaus huschen konnte.
Geduldig wartete er, bis die Schritte auf den Treppen im sechsten Stock ankamen und der keuchende Atem des Mannes nach dem Klicken der aufgeschlossenen Tür verschwand. In Vampirgeschwindigkeit huschte er nach oben und lauschte an der Tür. Als er hörte, wie das Wasser einer Dusche aufgedreht wurde, knackte er mit einigen gezielten Handgriffen das Schloss und schloss die Tür lautlos hinter sich. Er konnte laut und deutlich hören, wie der Mann unter der Dusche regelmäßig in Hustenanfällen ausbrach und so setzte sich Kaden nur in den dreckigen, alten Sessel und wartete ab.
Kaden überlegte, ob er den Mann erschrecken sollte, aber das ließ sich wohl sowieso nicht mehr vermeiden.
Das Wasser wurde abgestellt und Kaden hörte, wie der Mann ein Handtuch nahm und mit nassen Füßen durch das Bad lief.
Schließlich ging die Tür und der stämmige Mann, nur in Handtuch bekleidet, trat in seine Stube.
Wo er in seinem Sessel einen Mann vorfand, der dort sicher nicht hin gehörte.
Keuchend machte er einen Schritt zurück und suchte mit seiner Hand nach einer Waffe.
Sein Herzschlag und sein Atem beschleunigten sich und Kaden hoffte, dass der Mann nicht an einem Herzinfarkt starb.
„Wenn ich du wäre, würde ich das lieber lassen. Wir können das hier wie Erwachsene klären... oder aber du versuchst dein Glück und... naja wirst es vermutlich bereuen“, erklärte Kaden gelassen, als wäre das hier seine Wohnung und schenkte ihm ein schelmisches Lächeln.
Der Mann regte sich nicht, doch Kaden spürte seine Gefühlsregungen.
Im nächsten Moment, in dem der Mann herumwirbelte und wegrennen wollte, stürmte Kaden nach vorne und riss ihn zurück in den Gang, um seinen Kopf dort einmal gern die Wand zu schlagen, wobei er darauf achtete, nicht zu grob zu sein, aber dennoch machte sich eine blutende Platzwunde an der Schädeldecke des Mannes breit.
Er warf ihn zurück an die gegenüberliegende Wand, wo er ihn schließlich an der Kehle packte und ihm nüchtern in die Augen starrte.
„Ich denke du weißt, wieso ich hier bin. Hab ich Recht? Es gibt da jemanden der sich um dich sorgt, weil du dich nicht mehr gemeldet hast. Was ist deine Ausrede?“, fragte Kaden, doch er bekam nur ein panisches Röcheln als Antwort.
Er ließ von dem Hals des Mannes ab und riss ihn mit in die Küche, wo er ihn an der Hand packte und diese auf den Tisch knallte, um ihn dort festzuhalten.
Dort umklammerte er Mittel-, Ring- und den kleinen Finger mit seiner Faust und übte einen leichten Druck aus, der einem Menschen wohl schon Schmerzen bereitete.
„Ich warte“, summte Kaden ungeduldig und drückte kurz ein wenig fester zu.
Der Mann keuchte auf und schien panisch zu werden. „Ich werde meine Schulden begleichen“, jammerte der Mann, dem man ansah, dass er sich bereits vor Schmerzen wand.
Kaden ließ ein wenig lockerer, ließ aber nicht los, sondern starrte ihn weiterhin nur an.
„Wenn ich noch einmal nach dir sehen muss, wird dir das nicht gut bekommen. Und glaub mir: Ich finde dich überall. Also beeil dich und zahl deine Schulden“, erklang Kadens Stimme erneut und der Mann nickte eifrig, wobei ihm der Schweiß über die Stirn lief.
Nach einigen prüfenden Sekunden ließ Kaden ihn los und der Mann klappte neben dem Küchentisch zusammen.
Kurz blickte sich der Vampir um und musterte dann nochmal den Mann.
„Und geh ins Fitnessstudio oder sowas. Oder räum mindestens hier auf, das ist ja ekelhaft“, murmelte Kaden, ehe er sich auf den Weg machte, die versiffte Wohnung zu verlassen.
Wenn man die Hintergründe missachtete und einige Details, war es eigentlich gar nicht um so vieles anders, als die Aufträge beim Rat.
Nur, dass es dort meist seine Aufgabe war sich unbemerkt in Gruppen einzuschleusen und korrupte Mitglieder hochzunehmen, oder auch illegale Machenschaften.
Alles im allen gar nicht so unähnlich, da seine Aufträge auch meist mit einer Prügelei endeten.
Dennoch war ihm nicht ganz so wohl dabei.
Hier auf der Erde galten ganz andere Gesetze, als bei ihnen und eigentlich müsste er sich an diese halten. Aber solange er für die Regierung arbeitete, hatte man ihm erklärt, könne er alles tun, was ihrem Auftrag zugutekam.
Kaden seufzte.
Er hatte die Aufgabe erfüllt, das hieß, er sollte sich jetzt wieder auf den Weg zum Wohnheim machen.
Als er den Flur zu seinem Zimmer betrat, ging plötzlich die Tür zu Sezunas Wohnung auf und die Rothaarige blickte hinaus und lächelte zögerlich.
„Kaden? Darf ich bei dir schlafen?“, fragte sie mit zittriger Stimme. Generell zitterte sie am ganzen Körper.
Er spürte ihre Angst und auch ihr Unwohlsein.
War Havok vielleicht nicht da? Hatte sie immer noch Angst wegen dem Snas?
Ein wenig überrumpelt und auch fertig blieb er vor seiner Tür stehen.
„Natürlich. Wenn du das möchtest“, gab er bloß zurück, weil er nicht ganz wusste, was er sagen sollte.
