Fingerübungen – (2021-01-26)
„Verwandlung“
oder
„Vom Hund gebissen“
Mike erwachte, als er das leise Kratzen an der Tür hörte. Mit einem Blinzeln angelte er sich seine Uhr und blickte darauf. Es war noch am frühen Abend, dennoch war er so fest weg genickt, wie er es nicht vermutet hätte, weswegen er auch nicht daran gedacht hatte, seine Tür nur anzulehnen. Seufzend stand er auf, in der Hoffnung, dass sein Besucher nicht sauer war. Dieser Zustand kam nur einmal im Monat vor und normalerweise dachte Mike daran, diesmal war er aber so kaputt gewesen, dass er eingeschlafen war, ohne an die Vorbereitungen zu denken.
„Ich komme!“, rief er noch im Laufen, drückte dann die Klinke herunter und ließ das gar nicht mal so kleine Wesen ein. Der beinahe schwarze Hund, der etwas größer als ein Schäferhund war, tapste durch den kleinen Spalt, der sich aufgetan hatte. Kurz bildete Mike sich ein, dass er einen missbilligenden Blick gesehen hatte, aber so genau konnte er das in diesem Moment nicht einschätzen. „Schade, dass ich mit dir nicht so kommunizieren kann, wie ich es bei Astaroth vermag.“ Mit einem Seufzen ließ Mike sich wieder auf das Bett sinken und klopfte dann auffordernd neben sich. „Na komm hoch“, forderte er den Hund auf, sich zu ihm zu gesellen, aber der blieb stur vor dem Bett sitzen. „Du weißt doch, wie ich das sehe“, teilte Mike ihm mit – so wie jeden Monat zu dieser Zeit übrigens. „Auch Tiere sind in meinem Bett willkommen.“
Anstatt, dass der Hund sich mit einem beherzten Sprung zu ihm auf das Bett legte, gab er ein kurzes Bellen ab. Mike zog die Augenbrauen hoch. „Wirklich jetzt?“, entfuhr es ihm. „Du bist sauer, weil ich vergessen habe die Tür anzulehnen?“
Der Hund fixierte ihn mit seinen braunen, beinahe schwarzen Augen, blickte dann zur Tür zurück und knurrte tief aus seiner Brust. „Ich wäre auch sauer auf dich“, meldete sich die wohlbekannte Stimme des Katers in Mikes Kopf. „Du weißt doch wie dünnhäutig er an seinen Tagen ist und du sperrst ihm einfach die Tür vor der Nase zu!“ Das Grollen des Hundes wurde stärker, dann sprang er auf und lief unruhig zur Tür. Sein Knurren verwandelte sich in ein regelrechtes Kläffen und dann versuchte er gegen die Türklinke zu springen, um sie herunterzudrücken. Na toll, dachte sich Mike, erst wollte er so dringen hinein und nun gab es Theater, weil er wieder raus wollte. „Astaroth!“, rief Mike in seinen Gedanken nach dem Kater. „Geh von meiner Tür weg! Du weißt, wie gut er auf dich zu sprechen ist, wenn er in diesem Zustand ist! Dass du ihn immer so reizen musst!“ Laut rief er dann zu dem Hund: „Hör auf! Lass das! Zwing mich nicht, dich wie einen Hund zu behandeln und jetzt mach, dass du in mein Bett kommst!“
Es brauchte noch zwei Sekunden, dann verstummte das Bellen mit einem Geräusch, das sich wie eine Hundeversion von „Hä?“ anhörte. Das Tier seufzte schwer und trottete mit hängendem Kopf zum Bett, wo er drauf sprang und sich dicht neben dem Kopfkissen niederließ.
Mike blieb noch einen Augenblick neben der Tür stehen, wartete, dass der Kater wirklich weg war und musterte den Hund mitleidig.
„Es tut mir leid, dass du das durchmachen musst“, sagte er und beschloss sich unter die Bettdecke und an das warme schwarz-braune Fell zu kuscheln. „Eigentlich müsste ich an deiner Stelle sein. Du bist echt so ein dummer Trottel, dass du dich immer und überall vor mich stürzen musst.“ Er gab ihm einen kurzen Kuss auf das schwarze Köpfen und begann dann die Ohren zu kraulen, was der Hund sehr gerne hatte. Mike musste lächeln, als er sich komplett fallen ließ, die Augen verdrehte und auf dem Rücken liegend zu brummen begann. „Aber du bist mein dummer Trottel“, sinnierte er, während er das Tier weiter streichelte. „Ich hab dich lieb, weißt du?“
Die Antwort bekam er sofort. Der Hund sprang mit einem freudigen Bellen auf und begann Mike quer über das Gesicht zu lecken. Mit einer solchen Inbrunst, dass Mike ein lautes Lachen entfuhr. „Hör auf“, rief er zwischen seinen Lachern, die ihm beinahe den Atem nahmen. „Das ist verdammt komisch, das weißt du ganz genau!“ Dennoch konnte er nicht aufhören zu lachen und sich darüber zu freuen. Irgendwann schob er aber die Arme zwischen sich und der viel zu gierigen Hundezunge. „Morgen wieder, versprochen.“ Mit Lachtränen in den Augen musterte er den Hund, grinste dann und kraulte ihn am Hals. Dort hatte er es auch besonders gern. „Ich bin heute ziemlich müde“, gestand Mike dem Tier. „Meinst du, du kannst schon schlafen? Weil ich weiß nicht, ob ich die ganze Nacht mit dir wach bleiben kann.“
Es kam in diesen Nächten oft vor, dass der Hund einfach zu unruhig zum Schlafen war und sie dann die ganze Nacht spielten. So war er abgelenkt und musste nicht weiter darüber nachdenken, was aus ihm geworden war. Mike wusste, dass es ihn beschäftigte, obwohl das „Problem“ nur einmal im Monat auftrat und dann wieder verging. Dennoch war es ihm unangenehm und das Wissen um seine Existenz ließ ihn rastlos werden. Dann halfen ausgiebige Spaziergänge im Wald, für die Trautman extra die ein oder andere Insel anfuhr, und bei denen er tatsächlich des öfteren Beute machte, die sie sich am nächsten Tag brieten. Wenn das nicht ging, dann tollten sie die halbe Nacht im Frachtraum herum. Aber heute war Mike für beides schlicht zu kaputt.
