Sixty Minutes Challenge
28.07.2021
Intimität
Auf einem Schiff gibt es viele Regeln. Je kleiner es ist, umso mehr werden die Vorschriften, wenn das Zusammenleben in keinem Desaster enden soll. Das betrifft so einfache Dinge, wie das Sauber halten der Kabine, feste Zeiten, an denen die Mahlzeiten eingenommen werden und ein strenger Dienstplan, ohne den schnell heilloses Chaos herrschen würde.
Auf der Nautilus galt die Privatsphäre als höchstes Gut, sodass die Grenzen eines anderen stets eingehalten wurden. Eine verschlossene Kabinentür, war ein Siegel, das nicht von Fremden gebrochen wurde und es gab eine weitere Regel, die die Einnahme eines bestimmten Desserts betraf.
Mike lächelte, als er die perfekt gelungene Creme vor sich sah. Es fehlte nur noch das, was sie besonders machte und dafür brauchte er nichts anderes, als einen kleinen Hauch von Feuer, der den Zucker zu einer wundervollen Kruste werden ließ.
Die Flamme erlosch und Mikes Herz schlug einen Takt schneller. Mit zufriedener Miene stellte er die Schale auf das silberne Tablett, legte einen kleinen Teller auf sie und gab einen einzigen Löffel dazu. Er tat diese einfachen Dinge mit einer solcher Hingabe, dass es einem Ritual glich. Anschließend machte er einen Schritt zurück und begutachtete sein Werk: Es war perfekt.
Mike blickte auf. Ein Plakat, das jemand in der Kombüse aufgehängt hatte, nahm seine Aufmerksamkeit in Beschlag.
Mit einem Grinsen las er die Aufschrift darauf:
„Betreff: Crème brûlée. Trägt der Zubereitende den Namen Mike oder Ghunda Singh und ist diese Speise für einen von beiden bestimmt, so ist diese in der jeweiligen Kabine einzunehmen. Die Schiffsgemeinschaft dankt für den Erhalt ihrer Nerven.“
Mit einem Schulterzucken nahm er das Tablett auf und steuerte Singhs Kabine an. Es dauerte keine zwei Sekunden nach dem Klopfen und er wurde eingelassen. Wahrscheinlich war der zuckersüße Duft ihm vorausgeeilt.
„Wir sind auf die Kabine beschränkt“, gab Mike kokett von sich, als er Singhs Blick kreuzte nachdem dieser das Tablett neugierig gemustert hatte.
„So, ist es wieder so weit?“
„Mhm“, machte Mike und stellte das Tablett auf den kleinen Nachttisch.
„Ich musste heute morgen sogar daran denken, aber ich hatte mich nicht getraut dich zu fragen, ob du es mir zubereiten würdest.“ Mit einem Lächeln streifte Singh die Schuhe von den Füßen und ließ sich auf das Bett sinken. Dabei beobachtete er Mike, wie er den Teller von der kleinen Schale und den Löffel in die Hand nahm.
„Willst du oder soll ich?“, fragte der anschließend für den Fall, dass Singh ihr Ritual heute abändern wollte. Immerhin musste man um Erlaubnis fragen, auch wenn man schon lange zusammen war. Die Hingabe des anderen war nie so selbstverständlich, dass man sie egoistisch einforderte.
„Ich würde es ruinieren, wenn ich den Löffeln in die Hand nehmen würde“, gab Singh mit einem sanften Blick auf seinen Partner zu. „Immerhin würde dann die wichtigste Zutat fehlen: Intimität.“
Da konnte Mike nicht widersprechen.
Langsam stieß er mit dem Löffel in die feste Zuckerschicht, dass es nur so knackte und ließ dabei seinen Partner nicht aus den Augen. Dessen Pupillen weiteten sich und er begann sich unbewusst über die Lippen zu lecken, aber auch Mikes Vorfreude war groß.
Tiefer tauchte der Löffel ein, zu der zuckrigen Kruste kam nun auch feine Creme, die auf der Zunge zergehen würde. Aber vielmehr war es Singh, der unter seiner Zuneigung und ihrer geteilten Intimität zerfließen würde. Der Krieger, der nur hier und in diesem Moment, seinen weichen Kern zeigte und Mike durfte der einzige sein, der es sah.
Der gefüllte Löffel näherte sich den erwartungsvollen Lippen, tauchte ein, wo er liebend umschlossen wurde und wurde nicht losgelassen, ohne die führende Hand zu liebkosen. Dann begann es von vorn, bis das Feuer ihrer Leidenschaft sich aufgebaut hatte und das Dessert Nebensache wurde.