Angespannt klopfte Kaden leise im schnellen Takt mit dem Talisman gegen den Küchentisch an dem er saß und dachte angestrengt nach.
Die Nacht war nicht gerade angenehm verlaufen und die Tatsache, dass Sezuna immer noch schlief beruhigte ihn auch nicht sonderlich.
Tausende Gedanken schossen durch seinen Kopf.
Was war geschehen? Wer hatte Sezuna entführt? Wo war Alexa? Und wo sollte er sie finden?!
Er brauchte einen klaren Kopf und da noch nicht mal die Sonne aufgegangen war, wollte er Lika und den Köter auch noch nicht wecken. Er seufzte und legte den Talisman ab und drehte sich um, als sein Blick plötzlich auf die ungeöffneten Briefe fiel, die Sezuna ihm bei ihrer Ankunft in die Hand gedrückt hatte.
Er betrachtete sie nachdenklich.
Sezuna sagte, sie wären von seiner Mutter, oder so.
Vielleicht konnte der Inhalt Kaden ablenken.
Seufzend griff er danach und bemerkte die verschmierte Schrift auf den Umschlag.
Erst glaubte er, dass es schwarze Tinte war, doch dann bemerkte er, dass die Farbe ein wenig rötlich schimmerte, wenn er sie ins richtige Licht hielt.
Verwundert beugte er sich vor und roch daran.
Ganz schwach war der Geruch von Blut wahrzunehmen.
Außerdem stand auf der Rückseite ein Datum, dass dafür sorgte, dass sich sein Magen zusammenzog.
Er schluckte, als er den Geruch von Sezunas Blut erkannte. Denselben Geruch den er auch schon im Wald wahrgenommen hatte in dem Sezuna verletzt wurde.
Mit unsicheren und zittrigen Finger öffnete er den Brief, um diesen zu lesen.
Man sah dem Papier an, das es bereits etwas älter war, doch änderte das nicht an dem Gefühl von Übelkeit, das die Schrift, die er las, ihm verursachte.
Er war eindeutig von Sezuna verfasst worden. Zum einen, weil er ihre Handschrift überall erkennen konnte und zum anderen, weil er in der Geheimschrift verfasst war, die sich Kaden und Sezuna als Kinder ausgedacht hatten, damit Mae ihnen nicht nachspionieren konnte.
Sein kompletter Körper verspannte sich, als er die ersten Zeilen las.
'Kaden, das ist der sechste Brief, den ich dir schreibe und ich werde dir weiter schreiben, in der Hoffnung einer der Briefe erreicht dich.
Meine Eltern sind umgezogen und haben mich mitgenommen. Ich habe keine Ahnung wo ich bin und sie lassen mich nicht raus.
Ich brauche Hilfe.
Kätzchen'
Fast schon ausdruckslos blieb er sitzen, unfähig auch nur einen Muskel zu rühren.
Sie hatte ihm geschrieben.
Hatte versucht ihm mitzuteilen, dass sie ihn brauchte. Dabei hatte er gedacht, dass sie einfach gegangen war, ohne einen Gedanken an ihn zu verschwenden. Wie verraten er sich damals gefühlt hatte. Noch immer fühlte er den vergangenen Schmerz, doch das war nichts, im Vergleich zu der Leere, die sich in ihm ausbreitete.
Wie von selbst lösten sich seine Finger von dem Papier, worauf dieses auf den Tisch wehte.
Benommen ließ er sich in die Couch fallen und hatte Angst davor den anderen Brief zu öffnen, der, nach dem Datum zu urteilen, ein Jahr nach dem ersten geschrieben wurde.
Er richtete seinen leeren Blick gegen die Decke, während sich seine Gedanken förmlich überschlugen.
Wie sollte er sie jetzt noch normal ansehen?
Wie konnte 'sie' ihn normal ansehen?!
Allein der Gedanke hilflos rumgesessen zu haben, während sie vollkommen verängstigt auf ihn gewartet hatte, gab Kaden das Gefühl zu ertrinken.
Es schien ihm unmöglich zu glauben, dass sie ihn trotz all dem lieben konnte, wie sie es sagte.
Dabei stellte er sich nur die Frage, wie er mit ihr im selben Raum bleiben konnte, ohne von Schuldgefühlen durchzudrehen.
Ihre Gefühle hatten ihm gegenüber nie aus Hass, oder Abneigung bestanden. Anfangs hatte sie lediglich eine gewisse Enttäuschung in sich gehabt, doch auch diese spürte Kaden schon lange nicht mehr, wenn er in Sezunas Nähe war. Stattdessen war da etwas, was er nicht benennen konnte.
Kaden schloss die Augen.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke... eine entscheidende Frage... wieso erhielt er die Briefe erst jetzt?!
Sezuna sagte, sie habe sie von seiner Mutter. Doch wieso... seufzend fuhr er sich wütend durch die Haare und musste sich zügeln vor Wut nicht laut auf zu knurren.
Stattdessen machte er einige kurze Atemübungen, um sich letztlich doch an den zweiten Brief zu wagen. Er öffnete ihn und musste ihn direkt wieder zur Seite legen, ohne ein Wort gelesen zu haben.
Das war einfach zu viel.
Und die Tatsache dass sie nicht mal wütend auf ihn war, machte es nur noch schlimmer.
Was zur Hölle sah sie nur in ihm?
Er verstand diese Frau einfach nicht. Nach mehreren Minuten, in denen er nur auf das gefaltete Blatt gestarrt hatte, griff er endlich danach, um ihn aufzufalten und ihn zu lesen.
