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[Inhalt: Mike hat seltsame Gefühle für seinen ehemaligen Leibwächter und bekommt Hilfe der felinen Art.]
Er war hier!
Natürlich war er hier, schalt sich Mike in Gedanken. Wie konnte es auch anders sein? Immerhin lebten sie auf einem Unterseeboot. Da gab es nun mal nicht viele Orte, wo er sein konnte.
Als vor vier Jahren ihr großes Abenteuer, auf der berühmten Nautilus begann, hätte er sich nie denken können, dass er sich einmal so unwohl hier fühlen würde.
Aber in den letzten Wochen, war sein Dasein an Bord des Schiffes einfach nur noch frustrierend. Es war kein Leben mehr!
Nein, es war ein einziges Versteckspiel! Und daran war nur er schuld.
Doch so leicht, wie die Wut in ihm brodelte, beruhigte er sich auch wieder und fühlte im nächsten Moment mit aller Heftigkeit sein schlechtes Gewissen.
Nein - es war nicht fair, Ghunda Singh für seine schlechte Laune verantwortlich zu machen, aber so war es für Mike eben leichter, mit all dem umzugehen.
Vorsichtig blinzelte Mike ein weiteres Mal durch die halb geöffnete Tür des Salons, in dem sie üblicherweise ihre Mahlzeiten gemeinsam einnahmen. Es war nun Zeit für das Mittagessen und er hatte schon zum Frühstück den Verschlafen-Trumpf ausgespielt, außerdem nagte großer Hunger an ihm.
Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als sich dem Unangenehmen zu stellen. Er musste den Raum betreten und mit Singh und den anderen Mittagessen.
„Also gut, Mike, du schaffst das!“, murmelte er leise zu sich selbst, machte einen entschlossenen Schritt nach vorne und prallte im nächsten Augenblick mit Singh zusammen.
Der Aufprall ließ ihn erschrocken zurücktaumeln und mit rudernden Armen suchte er nach seinem Gleichgewicht.
„Du schaffst was?“, fragte ihn Singh, der beherzt zugegriffen hatte, bevor Mike auf den Boden stürzen konnte. Vollkommen erschrocken, riss Mike sich los und funkelte ihn wütend an.
„Nichts!“, gab er trotzig zurück und es tat ihm sofort leid. „Was machst du eigentlich hier? Solltest du nicht beim Mittagessen sein?“
Wenn Singh irritiert oder gar beleidigt aufgrund von Mikes Tonfall war, so ließ er es sich nicht anmerken, denn als er antwortete, war er vollkommen ruhig.
Wie immer – dachte sich Mike. Es gab wohl nichts, was seinen ehemaligen Sikh-Leibwächter aus der Fassung brachte.
„Ich war auf dem Weg zu Euch, Herr. Ihr seid als Einziger noch nicht da gewesen und ich hatte Sorge, dass Ihr erneut verschlaft.“
Fassungslos riss Mike die Augen auf, aufgrund der Anrede, mit der der Inder ihn bedachte. Es war seit Jahren beinahe etwas wie ein Ritual zwischen ihnen geworden, dass Singh ihn immer wieder mit „Herr“ ansprach – als würde Mike ihn besitzen – und Mike ihm ebenso oft klar machte, dass er es nicht wollte.
Singh war einmal sein Diener, Leibwächter und quasi „Mädchen für Alles“ gewesen, so hatte es sein Vater bestimmt, aber Mike hatte Singh schon vor langer Zeit klar gemacht, dass er ihm nicht gehörte.
Er konnte also tun und lassen was er wollte. Hingehen wo er wollte. Und ihn um Gotteswillen nicht mit „Herr“ anreden!
Singh ignorierte eine Zeitlang seine Bitte immer wieder, aber irgendwann begriff er es.
Und jetzt fing er wieder damit an?
Machte Singh das mit Absicht?
War das eine Art von Scherz?
„Vergiss den Herrn“, brummte Mike, schob sich an Singh vorbei und setzte sich an seinen üblichen Platz.
„Ah, da bist du ja!“, begrüßte ihn Trautman und versuchte dabei besonders fröhlich zu klingen, sah ihn dann aber nur hilflos an, als er begriff, dass die gute Laune nicht übersprang.
Es tat Mike leid, denn ihr Kapitän – der gleichzeitig ihr Steuermann und für sie alle wie ein Ersatzvater war – gab sich wirklich alle Mühe.
Aber in den letzten Wochen, konnte einfach nichts Mikes Stimmung verbessern und so ganz begriff er selbst nicht was los war. Immerhin war die Nautilus sein Zuhause, auch wenn es hier zuweilen beengt sein konnte – obwohl sie kein kleines Schiff war.
Sie war nicht nur ein Schiff für ihn, das er von seinem Vater geerbt hatte, sondern das erste wirkliche Zuhause das er hatte, mit Menschen, die ihm viel bedeuteten.
Nachdem sein Vater – der niemand anderes, als der legendäre Kapitän Nemo war – verstorben war, wuchs Mike abwechselnd bei seinem Vormund in Indien und in einem englischen Internat auf. Das eine kam einer Heimat zwar nahe, war es aber nicht und das andere war anstrengend und nervig. Aber keines davon, war ein Zuhause.
Und dann verschlug es ihn mit ein paar Klassenkameraden ausgerechnet auf das Schiff seines Vaters, von dessen Existenz er vorher selbst nichts wusste, und mit Trautman, seinem Leibwächter Singh und der Atlanterin Serena, gewann er seine erste richtige Familie.
Umso mehr tat es ihm leid, wie er sie alle in letzter Zeit behandelte.
