[Anmerkung: Das fällt so ziemlich in die Kategorie "Dinge, die ich nie schreiben wollte", aber ich musste es tun. xD Viel Spaß. Bitte nicht zu ernst nehmen ;)]
Sometimes I feel like an alien – Part III
Zweifelnd blickte Mike in seine Teetasse, nahm einen weiteren Schluck und stellte sie dann angeekelt weg. Der Tee schmeckte heute Morgen ausgesprochen schlecht und das half nicht unbedingt seine miese Laune zu heben. Er konnte nicht glauben, dass Trautman sich bereits drei Tassen von diesem Gebräu einverleibt hatte. Und noch weniger konnte er glauben, dass es eigentlich sein Lieblingsgetränk war.
„Was ist los mit dir?“, fragte Singh, der aus dem Augenwinkel beobachtete hatte, wie sein Freund das Essen auf seinem Teller hin und her schob. „Hast du keinen Appetit?“
„Nein“, murmelte Mike und stützte den schweren Kopf auf seine linke Hand auf. Obwohl er gut und lange geschlafen hatte, war er einfach unglaublich müde. Was ebenfalls keine sonderlich gute Auswirkung auf seine Laune hatte.
„Aber du hast schon gestern kaum etwas gegessen“, merkte Singh an und musterte Mike weiter mit offensichtlicher Sorge in seinem Blick. „Trink doch wenigstens deinen Tee.“
Genervt ließ Mike die Hand, die noch eben seinen Kopf davor bewahrt hatte mit dem Tisch zu kollidieren, sinken und stierte den Inder wütend an.
„Denkst du neuerdings, dass du meine Mutter bist?“, entfuhr es ihm, bevor er den Gedanken ganz zu Ende gedacht hatte. Sofort schlugen die Schuldgefühle mit dreifacher Wucht nach ihm und er konnte nicht verstehen, was ihn dazu bewogen hatte, dies zu sagen. Singh und er führten nun seit einiger Zeit eine Beziehung, in der keiner benachteiligt wurde und Mike schätzte seine Fürsorge sehr. Dass er nun so unfair zu ihm gewesen war, tat ihm mehr als leid. „Es … es tut mir leid“, murmelte Mike dem sichtlich verwirrten Singh zu. Auch die anderen musterten ihn mit nicht weniger erstaunen.
„Geht es dir denn gut?“, fragte nun Trautman, der als erstes seine Überraschung überwand. „Du siehst erschöpft aus. Und das nicht erst seit gestern, wenn ich das anmerken darf.“ Stirnrunzelnd ging sein Blick zu Singh, der auch nur mit den Schultern zuckte. „Bekommst du genügend Schlaf?“
Mike folgte seinem Blick und verstand direkt, was hinter dieser Frage eigentlich steckte, wodurch er errötete.
„Ja“, murmelte er verlegen. Singh und er hatten es in letzter Zeit recht wenig getan. Genau genommen, war das letzte Mal vor etwa sechs Wochen gewesen und seitdem stand Mike einfach nicht der Sinn danach. Er wollte lieber kuscheln und der Gedanke an mehr ließ komischerweise sehr reale Übelkeit in ihm aufsteigen. Und es gab auch die Abende, an denen er die Seife, die Singh immer benutze und deren Geruch er eigentlich liebte, einfach nur abstoßend fand. Dann wickelte er sich meist in seine Decke ein und stellte sich schlafend. „Ich bin dennoch total müde“, sagte Mike wahrheitsgemäß. „Ich gehe mich noch etwas ausruhen.“
Ohne noch eine Reaktion der anderen abzuwarten stand er auf und machte sich auf den Weg in die Kabine, die er und Singh sich mittlerweile teilten. Dabei musste er sich absolut zusammenreißen, damit er nicht im Gehen einschlief. Vielleicht hatte er irgendeine Mangelerscheinung durch das Leben auf See?
Aber warum dann nur er? Den anderen auf der Nautilus ging es gut und sie waren hier ja auch bestens versorgt. Die Angst zog seine Magengegend schmerzhaft zusammen. Was, wenn er sich irgendeine andere Krankheit zugezogen hatte?
Seufzend ließ er sich auf das Bett fallen, zog sich die Schuhe aus und warf sie achtlos in die hinterste Ecke des Raumes. Ohne das er viel dagegen tun konnte kräuselten sich seine Lippen und schon Minuten später fand er sich schluchzend an sein Kissen gedrückt wieder.
„Scht“, hörte er und eine warme Hand streichelte ihm über den Kopf. Während Mike geräuschvoll die Nase hochzog, drehte er den Kopf und erkannte Singh, der ihn voller Sorge musterte. „Ganz ruhig“, flüsterte er ihm zu und fand sich im nächsten Moment in seinen Armen wieder.
„Du bist hier?“, nuschelte er gegen Singhs Brust und freute sich über den warmen Körper, an den er sich ankuscheln konnte.
„Ich hatte mir Sorgen um dich gemacht und bin dir daher gefolgt. Du siehst schon seit Tagen nicht gut aus und ich wollte dich nicht allein lassen.“
Statt einer Antwort für seinen Freund, drang nur ein weiteres Schluchzen aus ihm heraus. Diesmal konnte er gar nicht mehr aufhören zu weinen und überschlug sich fast mit seinen Schluchzen. Singh aber blieb völlig ruhig, strich ihm unablässig über den Kopf und flüsterte ihm beruhigende Worte zu.
„Willst du mir erzählen, was los ist?“, fragte er. „Warum du so weinst?“
Hilflos blickte Mike ihn an, denn ihm war etwas klar geworden.
„Ich … ich weiß es doch auch nicht!“, stieß er mit überschnappender Stimme aus. „Ich habe keine Ahnung warum ich weine und … und … ich kann nicht aufhören!“
„Okay. Es ist in Ordnung“, sagte Singh, der begriffen hatte, dass Mike sich nur weiter aufregen würde. „Wein einfach, danach geht es dir sicher besser.“ Er nahm die Decke, wickelte sie beide darin ein und irgendwann wurde das Schluchzen tatsächlich weniger. Es folgte eine ausgedehnte Stille, in der sie einfach nur dalagen und sich hielten. Doch irgendwann räusperte sich Mike.
„Danke“, murmelte er. „Ich … liebe dich. Weißt du?“
Auf Singhs Lippen erschien ein Lächeln. „Ich weiß“, sagte er.
„Ja?“ Mike konnte es nicht ganz glauben, denn er war in den letzten sechs Wochen oft ungerecht zu Singh gewesen. Sie hatten sich häufig gestritten und es gab auch Tage, an denen sie sich aus dem Weg gegangen waren. Die Angst, dass sie einander vielleicht satthatten, wuchs in Mike mit jedem Tag mehr. Dabei liebte er diesen Mann, wie sonst nichts Anderes auf dieser Welt.
„Ja. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was mit dir los ist, aber ich weiß, dass sich an unseren Gefühlen nichts geändert hat.“
Dankbar drückte Mike Singh einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen und schmiegte sich dann enger an ihn. „Ich bin total müde!“, gab er zu.
„Dann schlaf ruhig etwas“, sagte Singh und blickte nachdenklich an die Decke. „Wahrscheinlich hängt das alles noch mit der Sache mit deiner … Herkunft zusammen“, mutmaßte er. Sie hatte etwa vor sechs Wochen einen Zwischenstopp auf einer einsamen Insel im indischen Ozean gemacht und dabei eine unglaubliche Entdeckung vorgefunden. Tief im dichten Dschungel verborgen, waren sie auf ein abgestürztes Sternenschiff gestoßen. Aber dies war nicht irgendein Sternenschiff, wie ihnen eine alte Aufzeichnung klarmachte. Mit diesem Sternenschiff war Mikes Vater – Kapitän Nemo – auf die Erde gelangt und mit ihm Mike selbst, der damals noch ein Säugling war. Nur die beiden hatten den Absturz überlebt und dabei die Hälfte ihrer Familie verloren. Das diese Erkenntnis Mike mehr als schwer im Magen lag, war verständlich.
„Vermutlich hast du Recht“, murmelte Mike und war im nächsten Moment schon eingeschlafen.
Als Mike aufwachte fühlte er sich zum ersten Mal seit Tagen wirklich ausgeruht, aber leider hieß das nicht, dass es ihm gutging. Er war wach, jedoch hatte sich eine bleierne Übelkeit eingestellt. Unruhig drehte er sich von einer Seite auf die andere. Doch das Gefühl blieb. Als würde ein Riese auf seinem Magen herumtrampeln.
„Hey“, regte sich Singh müde neben ihm. „Alles in Ordnung?“
Statt einer Antwort sprang Mike auf, rannte zum nahe gelegenen Badezimmer und übergab sich. Die hastigen Schritte Singhs nahm er kaum war und bemerkte seine Anwesenheit erst, als auch der letzte Rest Mageninhalt sich in der Toilette befand. Viel war es nicht, da er in den letzten Tagen kaum etwas gegessen hatte. Erschöpft lehnte Mike sich gegen Singh, der das Ganze wegspülte und ihn dann mit sich auf die Füße zog.
„Das beunruhigt mich langsam wirklich“, teilte Singh seinem Partner mit. „Du wirkst seit Wochen müde und schlapp. Du isst kaum etwas und du siehst wirklich schlecht aus. Ich denke, wir sollten irgendwo an Land gehen und sehen, dass du zu einem Arzt kommst.“
„Das geht nicht!“, protestierte Mike. Auch Singh musste die Gefahr klar sein. Niemand, außer der Besatzung der Nautilus, wusste von der Existenz des Schiffes und mit jedem Schritt an Land, liefen sie Gefahr, dass ihr Geheimnis aufgedeckt wurde.
„Aber so kann es nicht weitergehen! Und ich riskiere nicht dein Leben!“, stellte Singh klar. „Lass uns zu Trautman gehen und es mit ihm besprechen. Ich denke, er wird meiner Meinung sein. Na komm.“ Ohne auf eine Entgegnung von Mike zu warten, griff Singh um seine Hüfte und führte ihn auf den Flur hinaus. Stumm trotteten sie nebeneinander her, während Mike immer nervöser wurde. Singh hatte Recht, aber er fürchtete sich nicht nur vor der Entdeckung der Nautilus, sondern vor dem, was mit ihm los war. Was, wenn er wirklich eine schwere Krankheit hatte und womöglich nicht geheilt werden konnte? War es besser dem ins Auge zu sehen oder lebte er sein restliches Leben angenehmer, wenn er sich davor verschloss?
Wieder war es Singh, der ihm die Entscheidung abnahm und Trautman in eine ruhige Sitzecke bat. Schweigend setzte Mike sich dazu, als ginge es um eine andere Person und er sei nur ein unbeteiligter Zuhörer. Während die besorgten Blicke nicht gewesen, die die beide ihm zuwarfen, hätte das durchaus auch so sein können.
„Ich habe so etwas schon befürchtet“, gab Trautman mit einem tiefen Seufzen zu und musterte Mike abermals. „Nur hatte ich gehofft, dass Ruhe ihm helfen würde, aber du hast vollkommen Recht, Singh. Die norwegische Küste ist nicht weit. Dort werde ich mit Mike von Bord gehen und wir werden einen Arzt aufsuchen.“
„Ich werde …“, begehrte Singh auf, aber Trautman ging direkt dazwischen.
