Sixty Minutes:
Coffee to go
Die Schleusentür öffnete sich vor ihm, sodass er aus dem sicheren Bauch der Nautilus steigen konnte. Hinaus in die dunklen Weiten des Meeres, die Mike mit dem mächtigen Strahler an seinem Handgelenk ausleuchtete. Das leise Zischen verriet ihm, dass sich die Tür hinter ihm wieder schloss, damit Ben auf gleichem Wege hinauskam, wie er zuvor. Mike beschloss nicht groß auf ihn zu warten, denn dieser Spaziergang auf dem Meeresgrund war nichts Besonderes. Sie kannten diesen Ort gut. Es war eine gute Stelle, um ihre Käfige und Netze auszubringen, mit denen sie ihre Vorratskammer zu füllen pflegten. Regelmäßig liefen sie diese Stelle an, nahmen was das Meer ihnen gab und zogen dann ein Stück weiter.
Routine, sonst nichts, gar langweilig. Daher hatte er sich auch nicht groß darum gerissen, als die Aufgaben verteilt wurden. Das man ihn dann doch dafür wählte war auch nicht schlimm, er würde seine Arbeit erledigen und gut war es.
Jedoch schon beim nächsten Schritt bekam er das Gefühl, dass der Tag vielleicht doch nicht so eintönig werden würde, wie er gedacht hatte. Der kleines Zeh seines rechten Fußes begann schrecklich zu jucken.
„So ein Mist aber auch!“, fluchte er, weil es keine Möglichkeit gab, gegen das Jucken anzukommen. Sein Fuß steckte in einem dicken, klobigen Schuh, der zu ihrer Taucherausrüstung gehörte. Unmöglich den jetzt zu kratzen!
Tapfer versuchte er das nervige Empfinden zu ignorieren, jedoch drängte es sich ihm nur noch um so mehr auf. Daher versuchte er sich Erleichterung zu verschaffen, indem er mit dem Fuß im Sand scharrte. Vielleicht half das? Nein, mal so gar nicht. „Warum jetzt?“, entfuhr es ihm genervt. „Blödkram, aber auch.“ Aber er konnte froh sein, dass die Nase nicht auch noch anfing zu jucken. Mike seufzte, setzte seinen Weg fort und drehte sich zur Nautilus um.
Drei Meter hatte er geschafft. Sein juckender Fuß ließ ihn nutzlos werden. So würde er den ganzen Tag brauchen um die Netze und Fallen abzusuchen!
Blieb nur eines: Er musste Kratzen!
Umständlich beugte er sich nach vorne, versuchte sich zu bücken und vielleicht konnte er den Schuh etwas eindrücken, um sich so daran zu reiben? Keine Chance. Und der Anzug, der mindestens 20 Kilo wog, brachte ihn zu Fall. „Nein!“ Seine Stimme kippte über, so wie der Rest von ihm.
Da lag er nun im Meeresschlamm, während sein Anzug ihn so geschickt, wie eine Schildkröte auf dem Rücken, werden ließ. „Das ist gar nicht gut!“, murmelte er. Alleine war es schwer, sich wieder auf die Beine zu bewegen, wenn man erst mal lag. „Ben?“, rief er und hoffte, dass der Brite gleich bei ihm war und den Spott in der Nautilus ließ.
„Was ist das denn?!“, hörte Mike eine pikierte Stimme und blickte perplex nach vorne. „Was liegen hier Dosen auf dem Meeresgrund? Mitten in meinem Weg! Ich habe doch keine Zeit! Trinke meine Kaffee sogar to go!“
„Was?“ Mikes Stimme war nur ein Hauchen, während er blinzelte. Umständlich wischte er sich den Staub vom Visier, der anschließend in einem Nebel vor ihm aufstieg.
„Ja, steht er nun endlich auf und hört auf meinen Weg zu blockieren?! Ich habe keine Zeit!“ Der weiße Hase zog grimmig die Augenbrauen zusammen. Wie ein wütender Zwerg sprang er vor Mike auf und ab, stemmte die Pfoten in die flauschige Hüfte und begann schon wieder zu meckern. „Alles muss man selber machen!“ Damit schob er an Mike, bis dieser es schaffte sich zumindest auf den Knien aufzurichten. Das war schon mal die halbe Miete. Vielleicht schaffte er es nun doch ohne den mürrischen Ben?
Umständlich rappelte er sich auf, murmelte den Hasen ein „Entschuldigung“ zu und trat zur Seite.
„Schönen Tag noch!“, wünschte der Hase und lief los.
