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[Inhalt: Jemand neues ist in Singhs und Mikes Leben getreten und stellt ihre Beziehung auf eine Bewährungsprobe.]
Bewährungsprobe
Mike war sich sicher, dass er gerade erst die Augen geschlossen hatte, aber das ohrenbetäubende Schreien ließ nicht länger zu, dass er sich ausruhen konnte. Grummelnd drehte er sich auf die andere Seite und wartete, dass es endlich aufhören würde. Bis ihm einfiel, dass er alleine in ihrer Kabine war. Singh hatte heute Nacht Dienst in der Kommandozentrale und achtete darauf, dass keine böse Überraschung das Schiff ins Unglück stürzte.
Seufzend schälte er sich aus seiner Decke. Wofür er drei Anläufe brauchte, weil sie sich immer wieder um seine Füße wickelte und einmal wäre er sogar fast aus dem Bett gestürzt. Man konnte sagen, dass er am Ende seiner Kräfte war. Aber was sollte er tun? Es nütze ja alles nichts.
Mit schlurfenden Schritten lief er zur Quelle des Krachs, die sich in einem kleinen Bettchen direkt neben seinem befand und holte das schreiende Bündel heraus. Das kleine, dunkle Gesicht war bereits rot angelaufen und reckte ihm wütend ihre winzigen Fäuste entgegen.
„Hey, schon gut. Ich bin ja da“, flüsterte er dem kleinen Mädchen zu. Aber die ließ sich davon nicht beeindrucken und schrie munter weiter. „Was ist los?“, sprach er müde und roch an der Windel. „Da ist alles in Ordnung“, teilte er ihr mit, nur schien sie das nicht so zu sehen. „Hunger vielleicht?“ Sanft streichelte er die kleine Wange, wodurch das Baby suchend den Kopf drehte und begann an Mike Handballen zu saugen. „Hunger, also“, schloss er und trotte so wie er war, in Unterhose und Hemd, mit dem Kind auf dem Arm in den Gang hinaus. Schon lange war es ihm egal, ob seine Kameraden sich dadurch gestört fühlen könnten und sie sagten auch nie einen Ton. Dennoch fühlte er sich permanent unter einer Anspannung, die er nicht einfach so ablegen konnte. Aber er wollte nicht zugeben, dass das hier ihn ermüdete. Vielmehr wollte er Singh den Rücken freihalten und ihm die Last nehmen, damit er den herben Verlust, den er erleiden musste, verarbeiten konnte.
Noch vor zwei Wochen hatte Mike gar nicht gewusst, dass Singh eine Schwester gehabt hatte. Bis sie per Funk den Notruf erhalten hatten. Sie hatten sich sofort auf den Weg gemacht, um seiner Schwester, die seine einzige lebende Verwandte war, zur Hilfe zu kommen. Doch leider zu spät. Sie starb und hinterließ ihre Tochter, Mastani.
Mike wusste, dass Singh sich große Vorwürfe machte. Er war wütend, dass er nicht mehr für sie tun konnten und Mastani nun allein auf dieser Welt sei. Aber allein war sie nicht. Sie hatte einen wunderbaren Onkel, der sich um sie kümmern würde.
Nur leider konnte er das in seiner Trauer nicht sehen. Daher war es Mike, der Mastani an sich nahm und ihr versuchte das zu geben, was plötzlich weggebrochen war. Die liebende Mutter, ein Zuhause, Geborgenheit.
Er tat es gern. Vielleicht auch, weil sie ihn irgendwie an ihn selbst erinnerte. Sie war eine Weise, wie er auch und das verband sie. Außerdem gehörte sie zu Singh.
Wenn er aber ehrlich war, war er restlos überfordert. Mastani schrie Tag und Nacht und er fand keine Ruhe. Mehrfach hatten seine Kameraden ihm angeboten sie ihm abzunehmen, aber bei den anderen schrie sie noch mehr. Zu der Müdigkeit gesellte sich die Sorge, dass das kleine Wesen unglaublich traumatisiert war. Und Singh zog sich immer mehr zurück.