„Ich brauche dich auf der Nautilus. Ich werde Ben oder Juan mitnehmen und mit dem Beiboot an einer unauffälligen Stelle an Land gehen. Natürlich verstehe ich, dass du Mike unterstützen möchtest, aber mit dir fällt unsere Gruppe zu sehr auf. Juan und Mike kann ich gut als meine Enkelkinder ausgeben, nur du würdest leider nicht ins Bild passen und Fragen aufwerfen. Außerdem brauche ich meinen besten Mann auf dem Schiff.“
Man sah Singh deutlich an wie zerknirscht er darüber war. Erst als Mike seine Hand auf die seine legte, lockerte sich seine Miene etwas auf.
„So ist es das Beste“, murmelte Mike und sein Freund willigte ein. Trautman, der die Szene ruhig beobachtete, nickte schließlich und erhob sich.
„Also gut. Ich werde einen Kurs setzten.“
Er hatte den halben Salon kaum durchquert um zu den Kontrollen zu gelangen, als ein heftiger Ruck durch das getauchte Schiff ging. Strauchelnd schaffte er es gerade so sich an einem Sessel festzuhalten, während die anderen um ihn erschrocken aufschrien und haltlos durch den Raum purzelten. Singh war einer der ersten, der sich wieder aufgerafft hatte und setzte sich an das Radar.
„Was war das?“, schrie Ben aufgeregt. Mittlerweile saßen alle auf ihren Posten und das Schiff hatte aufgehört zu bocken. Aber sie bewegten sich weiter durch das Wasser. Was komisch war, wie Singh erschrocken feststellte, denn die Maschinen der Nautilus hatten gestoppt.
„Wie ist das möglich?“, rief Trautman aufgeregt. „Wir nehmen weiter fahrt auf!“
„Und wir tauchen auf!“, verkündete Singh mit belegter Stimme. Wie sie feststellten, schoss das Schiff tatsächlich in einem diagonalen Kurs zur Wasseroberfläche hin. „Auf dem Radar ist nichts zu sehen!“
Erschrocken blickte Mike auf den Höhenmesser, der anzeigte wie sich das Schiff in rasendem Tempo der Wasseroberfläche näherte und blickte ratsuchend zu Trautman.
„Ich kann nichts tun“, sagte dieser völlig fassungslos. „Die Maschinen reagieren nicht auf meine Befehle und …“ Der Rest wurde von der heftigen Erschütterung unterbrochen, als das Schiff durch die Meeresoberfläche brach und nach wenigen Sekunden darauf aufschlug. Wer sich nicht gerade an seiner Konsole festhalten konnte, wurde aus dem Sitz geschleudert und alle schrien durcheinander. „Ist jemand verletzt?“, rief Trautman, dem heftig die Ohren klingelten. Atemlos blickte er in die Runde, während sich die Besatzungsmitglieder der Nautilus mühsam auf die Beine stemmten.
„Nein. Alles soweit in Ordnung“, murmelte Mike noch ziemlich benommen und auch von den anderen kamen zustimmende Worte. Nur Ben motzte lauthals herum, dass ihm der Arm heftig wehtue.
Besorgt ging Trautman zu ihm und tastete ihn von Schulter bis Fingerspitzen ab. „Kannst du ihn bewegen?“
„Ja“, kam es zerknirscht von Ben, was Trautman erleichterte.
„Dann ist wohl nichts gebrochen.“
Verwirrt liefen alle zum großen Aussichtsfenster, nachdem Singh erneut erfolglos versucht hatte die Maschinen der Nautilus zu starten. „Es ist, als würde uns etwas festhalten“, kam es stirnrunzelnd von ihm.
„Ja“, sagte Juan tonlos. „Und ich glaube auch zu wissen, was.“ Er hatte die Nase an die Scheibe des Fensters gedrückt und drehte sich nun beinahe mechanisch zu seinen Kameraden um. „Seht ihr das auch?“, fragte er vollkommen entgeistert und zeigte in den Himmel hinauf.
„Mein Gott“, murmelte Trautman, als er das Objekt erblickte, dass sie mit einer Art Lichtstrahl an Ort und Stelle hielt. Aber noch überwältigender war es für Mike, der das Schiff sofort erkannte. Auch wenn das Schiff seines Vaters, welches sie im tiefsten Dschungel gefunden hatten, vollkommen zerstört war, war die Ähnlichkeit unverkennbar.
„Es ist das gleiche Schiff“, stellte Chris fest und sprach aus, was Mike bisher nur gedacht hatte. Dieses Schiff war intakt und darin mussten sich Menschen aufhalten. Das heißt, keine Menschen, ging es Mike durch den Kopf, sondern Außerirdische. Welche, die so waren wie er. Die vom gleichen Planeten stammten. Seiner Heimat, auch wenn der Gedanke komisch war.
Noch einmal tief durchatmend wandte er sich an Trautman. „Ich denke, ich sollte an Deck gehen“, sagte er etwas unsicher. Trautman starrte ihn zweifeln an und schüttelte dann beinahe in Zeitlupe den Kopf.
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, sagte er mit belegter Stimme. „Wir wissen nicht, was sie wollen. Was, wenn sie uns feindlich gesinnt sind?“
„Wir hängen fest“, sagte Mike mit einem Schulterzucken. „Und wenn sie das vermögen, haben sie sicher Mittel und Wege, wie sie in das Schiff kommen. Also können wir genauso gut rausgehen und versuchen mit ihnen zu reden.“
„Vielleicht haben sie ja irgendwie Mike, hier auf der Nautilus, als einen der Ihren erkannt?“, warf Serena ein. Trautman nickte. Es war schon ein sehr großer Zufall, dass sie gerade das Schiff in ihrem Griff hielten, auf dem Mike sich befand.
„Also gut“, gab Trautman nach. „Aber du gehst auf keinen Fall allein. Ich werde dich begleiten.“
„Und ich!“, warf Singh ein.
Kurz sah es so aus, als wolle Trautman widersprechen. Dann nickte er jedoch und rang den anderen das Versprechen ab, im Kontrollraum zu bleiben, bis sie etwas anderes von ihm hörten. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend machten die drei sich auf den Weg. Noch als Mike den Turm der Nautilus hinaufkletterte hoffte er, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Auf dem Deck der Nautilus sah das Phänomen, wie das Schiff von dem fliegenden Objekt festgehalten wurde, noch faszinierender aus. Alles war vollkommen still und selbst der Wind war vollends abgeflaut. Nicht die kleinste Welle brandete gegen den Rumpf des Schiffes.
Sie hatten das Deck kaum erreicht, als sie ein grelles Licht blendete und im nächsten Moment standen drei fremde Personen vor ihnen. Singh machte einen schnellen Schritt nach vorne, damit er Mike Schutz bieten konnte und starrte zu den Fremden, die seltsam anmutende Waffen auf sie richteten.
„Vi havas unu el niaj!“1, rief einer der Männer, der anscheinend ihr Anführer war. Trautman und Singh blickten sich ratlos an, während sich das Gesicht des Mannes verdunkelte. Er wirkte äußerst zornig, als er erneut die Stimme erhob. „Liberigu lin!“2
Trautman hob seine Arme und zeigte ihnen seine leeren Handflächen und sprach so ruhig, wie er konnte. „Es tut mir leid, aber wir verstehen eure Sprache nicht.“
Der dunkelhaarige Mann wirkte nicht begeistert und deute mit seiner Waffe drohend auf Trautman. „Senpage!“3
„Bleiben Sie stehen, Trautman!“, warnte Mike seinen väterlichen Freund, der sofort erstarrte. Mike hatte bisher nicht genug Zeit gehabt sich komplett mit der Sprache seines Vaters auseinanderzusetzen, aber er hoffte, dass es nun reichen würde. „Ni ne … parolas vian … lingvon“4, sagte Mike langsam und hoffte, dass das einigermaßen Sinn ergab.
Der Mann schwieg und musterte ihn ausgiebig, sodass Mike schon glaubte absoluten Kauderwelsch von sich gegeben zu haben. „Sed vi povas. Kie estas?“5, brach er schließlich seine Stille.
„Du verstehst, was sie sagen?“, raunte Trautman ihm erstaunt zu.
„Das wäre zu viel gesagt“, gab Mike zerknirscht zu. „Aber einzelne Wörter. Sie bezichtigen uns wohl einen der ihren gefangen zu halten und wir sollen ihn freigeben.“ Zu erklären, dass sie damit Mike meinten und nur nicht wussten, wen sie vor sich hatten, war unnötig. „Ich habe ihnen gesagt, dass wir ihre Sprache nicht verstehen und er fragt woher ich sie kann.“
„Gi estas … la lingvo de … mia patro“6, antwortete Mike nach einigem Überlegen dem Fremden. Etwas veränderte sich sofort in ihm. Ein ungläubiger Ausdruck war auf sein Gesicht getreten und er senkte die Waffe ein Stück.
„De via patro?“7, sagte er mit erstickter Stimme. „Ravindra? Neniu … neniu … Dakkar?“8 Seine Stimme war zum Schluss nur noch ein Flüstern und Tränen traten in seine Augen.
„Was hast du gesagt?“, entfuhr es Trautman erschrocken.
„Dass ich die Sprache durch meinen Vater kenne“, gab Mike ebenso verwundert zurück. „Er … er scheint ihn wohl gekannt zu haben.“
„Du … du bist Dakkar, oder?“, sagte der Mann und kam auf ihn zu. Es dauerte eine Weile, bis Mike begriff, dass er ihn jetzt verstehen konnte, weil er Englisch sprach. Langsam nickte Mike, auch wenn er sich bis zum heutigen Tag nicht daran gewöhnt hatte, mit seinem richtig Namen angesprochen zu werden.
„Ja, das ist richtig“, erklärte er. „Aber eigentlich nennt mich keiner so. Ich ziehe es vor Mike genannt zu werden. Ihr … könnt unsere Sprache doch?“ Der Fremden lächelte auf eine seltsame Art, schüttelte den Kopf und holte dann ein kleines Gerät aus seiner Tasche.
„Unser Computer brauchte etwas Zeit, um sie zu lernen, aber jetzt können wir uns verständigen“, sagte er während er es Mike zeigte. Er sah sich suchend um, wobei sein Blick länger an Singh und Trautman hängen blieb. „Wer sind die?“, fragte er misstrauisch. „Sind deine Eltern und Ravindra auch hier?“
„Haben Sie sie gekannt?“, gab Mike eine Gegenfrage zurück und sein Herzschlag beschleunigte sich. Er dachte schon gar nicht mehr an das Sternenschiff über sich oder daran, dass er gerade mit einem Mann von einer anderen Welt sprach.
„Gekannt“, wiederholte er gedehnt, als müsse er über die Bedeutung des Wortes nachdenken. „Ich … Ja, Naresh ist mein großer Bruder. Du glaubst nicht, wie lange wir schon nach euch suchen. Wo ist er?“
Mike musste schlucken. Nicht nur wegen dem Wissen, über seine Eltern und seinen Bruder, sondern, weil er begriff, dass er hier tatsächlich seinem Onkel gegenüberstand. Wenn der Mann denn die Wahrheit erzählte. Betreten blickte Mike zu Boden und suchte nach den richtig Worten.
„Dakkar?“, fragte sein unbekannter Onkel mit belegter Stimme.
