[Beitrag zur 60 Minutes Challenge, Rating 12/16+]
[Inhalt: Sieben Minuten und Mikes Handeln entscheiden über Leben und Tod.]
Sieben Minuten
Als ich in den Salon lief, fühlte ich bereits, dass etwas überhaupt nicht stimmte. Das ungute Gefühl zog tief in meiner Magengegend und begann meine Eingeweide zu verknoten. Mittlerweile hatte ich gelernt diesem Gefühl zu vertrauen. Wenn mir aufgrund dessen also zum Speien übel wurde, konnte ich davon ausgehen, dass unser aller Leben in Gefahr war.
Ich beschleunigte meine Schritte, hastete durch die Tür und durchquerte den Salon, um mich zu meinen Kameraden in der Kontrollzentrale zu gesellen. Kurz blieb mein Blick an dem riesigen Aussichtsfenster hängen, was mich dazu brachte schwer zu schlucken. Das durch die Scheinwerfer hell erleuchtete Meer wimmelte plötzlich nur so von Haien.
Als meine Freunde mich gewahrten, blickten sie auf. Aber was ich in ihren Augen sah, gefiel mir so gar nicht. Angst, eine gewisse Betroffenheit und Scham, erkannte ich an jedem von ihnen.
„Was ist los?“, fragte ich unsicher und mein Blick glitt zu einer Uhr, die rückwärts ablief und auf zehn Minuten stand. Alle bis auf Trautman, unser Steuermann, sahen zu Boden und schienen meinem Blick nicht länger als ein paar Sekunden standzuhalten.
„Es …“, begann Trautman, wurde aber von mir unterbrochen.
„Moment! Wo ist Singh?“, rief ich so heftig aus, dass er zusammenzuckte. Ich erkannte erst jetzt, dass wir gar nicht vollzählig waren.
„Er ist da draußen“, begann Trautman zu erzählen. „Wir haben die Nautilus auf Schäden untersucht, als auf einmal von überall die Haie kamen. Er stieß mich in die Taucherkammer und ist seitdem nicht zurückgekehrt. Wir haben versucht nach draußen zu gehen, um ihn zu holen, aber die Haie …“
Erschrocken viel mein Blick wieder auf die Uhr. Acht. Sie zeigte jetzt acht Minuten. Acht Minuten in denen Singh noch Atemluft hatte!
Mit dem Umspringen des Zeigers meiner Taschenuhr auf sieben, fuhr ich auf dem Absatz herum. Ich rannte, wie noch nie in meinem Leben und verfluchte gleichzeitig, dass mein Freund immer den Helden spielen musste. Trautman rief mir etwas hinterher und ich hörte seine Schritte hinter mir.
Sechs.
Ich schlug die Tür des Tauchraums hinter mir zu und verriegelte sie von innen. Trautman klopfte von außen wie ein Irrer gegen die Scheibe und schrie etwas. Durch das dicke Glas konnte ich ihn nicht verstehen und es war mir im Moment auch absolut egal. Lieber wurde ich von Haien gefressen, als den Menschen, den ich liebte, da draußen sterben zu lassen.
Fünf.
Verbissen nahm ich eine der vollen Sauerstoffflaschen aus dem Regal und schleppte sie ächzend in die Tauchkammer. Allein das machte mich schon total fertig. Dennoch hörte ich nicht auf meinen müde werdenden Körper und zerrte mir den wuchtigen Taucheranzug über. Nachdem ich den Helm und meine eigene Sauerstoffflasche sicher befestigt hatte, trat ich in die Kammer und hämmerte auf den Mechanismus ein.
Die Kammer füllte sich quälend langsam mit Wasser und die Uhr an meinem Handgelenkt sprang auf vier, als ich auf den Meeresboden trat. Kurz stockte ich, als ich das Wimmeln hier draußen ungeschützt sah, aber die Angst um meinen Freund trieb mich direkt weiter. Zum Glück was das Gewicht der zweiten Sauerstoffflasche hier draußen einigermaßen erträglich und ich dankte dem Himmel, als ich das Halteseil fand, das Singh mit der Nautilus verband. Ohne hätte ich ihn hier draußen nie gefunden. Schnell nahm ich es auf und hangelte mich daran entlang, die andere Flasche auf die Schulter gestützt.