Mike war sich sicher, dass seine Nähe ihr helfen würde, aber immer, wenn er sie zu ihm brachte, gefror seine Mimik und er suchte die Flucht. Zeit. Mike hoffte, dass er einfach Zeit benötigte. Aber noch vielmehr hoffte er, dass seine eigene Kraft bis dahin nicht aufgebraucht war.
Seufzend schaltete er das Licht in der Kombüse an und begann die Ziegenmilch zu erhitzen. Nachdem er sie umständlich in die Flasche gefüllt und die Temperatur kontrolliert hatte, lief er in den Salon. Sein ständiger Begleiter dabei war Mastanis Geschrei.
Mit letzter Kraft schaukelte er das kleine Würmchen, aber die Geste schien das Mädchen noch wütender zu machen. Normalerweise summte er eine Melodie für sie, flüsterte liebe Worte, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Heute brauchte er seine gesamte Energie, um einen Fuß vor den anderen zu setzen und nicht direkt wieder einzuschlafen.
Als er den Salon betrat, in dessen vorderen Bereich sich die Kommandozentrale befand, warf er einen schnellen Blick zu Singh. Dieser musste das infernalische Geschrei hören, aber er drehte sich nicht einmal herum.
Mike fühlte eine unglaubliche Wut auf seinen Freund und auch Scham, weil er eben diesen Zorn fühlte. Dennoch änderte es nichts daran, dass er sich alleingelassen fühlte. Er nahm das alles für ihn auf und es prallte an Singh ab. Mehr noch machte Mike sich langsam Sorgen um ihre Beziehung. Wieviel Kälte und Ignoranz würde die noch aushalten?
Nein, sie würden es schaffen. Ganz sicher. Sie waren schon in so vielen ausweglosen Situationen gewesen und er wollte, dass das kleine Mädchen eine Familie hatte. Singh und er würden ihre Familie sein. Er war sich sicher, dass es sie nicht stören würde zwei Väter zu haben. Und wenn sie doch weiblichen Beistand brauchte, gab es da ja noch Serena an Bord.
Nur wenn Singh langsam nicht aufwachte, würde er komplett ausgebrannt sein.
Mit einem weiteren Seufzen ließ er sich auf eines der Sofas sinken und setzte sich möglichst bequem hin, damit er Mastani länger auf seinem Schoß halten konnte. Dann kontrollierte er ein weiteres Mal die Temperatur der Milch und gab sie dem Mädchen, dass gierig an der Flasche nuckelte. Der Anblick ließ ihn lächeln und belohnte ihn für einen Moment, bis die Müdigkeit wieder unbarmherzig nach ihm griff. Mike spürte wie seine Arme schwer wurden und die Augenlider immer wieder zufielen. Aber er durfte nicht einschlafen. Was, wenn ihm Mastani herunterfallen würde.
Mit Gewalt zwang er sich wach zu bleiben, aber die Lider fielen wieder zu. Selbst wenn er die Augen offen hatte, sah er nur verschwommen. So müde war er. Mastani würde fallen …
Beinahe verständnislos sah er den Schemen an, der sich ihm und dem Baby näherte. Bis sie plötzlich aus seinen Armen verschwand. „Nein …“, murmelte er erschrocken, weil er dachte das kleine Mädchen stürzen zu sehen.
„Ist gut“, hörte Mike Singhs Stimme. „Ich hab sie.“ Dann nahm ihm jemand die Flasche aus der Hand und ein vertrautes Gewicht ließ sich neben ihm nieder. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Singh Mastani auf seinem Arm zurechtrückte und dann wurde er selbst diese Arme gezogen. Sich an Singh lehnend schloss er die Augen und seufzte wohlig, als ihm ein Kuss auf die Stirn gedrückt wurde. „Ich kümmere mich um sie. Schlaf jetzt und mach dir keine Sorgen.“
Lächelt ließ Mike sich von Mastanis schmatzenden Geräuschen und der Wärme der Umarmung in den Schlaf hinabgleiten. Und er wusste: Sie hatten diese Bewährungsprobe überstanden.