„Es tut mir leid.“ Mike beschloss bei der Wahrheit zu bleiben. „Ich habe meine Familie leider nie kennengelernt. Meine Mutter und mein Bruder starben, als … wir herkamen und mein Vater verstarb kurz nach meinem zweiten Geburtstag. Ich bin hier aufgewachsen. Als Mensch.“
„Naresh … ist tot. Und Tarah. Ravindra.“
„Es tut mir leid“, sagte Mike, der das starke Bedürfnis fühlte, den Mann vor sich zu trösten. „Das da sind meine Freunde. Sie haben nach dem Tod meines Vaters auf mich aufgepasst und ich verdanke ihnen viel“, erzählte Mike. Auch um die unangenehme Situation zu überspielen. Der Mann nickte, lächelte und wandte sich dann an seine Begleiter.
„Nehmt die Waffen herunter!“, befahl er mit strenger Stimme. „Diese Menschen sind keine Fremden. Sie sind Freunde der Familie!“ Dann trat er nacheinander auf Trautman und Singh zu und schloss sie in eine kurze, aber feste, Umarmung. „Habt Dank für eure Taten. Man wird es euch nie vergessen.“
Die beiden wirkten etwas steif und verhalten, aber Trautman fing sich relativ schnell wieder.
„Es war selbstverständlich für uns. Nemo … Naresh … war ein guter Freund und wir haben ihm geschworen, gut für seinen Sohn zu sorgen.“ Er stockte, leckte sich über die trockenen Lippen und deutete dann auf den Eingang des Schiffes. „Vielleicht möchten Sie uns bei einer Tasse Tee Gesellschaft leisten und von sich erzählen?“
„Es heißt du“, teilte der Mann ihnen lachend mit und klopfte Trautman auf die Schulter. „Mein Name ist Samitar, Freund. Und ich freue mich auf eine Tasse … Wie heißt es? Tee.“
Die Situation hatte schon etwas Groteskes: Sie saßen alles am großen Esstisch im Salon der Nautilus und starrten ihren Besuch aus großen Augen an. Samitar an der Stirnseite des Tisches, während sich der Rest so um ihn gedrängt hatte, damit sie alle den besten Blick auf ihn haben konnten. Das hieß, alle bis auf Serena, die auf Trautmans Geheiß in die Kombüse gestürmt war, um Tee zu kochen.
„Und du kommst wirklich aus dem Weltall?“, fragte Chris voller Ehrfurcht. Samitar hatte ein herzliches Lächeln aufgesetzt.
„Aber ja“, sagte er selbstverständlich und deutete auf Mike. „So wie euer Freund hier auch.“
„Das zählt nicht!“, warf Ben dazwischen. „Wir wussten ja bis vor sechs Wochen gar nichts davon und er sieht aus wie ein gewöhnlicher Mensch.“ Mike warf ihm einen bösen Blick zu, aber Ben ignorierte ihn völlig. Gerade als er etwas entgegnen wollte und es wahrscheinlich wieder in einem Streit ausgeartet wäre, kam Serena mit dem Tee herein. Juan sprang auf und versorgte den Tisch mit Tassen. „Danke“, sagte Samitar hocherfreut und starrte freudig in seine dampfende Teetasse. „Was genau ist das?“
„Ein Aufguss von Blättern und Knospen der Teepflanze“, erklärte Trautman. „Er wird in vielen Kulturen der Erde mit großer Vorliebe genossen.“
Samitar nickte und schlürfte vorsichtig an dem Getränk, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Sehr erfrischend und … anregend. Daran könnte ich Gefallen finden.“ Er seufzte in tiefer Entspannung und musterte Mike dann eindringlich, während ein betretener Ausdruck auf sein Gesicht trat. „Ich kann nicht glauben, dass sie alle tot sind“, sagte er unvermittelt. „Und du wusstest bis vor sechs Wochen gar nicht, wer du eigentlich bist?“
Mike nickte.
„Dann weißt du auch gar nichts über deine Eltern und Ravindra?“, schlussfolgerte Samitar. Wieder stimmte Mike ihm zu, was Samitar zu einem weiteren tiefen Seufzer bewegte. „Wer hätte gedacht, dass das so ausgeht“, murmelte er mehr zu sich selbst. „Dein Vater, Naresh, war schon immer ein Wissenschaftler durch und durch und Tarah stand ihm da in nichts nach. Die beiden lebten quasi im Weltall, bis Ravindra geboren wurde und Vater meinem großen Bruder Vernunft einredete. Sie verbrachten die nächsten Jahre auf Yalantha, aber ich merkte immer wie unzufrieden Naresh mit der Situation war. Er vermisste das Abenteuer schmerzlich und schließlich schmiedeten er und Tarah einen Plan. Sie charterten ein familientaugliches Schiff und beschlossen einen Nebel in einem nahen gelegenen Sternensystem zu erforschen. Die Mission sollte vier Wochen dauern. Sie hielten es für eine vertretbare Zeit im All, selbst mit einem Säugling.“ Samitar maß Mike mit einem traurigen Blick. „Ich hatte Naresh gebeten es zu lassen und Vater hat ihn angefleht wenigstens die Kinder auf Yalantha zu lassen. Aber Naresh war vor allem eines: ein sturer Dummkopf. Die Wochen vergingen und man hat nie wieder etwas von euch gehört. Nachdem ihr zwei Wochen überfällig wart hat man Schiffe geschickt, um nach euch zu suchen. Aber sie kehrten mit leeren Händen heim. Nach einem halben Jahr stellte man die Suche ein, aber wir hatte uns damit nie zufriedengeben. Es verging ein weiteres Jahr, das wir für unsere Planung brauchten und wir brachen für eine neue Suchaktion auf. Wir schworen uns erst heimzukehren, wenn wir euch gefunden hätten.“
„Soll das heißen, ihr seid seit gut 20 Jahren unterwegs?“, schlussfolgerte Mike, der wie die anderen gebannt zugehört hatte.
„Ja, so ist es. Ich habe Yalantha seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen – wie der Rest der Familie.“ Samitar deutete mit einer Kopfbewegung zur Decke. „Sie sind alle hier. Meine Schwester, Vater, mein Lebensgefährte, unsere Kinder. Die ganze Familie. Wir haben keinen zurückgelassen.“
Mike war seinem Blick gefolgt und konnte es kaum glauben. Nachdem er als Waise mit keiner Erinnerung an seine Familie aufgewachsen war, hatte er nun nicht nur seinen Onkel, sondern den ganzen Rest seiner Familie in greifbarer Nähe. Die Aufregung erfasste ihn mit einer ungeahnten Wucht, als er erkannte, dass er sie alle kennenlernen würde.
„Könnte ich noch so einen heißen Aufguss bekommen?“, fragte Samitar lächelnd und darauf bedacht, wieder eine fröhliche Stimmung in den Raum zu bringen.
„Aber sicher!“, rief Mike aus, sprang auf und lief um den Tisch. Gerade als er nach der Teekanne greifen wollte, wurde sein Blickfeld schwarz und tausend Sternchen tanzten vor seinen Augen. Bevor er begriff was geschah, knickten seine Beine weg und er fand sich im nächsten Moment auf dem Boden liegend wieder. Zunächst nur verschwommen nahm er die Gesichter über sich wahr, bis sich sein Blick klärte und er Trautman, Singh und Samitar erkannte.
„Mike, geht es dir gut?“, sagte Trautman, dem man den Schrecken deutlich ansah, während Singh ihm über den Kopf streichelte. „Wir müssen nach wie vor zu einem Arzt“, meinte er besorgt.
„Dann haben wir uns genau im richtigen Moment getroffen. Lasst mich mal“, meldete sich Samitar und hielt ein kleines Gerät über Mike. „Ich bin Arzt und weiß sicher mehr über yalanthanische Physiologie, als eure Ärzte.“ Mit unbewegter Miene starrte er auf den kleinen Bildschirm, runzelte nur hier und da die Stirn und zuckte dann mit den Schultern. „Du bist vollkommen gesund, aber …“
„Sind Sie sicher?“, warf Singh ein. „Er ist seit Wochen schlapp und kränklich.“
Mike hatte sich aufgesetzt und starrte unsicher zwischen den beiden Männern hin und her. Aber Samitar schien es Singh nicht übelzunehmen, dass er ihn unterbrochen hatte.
„Bist du sein Partner?“, fragte er den Inder. „Es ist in Dakkars Zustand nicht ungewöhnlich sich schlapp und müde zu fühlen. Es ist wirklich alles in Ordnung.“
„M…mein Zustand?“, fragte Mike unsicher. Was sollte das bedeuten? War er nun krank oder nicht?
Nun war es Samitar, der ihn verwirrt anblickte.
„Du … du hast empfangen und befindest dich in der Phase des Erschaffens“, erklärte er, als sei es das natürlichste der Welt.
„Ich habe was?“, entfuhr es Mike. Auch Singh blickte den Außerirdischen ahnungslos an.
Nun war es Samitar, der von einem zum anderen sah. „Ihr müsst das doch wissen. Immerhin habt ihr es getan. Oder ist er gar nicht dein Partner?“ Er deutete auf Singh und dann glitt sein Blick weiter zu den anderen. „Einer von denen? Na, ist ja auch egal: das Ergebnis bleibt gleich“, sagte er mit einem vielsagenden Blick auf Mikes Bauch.
„Eine Magenverstimmung?“, mutmaßte Mike mit einem flauen Gefühl im Bauch. Nun machte Samitar ein Gesicht, als hätte er soeben in eine Zitrone gebissen.
„Nein, ich rede von dem Abkömmling, den ihr geschaffen habt.“
„Abkömmling?“, krächzte Singh. „So wie, Baby?“ Und dann geschah etwas, von dem Mike dachte es sei unmöglich: Sein Freund, der so unverwüstlich wie ein Fels erschien, wurde ohnmächtig.
Irritiert blickte Mike erst seinen ehemaligen Leibwächter, der k.o am Boden lag, und dann Samitar zweifelnd an.
„Das … ist doch ein Scherz, oder?“, fragte er. Das Lachen bahnte sich bereits seinen Weg, blieb ihm aber im Hals stecken, als er Samitars ernste Miene gewahrte. „Was, nein! Das ist unmöglich. Ich bin männlich, falls dir das noch nicht aufgefallen ist.“
„Das mag vielleicht so aussehen, aber du bist …“ Mike achtete gar nicht weiter auf Samitar, sprang so schnell es im Moment für ihn ging auf seine Füße und rannte in seine Kabine. Kaum dort angekommen riss er hastig die Nachttischschublade auf und kramte das kleine Gerät hervor, das sein Vater ihm vermacht hatte. Sie hatten es vor sechs Wochen gefunden und festgestellt, dass es eine umfassende Datenbank über Mikes Heimatwelt war. Mittlerweile konnte er gut damit umgehen und hatte sich schon viel angelesen. Nur eine Sache hatte er bisher außer Acht gelassen, weil er dachte, alles darüber zu wissen. Das Thema „Sexualkunde und Fortpflanzung“.
Nun konnte er es kaum abwarten, bis das Gerät die entsprechenden Informationen geladen hatte. Schließlich ließ der Projektor die Seite wie durch Zauberhand vor ihm erscheinen und seine Augen weiteten sich bei jedem Wort, das er las, etwas mehr. „Die Evolution der Yalanthaner weist eine Besonderheit auf, durch die es nicht nur Personen des weiblichen und des männlichen Geschlechts gibt. In früher Zeit bildete sich ein drittes Geschlecht heraus. Deren Zugehörige weisen männliche bis androgyne Züge auf. Sie sind in der Lage Leben sowohl zu Zeugen, als auch Selbst auszutragen. Die volle Geschlechtsreife und Möglichkeit des ersten Empfangs, erreichen diese mit etwa dem 20ten Lebensjahr. Danach erfolgt ein Zyklus etwa alle fünf Jahre, wobei sie für sieben Tage fruchtbar sind.“
Mike schluckte schwer.