Ich stand vollkommen in meinem Schweiß, als es nur noch drei Minuten waren.
Gleich wäre ich bei ihm, machte ich mir selbst Mut und hielt verängstig die Luft an, als einer der Haie auf mich zugeschossen kam.
„Ich bin nicht dein Dosenfutter! Verschwinde!“, schrie ich, obwohl er mich weder hören, noch verstehen konnte. Im letzten Moment drehte das Tier ab und schien etwas spannenderes hinter mir gefunden zu haben.
Zwei.
Ich fand Singh unter einem schmalen Felsvorsprung und ich kann nicht sagen, wie ich es schaffte nicht auszuflippen. Uns trennten noch drei Meter und er lag wie tot auf dem Boden. Vielleicht war er es?
Nein! Ich verbot mir weiter darüber nachzudenken und lief noch etwas schneller gegen die Strömung.
Eins.
Ich ließ mich mit der Sauerstoffflasche auf die Knie fallen. Ob mein Freund bei Bewusstsein war, konnte ich nicht sagen, denn er lag auf dem Bauch. Aber so kam ich immerhin direkt an seine Flasche heran. Schnell verband ich die frische Luftversorgung mit seinem Anzug und ließ das rettende Gasgemisch einfließen.
Die letzte Minute war vergangen, als ich ihn mit bangem Gefühl umdrehte. Angst davor, dass ich zu spät gekommen war. Die Scheibe seines Helms war leicht beschlagen, aber ich erkannte, dass er atmete.
Gierig zog er die frische Luft ein und schließlich flatterten seine Augenlider. Zunächst ging sein Blick ins Leere und wirkte trüb, jedoch konnte man ihm dabei zusehen, wie sich seine Sinne wieder klärten. Dann fokussierten sich seine Augen auf mich, aber dennoch schien es, als würde er durch mich hindurchsehen.
„Ein wunderschöner Anblick“, murmelte er. „Ich habe mir gewünscht, dieses Bild noch einmal sehen zu dürfen.“
Meine Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. „Den Anblick wirst du noch viel länger ertragen müssen“, grinste ich mit Tränen in den Augen. „Weil ich dich nicht einfach so gehen lasse!“
Jetzt erst schien Singh zu begreifen, dass er nicht sterben würde und richtete sich, so gut es mit dem schweren Anzug ging, auf. Ich musste ihm dennoch auf die Beine helfen.
„Du hast mir das Leben gerettet“, murmelte er.
„Ja, jetzt steht es wie? 20 zu 5 für dich?“ ich zuckte mit den Achseln und blickte mit grummelndem Magen in den wässrigen Himmel. „Lass uns sehen, dass wir ins Schiff kommen.“
Die Haie hatten sich mittlerweile dichter um uns gescharrt und einige griffen sich gegenseitig an. Vielleicht stritten sie, wer einen Happen abbekam.
„So viele“, murmelte Singh. „Geht es Trautman gut? Ich habe ihn in das Schiff gestoßen und dann waren so viele um mich. Daher hatte ich versucht an den Felsen Schutz zu finden und bin dummerweise gestürzt.“
Verhängnisvoll, da man sich in den schweren Anzügen unter Umständen nicht alleine aufhelfen konnte, wie sich heute an Singhs Beispiel gezeigt hatte.
Aneinandergeklammert erreichten wir das Schiff und diesmal zwängten wir uns zusammen in die Kammer. Es war mehr als eng, aber ich genoss die Gelegenheit mich fest an ihn zu klammern. Als das Wasser soweit gesunken war, nahmen wir unsere Helme ab und verbrachten die nächsten sieben Minuten damit uns zu küssen.
Ende