Er war ständig launisch, mürrisch und streitlustig und besonders für Singh tat es ihm leid, denn eigentlich mochte er den Inder sehr und die Freundschaft zu ihm war ihm sehr wichtig.
„Das war sehr gut!“, lobte Trautman das Essen, nachdem sie alle fertig waren und sah Ben lobend an. „Nach all den Jahren hätte ich nie gedacht, dass du es schaffst das Kochen zu lernen.“
Der junge Engländer grinste ihn stolz an und erntete einen Stoß in die Seite von Juan.
„Er hat mir geholfen“, sagte Ben und deutete auf den Spanier. „Ich hatte keine Lust noch eine Wache am Ruder zu übernehmen, weil ihr alle wieder wegen einer Lebensmittelvergiftung aus dem Gefecht gezogen seid.“
Alle fingen schallend an zu lachen und selbst Mike konnte ein kurzes Grinsen nicht verhindern.
„Ja gut. Wer hat eigentlich Abwaschdienst?“, fragte Trautman und Mikes Lächeln gefror mit einem Schlag.
„Ich bin dran“, meldete sich Singh, stand auf und begann eifrig ihr Geschirr zusammen zu räumen.
„Und wer noch?“, fragte Trautman in die Runde.
Mike sank auf seinem Stuhl zusammen und versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Das war eindeutig der schlimmste Tag der ganzen letzten Wochen, da war er sich sicher. Aber vielleicht würde ja Serena…
„Vergiss es“, hörte er die lautlose Stimme des Katers Astaroth in seinem Kopf. „Serena wird deinen Dienst nicht übernehmen. Nicht schon wieder. Vielleicht würde es dir einfach mal helfen, wenn du dich deinen Gefühlen stellst?“
Den Gefühlen stellen? Welchen Gefühlen, dachte Mike genervt und was wusste schon ein gedankenlesender Kater, der zehntausend Jahre auf dem Meeresgrund verbracht hatte, von Gefühlen?
„Anscheinend viel mehr als du.“
Mike beschloss den Kater jetzt ebenfalls zu ignorieren und hob so langsam er konnte seine Hand, nachdem Trautman noch einmal nach dem Dienst fragte.
„Ah Mike, schön“, meinte Trautman und Mike sah ihn genervt an, worauf hin er tief seufzte. „Ich würde wirklich gerne wissen, was mit dir los ist. Es untypisch für dich, dass du dich vor Arbeiten drückst.“
„Ich drücke mich doch gar nicht!“, begehrte Mike gereizt auf und nahm Singh das Tablett aus der Hand, wobei sich ihre Finger berührten. Erschrocken drehte er sich weg und stampfte dann so schnell er konnte zur Kombüse, bevor jemanden auffallen würde das er rot anlief. Manchmal war sein Körper ein Verräter, verfluchte er sich und er konnte genau fühlen, wie seine Ohren zu glühen begannen.
Wie sollte das nur weiter gehen?
Er konnte sich doch nicht die ganzen Jahre, die er auf der Nautilus verbringen würde, in seinem Quartier verstecken. Dabei verstand er noch nicht einmal, was mit ihm los war. Eigentlich mochte er Singh sehr gerne und er liebte es Zeit mit ihm zu verbringen. Und wenn wieder eines ihrer Abenteuer alles von ihnen abverlangte, so war es immer Singh, den er an seiner Seite wusste und mit dem er sich sicher war, alles überstehen zu können.
Doch irgendetwas war passiert.
Er wusste nicht wann, oder ob es einen bestimmten Auslöser gab, aber plötzlich war ihm die Anwesenheit Singhs unerträglich und gleichzeitig wünschte er sich eigentlich genau das.
Es war verrückt.
Seufzend stellte er das Tablett ab, ließ Wasser in die Spüle ein und versuchte mit aller Macht unsichtbar zu werden. Das wäre jetzt eine hilfreiche Sache, dachte er sich, besonders in dieser beengten Küche.
Oder endlich zu verstehen, was mit ihm los war.
„Was machst du denn da?“, hörte er Singhs Stimme hinter sich und erwachte aus seinen Überlegungen, um festzustellen, dass das Wasser schon fast am überlaufen war.
Mit einem halben Hechtsprung war Singh hinter ihn getreten und langte umständlich über Mikes Schulter nach dem Wasserhahn.
Nun berührten sich mehr als nur ihre Fingerspitzen und Mike musste dem Impuls widerstehen, sofort aus der Kombüse zu flüchten und sich in seinem Bett zu vergraben. Stattdessen erstarrte er vor Schreck und erlaubte sich nicht einmal zu atmen. Ein Kribbeln erfasste ihn und lief ihm heiß und kalt vom Nacken und zurück in seinen Bauch.
„Geht es dir gut?“, hörte er Singh fragen. „Du siehst blass aus.“
Mike erlaubte sich nur aus dem Augenwinkel zu Singh zu sehen, der Rest seines Körpers würde ihn nur verraten und war daher zu Untätigkeit verdammt.
Er sah gut aus, fand Mike. Sie waren fast gleich groß und Singh war durch sein jahrelanges Training gut gebaut, aber eben nicht zu muskulös. Eigentlich genau richtig, dachte Mike versonnen.
Was dachte er da eigentlich, schoss es Mike durch den Kopf und er steckte seine Hände in das Wasser, um zu schrubben was das Zeug hielt.
Und schrie im nächsten Moment auf: Das Wasser war kochend heiß.
„Mike?“, fuhr Singh herum und griff nach dessen geröteten Händen. „Hast du etwa nur heißes Wasser eingelassen?“
Prüfend sah er Mikes Hände an, schüttelte dann den Kopf und hielt sie unter den kalten Wasserstrahl.