Er brauchte dringend eine Pause und lief wie ein eingesperrter Tiger auf und ab. Das war doch völlig absurd. Nie und nimmer konnte das wahr sein. Es war eindeutig, dass er ein Mann war. Er hatte einen Penis und sonst nichts. Wo bitteschön sollte denn dieses Kind heranwachsen und vor allem, wie kam es heraus?
Mit einer leichten Übelkeit setzte er sich wieder vor den Projektor und las angespannt weiter. „Die Anlagen der inneren Geschlechtsorgane liegen in rudimentärer Form vor und werden erst mit Beginn des Zyklus angeregt zu wachsen. Die bis dahin verschlossenen, leitenden Zugänge werden während des Aktes stimuliert und ermöglichen die Befruchtung des reifen Eis.“ Mike stoppte, starrte minutenlang ins Leere und schüttelte dann den Kopf. „Das ist doch vollkommen verrückt!“, stieß er aus und hätte am liebsten nicht weitergelesen. Selbst wenn er so etwas wie eine Gebärmutter hatte – selbst das Wort machte im Übelkeit – wie zum Teufel sollte er ein Kind gebären?!
„Es bildet sich ein Sack, der im Laufe des Wachstumsprozesses seine eigene Körperöffnung bildet.“ Mit einem lauten Fluchen schaltete er das Gerät ab. Na klar, sein Körper zauberte mal eben eine Körperöffnung hervor! Natürlich!
Diese Außerirdischen waren völlig verrückt! Sein Körper war völlig verrückt! Er war völlig verrückt!
Mike schlug die Hände vor das Gesicht und ließ sich rückwärts auf das Bett fallen. „Das kann echt nicht wahr sein!“, murmelte er. „Ich bin verdammt noch mal schwanger. Ich kann mich nie wieder außerhalb meiner Kabine blicken lassen!“
Denn er war sich ziemlich sicher, dass er sich so einigen Spott anhören musste. Vor allem von Ben. Nein, das konnte alles nicht wahr sein! Selbst wenn, es war ausgeschlossen, dass er das bis zum Ende durchziehen konnte!
Unruhig setzte Mike sich wieder auf und ließ den Blick durch die kleine Kabine gleiten. Wo sollte denn hier noch ein Baby unterkommen? Wo gab es denn so etwas – ein Baby auf einem Unterseeboot? Ach ja, er selbst war so ein Exemplar gewesen. Aber trotzdem: Das konnte auf so vielen Ebenen nicht funktionieren.
Entschlossen sprang Mike auf und lief zurück in den Salon, wo er Singh zusammengesunken auf der Couch fand. Aber zunächst ignorierte er diesen, schnappte sich Samitar, der gerade noch eine Tasse Tee leerte und lief mit ihm wieder auf den Flur hinaus.
„Das hier ist ausgeschlossen!“, sagte Mike und deutete auf seinen Unterleib. „Ich kann unmöglich ein Kind auf die Welt bringen und dieses Schiff ist auch nicht der richtige Platz dafür. Ich bin nicht die richtige Person dafür! Es …“ Mike brach ab raufte sich die Haare und warf einen um Hilfe suchenden Blick zu Samitar. „Es muss eine Möglichkeit geben das zu stoppen.“
„Du willst das Baby nicht?“, fasste Samitar zusammen und schaffte es mit einem Satz, dass Mike sich absolut mies fühlte. Er schluckte schwer und die nächsten Worte seines Onkels machten es nicht gerade besser. „Ich kann deine Ängste und Bedenken ja verstehen. Vor allem, weil du nicht gewusst hattest, wie diese Dinge funktionieren.“ Jetzt fühlte Mike sich absolut dumm. „Aber die Entscheidung für einen Abbruch sollte nicht leichtfertig getroffen werden. Außerdem solltest du sie zusammen mit deinem Partner treffen. Hast du ihn gefragt, ob er das Kind möchte?“
Betroffen blickte Mike zu Boden. Er hatte gar nicht mit Singh gesprochen, denn er hatte ihn ja bewusstlos liegengelassen und war aus dem Salon gestürmt. Auch jetzt war sein erster Anlaufpunkt Samitar gewesen, obwohl er sich durchaus mit Singh aussprechen musste.
„Nein“, gab er kleinlaut zu.
„Rede mit ihm“, riet Samitar. „Und egal, wie du dich dann entscheidest, du stehst nicht allein da.“
„Wirst du denn hierbleiben?“, fragte Mike aufgeregt. Er konnte es kaum erwarten seinen Onkel und den Rest seiner Familie näher kennenzulernen.
Samitar zuckte mit den Achseln. „Das weiß ich noch nicht“, sagte er ehrlich. „Ich muss den anderen erst die ganze Situation erklären. Wir werden dann entscheiden, was zu tun ist. Unser Plan war Heim zu fliegen, wenn wir euch gefunden hätten. Aber so wie die Dinge stehen weiß ich nicht ob das die beste Lösung ist.“ Er lächelte. „Rede du mit deinem Partner und ich mit unserer Familie. Wir entscheiden später. Bringst du mich noch zur Tür?“
Nachdem Mike sich von seinem Onkel verabschiedet und staunen beobachtet hatte, wie dieser von einem zum andern Moment verschwand, machte er sich wieder auf den Weg in das Innere des Schiffes. Seufzend lief er die Wendeltreppe herunter und befand, dass Samitar nicht unrecht hatte. Es war nun wichtig, sich mit Singh auszusprechen. Daher lief er erneut zum Salon. Aber mit jedem Meter wurden seine Schritte schleppender und vor der Tür hielt er schließlich gänzlich inne.
Er wollte da jetzt nicht hinein, denn er hatte zu viel Angst vor den Blicken der anderen. Mike hatte sich schon unangenehm anders gefühlt, als klar wurde, dass er von einer anderen Welt stammte und nun wurde das Ganze noch intimer für ihn.
Langsam nahm er die Hand wieder von der Klinke und lief zurück in seine Kabine. Dort angekommen befand er, dass es nur eines gab, was er machen wollte. Er zog sich bis auf Unterhose und Hemd aus und kuschelte sich in seine Bettdecke ein. Die Übelkeit hatte eine angenehme Pause gemacht und selbst die Müdigkeit war nicht so bleiern. Er fühlte sich schlicht entspannt und wenn er sich ganz stark konzentrierte, konnte er an etwas anderes denken und sein derzeitiges „Problem“ wegschieben.
Es vergingen nicht viele Minuten bis er die Tür hörte, die leise geöffnet wurde. Ihm war sofort klar, wer es war, da er sich mit Singh diese Kabine teilte. Und mit ihm kamen auch die unliebsamen Geschehnisse in den Kopf, auch wenn Samitar Recht hatte. Mike musste mit Singh reden und trotzdem stellte er sich schlafend.
Das zusätzliche Gewicht auf der Matratze teilte Mike mit, dass er sich zu ihm gesetzt hatte, noch bevor er Singhs Hand auf seinem Kopf fühlte. „Wir müssen darüber reden“, sagte sein Freund nach einigen Momenten. „Ich weiß, dass du nicht wirklich schläfst.“ Dennoch schaltete Mike noch etwas weiter auf stur, bis Singh sich zu ihm legte und ihn in seine Arme zog.
„Ich weiß“, schluchzte Mike und fühlte sich absolut schrecklich dabei. Nicht nur, weil er sich fühlte als hätte er Singh hintergangen, sondern auch, weil er sich absolut unmännlich fühlte. Und das war der springende Punkt: Laut seiner dämlichen Datenbank und Samitar war er gar kein Mann! „Und es tut mir leid!“
„Was denn?“, fragte Singh verwundert.
„Du hast gedacht, du würdest mit einem Mann schlafen und nun bin ich irgendetwas groteskes dazwischen und hänge dir ein Kind an und keine Ahnung ob du überhaupt Kinder willst. Ich meine, dich hat keiner gefragt und mich auch nicht und …“ Mike war klar, dass ihm komplett die Satzzeichen entglitten waren und überschlug sich mit jedem weiteren Wort.
„Mike. Mike, ganz ruhig“, versuchte Singh ihn zu beruhigen. „Du hast Recht. Das kommt alles sehr unerwartet, aber dennoch liebe ich dich. Egal welchem Geschlecht du angehörst und wenn du dich dafür entscheidest, stehe ich voll und ganz hinter dir.“
Singh hatte die Hand auf Mikes Bauch gelegt, hauchte ihm einen schnellen Kuss auf die Stirn, während Mike sich über die Wange wischte sich und sich geräuschvoll die Nase schnäuzte.
„Das sagst du jetzt“, jammerte er und bemerkte durchaus, dass er sich wie ein verzogenes Kleinkind anhörte. Nur irgendwie konnte er nicht anders. „Aber hast du mal in die Datenbank zu dem Thema geguckt? Wenn ich einen faltigen, dicken Bauch habe willst du mich bestimmt nicht mehr!“
„Wie kommst du denn darauf?“ Singh hatte ihn wieder in seine Arme gezogen und streichelte ihm unentwegt über den Rücken. „Ich würde dich auch lieben, wenn dir morgen drei weitere Arme wachsen würden.“ Etwas zweifelnd blickte Mike seinen Freund an, aber der ignorierte das völlig. „Es geht hier um eine Schwangerschaft und ich bin kein Idiot, der dich verlässt, nur weil dein Körper sich dadurch verändert.“
Das klang ja alles schön und gut, aber Singh musste ein wichtiges Detail vergessen haben.
„Vielleicht gilt das für jede Frau, aber ist dir aufgefallen, dass ich ein Mann bin?“, fragte Mike heftiger, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. Das stimmte nach neuen Erkenntnissen zwar nicht so ganz, aber dennoch sah er sich weiterhin als solchen. Und wie konnte man das einfach so hinnehmen, wenn der Körper des Freundes sich plötzlich auf eine Art veränderte, wie er es eigentlich nicht sollte?
„Das ist mir aufgefallen“, sagte Singh mit einem tiefen Seufzer. „Glaubst du wirklich, dass ich dich jetzt fallenlassen würde? Ich liebe dich! Und ich weiß, dass es dein Körper ist, deswegen lasse ich dir die Entscheidung. Aber siehst du nicht die Chance dahinter? Wir können unsere eigene Familie gründen, mit einem Kind, das sowohl ein Teil von dir, als auch von mir ist.“
Entgeistert blickte er Singh an. Nie und nimmer hatte er daran gedacht, es als eine Chance zu sehen. Dafür machte das Ganze ihm zu viel Angst und er hätte es sich lieber bewusst ausgesucht.
„Du … würdest wirklich ein Kind mit mir haben wollen?“, fragte er zögernd. Singh nickte überschwänglich, dennoch stellte sich in Mike nicht das gleiche Hochgefühl ein. „Wie stellst du dir das vor?“, fragte er traurig. „Wie sollen wir ein Baby hier auf dem Schiff versorgen? Unter all den Risiken, denen wir täglich ausgesetzt sind?“
„Nun, ich kenne ein Beispiel, das beweist, dass es funktioniert“, sagte Singh mit einem bezeichnenden Blick auf Mike.
