Sixty Minutes Challenge 26.07.2020
Babyparty
Er fühlte sich verhöhnt. Unter all diesen Menschen, die er eigentlich seine Freunde und sogar seine Familie nannte, fühlte er sich heute einfach nur auf den Arm genommen. Das mochte daran liegen, dass er in den letzten Monaten sowieso stets etwas gereizter gewesen war oder daran, dass er schon in der letzten Nacht kaum ein Auge zugetan hatte. Aber eigentlich lag es daran, dass er der einzige Außerirdische unter all diesen Menschen war. Normalerweise wäre das keinem aufgefallen, weil er äußerlich wie ein Mensch aussah. Aber er befand sich in recht ungünstigen Zeiten und in diesen letzten Tagen, war selbst seine Matratze ungerecht zu ihm. Sie sorgte dafür, dass sein Rücken ihn einfach nur umbringen wollte. Es schmerzte bei jedem Schritt und es zwickte und zwackte, wo es nur konnte. Liegen war in den letzten Wochen absolut unerfreulich, ebenso wie sitzen oder laufen oder stehen. Ja, verdammt! Selbst atmen war dann und wann eine Qual.
„Verdammte scheiße! Warum hab ich mich darauf eingelassen?“, fluchte Mike und blickte neben sich, wo sein Lebensgefährte tief und fest schlief. Er war sauer, einfach nur stinksauer. Wie konnte er schlafen? Jetzt? Um drei Uhr morgens, wo er nicht schlafen konnte? Konnte er nicht solidarisch ebenfalls schlaflos sein? „Mistkerl!“, motzte er und boxte Singh in die Seite, obwohl der ja gar nichts dafür konnte.
Nun wollten die Tränen wieder kommen und er fühlte sich absolut mies. Aber, doch, Singh war absolut verantwortlich dafür. Ja, dafür! Ohne ihn, hätte er das da nicht. Aber ohne ihn, wäre er auch richtig einsam. Und was konnte Singh dafür, dass er – Mike – ein vollkommen durchgedrehtes Alien war. Absolut nichts! Und schon war die Schuld wieder da.
Heulend umschlang er seine Knie, das hieß, er versuchte es. Er kam nicht ran und als er es doch geschafft hatte, verloren sich seine Hände und er fiel hilflos, wie eine Schildkröte, auf den Rücken. „Verdammt, Singh! Ich schlafe nie wieder mit dir!“, fluchte er lauthals.
„Hm, was?“, hörte er es benommen neben sich murmeln, aber dann hatte sein Lebensgefährte die Lage überblickt und wälzte ihn zum Glück auf die Seite zurück. Mike fühlte, wie er unsicher gemustert wurde. „Meinst du, das ist normal?“, fragte Singh und schielte unauffällig auf das Körperteil, das Mike zur Zeit am meisten an sich hasste. „Ich meine so … überdimensional? Ich meine, meinst du es ist … eins?“
„Ich bin kein Hund, verdammt!“, schnauzte Mike. „Natürlich ist es eins. Wobei … Samitar hat gestern bei der Untersuchung so überaus fies gegrinst. Vielleicht … Nein, ganz sicher nicht.“ Sein Onkel wusste wohl nur einfach viel mehr als er, was sich wahrscheinlich eher auf das was und nicht das wie viele bezog.
„Hat er dir denn was genaues gesagt?“, wollte sein Mann jetzt wissen und schielte schon wieder nach unten.
„Meine Augen sind hier oben!“, blaffte Mike und verschränkte grummelnd die Arme vor der Brust. So gut das eben ging. „Nein, nur dass er das bei einer Party machen möchte. Er weiß wohl was ...“
„Er weiß, was es wird?“
Nun war Singhs Stimme eindeutig aufgeregt. Mike verdrehte die Augen. Warum hatten alle anderen viel mehr Spaß an der Sache, als er? Ach ja, weil sie nicht aufgingen, wie ein Hefekloß und sich wie die allerletzte Kuriosität im Kuriositätenladen vorkamen. Er hatte daran absolut keinen Spaß, den er hatte Sodbrennen, permanent Hunger, eine VIP-Ticket auf dem Klo gebucht, Seekrankheit vom Feinsten (Gott, warum lebte er auf einem verdammten Unterseeboot?) und eine neue Vorliebe für das Wort „verdammt“. Dazu gab es Wasser in den Beinen, Rückenschmerzen und der absolute Traumkörper war ruiniert.
Aber ja, er wollte es so. „Ich glaube schon“, antwortete Mike und lächelte, als er in das glückliche Gesicht seines Partners sah. „Aber er wollte es mir nicht sagen. Er meinte, so unspektakulär darf das nicht werden, da man als Mann ja nur alle fünf Jahre schwanger werden kann.“ Der hatte vielleicht Nerven, als ob Mike das noch einmal machen würde. Das erste Mal war ein absoluter Unfall gewesen und dennoch hatte er sich schockverliebt in die Idee einer eigenen kleinen Familie. Vermutlich waren das die fiesen kleinen Hormone, die seinen Verstand vernebelten. Aber dennoch freute er sich darauf, aber das da … Er blickte wieder auf seinen Körper und seufzte.