„Sieht nicht schlimm aus, aber sie sollten gekühlt werden“, dabei strichen seine Finger über die Haut. Mike sah fasziniert zu und er war sich sicher, dass Singh seinen Herzschlag über die Haut seiner Fingerspitzen spüren musste. Als er aufsah, trafen sich ihre Blicke und Mike glaubte, sich geradezu in Singhs fast schwarzen Augen zu verlieren. Diesmal war er sich sicher, dass er errötete und das Singh es sah.
Doch entweder deutete er es falsch oder er war so taktvoll es nicht weiter zu beachten.
„Willst du wissen, was er denkt?“, hörte Mike Astaroths lautlose Stimme und stieß ein genervtes Brummen aus, woraufhin Singh ihn fragend ansah.
„Astaroth“, erklärte Mike mit einem Wort.
„Ich verstehe“, meinte Singh und lächelte dann. „Es ist sicher nicht immer einfach, dass du sein einziger Gesprächspartner bist.“
Mike grinste und vergaß dann fast, dass Singh immer noch seine Hand in seiner hielt und wenn er ehrlich war, genoss er den Moment.
„Naja, er ist wirklich sehr mitteilsam, daher ist es nie still in meinem Kopf und heute ist er irgendwie besonders nervig“, antwortete Mike, hatte aber das Gefühl, das ihr Gespräch nebensächlich war und Singh nicht wirklich mit ihm über Astaroth reden wollte. Und konnte es sein, dass Singh plötzlich näher an ihm stand, wie noch vor wenigen Sekunden?
Nervös jagten seine Gedanken durch seinen Kopf und dummerweise zog seine Ausweichtaktik nicht, da direkt hinter ihm die Anrichte war.
„Willst du nun wissen, was er denkt?“
„Gott, nein!“, stieß Mike aus, Singh sah ihn irritiert an und wich dann zurück.
„Also, daran bist du jetzt schuld“, sagte der Kater patzig in Mikes Kopf. „Ihr Menschen seid wirklich komisch und kompliziert.“
„Wir Menschen, mögen es einfach nicht, wenn man in unseren Köpfen herumschnüffelt“, setzte Mike, ebenso lautlos wie der Kater, das Gespräch fort. „Ich habe dir schon so oft gesagt, dass du unsere Gedanken nicht lesen sollst und ja, auch Singhs Gedanken sind privat.“
****
Wenn Mike ehrlich war, wusste er nicht, wie er es geschafft hatte, dass am Ende des Tages tatsächlich das Geschirr gespült war. Aber was er sicher wusste war, dass er froh war wieder in seinem Quartier zu sein und er wieder ein Kreuz in den Kalender machen konnte.
Er lag jetzt schon seit Stunden in seinem Bett und obwohl er todmüde war, schaffte er es einfach nicht einzuschlafen. Zum gefühlt tausendsten Mal wälzte er sich herum, neugierig sah er sich seine Hand an und strich darüber, so wie Singh es vor Stunden getan hatte.
Ein wohliger Schauer breitete sich tief in seinem Bauch aus. Er schloss die Augen und vergrub das Gesicht in den Händen, als ein tiefer Seufzer sich seiner Kehle entrang.
Es ging einfach nicht mehr.
Er konnte sich nicht mehr davor verschließen oder es leugnen: er liebte und genoss diese kleinen Berührungen und er wollte mehr davon. Vielmehr, als es normal war.
Auf keinen Fall durfte jemand erfahren, wie er dachte und fühlte – und erst recht nicht Singh. Sie würden ihn dafür verurteilen, denn immerhin war es nicht normal so zu fühlen und er traute sich nicht einmal, es im Kopf auszusprechen.
„Was, das du dich zu einem Mann hingezogen fühlst?“, meldete sich Astaroth in seinem Kopf. „Was ist denn daran so schlimm?“
Eigentlich hatte Mike keine Lust mit einem Kater darüber zu reden, obwohl Astaroth keine normale Katze war, sondern ein hochintelligentes Wesen – wobei Mike nicht wirklich wusste, was Astaroth genau war.
War er eine Katze, mit dem Bewusstsein eines Menschen?
„Willst du mich beleidigen?!“
Der Kater kam aus einer dunklen Ecke angeschossen und stellte sich drohend vor dem Bett auf, doch Mike war kein Stück beeindruckt, auch nicht als Astaroth mit seiner Schimpftirade fortfuhr.
„Da komme ich zu dir, um dir in deiner Verwirrtheit deiner jugendlichen Findungsphase zu helfen, und der Herr hat nichts anderes zu tun, als mich zu beleidigen!“
„Okay, okay“, beschwichtigte Mike den Kater. „Du hast nichts, aber auch gar nichts, von einem Menschen. Zufrieden?“
„Fürs erste, ja, und ich will nicht so streng mit dir sein. Immerhin kannst du nichts für die Dummheit deiner Spezies.“
„Oh, na vielen Dank“, gab Mike säuerlich zurück und fragte sich, wie ihm das helfen sollte. „Was soll ich denn jetzt nur tun?“
Mike hatte das Gesicht wieder in den Händen vergraben, wenn er ehrlich war, tat es gut mit jemanden darüber zu sprechen, auch wenn es ein Kater war. Er würde sonst noch platzen, aufgrund seiner aufgestauten Gedanken und Gefühle.
Es war schwer solche Sorgen zu haben und sie mit niemanden teilen zu können. Zwar vertraute er seinen Freunden hier auf der Nautilus blind, aber auch sie waren in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der das, was er nun fühlte unter Strafe stand.
Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war wohl nicht die beste Zeit, um festzustellen, dass man einen Mann liebte.
„Endlich hast du es begriffen“, seufzte Astaroth und Mike konnte schwören, dass der Kater versucht hatte, sein einziges Auge zu verdrehen. Er wusste gar nicht, dass Katzen so etwas können.
„Was meinst du?“, fragte Mike. „Das ich quasi eine Straftat begehe, nur weil ich fühle, was ich fühle?“
„Nein, du Depp. Das du ihn liebst.“
„Und wie soll mir das jetzt weiterhelfen?“, brummte er verärgert. Jetzt wusste er zwar was er fühlte, sah sich aber nun der Tatsache entgegen, dass seine Sehnsüchte nie erfüllt werden würden.
„Da du es mir ja verboten hast, lese ich die Gedanken der anderen nicht mehr. Jedoch bin ich mir ziemlich sicher, dass es hier eine Person gibt, mit der du durchaus darüber sprechen könntest.“
Der Kater hatte es sich jetzt auf Mikes Kopfkissen gemütlich gemacht, sodass Mike nun halb mit seinem Kopf in der Luft hing und sich verärgert aufsetzte.
Typisch Katze, dachte Mike, da stellte man ihnen ein Körbchen hin; und was taten sie? Nehmen dir den letzten Freiraum, den du noch hast.
„Ach ja? Und wer soll das sein?“
„Singh.“
„Ich wusste es!“, fuhr Mike auf. „Du willst mich verkohlen und nimmst mich gar nicht ernst!“
„Oh nein, das ist mein voller Ernst. Mit ihm wirst du sicher darüber sprechen können und immerhin ist er das Objekt deiner Begierde.“
Bei dem Wort „Begierde“ konnte Mike nicht anders und lief tiefrot an.
„Aber genau deswegen kann ich doch gerade mit ihm, nicht darüber sprechen!“
Er würde Singh nie wieder in die Augen sehen können, wenn er wusste was er fühlte und vor allem, was er sich wünschte. Singh würde gar nicht anders können, als Abscheu vor ihm zu empfinden. Ganz zu schweigen davon, wie es dann danach weiter gehen sollte. Er würde unmöglich auf der Nautilus bleiben können, wenn die anderen wüssten, welche kranken Gedanken er hatte.
Und der Rest der Welt würde ihn dafür einsperren, oder zu Tode foltern.
„Eure Gesetze sind das einzige, was krank ist und ich verstehe nicht, wie ihr euch bis hier entwickeln konntet und dabei noch so engstirnig sein könnt. Ich meine, hochentwickelt seid ihr nicht gerade, aber ihr habt wirklich jeden Bezug zur Natürlichkeit verloren. Es ist erwiesen, dass das, was dir als krank anerzogen wurde, in der Natur ganz natürlich vorkommt. Zum Beispiel bei Pinguinen…“
„Ich bin kein Pinguin!“, schrie Mike, riss seine Tür auf und warf den schmollenden Astaroth raus. Ben, der gerade zu seinem Quartier lief, sah ihn stirnrunzelnd an und fing an zu lachen.
„Ich wusste immer das bei dir eine Schraube locker ist, aber dieses Gespräch hätte mich wirklich interessiert“, feixte der junge Engländer.
Mike blitzte ihn böse an und knallte die Tür wieder zu. Er konnte nur hoffen, dass der Schlaf ihn schnell überrollte.
****
Wenn Mike geglaubt hatte, der vergangene Tag sei schlimm gewesen, so hatte er sich getäuscht, wie noch nie in seinem Leben. Was konnte schlimmer sein, als mit Singh in der engen Kombüse der Nautilus zu stehen?
Oh ja, die Tauchkammer! Der wohl kleinste Raum der Nautilus, in den mit Ach und Krach zwei erwachsene Männer passten.
Vor wenigen Stunden hatten sie ein Riff in der Nähe der indischen Küste angelaufen, da sich ihre Vorräte dem Ende zuneigten und hier gab es einige der besten Algen und Unterwasserpflanzen, die die Natur zu bieten hatte.
Es war erstaunlich welche Fülle an Nahrung das Meer lieferte, nur leider mussten sie, um ihr Lager wieder zu füllen, das Schiff verlassen. Es war eine Routinemission, aber ungefährlich war es nicht sich in den Tauchanzügen auf dem Meeresgrund zu bewegen, daher hatte Trautman Singh mit dieser Aufgabe versehen.
Immer wenn etwas gefährlich werden konnte, war Singh der beste Mann für die Sache und er schreckte auch nie davor zurück. Aber es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass nie einer von ihnen alleine zu einer Mission aufbrach und so war es ausgerechnet Mike, der heute Singh helfen sollte. Und er war sich sicher, dass Trautman mit Absicht ihn ausgesucht hatte, da er meinte, Mike würde sich um Aufgaben drücken.
Hier stand er nun, nur in Unterwäsche und schielte interessiert zu Singh herüber, der sich so eben die warme Wäsche überzog und dann begann in den schweren Taucheranzug zu steigen. Es war ein Anblick, der sich lohnte, fand Mike, auch wenn er durch sein Starren riskierte aufzufallen. Aber er konnte sich einfach nicht von Singhs muskulösem dunklen Körper abwenden. Wie gerne würde er sich jetzt an ihn kuscheln, um zu wissen, wie er sich anfühlte.
„Hast du vor halbnackt in den Taucheranzug zu steigen?“, fragte Singh, Mike zuckte erschrocken zusammen und konnte regelrecht fühlen, wie der Inder ihn von oben bis unten musterte. Singhs Mundwinkel bewegten sich kein Stück, aber Mike war sich sicher in seinen Augen ein Glitzern zu sehen, wie er es bei ihm noch nie wahrgenommen hatte.