'Du hast versprochen mich zu finden, wenn ich dich brauche, aber ich weiß, dass du mich nie gesucht hast.
Ich habe mich damit abgefunden, dass es niemanden gibt, für den ich wichtig genug bin, damit er über seinen eigenen Schatten springt. Ich weiß dein Stolz treibt dich dazu, mich dafür verantwortlich zu machen, was geschehen ist und ich kann es dir nicht verübeln.
Vielleicht ist es auch besser so und du wirst diese Hölle hier niemals erleben. Das hier wünsche ich keinem.'
Wütend schloss er seine Augen, bevor er langsam den Brief in seiner Hand zerknüllte und ihn quer durchs Wohnzimmer warf.
Mit Hass konnte er umgehen... aber Desinteresse?
War es das? Desinteresse? Sie schien eher an ihn zu klammern, als ihn zu ignorieren. Ihr Verhalten stand im völligen Gegensatz zu dem, was er jetzt erfahren hatte.
Sie müsste ihm gegenüber völlig anderes handeln. Ihn mit ganz anderen Augen sehen.
Warum…
Seine Gedanken brachen ab, als er hörte, wie sich die Tür öffnete und nackte Füße langsam über den Boden tapsten.
Dann ging die Badtür auf und Kaden verharrte in seiner Haltung.
Kadens Atmung ging schnell von der rasenden Wut, die er auf sich selbst verspürte.
Er wollte Sezuna am liebsten in den Arm nehmen und nie wieder los lassen. Ihr sagen wie Leid es ihm tat, was für ein Idiot er doch gewesen war und wie sie ihm überhaupt noch in die Augen sehen konnte... geschweige denn lieben konnte.
Doch auf der anderen Seite, schaffte er es einfach nicht auch nur ein Wort rauszubringen. Am liebsten würde er ihr aus dem Weg gehen und so tun, als wäre nichts gewesen.
Doch keins von beidem schien eine realistische Entscheidung darzustellen.
Die Badtür fiel erneut leise klackend ins Schloss und auf den Rückweg in sein Zimmer schien sie ihn zu bemerken.
„Kaden?“, murmelte sie und klang müde, aber auch irgendwie verängstigt. Als würde sie nicht wissen, ob er wirklich da war, oder nicht.
Er hob den Blick, um sie geradewegs anzusehen.
Als würde er sie erst jetzt nach all den Jahren zum ersten Mal wiedersehen. Er sah sie mit anderen Augen und wusste nicht was er sagen sollte.
Verdammt was sollte er sagen?!
Sie stand einfach nur mit einem leicht verängstigten Blick da und musterte ihn.
Wie er wohl gerade aussah?
Er wusste es nicht.
Er senkte den Blick wieder, bevor er drohte verrückt zu werden und versteckte sein Gesicht.
„Hm?“, gab er stattdessen von sich, um nicht sprechen zu müssen, denn er hatte nach wie vor seine Stimme verloren.
„Kommst du wieder ins Bett?“, fragte sie zögerlich und mit leicht zitternder Stimme. „Ich möchte nicht alleine bleiben“, erklärte sie leise. „Ich hab Angst.“
Er hielt einen Moment inne, unschlüssig über seine Reaktion.
Der Gedanke Sezuna jetzt nahe zu sein, löste in ihm Kopfschmerzen aus. Doch war er ihr das nicht schuldig? Für all die Jahre in denen er sie allein gelassen hatte?
Er nickte kurzangebunden und stand auf, um mit ihr zusammen zurück ins Schlafzimmer zu gehen.
Sezuna tapste voraus und als er sich mit ihr hinlegte, kuschelte sie sich sofort schutzbedürftig an ihn ran und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.
Ein wenig unkoordiniert strich er ihr übers Haar, damit sie wusste, dass er bei ihr war.
Denn das wollte er auch... für sie da sein.
Er wollte sie beschützen.
Sie vor etwas retten wovon er vermutlich keine Ahnung hatte.
Und doch konnte er nur an Sezuna denken.
An die Sezuna, die mit tränenüberströmten Wange nach ihm schrie und an ihn, wie er dieser Sezuna den Rücken zukehrte. Unbewusst begannen seine Finger an Sezunas Kopf zu zittern, ebenso wie sein Atem.
Seine Augen, die an die Zimmerdecke gerichtet waren, schienen jedoch nur ins Leere zu gehen und etwas zu sehen, was nicht da war.
Es überraschte ihn, dass Sezuna scheinbar nichts von seinem Zittern bemerkte. Ihr Atem ging ruhig und regelmäßig. Kein Wunder. Bei der Aufregung des Tages war sie wahrscheinlich immer noch erschöpft.
Im Grunde hatte er auch heute wieder versagt. Er hatte sie erneut im Stich gelassen, auch wenn er es dieses Mal geschafft hatte, sie zu retten. Wäre er nur ein wenig vorsichtiger gewesen, wäre es vermutlich gar nicht so weit gekommen.
Anscheinend konnte er nichts richtig machen.
Vielleicht wäre sie ja doch besser bei dem Köter aufgehoben...
Langsam schloss er die Augen bei dem Gedanken daran und verstand nicht, wie seine Gedanken soweit abschweifen konnten.
Doch es stimmte.
Das war einfach nicht richtig. Nicht so.
Wie es jetzt war, konnte es nicht bleiben. Die Frage war nur, wie er das Sezuna beibringen sollte.
Er wollte sie nicht noch mehr verletzen, als er es schon getan hatte.