„Das kannst du nicht vergleichen“, begehrte Mike auf. „Mein Vater hat mich wegbringen lassen. Und findest du, wir sollten den gleichen Fehler machen, wie meine Eltern? Sie wussten wie gefährlich ihr Handeln war und dennoch haben sie es ignoriert. Du hast gesehen, wozu es geführt hat. Willst du, dass unser Kind das gleiche durchmachen muss, wie ich? Allein und ohne Erinnerung an seine Eltern?“
Mike holte tief Luft, denn der Ausdruck in Singhs Augen tat ihm weh. Aber es änderte nichts an seiner Entscheidung. „Es tut mir leid. Ich weiß, dass du dir etwas Anderes erhofft hast, aber ich kann das unmöglich tun.“
„Schon gut. Ich habe dir ja gesagt, dass es letztendlich deine Entscheidung ist.“
Zusammen kuschelten sie sich eng unter der Decke ein und genossen die Wärme des anderen, bis ihre Atemzüge immer regelmäßiger wurden.
„Singh?“, murmelte Mike irgendwann. „Hm?“, kam es müde zurück.
„Schwebt das Sternenschiff noch über uns und hält die Nautilus fest?“ Mike spürte in seinem Nacken, wie Singh nickte und brummte schlaftrunken. „Das ist total verrückt.“
„Ja, das ist es“, sagte Singh mit einem unterdrückten Gähnen. Es dauerte nicht mehr lange, bis beide in ihren wohl verdienten Schlaf geglitten waren.
Mike erwachte mit einem Gefühl, das er so lange nicht mehr verspürt hatte. Er hatte Hunger. Einen wahnsinnig, heftigen Hunger sogar. Begleitet von einem lauten Knurren seines Magens kämpfte er sich aus dem Bett – und Singhs Umarmung – und trottete zur Dusche. Nachdem er sich vollständig entkleidet hatte, schielte er kurz auf seinen Bauch, der wie gewohnt aussah, schüttelte dann den Kopf und stellte das Wasser an.
Noch immer war die Vorstellung, dass etwas Lebendes in ihm wuchs so grotesk, dass er sich kaum vorstellen konnte, es könne tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Daher war es recht einfach die Gedanken beiseite zu schieben und sie schlicht als Humbug abzutun.
Wieder knurrte sein Magen nachdrücklich und verlangte nach Essen. Da Mike gewillt war ihn nicht länger warten zu lassen, beeilte er sich und schlüpfte in bequeme Kleidung. Als er fertig war schubste er auch Singh ungeduldig unter die Dusche und schleifte seinen Freund mit sich mit, kaum, dass er Hose und Hemd anhatte.
„Was ist denn los?“, entfuhr es diesem verwundert. Mike antwortete ihm nicht, denn sein Magen tat das bereits. Sein Glücksfall war wohl, dass sie auf halben Wege zum Salon Samitar trafen, denn er hatte nicht nur ein breites Lächeln für ihn, sondern auch ein großes Glas mit etwas Essbarem.
„Ich hatte gehofft, noch eine Tasse des heißen Teeaufgusses zu bekommen“, sagte er verschmitzt lächelnd. „Und um eure großzügige Gastfreundschaft nicht zu sehr zu strapazieren, habe ich euch das mitgebracht.“
„Was ist das?“, fragte Mike, der ihm das Glas abgenommen und den Deckel geöffnet hatte. Übertrieben schnupperte er an dem Inhalt, der ihn irgendwie an eingelegte Gurken erinnerte. Nur das diese hier ein blutiges rot aufwiesen und von der Form eher an Zuckerstangen erinnerten.
„Sevikäraoli-Steckrüben. Eine Spezialität aus unserer Welt“, erklärte er. Aber allein dadurch, dass man es essen konnte, hatte er schon Mikes volle Aufmerksamkeit. Lächelnd holte dieser zwei Stangen heraus und reichte eine davon Singh. Dieser schnupperte ausgedehnt daran und berührte es dann vorsichtig mit der Zunge. Sofort verzog sich seine Mimik und reichte die angeleckte Rübe Mike, der von seiner nur noch das Stummelchen in der Hand hatte.
„Wie kannst du das nur essen?“, raunte er ihm leise zu und beobachtete Mike, wie er die zweite und dann noch eine dritte verschlang.
„Wieso?“, fragte er mit vollem Mund. „Schmeckt doch gut.“ Angeekelt warf Singh Mike einen bezeichnenden Blick zu und lächelte dann, als er Samitar gewahrte. Als sie den Salon erreichten, hatte Mike bereits das halbe Glas geleert.
„Ich weiß, der Geschmack ist gewöhnungsbedürftig“, gab Samitar zu. „Aber bei Schwangeren sehr beliebt.“
Mit einem steifen Lächeln drückte Mike dem verwunderten Samitar das Glas wieder in die Hände und setzte sich auf seinen angestammten Platz. Die gesamte Crew der Nautilus hatte sich bereits am Esstisch versammelt und empfing sie und ihren Gast mit großem Hallo. Dabei entging Mike nicht der spöttische Blick von Ben, aber er ignorierte ihn geflissentlich und schnappte sich eine Scheibe des frisch gebackenen Brotes.
Es duftete um einiges besser, als er das gewohnt war und freute sich endlich abbeißen zu können. Aber erst einmal musste er sich entscheiden, was er darauf essen wollte. Unschlüssig besah er sich die Dinge, die sich auf dem Tisch befanden und griff dann wahllos nach Schachteln und Dosen. Es dauerte nur ein paar Minuten und er war absolut zufrieden mit dem Ergebnis, sodass ihm schon das Wasser im Mund zusammenlief.
„Urgs“, hörte er von der anderen Seite des Tisches. Als er aufsah blickte er in Bens angewidertes Gesicht und selbst Serena guckte komisch.
„Was?“, machte Mike verwirrt und biss in sein Brot. Es war das Beste, dass er seit langem gegessen hatte.
„Er isst es wirklich“, sagte der junge Chris und musterte ihn ebenfalls mit leicht grünem Gesicht. „Mike, ist dir bewusst, dass du gerade Fisch, Schokolade, Käse und Erdbeermarmelade auf genau eine Brotscheibe geschmiert hast?“
Kauend blickte Mike auf seinen Teller und es stimmte. Er hatte die vier Dinge zusammen mit dem Brot zu einem erstklassigen Sandwich verarbeitet. Herzhaft biss er wieder hinein und fragte sich, warum er das nicht schon viel eher probiert hatte. Innerhalb von wenigen Sekunden hatte er es sich einverleibt, leckte genüsslich die Finger ab und angelte sich dann noch mehr von dem Brot.
„Noch mehr Steckrüben?“, fragte Samitar lächelnd und hielt Mike das Glas unter die Nase.
Dankend nahm Mike direkt das ganze Glas, weil seine Freunde nichts so aussahen, als hätten sie daran Interesse. Als er das zweite und schließlich das dritte Steckrüben-Schoko-Fisch-Käse-Marmeladenbrot gegessen hatte lehnte er sich satt und glücklich zurück.
Seine Kameraden hatten mittlerweile die Teller weit von sich weggeschoben und musterten mit einer Mischung aus Erstaunen und Ekel. „Satt?“, fragte Juan fassungslos den Kopf schüttelnd.
Mike nickte fröhlich, denn er hatte tatsächlich richtig gute Laune. „Ja, ich – Oh, mein Gott!“ Hastig sprang er auf, wodurch sein Stuhl scheppernd umfiel und rannte zur nächsten Toilette. Die anderen sahen im erstaunt nach, aber Samitar zuckte nur entspannt mit den Schultern.
„Morgenübelkeit“, erklärte er lächelnd. „Hatte ich damals auch so schlimm. Liegt leider in der Familie.“ Als Singh aufstehen wollte, um zu Mike zu gehen, winkte Samitar ab. „Bleib ruhig sitzen. Ich sehe nach ihm.“
„Du warst auch …?“, fragte Singh. Wobei er das entsprechende Wort nicht aussprechen konnte, weil er es irgendwie grotesk fand, dies zu einem männlich aussehenden Wesen zu sagen. Aber Samitar schien es gar nichts auszumachen und erzählte fröhlich, dass er und sein Partner seien wie Mike. Er fand das sogar sehr angenehm, weil es bei ihnen sehr gerecht zuginge und beide sich mit dem Kinderkriegen abwechseln konnten. Warum sollte das auch immer bei einer Person hängen bleiben?
Samitar schien es sogar sehr befremdlich zu finden, dass dies bei den Menschen an nur einem Geschlecht hängenblieb.
„Ich hoffe, ihr ehrt eure Frauen dafür dementsprechend“, sagte er, deutete eine leichte Verbeugung an und machte sich auf dem Weg zu Mike. Die fassungslosen Blicke, die ihm folgten, bekam er so gar nicht mehr mit.
Samitar musste nur den würgenden Geräuschen folgen, um Mike zu finden und klopfte respektvoll an.
„Darf ich reinkommen?“, fragte er und betrat im nächsten Moment schon den kleinen Raum.
„Das ist furchtbar“, murmelte Mike, der vornübergebeugt am Waschbecken stand und sein Gesicht mit kaltem Wasser bespritzte. „Wie kann man das nur aushalten?“
„Es geht vorbei“, klärte Samitar auf, fasste Mike am Arm und führte ihn an Deck. Die frische Luft sorgte schnell dafür, dass es ihm besser ging und sogar sein Magen begann wieder zu knurren. Er hatte ihn ja gerade wieder komplett geleert. Seufzend ließ Mike sich auf die Planken sinken und lehnte sich gegen den Turm. Dankbar lächelte er, als Samitar ihm einen in helle Folie eingewickelten Riegel gab. Es schien eine Art Getreideriegel zu sein und schon ein paar Bissen sättigend ihn angenehm. „Wenn du mit auf das Schiff kommst, kann ich dir etwas gegen die Übelkeit geben.“ Er stockte. „Hast du mit deinem Partner gesprochen?“
Langsam nickte Mike, wobei sich sein Gesicht verdunkelte.
„Es ist nicht gut gelaufen?“, fragte Samitar alarmiert und wollte aufspringen.
„Nein. Nein, es war gut.“ Mike lächelte und zugleich verzog sich sein Gesicht verzweifelt. „Er war sogar begeistert deswegen.“ Seufzend umklammerte Mike seine Knie und schwieg eine Weile. Wohl wissend, dass sein Onkel ihn fragend musterte. „Aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Obwohl ich mich auch irgendwie freue, dass er so positiv darüber denkt.“ Mike aß die letzten Reste des Riegels und zerknüllte das Papier dann wütend. „Aber was mit mir passiert ist nicht normal und Singh wird das sicher bald auch so sehen! Ich kann das also nicht machen.“
„Also willst du diese Chance aufgeben, nur weil dir deine Gesellschaft sagt, dass es falsch ist? Obwohl sie gar nicht wissen, was du eigentlich bist und dass es so vollkommen richtig ist?“ Er schwieg kurz und schüttelte dann den Kopf. „Es tut mir leid, dass du auf dieser Welt aufwachsen musstest. Ich würde dir gerne vorher unsere Welt zeigen, bevor du dich endgültig entscheidest.“
Mike folgte Samitar auf sein Schiff. Es war das wohl verrückteste, was er je getan hatte, wenn man davon absah, dass er immer noch schwanger war. Aber die Art, wie er, Samitar und Singh das Sternenschiff betraten, war atemberaubend. Genaugenommen wurde sie kurz in Licht verwandelt und dann auf dem Schiff wieder zusammengesetzt. So einfach aus dem Nichts.