Konnte es sein, dass er Spaß daran hatte ihn aufzuziehen?
Singh kam ihm in seinem Anzug langsam entgegen, hielt ihm den wollenen, schwarzen Unteranzug hin und Mike konnte schwören, dass er ihn keine Sekunde aus den Augen ließ, während er sich anzog.
Allein die Vorstellung, ließ es in seinem Bauch heftig kribbeln und er zwang sich schnell an etwas anderes zu denken. Bestimmt wollte Singh nur sichergehen, dass er den Anzug richtig anlegte. Etwas anderes steckte mit Sicherheit nicht dahinter und er war verrückt so etwas zu denken.
Aber das Gespräch gestern mit Astaroth hatte ihn nachdenklich gemacht.
Warum dachte der Kater, dass ausgerechnet Singh derjenige war, mit dem er über das Thema reden könne?
Sie überprüften gegenseitig die Verschlüsse ihrer Helme, stiegen dann gemeinsam in die enge Tauchkammer und Singh schloss gewissenhaft die Tür. Doch bevor Mike den Schalter betätigen konnte, der einen Druckausgleich herbeiführte und die Kammer mit Wasser flutete, hielt Singh ihn auf.
„Warte!“, hörte Mike Singhs Stimme in seinem Helm und er sah ihn fragend an.
Ohne eine Erklärung hob Singh die Hände an Mikes Helm und sah den Verschlussmechanismus kritisch an, dann schüttelte er den Kopf, ließ jedoch die Hände wo sie waren.
„Ich dachte, der Helm sei nicht richtig verschlossen“, erklärte er, nahm schließlich sehr langsam die Hände weg und drückte den Schalter, sodass das Wasser sprudelnd in die Kammer strömte.
Verwirrt sah Mike ihn an. Singh hatte die Verschlüsse bereits kontrolliert gehabt, dass er sich irrte und etwas doch nicht in Ordnung war, kam nie vor.
Verstohlen musterte er Singh und stellte fest, dass ein leichtes Lächeln seine Lippen umspielte und es funkelte wieder auf diese seltsame Art in seinen Augen, als sich ihre Blicke trafen.
Als die äußere Tür sich öffnete und den Blick auf das offene Meer preisgab, stieg Singh zuerst aus, drehte sich dann zu ihm herum und reichte ihm lächelnd seine Hand.
„Lust auf einen Spaziergang?“, fragte er und Mike war so sprachlos, dass er ohne zu zögern danach griff.
Singh sprach im Allgemeinen recht wenig. Er war eher der verschlossene und ernste Typ, dass er nun so locker und humorvoll mit ihm Smalltalk hielt, war äußerst seltsam.
Wenn Mike es nicht besser wüsste, hätte er gesagt, dass Singh mit ihm flirtete.
Er musste lachen und schüttelte den Kopf, eine Bewegung, die nur in seinem Helm war, aber von außen nicht gesehen werden konnte, jedoch hatte er das Mikrofon in seinem Helm vergessen.
„Was ist so lustig?“, fragte Singh, leuchtete mit seiner Lampe in die Richtung des Algenfeldes und lief los.
„Nichts“, warf Mike schnell ein und versuchte Singhs Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. „Du scheinst dich sehr darüber zu freuen, hier draußen Unterwassergärtner zu spielen.“
„Mhm“, machte Singh, begann damit Algen und einige andere Pflanzen einzusammeln und reichte Mike ebenfalls einen Seesack, damit dieser es ihm gleichtat. „Das liegt daran, dass du hier draußen nicht vor mir weglaufen kannst.“
„Was?“, entfuhr es Mike. „Ich … ich laufe nicht vor dir weg.“
„Ach nein?“, Singh sah kurz von seiner Arbeit auf, fuhr dann aber umso verbissener fort. „Du gehst mir seit Wochen aus dem Weg und ich weiß nicht warum. Ich versuche schon seit Tagen eine Gelegenheit zu bekommen, dich zur Rede zu stellen, aber entweder verschwindest du gleich wieder oder wir sind nicht alleine.“
Singh schwieg kurz. Mike konnte fühlen das er ihn ansah und stürzte sich noch tiefer in seine Arbeit.
„Eigentlich wollte Trautman, dass ich Juan mitnehme, aber ich habe ihn überzeugt, dass es besser ist, wenn du mich begleitest. Was ist los mit dir, dass ich dich auf den Meeresgrund zerren muss, damit du mit mir redest?“
„Es ist nichts“, wich Mike ihm aus und arbeitete schneller, um irgendwie aus dieser unangenehmen Situation herauszukommen. Wenn er ehrlich war, spürte er schon wieder Wut in sich aufsteigen, dass Singh das alles hier so geplant hatte, um ihn dann so ins offene Messer laufen zu lassen. Warum ließ er ihn nicht einfach in Ruhe?
„So? Du ignorierst mich seit Wochen wegen nichts? Tut mir leid, aber das kann ich dir nicht glauben!“
Singhs Stimme klang äußerst zornig und auch das war total untypisch für ihn. Es kam immer wieder mal an Bord der Nautilus zu Unstimmigkeiten und Singh mischte sich nie ein, oder bedrängte einen gar. Das er nun sogar diesen kleinen Plan geschmiedet hatte, um Mike hier draußen zur Rede zu stellen, war unbegreiflich.