„Ein paar Minuten nur?“, fragte Mike, als der Hund dennoch mit dem Ball in der Schnauze zu ihm kam. Dieser ließ ihn vor Mikes Füße fallen und bellte zustimmend. Mit einem Lächeln nahm Mike ihn auf und ließt den Ball ohne Rücksicht auf Verluste durch seine Kabine sausen, der Hund schnellte hinterher und apportierte das Spielzeug ohne Probleme. Dabei schüttelte Mike leicht den Kopf und konnte nicht verhindern zu denken, dass dem Tier sein Hundeleben doch ziemlich zu gefallen schien.
Sie wiederholten das ein paar Mal, wobei Mike einmal beinahe ein „Guter Junger!“ herausgerutscht wäre. Er konnte sich gerade noch so bremsen und atmete tief auf. Der Hund mochte das nicht und Mike konnte es ihm absolut nicht verübeln. In keinster Weise wollte er ihn irgendwie beleidigen, wobei seine Art zu sein alles andere als schlimm war.
„Weißt du, was mir so durch den Kopf ging?“, fragte Mike. Der Hund ließ den Ball fallen und legte den Kopf schief. Schließlich trottete er wieder zu seinem Herrn ins Bett und kuschelte sich an ihn, die Ohren gespitzt. „Eigentlich ist das, was mit dir passiert ist, nichts schlimmes. Ist es nicht eher eine Chance? Ich meine, wer hat schon die Gelegenheit zwei Leben zur gleichen Zeit erfahren zu können. Allein die Instinkte oder deine Sinne, die sich verändern. Das muss ein wahres Erlebnis sein.“ Mit einem Brummen legte der Hund abermals den Kopf zur Seite, stand dann auf und leckte Mike kurz über das Gesicht. „Ja, wir können morgen noch einmal darüber reden“, stimmte Mike zu. „Dann kannst du mir auch antworten. Das ist fairer.“ Er wollte gerade fragen, ob es in Ordnung war, wenn sie nun schliefen, als der Hund demonstrativ gegen die Nachttischlampe stupste. Mike lächelte, knipste das Licht aus und schmiegte sich dicht an das Fell. „Gute Nacht, Singh.“ Er wollte gerade die Augen zu machen und schlafen, als ihm noch etwas einfiel. „Komm bitte nicht auf den Gedanken, mich rammeln zu wollen. Das ist mehr als seltsam.“ Seufzend erinnerte sich Mike an eine der ersten Nächte, in denen Singh die Hundehormone durchgegangen waren und er ihn aus der gemeinsamen Kabine verbannen musste. Er war daher sehr erleichtert, als es mit Zustimmung bellte.
Mit einem sanften Lächeln fiel er in einen ruhigen Schlaf. So merkte er auch nicht, dass der Hund niemals neben ihm schlief, sondern Monat für Monat über ihn wachte. Auf den gleichmäßigen Herzschlag hörend, den Singh in seiner Hundegestalt vernehmen konnte, ohne dass er den Kopf auf Mikes Brust hätte legen müssen. Seine Lefzen verzogen sich zu einem Lächeln, als er den wichtigsten Menschen in seinem Leben so beobachtete. Der einzige Mensch, für den er durch den Biss eines Hundes gerne zu einer Art Sagengestalt geworden war. Mike glaubte, dass er diesen Lauf der Dinge bedauerte und lieber vollends ein Mensch gewesen wäre, aber die Wahrheit war, dass er es genoss, Mike so nun noch besser beschützen zu können. Er stieß ein tiefes Knurren aus, auf welches er ziemlich stolz war. Nun war er nicht nur ein Leibwächter, sondern ein wahrer Wachhund, mit dem sich besser keiner anlegen sollte!
Der Hund wartete bis in die frühen Morgenstunden, dann legte er den Kopf an Mikes und schloss die Augen. In Gedanken sah er den Vollmond vergehen und das Fell von seinem Körper weichen, bis es wieder Hände, und nicht Pfoten, waren, die Mike umarmten. Lächelnd atmete er den Duft des Körpers neben sich ein. Genoss den einen Moment zwischen den Welten, in denen seine Sinne noch geschärft, aber sein Körper schon der eines Menschen war. Voller Leidenschaft hauchte er Küsse auf den Nacken. Er war nach diesen Nächten nie müde, auch wenn er nicht geschlafen hatte. Vielmehr rauschte das Blut wild durch seine Venen, als würde es feiern wieder ein Mensch zu sein. Es war einer der vielen Morgen, an denen sie sich haltlos liebten. Mike vor ihm seufzte. Er regte sich träge, bis er sich schließlich zu ihm umdrehte und das bärtige Gesicht in beide Hände nahm: „Guten Morgen, Singh.“