„Das … war ziemlich verrückt“, murmelte Singh, der sich über die Arme fuhr und anscheinend wie Mike noch ein leichtes Kribbeln auf der Haut spürte. „Wie funktioniert das?“
„Viel wichtiger finde ich ja: Ist jetzt auch alles an der richtigen Stelle?“, gab Mike zu bedenken und starrte kritisch an sich herab.Dann folgten sie Samitar, der ein helles Lachen vernehmen ließ, aus dem kleinen Raum. Sie hatten den Gang kaum betreten, da stellte Mike schon fest, wie belebt dieser Ort war. Beinahe fühlte er sich wie auf der Nautilus und obwohl er erst wenige Minuten hier war, fühlte es sich richtig an.
„Achtung!“, kreischte es synchron aus vielen Kehlen und Samitar konnte gerade noch einen Satz nach hinten machen, bevor er von der anstürmenden Horde Kinder umgerannt wurde. Sie achteten gar nicht weiter auf den hochgewachsenen Mann und rannten kichernd davon.
„Was hab ich euch über das Rennen auf dem Gang erzählt?“, rief Samitar ihnen die Fäuste schüttelnd hinterher, aber auf seinem Gesicht stand ein Grinsen als er sich wieder zu uns drehte. „Zur Krankenstation geht es da lang.“
Samitar ging voraus, bis sie einen kleinen Raum erreichten, der mit drei Liegen und allerlei technischen Gerätschaften vollgestopft war. Im hinteren Teil gab es einen kleinen Verschlag mit einem Schreibtisch, den Samitar ansteuerte. Er hob einen Zettel auf, der auf einem abgedeckten Teller stand und hob einen Augenbraue. Als er Mike Blick gewahrte hob er die Schultern und kratzte sich am Kopf. „Kaltes Mittagessen. Na was soll's.“ Samitar klopfte auf eine Liege und sah Mike auffordernd an. „Einmal hier rauf.“ Zunächst zögerte Mike noch, aber Samitar und Singh blickten ihn so gespannt an, dass er der Aufforderung schließlich nachkam und auch sein Hemd hochschob, als sein Onkel dies verlangte. „Dann wollen wir mal sehen“, murmelte Samitar, schaltete einen Monitor neben sich an und griff nach einem Gerät und einer Flasche neben sich.
„Das ist kalt!“, stieß Mike erschrocken aus, als Samitar eine zähe Flüssigkeit auf seinem Bauch verteilte. Er stieß noch einige Flüche und Verwünschungen aus, nach denen er sich selbst wunderte, wo sie herkamen.
Samitar lächelte entschuldigend, während Singh die Schamesröte ins Gesicht stieg, aber in den nächsten Minuten war das alles vergessen. Entgeistert starrte Mike auf den Bildschirm, auf dem nun etwas zu sehen war, dass zwar noch grotesk aussah, aber trotzdem schon an ein menschliches Baby erinnerte. Aber noch ergreifender waren die Geräusche, die sie hören konnten. Der Herzschlag des kleinen Wesens, das sich genau jetzt in seinem Bauch befand.
Samitar bewegte das Gerät noch eine kurze Zeit über den gesamten Bauch und nickte dann zufrieden. „Sieht alles gut aus“, verkündete er und musterte die Gesichter der beiden anderen. „Ähm, ich lasse euch kurz allein. In Ordnung?“ Er wartete nicht weiter auf eine Reaktion, sondern stand auf und lief in sein Büro.
Singh starrte noch immer auf das Bild, welches nun eingefroren auf dem Bildschirm zu sehen war und konnte es nicht fassen. Zu hören in welchem Zustand sich Mike befand, war eine Sache gewesen, es nun zu sehen war gerade zu schockierend gewesen. Aber nicht im negativen Sinne. Er spürte eine Form der Aufregung, die er so noch nie wahrgenommen hatte und malte sich aus, wie es sein würde dieses kleine Wesen in den Armen zu halten. Die Freude, die er fühlte war überwältigend, obwohl er sich bis vor zwei Tagen noch nie darüber Gedanken gemacht hatte, Vater zu werden.
„Ich kann das nicht!“, seufzte Mike. Er starrte ebenfalls auf den Bildschirm und hatte die zitternde Hand vor den Mund geschlagen. Singh nickte und wurde wieder auf den Boden der Tatsachen gezogen. Beinahe schämte er sich nun für seine Gedanken. Mike hatte ganz klar gemacht, dass er nicht in der Lage war, dieses Kind zu bekommen und er hatte gelobt ihn zu unterstützen.
„Ich weiß“, sagte Singh. „Es ist in Ordnung, wenn wir es nicht bekommen.“ Aus großen Augen blickte Mike ihn an und schließlich liefen die Tränen ungehalten über seine Wange.
„Das ist es nicht!“, schluchzte er so heftig, dass dafür nur die Hormone verantwortlich sein konnten. „Ich kann nicht … Ich kann es nicht … Wäre es sehr schlimm, wenn wir doch ein Kind bekommen?“
Die Frage hätte Singh beinahe aus den Latschen geworfen und sorgte gleichzeitig dafür, dass er sich zusammenreißen musste nicht laut zu lachen oder aber zu weinen.
„Ob das schlimm wäre?“, echote er belustigt, dann grinste er breit. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal zu einem Mann sagen würde, aber: Lass uns dieses Baby bekommen!“
„Alles in Ordnung bei euch?“, fragte Samitar, der sich langsam den beiden wieder genähert hatte und blickte abschätzend von einem zum anderen. Von der Unsicherheit und den zerknirschten Gesichtern, die vor wenigen Minuten bei seinem Neffen und dessen Partner vorgeherrscht hatte, war nichts mehr zu sehen. Vielmehr wirkten sie jetzt … glücklich. Mike nickte lächelnd, während das Gesicht von Singh wieder einen neutralen Ausdruck annahm. Zunächst war Samitar verwirrt deswegen, aber er schätzte den Freund seines Neffen, als eine sehr umsichtige Person ein, für die es nur selten in Frage kam sich von seinen Gefühlen übermannen zu lassen. Er musste lächeln, weil ihm dieses Verhalten sehr bekannt vorkam. „Also habt ihr eine Entscheidung getroffen?“
Wieder nickte Mike und diesmal zeigte sich ein stolzes Lächeln auf Singhs Gesicht. Es war nicht nötig, dass sie mehr sagten. Samitar kannte den Stolz in den Augen, weil er ihn schon selbst gefühlt und bei seinem Partner gesehen hatte. Sie hatten sich für das Kind entschieden und er hatte keinen Zweifel, dass sie gute Eltern sein würden. Apropos Eltern, dachte Samitar und trat zu Mike an die Liege.
„Wie fühlst du dich jetzt?“, fragte er und griff nach einer Flasche im Schrank, als Mike erneut über leichte Übelkeit klagte. „Trink das“, wies er ihn an. „Wenn du dich dann bereit fühlst, sind da noch einige Leute, die es kaum abwarten können dich zu treffen.“
Nun erwachte die Aufregung wieder in Mike. Ihm war ganz bewusst gewesen, wo er sich hier befand und auch, dass seine Familie hier war, aber der Anblick seines Kindes hatte ihn das alles vergessen lassen. Jetzt konnte er es kaum abwarten.
„Dann kommt“, sagte Samitar mit einem breiten Lächeln. „Vater und Mutter liegen mir schon seit gestern in den Ohren, aber ich musste sie vertrösten, weil das in deinem Zustand zu viel für dich gewesen wäre.“ Er wandte sich zu Mike um und deutete auf dessen Bauch. „Ich habe ihnen übrigens noch nichts davon erzählt, weil ich noch nicht wusste, wie du dich entscheiden würdest.“
Automatisch legte sich Mikes Hand auf seinen Unterleib und er errötete, als ihm die Geste bewusst wurde. Und damit kam wieder ein leiser Zweifel in ihn. „Wie … werden sie reagieren, wenn sie es erfahren?“ Er hatte sich zwar nun entschieden, dass er es behalten wollte, aber so richtig warm wurde er noch nicht mit dem Gedanken daran, was in seinem Körper vor sich ging. Zu sehr war er geprägt von den Normen, in denen er aufgewachsen war. In denen war er ein Mann war und dies hier unnatürlich, bis abstoßend. Aber das, was er vorhin gesehen hatte war keinesfalls abstoßen. Vielmehr war es wundervoll.
Sie folgten Samitar den Gang hinab und traten in einen Aufzug, der sie zwei Etagen nach oben brachte. Mikes Nervosität steigerte sich immer mehr. Er hatte sich in den letzten beiden Tagen an Samitar gewöhnt und empfand seinen Onkel als sehr angenehmen und sympathischen Menschen, aber nun würde er gleich den ganzen Rest seiner Familie kennenlernen. Und wie es durch Andeutungen von seinem Onkel in Erfahrung bringen konnte, war die nicht gerade sehr klein.
„Da wären wir“, erklärte Samitar, als sie vor einer Tür stoppten. „Wir wollten dich für den Anfang nicht überfordern, deswegen hielten wir es für das Beste, wenn erst einmal nur deine Großeltern und mein Partner anwesend sind. Der Rest war ziemlich enttäuscht, aber du wirst sie früh genug kennenlernen.“
Mike musste deutlich zugeben, dass ihn das beruhigte, denn seine Nervosität stieg immer mehr. Dann fühlte er Singhs Hand auf seiner Schulter und drehte sich zu ihm um. „Es ist deine Familie“, sagte Singh, drückte Mikes Schulter kurz und ließ die Hand dort liegen. Mike verstand, es gab nichts wovor er sich fürchten musste.
Samitar öffnete die Tür und sie traten hinter ihm in den Raum. Überrascht blickte Mike sich um, weil ihn das Ambiente an eine größere und fortschrittlichere Version des Salons der Nautilus erinnerte. Alles war in sanften Weiß- und Blautönen gehalten, es gab moderne Sitzecken, einen großen Tisch, Regal mit diversen Dingen und in einer Ecke einen Bereich, der an eine Kommandozentrale erinnerte. Er fühlte sich sofort zu Hause und musste lächeln. Seine Hände begannen zu zittern, als ein ältere Mann und eine Frau sich aus einer der Sitzecken erhoben und mit langsamen Schritten auf ihn zuliefen.
Als die beiden näher kamen erkannte Mike, dass die Zeit sie deutlich gezeichnet hatte. Beide hatten tiefe Falten in ihren Gesichtern, die Haare waren grau mit einer letzten Spur von schwarz, aber in ihren Augen erkannte Mike deutlich das Leben. Die beiden waren alt, besonders der Mann dessen Schultern leicht zusammengesunken wirkten und der einst ein Riese gewesen sein musste, aber sie waren nicht gebrechlich. Hinter ihnen erhob sich ein dritter Mann, der etwa in Samitars Alter sein musste und sich lächelnd zu ihm gesellte. Aus dem Augenwinkel sah Mike, wie er Samitar in seine Arme schloss und ihm einen Kuss auf die Lippen gab. Es wirkte sehr innig und fast schämte Mike sich, Zeuge dessen geworden zu sein. Aber ihn irritierte auch, dass sich keiner der beiden älteren daran zu stören schien.