„Ich glaube wir haben genug gesammelt“, erklärte Mike, nahm die Säcke auf und drehte sich ohne auf Singh zu achten um. Mit wütenden Schritten stampfte er zur Nautilus zurück. Im ersten Moment rechnete er damit, dass Singh ihn aufhalten würde, doch dann sah er, dass er ebenfalls seine Fracht geschultert hatte und es ihm gleichtat.
Sorgfältig schichteten sie die Ladung in der Tauchkammer, damit Juan und Ben sie im Schiff ausladen konnten und warteten dann quälende Minuten, bis die Schleuse für sie wieder frei war. Mike stand mit verschränkten Armen da und versuchte Singh zu ignorieren, der ihn böse anblitzte.
Nur noch wenige Minuten, dachte Mike, dann hätte er es geschafft. Er musste jetzt nur noch mit Singh in die Kammer steigen, dann würde er sich so schnell wie möglich umziehen und dann konnte er sich in der hintersten Ecke des Schiffes verkriechen.
Also nur noch kurz durchhalten.
Mit einem dumpfen Schlag schloss Singh die äußere Tür und die Automatik fing sofort damit an das Wasser abzupumpen.
Bereits als das Wasser gerade einmal bis zu ihren Schultern abgeflossen war, riss Singh sich mit einer schwungvollen Bewegung den Helm vom Kopf.
„Was ist los mit dir?“, blaffte er ihm sichtlich erregt entgegen und Mike, der ebenfalls seinen Helm abgenommen hatte, schüttelte nur den Kopf.
„Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen?“, schoss er zurück.
Als das Wasser komplett verschwunden war, drehte er sich um und wollte die innere Tür öffnen. Aber es ging nicht.
Auch als Singh es versuchte, bewegte sich die Tür kein Stück.
„Na toll“, murmelte der Inder und drückte den Knopf für die Sprechanlage, jedoch kam auch hier keine Reaktion.
„Ich versuche es über Astaroth“, meinte Mike und rief in Gedanken nach dem Kater.
„Ganz ruhig, ihr zwei“, hörte er den Kater in seinem Kopf. „Ich fand Singhs Idee eigentlich ganz gut und dachte mir, dass es nur einen Ort gibt, wo du wirklich nicht weglaufen kannst. Also, wenn ihr das geklärt habt, lasse ich euch raus.“
„Das kannst du nicht ernst meinen, Astaroth! Na warte, wenn ich hier rauskomme, ziehe ich dir das Fell über die Ohren!“, grollte Mike, doch Astaroth ließ ein leises Lachen ertönen.
„Wir wissen beide, dass du das nicht tust.“
Er musste Singh nicht großartig übersetzen, was der Kater gesagt hatte, doch schien der Inder weniger verärgert zu sein als Mike.
„Also gut“, meinte sein ehemaliger Sikh-Leibwächter nur.
Singh hatte neben seinem Helm, nun auch die dicken Handschuhe ausgezogen und ließ sich an der Wand in eine bequeme sitzende Position gleiten. Helm und Handschuhe verstaute er dann zwischen seinen gespreizten Beinen und sah Mike auffordernd an.
Dieser seufzte, tat es ihm dann aber gleich. Er hatte ja keine Wahl und die ganze Zeit in dem schweren Anzug zu stehen, war keine schöne Vorstellung.
Dumm war nur, dass der Raum so eng war, dass er kaum verhindern konnte, dass sich ihre Beine berührten.
Schüchtern sah er Singh an, er wusste nicht wie er sich verhalten sollte. Keine seiner Bewältigungsstrategien funktionierte hier: Er konnte nicht weglaufen, noch so tun, als sei Singh nicht da und mit Aggressivität kam er auch nicht weiter.
„Habe ich irgendetwas getan, dass dich verletzt hat?“, fragte Singh ruhig, der ebenfalls eingesehen hatte, dass er nicht weiterkam, wenn seine Gefühle überkochten.
„Nein“, sagte Mike leise und sah betreten zu Boden.
„Aber warum behandelst du mich dann so, als hätte ich es?“
Singh sah ehrlich verletzt aus und Mikes Herz krampfte sich zusammen, das Letzte was er wollte, war ihm weh zu tun. Und trotzdem tat er es die ganze Zeit.
Mike atmete verkrampft aus und stützte den Kopf gegen die Hände.
„Es tut mir leid“, sagte er erstickt. „Ich wollte dir nicht weh tun, aber ich kann dir einfach nicht den Grund sagen.“
„Versuch es! Was es auch ist, du kannst es mir sagen“, meinte Singh, doch Mike schüttelte energisch den Kopf.
„Das geht nicht. Verstehst du nicht? Du würdest mich hassen, wenn ich es dir sage.“
Der Inder sah ihn ernst an und nickte dann langsam.
„Okay, ich bin ehrlich gesagt langsam mit meinem Latein am Ende, aber es gibt eine Sache die ich noch probieren würde.“
Fragend hob Mike seine Augenbrauen und Singh lächelte ihn verschlagen an.
„Wenn es das nicht ist, dann werde ich wohl die Nautilus verlassen müssen oder wir ignorieren uns einfach weiter“, meinte Singh und arbeitete sich dann ächzend auf seine Knie, was in der Enge der Kammer und aufgrund des Anzuges nicht einfach war.
„Was hast du vor?“, fragte Mike nervös, als Singh ihm immer näherkam. Doch der Inder ignorierte ihn vollkommen, griff mit einer Hand nach Mikes Nacken und hob mit zwei Fingern der anderen sein Kinn an.
„Was …“, begann Mike, doch der Rest blieb ihm im Hals stecken, als Singhs Lippen sich auf seine legten.
