Sixty Minutes Challenge
18.08.2021
mutterseelenallein
Zielsicher streifte er durch den Wald, der übersät war von bunten Korallen. Die Schönheit dieses Ortes schlich sich nur kurz in seinen Fokus, dann sammelten sich seine Sinne wieder und er achtete auf jedes Rascheln, das vom Wegesrand hörbar war.
Ein Knacken im Gebüsch verriet ihm, dass er nicht allein war. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, verließ er den festgetretenen Pfad und machte sich auf, sich durch die Korallen und Farne zu quetschen, die dem Korallenwald ihren Namen gaben.
Manch anderem Fünfjährigen hätte es das Fürchten gelehrt, aber nicht ihm, denn er war mutterseelenallein aufgewachsen. Keiner hatte sich je um ihn gekümmert, schon gar nicht sein Onkel, der bösartig und verbittert in der kleinen Hütte saß, die man ihnen zugewiesen hatte.
Seine Mutter war während des Aufstandes gestorben und wenn die Erzählungen von Argos – seinem Onkel – richtig waren, dann war sie ein wahres Monster gewesen. Mehr noch, als die Dinger, die durch den Korallenwald schlichen.
Wieder grinste er. Wenn er der Sohn eines Monsters war, dann sollte das hier ein Kinderspiel sein.
Etwas zischte links an ihm vorbei.
Einem Instinkt und der mühsamen Übung folgend, zog er das kleine Messer aus seinem Gürtel und warf es in die Richtung. Was immer er getroffen hatte, gab ein schrilles Quieken von sich und verstummte dann.
„Ja!“, rief er freudig, bog die Farne zurück und betrachtete voller Stolz die riesige Krabbe, die er erlegt hatte. Das heutige Essen war gesichert.
„... und so habe ich gelernt mit dem Messer umzugehen“, schloss Alexis.
Mike blinzelte, die Arme verschränkt und nur langsam sickerte in seinem Kopf zusammen, was sein Sohn im gerade erzählt hatte. „Das ist ...“, er suchte noch immer nach den richtigen Worten. Allerdings fand sein Partner und Co-Elternteil Singh sie viel schneller.
„... fantastisch! Auf dieser Grundlage können wir wunderbar aufbauen!“ Seine schwarzen Augen glänzten vor Vorfreude und auch Alexis wollte schon jubeln.
„Moment, furchtloser Krieger!“, rief Mike da langgezogen. „Der junge Mann hier ist immerhin erst sieben! Die Messer ziehe ich ein und wenn du dich nicht benehmen kannst“, das ging an Singh, „dann muss ich deine auch nehmen!“
Damit drehte er sich um. „Messerwerfen!“, entfuhr es ihm fassungslos. Hätte er von seinem Sohn gewusst, dann hätte er ihn schon viel eher von Lemura weggeholt. Messerwerfen, dachte er wieder, nun aber mit einem Grinsen. Leider war das irgendwie doch beeindruckend, aber weder Singh noch Alexis würde er diesen Gedanken je beichten.