Die alte Frau kam auf Mike zugelaufen. Sie hatte das Gesicht halb in ihren Händen verborgen und Tränen traten in ihre Augen, während ihr Mann hinter ihr stand und ihr mitfühlend eine Hand auf den Rücken legte.
„Wir dachten, wir hätten euch alle verloren“, schluchzte sie und zog Mike dann in eine Umarmung. Etwas steif erwiderte er sie. Er wusste, dass diese Frau seine Großmutter war, aber dennoch irritierte ihn die Nähe zu ihr. Ihm war sie noch fremd, auch wenn er ein unglaubliches Glück in sich fühlte. Die Frau schob ihn eine halbe Armlänge von sich weg und betrachtete ihn eingehend. „Du siehst aus wie dein Vater, als er in deinem Alter war“, meinte sie und drehte sich zu ihrem Mann um. „Nicht wahr, Tejas? Er sieht aus wie Naresh.“
Der Mann nickte und zog Mike nun ebenfalls in eine Umarmung. „Ist es wahr, was Samitar erzählt hat? Über Naresh und deine Mutter und deinen Bruder?“
„Ja“, sagte Mike und seine Stimme brach halb bei dem einen Wort. Er brauchte ein paar Minuten, bis er weitersprechen konnte. „Ich konnte sie leider nie kennenlernen und ich weiß auch erst seit sechs Wochen von ...“ er stockte und zeigte dann ausladend in den Raum „... von all dem.“
„Du bist auf diesem Planeten aufgewachsen, so wie einer der ihren?“, vergewisserte sich seine Großmutter, die sich ihm schließlich als Tamani vorstellte. „Und wer ist er?“ Ihre Aufmerksamkeit richtete sich neugierig auf Singh, den sie mit einem warmen Lächeln musterte.
„Er ist … mein Freund“, erklärte Mike.
„Ihr seid zusammen?“
Diesmal flatterte es unangenehm in seinem Bauch, bevor er antwortete, aber dann erinnerte er sich an das Bild von Samitar und seinem Partner und schob die Unsicherheit beiseite. „Ja.“
Nun wurde auch Singh nacheinander von den beiden fest in den Arm genommen, was ihm zunächst sehr unangenehm zu sein schien. Besonders, weil Tamani ihn sehr ausgiebig drückte und Mike dann zuraunte, dass er einen guten Geschmack hätte. Samitar hinter ihnen lachte, während sein Freund für sie alle ein warmes Getränk zubereitete, dass aus einer Art dicken Milch zu bestehen schien und angenehm würzig roch.
Tejas unterdessen lotste sie alle zu der Sitzecke zurück, wobei sie Singh und Mike in ihre Mitte nahmen. Sie unterhielten sich lange. Darüber, wie Mike aufgewachsen war, erzählten von Nareshs Lebens als Kapitän Nemo und wie er schließlich starb. Wie sie Mike ein normales Leben ermöglichten und auch davon, wie ihn sein Weg schließlich wieder auf die Nautilus führte. Im Gegenzug sog Mike jedes Wort auf, das Tejas und Tamani über ihren Heimatplaneten Yalantha verloren und lauschte Erzählungen über die Kindheit und die Jugend seines Vaters. Bis sie schließlich zu dem Punkt kamen, an dem dieser mit seiner Familie verschwand. Es war das, was Samitar ihm ebenfalls schon erzählt hatte, aber es berührte Mike nicht minder.
Die Stimmung war ziemlich gedrückt und Mike fühlte, wie sich etwas in seiner Brust zusammenzog, bis seine Großmutter plötzlich aufsprang und ihn an den Händen nahm. „Ich habe viele Bilder. Willst du sie dir ansehen?“
Das Leuchten kehrte in seine Augen zurück, als er überschwänglich nickte und dann fiel ihm ein, wie er ihr eine Freunde machen konnte. Die Art, wie seine Familie die Beziehung zwischen zwei Männern als normal ansahen gab ihm Mut und Samitar war ebenfalls wie er und hatte sogar schon Kinder bekommen. Er fühlte immer mehr, wie er seinen Zustand annehmen konnte und er wollte das gerne teilen.
„Da ist noch etwas, dass ich erzählen wollte“, begann er und konnte nicht verhindern, dass er nun doch rot wurde. Dennoch nahm er all seinen Mut zusammen. „Es fühlt sich noch etwas seltsam an, weil es so etwas hier auf der Erde nicht gibt, aber ich … Nun ich … Es hat sich herausgestellt, dass Singh und ich … Nun wir werden Eltern werden.“ Das tat es auch fand Mike. Er hatte gesagt, was er sagen wollte. Auch wenn Wörter wie Baby, Schwanger oder in anderen Umständen nicht über seine Lippen kommen wollten.
Seine Großmutter schlug die Hände vor den Mund und wieder traten Tränen in ihre Augen, aber diesmal waren es eindeutig Freudentränen. Dann fanden sich Singh und er in ihren Armen wieder. Mike musste grinsen. Er wusste, wie sehr Singh körperliche Nähe widerstrebte, wenn sie nicht von Mike kam, aber seine Familie war anscheinend sehr knuddelbedürftig. Er hatte sich in eine Familie voller Kuschelmonster „eingeheiratet“.
Seufzend ließ Mike sich auf das Sofa im Salon nieder. Er wusste, dass er Gefahr lief dort den restlichen Tag zu verbringen, weil er nicht mehr hoch kam, aber sein Rücken brachte ihn schlicht um, wenn er noch länger stehen würde. Mittlerweile war er im siebten Monat schwanger, was ihn verglichen mit einer menschlichen Schwangerschaft aussehen ließ, als befände er sich im Neunten. Und so war es gewissermaßen auch; mit anderen Worten: Er war hochschwanger. Die yalanthanische Physiologie unterschied sich in der Hinsicht deutlich von der menschlichen. Sein Körper und damit der des Kindes darin entwickelte sich rasend schnell. Eine Eigenschaft, die er früher einfach für Glück und Zufall gehalten hatte.
Schon als er ein kleiner Junge war, fiel auf, dass seine Schrammen und Verletzungen, die er sich manchmal vom Spielen holte, um einiges schneller heilten, als die seiner Freunde. Die rasante Entwicklung sorgte nun jedoch dafür, dass er Unmengen an Energie benötigte und das hieß, er hatte Hunger. Er war ständig hungrig. Sein Magen tat dies auch mit einem lauten Knurren kund, was Mike ein verzweifeltes Seufzen entlockte, denn seine schlimmste Befürchtung war tatsächlich wahr geworden! Er hing auf dem Sofa fest, gefangen wie ein Käfer auf dem Rücken, der sich nicht allein wieder aufrichten konnte.
Zuerst beschloss Mike das nagende Hungergefühl einfach zu ignorieren, aber schon bald ging ihm auf, dass dadurch einfach nur seine Laune in den Keller ging. Nun war er hungrig und ihm war absolut zum heulen zu mute! Was hatte er sich nur dabei gedacht ein Kind zu bekommen? Wie sollte er sich darum kümmern, wenn er so erbärmlich war und nicht einmal von diesem verdammten Sofa hochkam um sich etwas Essbares zu holen?
Mit Mühe unterdrückte er ein Schluchzen und wollte schon Trautman, der aus Gewohnheit am Ruder stand, fragen, ob er ihm hoch helfen würde, als die Tür zum Salon aufging. Mikes Laune schlug direkt ins andere Extrem um, als er seinen Freund erblickte, der mit einem Teller in der Hand direkt auf ihn zusteuerte.
„Hey“, begrüßte Singh Mike mit einem Lächeln und drückte ihm direkt einen Kuss auf die Lippen. Was taktisch klug gewesen war, weil Singh es gewagt hatte Mikes gerundeten Bauch als Ablage für den Teller zu nutzen. Aber zu dessen Verteidigung befand sich darauf das wohl größte Sandwich, das er je gesehen hatte.
„Woher hast du gewusst, dass ich ...“, begann Mike. Singh ließ sich mit einem Lächeln neben Mike nieder und legte einen Arm um dessen Schultern, während sein Freund es nicht mehr aushielt und einen großen Bissen vom Sandwich nahm.
„Es ist 14 Uhr. Das heißt, seit dem Mittagessen ist wieder gut eine Stunde ins Land gegangen und dein Hunger unerträglich. Ich hatte also die Wahl zwischen der Taucherkammer und der Kombüse.“
Jetzt musste Mike lachen. Er wusste, dass er in letzter Zeit schreckliche Launen durchlebt hatte, aber Singh würde ihn nie einfach allein lassen. Nicht jetzt, nachdem sich so viel für sie verändert hatte. Seine, im höchsten Maße unerwartete, Schwangerschaft hatte ihre bis dahin eher still geduldete Beziehung offen gelegt und da ihre Freunde es nun mit einem schwangeren Mann zu tun hatten, war die „Neuigkeit“, dass sie ein Paar waren geradezu langweilig.
Lächelnd biss Mike wieder in das Sandwich, das ausgesprochen gut schmeckte und freute sich über die Entwicklung der Dinge. Als er von der ganzen Sache, dass er ein Alien und auch noch schwanger war, erfahren hatte, hatte er sich hilflos und verloren gefühlt. Aber jetzt wusste er, dass sich sein Leben zum Besseren entwickelte. Er hatte seine Familie zurückbekommen und seine alte – die Nautiluscrew – war nach wie vor bei ihm und sie waren auf den Weg, um seiner Heimat einen Besuch abzustatten. Danach durfte er entscheiden, wo er lieber leben wollte und es erfüllte ihn mit einer nie gekannten Aufregung. Aber auch Erstaunen und das fing schon damit an, dass sie die gesamte Nautilus mitnehmen konnten und Trautman schon die ersten Tauchgänge auf Yalantha plante.
Jedoch ohne Mike, wie er ausdrücklich betont hatte, da bei diesem jeder zeit die Wehen einsetzen könnten. Dass Samitar meinte, dass es bald schon so weit sein konnte hatte Mike ihm lieber verschwiegen, denn Trautman war nicht mehr er selbst, wenn er nur das Wort „Geburt“ hörte.
Es war für Mike immer noch seltsam, wenn er nun seinen Körper betrachtete, aber das Gefühl war von Entsetzen eher in Neugierde umgeschlagen. Sein Bauch hatte in den letzten Monaten immer mehr an Umfang zugenommen und sich auch sonst stark verändert. Die Haut darauf wirkte fester und lief in plattenartigen Falten zur Mitte zu, wo sich beide Seiten in einer dünnen Linie trafen. Wie Samitar ihm erklärte, war es nicht wirklich sein Bauch, der da wuchs, sondern eine Art Kokon, in dem das Kind wuchs, und der sich nach dessen Geburt vollständig zurückbilden würde, bis sein Körper ihn abstieß. Das klang nach wie vor etwas ekelig, aber Mike erschreckte sich zumindest nicht mehr davor. Daher machte es ihm nun auch nichts aus, wenn Singh seine Hand auf die „Ananas“ legte, wie Mike selbst seinen Kokon scherzhaft bezeichnete.
Sanft fuhren dessen Finger über dem Stoff des Hemdes über den Bauch seines Partner, der noch immer den Teller darauf balancierte und das Sandwich in rasendem Heißhunger verschlang. Ein Tritt aus dem Inneren des Bauches hätte diesen fast hinabbefördert, aber Singh hielt ihn schnell fest und lächelte. Sein Kind, er wusste noch nicht was es werden würde, hatte auf jeden Fall bereits jetzt schon einiges von ihm und er würde ihm noch viel mehr beibringen, was Kampfkunst anging. Samitar wollte ihnen bereits in einer Feier, die er Babyparty nannte, dass Geschlecht mitteilen, aber nachdem Mike in einer unruhigen Nacht von Zwillingen geträumt hatte, hatten sie entschieden sich lieber überraschen zu lassen.