Die Berührung war beinahe nur flüchtig, brannte aber so heiß auf seinen Lippen, das ihm schwindelte.
„Ist … ist das das Problem, oder muss ich meine Sachen packen?“, fragte Singh und Mike sah zum ersten Mal seid sie sich kannten Verunsicherung in ihm.
Aus verklärten Augen sah er Singh an und war nur in der Lage zu nicken, mehr wollte sein Körper ihm irgendwie nicht gestatten.
„Das ist ein Ja für …?“, fragte der Inder verwirrt und wurde in der nächsten Sekunde in so eine feste Umarmung gezogen, dass er in dem schweren Anzug das Gleichgewicht verlor und sich gerade noch mit einem Arm an der Wand abstützen konnte.
Sie wussten nicht, wie lange sie in dieser Position verharrten, aber als der Türmechanismus sich mit einem Klicken entriegelte, taten ihnen sämtliche Muskeln weh.
„Passt auf, ihr bekommt gleich Besuch. Trautman fragt sich schon wo ihr bleibt.“
Mit knappen Worten, berichtete Mike was Astaroth gesagt hatte und Singh half Mike umständlich auf die Füße. Mike streckte ächzend seine schmerzenden Glieder und nach der Beengtheit der Tauchkammer, kam ihm der Vorraum beinahe riesig vor.
Astaroth hatte nicht gelogen, sie waren kaum aus der Schleuse getreten, als Trautman schon den Raum betrat und sie stirnrunzelnd ansah.
„Wo bleibt ihr zwei eigentlich die ganze Zeit? Ich hatte versucht euch zu rufen, aber die Sprechanlage war tot“, er stockte kurz. „Warum habt ihr die Anzüge noch an?“
Mike drehte sich halb herum und deutete mit dem Daumen seiner rechten Hand auf die Schleusenkammer hinter ihnen.
„Wir waren da drin“, sagte er dann sachlich.
Trautman, der seinem Blick gefolgt war, machte große Augen.
„Wie? Die ganzen letzten zwanzig Minuten?“
„Die Tür hatte sich aus unbekanntem Grund verriegelt und ließ sich nicht mehr öffnen“, log Singh, ohne rot zu werden – wobei es auch nur eine halbe Lüge war.
„Oh mein Gott“, fuhr ihr Kapitän auf. „Ihr müsst total durchgefroren sein!“
„Eigentlich nicht, es war total kuschelig“, warf Mike ein und zuckte mit den Achseln. „Aber ich würde nun schon gerne aus dem Tauchanzug raus.“
Irritiert von Mikes plötzlicher guter Laune, sah Trautman von einem zum anderen, nickte dann schließlich nur.
„Gut. Singh und ich werden das später überprüfen, aber wenn ihr hier fertig seid, dann kommt ihr erst mal in den Salon und trinkt einen heißen Tee“, damit drehte er sich wieder um und ging, somit waren die beiden endlich wieder alleine.
„Dir ist klar, dass du nachher eine komplett funktionstüchtige Tauchkammer auseinandernehmen und wieder zusammensetzen musst?“, fragte Mike.
Seufzend begann Singh sich aus dem schweren Anzug zu schälen. Der schwarze Wollanzug folgte direkt hinterher und anstatt sich seine Kleidung anzuziehen, lief er auf Mike zu und öffnete dessen Anzug.
„Ich weiß, ich werde Astaroth später danken“, meinte Singh und schob ihm den Anzug von den Schultern, wobei sich Mike nun sicher war, dass er mit Absicht seine Haut berührte und es jagte ihm wohlige Schauer über den Rücken.
Schüchtern lächelte Mike Singh an. Er war froh darüber, dass Singh ihn nicht verurteilte, aber er hätte nie gedacht, dass der Inder anscheinend seine Gefühle erwiderte. Wenn er ehrlich war, wusste er noch immer nicht so wirklich wohin mit sich, aber etwas hatte sich erneut verändert. Er war nicht mehr alleine.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als sich ihre Lippen erneut trafen. Er spürte den sanften Druck und den warmen Atem auf seiner Haut; und es war ein wunderschönes Gefühl. Zuerst fühlte er sich unsicher, da es – auch wenn er bereits zwanzig war – erst sein zweiter Kuss war, doch schnell merkte er, dass er sich fallen lassen und Singh führen lassen konnte.
Schließlich begann Mike in Singhs Armen zu zittern und das nicht nur aus Erregung, sondern eher, weil es nun wirklich kalt geworden war.
„Ich glaube, wir sollten Trautmans Angebot mit dem Tee annehmen“, meinte Mike und sah an sich herunter. „Und uns vorher etwas anziehen.“
Singh nickte und reichte ihm seine Kleidung, während er sich ebenfalls schnell Hose und Hemd überzog und sah ihn dann nachdenklich an.
„Ich habe übrigens vorhin mitbekommen, wie du mich angestarrt hast“, meinte er dann grinsend und genoss sichtlich wie Mike errötete.
„Was? Ich hab dich nicht angestarrt. Ganz sicher nicht“, stotterte er verlegen und Singh zog ihn an seinem Hosenbund an sich heran.
„Also, ich habe dich angestarrt“, meinte Singh dann ganz ungeniert und ließ Mike im nächsten Moment komplett sprachlos stehen.
Diese Seite an Singh war im neu, aber er mochte sie sehr.
Als sie im Salon ankamen und Trautman ihnen jeweils eine heiße Tasse in die Hand drückte, bemerkten sie erst, wie durchgefroren sie waren. Doch so gut er auch tat – der heiße Tee war nebensächlich – und sie versuchten so schnell wie möglich einen Grund zu finden, um sich von den anderen absondern zu können. Und dass so unauffällig, wie es auf einem beengten Schiff ging.