„Ich könnte jetzt morden für Vanilleeis und Schinken!“
Singh wich mit großen Augen von seinem Freund weg. Er wusste ganz genau, dass sie weder das eine noch das andere hatten. „Geht auch Rührei?“, fragte er hoffnungsvoll, dass er die Nacht überleben würde.
„Machst du mir Schokosoße drauf?“
„Ich muss es ja nicht essen“, war die Antwort, garniert mit einem Kotzgeräusch. Es dauerte nicht lange, bis Singh wiederkam und ihm seinen Teller demonstrativ auf den Bauch stellte. Das war praktisch, das musste Mike gestehen. Während Singh neben ihm immer blasser wurden, genoss er seinen nächtlichen Snack und konnte in den Armen seines Mannes schließlich doch zufrieden einschlafen.
Zumindest für eine Stunde, dann fühlte er einen Tritt, der ihn beinahe aus dem Bett geschleudert hätte. „Verdammt Singh!“, schüttelte er seinen Mann wieder wach. „Wir brauchen die blöde Babyparty nicht! Ich weiß auch so was es wird! Du kriegst ganz sicher einen Sohn und der übt sich gerade in zehn verschiedenen Kampftsporttechniken!“
„Hm“, brummte der. „Das kann auch ein Mädchen gut.“ Und damit drehte er sich um und schlief weiter. Nun lag er da wieder, wach und absolut grummelig, weil er als menschliches Trampolin benutzt wurde und das von innen.
„Ich sag dir jetzt was“, erzählte er seinem Bauch. „Wir machen die Babyparty ohne Vanilleeis und Schinken, wenn hier nicht bald Ruhe ist!“ Sofort war es vorbei mit dem Turnen. „Na geht doch“, murmelte Mike und wälzte sich umständlich auf die andere Seite, wo er sich an Singhs Rücken kuscheln konnte. „Da soll noch mal einer sagen Erziehung ist schwer. War jetzt doch ganz einfach.“ Damit schlummerte er wieder ein.
„Hör auf mir in den Rücken zu treten“, hörte er irgendwann Singh murmeln und blickte müde auf seine Uhr. Es war Acht Uhr morgens und er fühlte sich, als hätte ihn ein Zug überrollt.
„Das bin ich nicht“, teilte Mike ihm mit. „Beschwer dich bei deinem Sohn!“ Sein Bauch wackelte dermaßen hin und her, dass Mike sich sicher war einen Yoga-Meister auf die Welt zu bringen oder aber einen überambitionierten Sikh, der direkt in die Fußstapfen seines Vater treten wollte.
„Oder meiner Tochter“, gab Singh zu bedenken. Er war der Meinung, dass sein Mädchen andere ebenso gut vermöbeln konnte, wenn sie es musste, wie ein Junge. Und Mike liebte ihn für diese Einstellung. „Was solls“, seufzte Singh. „Lass uns in den Salon gehen. Die anderen sind sicher schon zum Frühstück dort.“ Die Nacht war vorbei und warum nicht etwas essen, dass war immerhin jetzt schon fünf Stunden her, wie Mikes Bauch missmutig klarmachte.
„Überraschung!“, rief es aus allen Ecken im Salon. Verwundert blickten Mike und Singh sich um. Über dem großen Aussichtsfenster hing ein großes Banner mit dem Wort „Babyparty“. Also doch, dachte sich Mike und blickte seinen Onkel kritisch an. Dieser grinste wie ein Honigkuchenpferd, aber er hatte Kuchen dabei!
Ja Kuchen. Mike wurde jetzt sehr deutlich klar, wie sehr er Kuchen wollte und verdammt … War das Schinken und Vanille?
„Der Kuchen ist nur für Mike!“, mahnte Samitar, als Ben zu gierig drauf schaute. Aber der schüttelte angeekelt den Kopf.
„Ist das echt Schinken und Vanille?“, fragte Ben und Samitar hob eine Augenbraue.
„Ja, jeder der so ist, will Schinken und Vanille“, damit deutete er auf den überdimensionalen Mike und stellte den Kuchen vor ihm ab. „Du musst ihn anschneiden. Die Farbe im Kuchen sagt dann, was es wird.“
„Rosa für Mädchen und blau für Junge?“, erkundigte sich Mike und schnitt dann aufgeregt in die Creme. Natürlich nicht ohne sich vorher ein Stück Schinken zu gönnen und es in die Vanillecreme zu dippen. Göttlich.
„Samitar. Der Kuchen ist kaputt!“, verwirrt schaute er auf das Kuchenstück, das rosa und blau war. „Sollte er mir nicht ein genaueres Ergebnis anzeigen?“ Dann begriff er. „Verdammt Singh, dein Sohn trainiert nicht allein.“
Es war ja klar gewesen! Denn was in seinem Leben war schon einfach?
Ende