Gerade als Mike den letzten Bissen verschlag, zuckte er zusammen und hielt für geschlagene zwei Sekunden die Luft an.
„Alles in Ordnung?“, fragte Singh besorgt. Mike horchte in sich und verkrampfte sich, als der dumpfe Schmerz in seinem Bauch zurückkehrte. Während Singh den Teller achtlos auf den Boden vor ihnen stellte, legten sich Mikes Hände schützend auf seinen Bauch, in dem es im nächsten Moment schon wieder zog.
„Ich … weiß nicht“, brachte er mühsam hervor, weil sich die Schmerzen mit jedem Mal zu verschlimmern schienen. „Es ist wie ein Krampf und … Aua!“ Er zog scharf die Luft ein, stemmte die Hände in die Couch und schaffte es mit Singh Hilfe sich an dessen Rand zu setzen. „Ich … ich glaube … ich ...“
„Ja, ich versteh schon“, sagte Singh, weil Mike es nicht über sich brachte laut auszusprechen, dass er nun tatsächlich ein Kind bekommen würde. Ein fast verzweifeltes Lachen kam über Mikes Lippen, als er daran dachte. Der Moment war surreal und dennoch war da eine seltsame Freude in ihm. Es würde nicht mehr lange dauern und er würde ein Teil von Singh und ihm in den Armen halten. „Was ist los?“, rief Trautman, dem nicht entgangen war, dass etwas nicht stimmte, alarmiert. Sein Blick hatte sich auf Mikes Hand fixiert, die sich auf den Bauch gelegt hatte und deren Knöchel weiß hervortraten.
„Es geht los, oder?“, fragte er beinahe überflüssig und drehte sich in einer fließenden Bewegung herum, als Mike nickte. „Ich hole Samitar!“
„In unsere Kabine!“, rief Singh ihm hinterher, zog Mike dann auf die Füße und stützte ihn. „Kannst du laufen?“, fragte er besorgt, als er seinen Arm um die Hüfte seines Freundes legte.
Der Weg zu ihrer Kabine war beschwerlich, besonders die Wendeltreppe, die sie hinauf mussten, aber auf halben Wege kam ihnen dann schon Samitar entgegen. Er nahm Mikes anderen Arm und lächelte dem blassen Trautman zu.
„Gehen Sie doch ruhig in den Salon. Wir schaffen das hier“, sagte er beruhigend, während Singh die Tür öffnete. Zunächst stand der alte Steuermann nur unschlüssig da, dann schien er jedoch einzusehen, dass er nichts weiter tun konnte, und ging.
Singh schüttelte derweil die Kissen auf und drapierte Mike so auf dem Bett, dass er es gemütlich darauf hatte. Dabei erkundigte er sich immer wieder nach dessen Wohlergehen und ob es noch etwas gab, was er für ihn tun konnte.
„So, dann wollen wir doch mal sehen“, meinte Samitar, nachdem er die Tür verschlossen und sich zu Mike an die Bettkante gesetzt hatte. Er schob Mikes Hemd hoch und begann konzentriert den Bauch abzutasten, dabei gab er immer wieder ein langgezogenes „hm“ von sich, weswegen Singh ihn sorgenvoll ansah.
„Was ist?“, platze es aus ihm heraus. „Ist etwas nicht in Ordnung?“
Samitar schüttelte den Kopf und lächelte Singh zu. „Versuch etwas zu entspannen. Es wird noch eine Weile dauern.“ Damit deutete auf die dünne Mittellinie auf Mikes Bauch, in die die Falten zusammenliefen und die an ihrem Ende eine Öffnung bildeten, die jetzt noch fest verschlossen war. Mike hatte sich von Samitar dahingehend aufklären lassen, dass sie sich im Laufe der Geburt auf einige Zentimeter öffnen und er so das Kind gebären würde. Es war vor Monaten schon eine ekelige Vorstellung und jetzt war es ihm einfach zu real, wenn er ehrlich war.
Wieder drückte Samitar auf das umliegende Gewebe des Gebärmundes, als ein erneuter Krampf durch Mikes Körper lief. „Oh, du hast den ersten Zentimeter geschafft!“, verkündete Samitar fröhlich.
Vorsichtig sah Mike an seinem Körper hinab und konnte kaum glauben was er da sah. Es war mindestens so abartig, wie er es sich vorgestellt hatte. Selbst Singh, der einen kurzen Blick riskiert hatte, war bleich geworden.
„Oh mein Gott“, murmelte der sonst so starke Sikh.
„Ähm, weiß du was“, gab Samitar zu bedenken und musterte Singh besorgt. „Es würde Mike sehr helfen, wenn du dich hinter ihn setzt und ihn so stützen könntest.“
Das ließ Singh sich kein zweites Mal sagen, denn so konnte er noch immer für seinen Geliebten da sein und musste sich dessen Bauch nicht mehr ansehen. „Ich werden nie wieder eine Ananas essen können“, murmelte der und Mike musste lachen.
„Als ob du je eine Ananas gegessen hättest. Du hasst Ananaaaaaaaaa-!“ Der nächste Krampf war schlimmer, als der zuvor, weswegen Mike nicht weitersprechen konnte und seine Antwort an Singh in einem Schrei unterging.
„Oh, drei Zentimeter“, erklärte Samitar überrascht. „Das geht recht schnell bei dir. Der Kleine, will wohl unbedingt auf die Welt.“ Dann stockte er und sah die beiden aus großen Augen an. „Oder die Kleine“, fügte er hinzu und hoffte, dass Singh und Mike nicht zu sehr darauf hörten, was er zu sagen hatte.
„Wie viele Zentimeter brauch ich denn?“, rief Mike genervt aus und grub nach Singhs Hand, die irgendwo neben ihm lag. – „Zehn“, erklärte Samitar, aber selbst dieses eine Wort ging in Mikes lauten Fluch über, als sich sein Bauch wieder zusammenkrampfte. „Verfi**** Scheiße!“, schrie der in einer Mischung aus Schmerz und Zorn. Aber auch Singh bekam jetzt einen Geschmack auf die Schmerzen, die sein Partner erleiden musste, weil ihm beinahe die Hand zerquetscht wurde. „Das tut verdammt weh!“, meckerte Mike weiter und war noch lange nicht fertig. „Zehn Zentimeter? Willst du mich verarschen?! Wer soll das aushalten? Das ist schon … Auaaaaa, verdammt!“
„Und damit währen wir bei sieben“, kommentierte Samitar unbewegt, während Singh nicht glauben konnte, wie sehr sich Mike in Rage redete. „Vollkommen normal“, beschwichtigte der Außerirdische ihn und noch ziemlich zivilisiert. Ich hab schon schlimmere erlebt. Gepflegt fluchen gehört dazu.“
Mikes Kopf fiel zurück auf Singhs Brust. Die Schmerzen machten eine Pause, die er dazu nutze einfach nur zu atmen. Singh strich Mike das vollkommen verschwitzte Haar von der Stirn und hauchte ihm einen Kuss darauf.
„Du machst das gut bisher“, munterte Samitar ihn auf. „Es ist alles vollkommen in Ordnung. Wenn du etwas gegen die Schmerzen brauchst, kann ich dir aber etwas geben. So wie das aber aussieht, hast du es bald hinter dir.“
Das hörte sich in Mikes Ohren gut an. Sein Körper würde wieder normal aussehen, er würde keine Rückschmerzen mehr haben und nicht mehr alle zwei Minuten aufs Klo müssen. Sofas wären keine gemeinen Fallen mehr und nie wieder Fisch mit Schokolade. Wenn es nach ihm ging, dann durfte die nächste Wehe kommen.
Und wie die kam!
„Aaaaaahh!“, war alles was Mike herausbrachte, bis der Krampf nachließ und ihm noch ganz andere Wörter einfielen. „Ich schlaf nie wieder mit dir!“, meckerte er Singh an, der nur schwach lächeln konnte. „Ersthaft! Pass demnächst gefälligst auf, wo du deinen Penis hinhältst! Sonst werde ich … Oh, verdammt!“
„Zehn Zentimeter, Mike! Pressen!“
„WAS?!“, rief Mike entgeistert und starrte Samitar an, als hätte der den Verstand verloren. „Press du doch!“
„Los jetzt! Dann hast du´s gleich!“
Der Blick in Samitars Augen machte ihm klar, dass er jetzt lieber pressen würde, bevor der ihm noch auf den Bauch sprang, also tat Mike es. Jedoch hingucken konnte er nicht. „Augen zu und durch! Augen zu und durch!“, redetet er sich in Gedanken immer wieder zu. Dann war die Wehe weg.
„Noch eine?“, seufzte er enttäuscht, als er feststellte, dass anscheinend noch kein Kind da war. Gucken wollte er ja nicht.
„Die letzte, glaub mir.“
Samitars Worte in Gottes Ohr, dachte Mike und nahm für die nächste Wehe seine letzten Kräfte zusammen. Diesmal mussten beide Hände Singhs dran glauben, sodass sie im Chor schrien und dann gesellte sich eine dritte Stimme zu ihnen. Und es war nicht Samitars.
Diesmal riss Mike ungläubig die Augen auf und starrte auf das blutige, klebrige kleine Wesen, das in Samitars Händen lag. Es schrie und strampelte mit Armen und Beinen. Mike zählte automatisch die kleinen Finger und Zehen – an jeder Hand und jedem Fuß fünf. Es hatte die Augen zu und schrie, aber es war perfekt. Es war ein wunderschöner, kleiner Junge.
Mike war in diesem Moment egal, dass sein Bauch einen seltsamen Anblick abgab. Das würde vorbeigehen, genau wie die Schmerzen von eben. Nun war er einfach nur froh und vor allem überwältigt.
Vor einigen Jahren hatte er kaum zu träumen gewagt, dass Singh und er zusammen sein konnten und nun hatte er ihm einen Sohn geschenkt.
„Herzlichen Glückwunsch“, sagte Samitar lächelnd und gab ihm das kleine Wesen, eingewickelt in eine Decke, auf die Brust. Er ließ den beiden frisch gebackenen Eltern etwas Zeit das neue Familienmitglied kennenzulernen und beobachtete sie aus Augen, die sich an Momente erinnerten, in denen er ebenfalls schon gewesen war.
Das Baby kuschelte sich an die warme Brust und griff kräftig nach dem Finger, den Singh ihm hinhielt. Es wusste instinktiv, dass diese beiden Menschen für ihn da waren. Dass sie seine Welt waren, egal was passieren würde.
„Wie wollt ihr ihn nennen?“, erkundigte Samitar sich schließlich. Mike und Singh sahen sich tief in die Augen, bis sie beide lächelten und nickten.
„Naresh“, verkündete Mike stolz. „Sein Name ist Naresh.“
ENDE
1 „Ihr habt einen der Unseren!“
2 „Gebt ihn frei!“
3 „Stehen bleiben!“
4 „Wir sprechen eure Sprache nicht.“
5 „Aber du kannst es. Woher?“
6 „Es ist die Sprache meines Vaters.“
7 „Deines Vaters?“
8 „Ravindra? Nein … nein … Dakkar?“