„Danke, gleichfalls!“, antwortete Mike. Dann erstarrte er. Hase? Sprechender Hase? Sprechender Hase auf dem Meeresgrund? „Moment!“, entfuhr es ihm und versuchte so schnell es ging in die gleiche Richtung zu laufen, in der das Tier verschwunden war. Wenn es denn wirklich da war, dachte er. Aber er hatte es ja sicher gesehen!
Nur leider war er nicht einmal ansatzweise so schnell wie das Tier. Der Anzug war zu schwer und das Wasser tat sein übriges. Gerade noch sah er das weiße Stummelschwänzchen unter einer Koralle verschwinden, da ließ er sich einfach auf die Knie fallen. Die Hände ausgestreckt erwischte er den Flauschegenossen gerade noch so, der aber war gar nicht begeistert.
„Was soll das?“, motzte er. „Habe ich die Dringlichkeit meines Zeitdrucks nicht klar ausgedrückt?!“ Er hielt Mike einen Pappbecher entgegen, der sich seltsamerweise nicht in den Wogen des Meeres auflöste. „Coffee to go“ stand darauf und „Caution! Content may be hot“. Das bezweifelte Mike allerdings. Das Meer war hier ziemlich kalt.
„Wie … kommt es … dass … du … sprechen kannst?“, stotterte Mike vollkommen fassungslos. Der Hase nahm einen großen Schluck aus dem Becher und schüttelte sich, als er sich die Zunge verbrannte.
„Wie hast du es gelernt?“ Der Hase seufzte. „Weißt du was, Mike. Wir können gerne morgen darüber philosophieren, wie intelligent und groß man zum Reden sein muss, aber heute habe ich Termine!“ Damit hielt er Mike eine große Taschenuhr vor die Glasscheibe des Visiers, dass es nur so krachte. „Gerne auch bei einer Tasse Kaffee, den genieße ich eigentlich nämlich lieber in Porzellan und nehme mir dazu Zeit. Aber keiner hat ja mehr Zeit! Aber es gibt ja Coffee to go! Also go, go,go!“ Damit sprang er in ein Loch unter den Korallen und war weg.
„Mike.“
„Mike!“, hörte er und blinzelte. Viel zu grelles Licht stach in seinen Augen und Schweiß lief über sein Gesicht. Er brauchte ein paar Minuten um zu begreifen, dass er nicht auf dem weichen Meeresboden, sondern auf dem blanken Metallboden der Nautilus, lag.
„Ich will meinen Kaffee nicht to go! Ich nehm mir lieber Zeit“, murmelte er, schloss die Augen wieder. Aber wer immer bei ihm war, ließ nicht locker.
„Mike! Mike, mach die Augen auf!“
Die Stimme klang ziemlich angespannt, daher entschloss er sich, der Aufforderung lieber zu folgen. Über ihm knieten Ben und Singh, die beide irgendwie gestresst aussahen.
„Na, ich glaube, du gehst heute nicht mehr raus“, meinte Ben mit einem schiefen Grinsen. Stöhnend rieb Mike sich über die Augen und stellte fest, dass er sich recht erschöpft fühlte.
„Was ist passiert?“, murmelte er.
„Du bist aus den Latschen gekippt“, teilte Ben ihm mit, während Singh ihm beim Aufstehen half. Als Mike an sich herabblickte stellte er fest, dass er gar keinen Taucheranzug trug. Jedoch war er in der Taucherkammer und dann erinnerte er sich wieder. Er wollte raus. War dabei gewesen sich fertig zu machen und dann war ihm plötzlich schwindelig geworden. Die Erleichterung, dass ihm das nicht auf dem Meeresgrund passiert war, legte sich wie eine warme Decke um ihn.
„Ich schicke Juan, damit er dir hilft“, richtete Singh das Wort an Ben und drehte sich mit Mike im Arm zum Gehen um. „Lass uns in den Salon gehen. Ich mach dir einen Kaffee und du legst die Füße hoch.“
„Ohja“,murmelte er. „Das ist um einiges besser, als ihn im Laufen zu trinken.“ Alles andere konnte nicht gut für die Gesundheit sein, jedenfalls wirkte der weiße Hase irgendwie krank. Er schüttelte den Kopf.
„Alles in Ordnung?“, fragte Singh, den Blick besorgt auf seinen Freund gerichtet. Nun musste Mike grinsen.
„Ich glaube schon. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich für morgen eine Einladung zum Kaffee bekommen habe.“ Oder vielleicht den Verstand verloren habe, fügte er in Gedanken hinzu und überlegte, ob er Singh von seinem verrückten Traum erzählen sollte. Jedenfalls war eines klar: Coffee to go klang wirklich ungemütlich und war wohl der erste Schritt zum Kontrollverlust. Gut, dass er alle Zeit der Welt hatte.