Kaden klopfte kurz bei Lika, da er sie nicht mehr in seinem Zimmer hörte.
Diese öffnete die Tür, gab ihn den Schlüssel und erklärte kurz, dass Alexa bei ihr war.
Er schloss die Tür zu seinem Zimmer auf, damit die Rothaarige hindurch huschen konnte und schloss diese wieder hinter sich ab.
Sezuna lächelte dankbar.
Orion hatte ihr zwar angeboten die Nacht bei ihm zu verbringen, wenn sie Angst hatte, doch Sezuna fühlte sich bei diesem noch nicht so geborgen, wie bei Kaden. Das lag wohl an der langen Zeit, die sie sich schon kannten. Bei Orion fühlte sie sich noch zu unwohl.
Gut, dass Alexa bei Lika untergekommen war. Er hätte nicht gewusst, wie er die beiden Frauen unterbringen sollte. Er selbst wollte nur ungern auf den Boden schlafen und wieder zusammen mit Sezuna auf der Couch zu nächtigen schien wohl auch keine Option zu sein.
Überanstrengt ließ er sich auf das Sofa fallen und rieb sich müde die Augen.
Er würde am liebsten duschen gehen... er hätte sich wohl doch nicht auf den Sessel setzten sollen. Wer wusste schon, was für Pilze der Mann dort züchtete.
„Was war los?“, fragte er an Sezuna gewandt und stand auf, um sich frische Schlafklamotten aus dem Schlafzimmer zu holen und in das Badezimmer zu werfen.
„Ich…“, murmelte Sezuna, die nicht genau wusste, was sie sagen sollte und spielte ein wenig unruhig mit ihren Haarsträhnen. „Ich erinnere mich an Dinge, die ich gerne vergessen würde“, gestand sie. „Diese Entführung holt Erinnerungen hoch… Ich möchte nicht alleine bleiben, wenn ich diese Albträume habe“, versuchte sie zu erklären, auch wenn es ihr sichtlich schwer fiel.
Kaden hielt inne und musterte Sezuna kurz, aber gründlich.
Langsam ging er zu ihr rüber, um sie in den Arm zu nehmen und sie zu trösten.
„Du bist nicht allein, okay?“, flüsterte er und strich ihr über die roten Locken. „Ich gehe jetzt kurz duschen. Du kannst dich schon mal hinlegen, in Ordnung?“ Er entfernte sich ein wenig von ihr, um ihr Gesicht in seine Hände zu nehmen und sie zu mustern.
Man konnte an ihren Augen sehen, dass sie erst vor kurzem Blut getrunken hatte und auch sonst schien ihr Körper fit zu sein. Wären da nicht die Schatten in ihren Augen und die Gefühle, die ihm entgegen schlugen.
Er fragte sich wirklich, wie sie so ruhig bleiben konnte, obwohl in ihr doch eine riesige Panik wirbelte.
„Danke“, flüsterte sie leise.
Nach einigen Sekunden der Musterung drückte er sie nochmal und ließ dann von ihr ab, um eine schnelle Dusche zu nehmen und sich anzuziehen.
Frisch geduscht und mit nassen Haaren ging Kadens ins Schlafzimmer, um nachzusehen, ob sie inzwischen schon eingeschlafen war.
Er war leise, dennoch öffneten sich ihre goldenen Augen, als er das Zimmer betrat.
Kaden ließ es dunkel und steuerte auf das Bett zu, wo sie sich bereits in die Decke gekuschelt hatte.
Eigentlich hatte er vor gehabt auf dem Sofa zu schlafen, doch das würde nicht viel bringen. Spätestens in einer halben Stunde wäre Sezuna wieder bei ihm.
Seufzend setzte er sich an den Bertrand und strich ihr über die Stirn, um ihr einige Strähnen aus dem Gesicht zu kämmen.
„Soll ich bei dir schlafen?“, fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte.
Sezunas sagte nichts, rückte aber an den äußersten Rand, so dass Kaden noch Platz hatte.
Ihre Augen blickten ihn daraufhin auffordernd an.
Er sah kurz auf den freien Platz, dann zu Sezuna und wieder zurück, ehe er über die Rothaarige hinweg kletterte und es sich seufzend auf der Matratze gemütlich machte.
„Willst du mir erzählen, was du geträumt hast?“, fragte er vorsichtig, da er nicht wusste, ob sie darüber reden wollte oder nicht. Schließlich hatte sie sich über die Jahre verändert.
„Ich möchte dir nicht auch noch Albträume bescheren“, meinte sie leise und drehte sich zu Kaden um, ehe sie sich an ihn kuschelte. Es war wohl besser, wenn es Kaden nicht erfuhr. Vor allem nicht, nachdem er schon so auf ihre Briefe reagiert hatte. „Und ich bin noch nicht so weit.“
Kaden hob seinen Arm, damit sie mehr Platz hatte und legte diesen hinter ihr ab, um ihn auf ihrem Rücken zu platzieren.
Er seufzte, als er Luft holte, um etwas zu sagen, es dann aber doch ließ und die Augen schloss.
„Wie du möchtest. Wenn etwas ist weck mich einfach okay?“, flüsterte er heiser, während er bereits begann schwerer zu atmen, als ihn die Müdigkeit übermannte.
Dennoch ließ ihn Sezunas Anwesenheit keine Ruhe, dass er permanent im Halbschlaf verweilte.
Erst, als ihr Atem auch ruhiger wurde und sie sich wieder beruhigt hatte und einschlief, konnte er sich endlich den Schlaf hingeben. Nicht, ohne Sezuna noch einmal fest an sich zu ziehen und seinen Kopf an ihrer Schulter zu vergraben.