Verstohlen warfen sie sich immer wieder Blicke zu. Besonders Singh hatte Schwierigkeiten, da Trautman ihn in ein Gespräch über die „defekte“ Tauchkammer verwickelt hatte und er keine Gelegenheit fand, um den Salon zu verlassen.
Genervt verdrehte Mike die Augen. Er hatte schon darüber nachgedacht, einfach zu sagen, dass er müde war und dann in sein Quartier zu gehen, aber das half nur ihm und nicht Singh. Auf der anderen Seite konnten sie den Salon auf keinen Fall zusammen verlassen, das war zu Auffällig.
Aber vielleicht konnte Astaroth ja helfen?
„Ach, jetzt auf einmal? Vorhin in der Tauchkammer hast du dich noch beschwert.“
Mike seufzte innerlich, dieser Kater konnte so zickig sein. Warum hatten die alten Atlanter, der im Tiefschlaf liegenden Serena keinen Hund als Bewacher gegeben? Das hätte einiges vereinfach für ihn, dachte sich Mike.
„He! Soll ich dir jetzt helfen oder nicht?“, hörte Mike den Kater. „Undank, ist der Welten lohn! Das hab ich jetzt davon, dass ich euch zusammengebracht habe.“
Der Kater schwieg eine Weile und tat so, als würde er schlafen, doch Mike kannte ihn zu gut.
„Jetzt verschwinde schon in dein Quartier. Ich mache das hier schon.“
Ausgiebig streckte sich Mike und gähnte dann übertrieben, sodass Singh ihm heimlich einen fragenden Blick zuwarf. Mike konnte ihn seinen Augen deutlich das `lässt du mich hier jetzt alleine? ´ sehen und machte eine verschwörerische Geste auf Astaroth.
Er nickte ihm zu und Mike verabschiedete sich dann zum Schlafen.
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Als er vor wenigen Minuten noch im Salon war, da hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als mit Singh alleine zu sein. Jetzt wo er hier war und wusste, dass der Inder bald zu ihm kommen würde, hatte er beinahe Angst davor.
Er konnte absolut nicht sagen wieso, doch plötzlich überforderte ihn die Vorstellung einfach. Was sollte er Singh sagen, wenn er hier war?
Er schloss die Augen und erinnerte sich an den Kuss in der Tauchkammer. Es war wunderschön gewesen, noch schöner als er es sich je vorgestellt hatte und nur daran zu denken ließ ihn beinahe in Flammen stehen.
Aber wie würde es jetzt weiter gehen?
Was erwartete Singh jetzt von ihm?
Mike wollte nichts lieber als mit Singh zusammen zu sein, doch jetzt wo sein Wunsch in Erfüllung ging, hatte er Angst dem nicht gewachsen zu sein. Er schämte sich zwar fast für den Gedanken, aber was war, wenn Singh das alles nur aus Pflichtgefühl getan hatte, um ihm einen lang ersehnten Wunsch zu erfüllen?
Nein, er schüttelte den Kopf und schämte sich sogleich, so über Singh gedacht zu haben. Der Inder versuchte zwar immer, ihm so gut es ging jeden Wunsch von den Augen abzulesen, aber das würde er dann sicher doch nicht tun, wenn nicht mehr dahinterstecken würde.
Beruhigt war Mike trotzdem nicht.
Konnten sie beide es schaffen, eine ernsthafte Beziehung zu führen? Denn immerhin trennten sie zehn Jahre und Mike hatte bedenken, dass Singh ihn auf lange Sicht nicht als gleichwertigen Partner ansehen würde, sondern immer als seinen jungen Schutzbefohlenen.
Was wenn Singh seiner schnell überdrüssig werden würde?
Nervös lief Mike auf und ab. Vor wenigen Stunden hatte er gedacht, dass endlich alles gut war, nun war er sich nicht mehr sicher, ob nicht alles schlimmer geworden war.
Es klopfte und er erstarrte mitten in der Bewegung. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, aber er musste sich endlich entscheiden, was er tun sollte.
Unter Qualen vergingen weitere Sekunden und schließlich klopfte es erneut. Nein, er konnte Singh unmöglich da draußen stehen lassen und wer weiß, was Astaroth veranstaltet hatte, damit sich der Inder davonstehlen konnte.
Kurz entschlossen lief er zur Tür, drückte die Klinke herunter und lief dann schnell zurück und lehnte sich verkrampft gegen den kleinen Tisch in seinem Zimmer.
„Was war los?“, fragte Singh, nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte. „Hast du es dir anders überlegt?“
Mike sah in betroffen an.
„Nein … Nein, ich … ich hatte geschlafen“, brachte er stockend hervor und beobachtete Singh, wie dessen Blick analytisch zu Mikes Bett wanderte. Es war tadellos gemacht und nicht eine Falte warf sich in die Decke.
Fragend hob Singh eine Augenbraue und lief zu ihm herüber.
„Wo denn? Auf dem Fußboden?“, er seufzte. „Müssen wir noch mal vor die Tür?“
Mike musste unwillkürlich lachen; er wusste gar nicht, dass der sonst so stille Singh so humorvoll war und war gespannt was er sonst noch über diese Seite von ihm erfahren würde. Aber das würde er nur, wenn er all seinen Mut zusammennahm und ehrlich mit ihm über alles sprach, was ihn bedrückte.
„Was denkst du, was das zwischen uns ist?“, fragte er und war froh die Worte herausgebracht zu haben, schaffte es jedoch nicht Singh dabei anzusehen.
Mike sah starr auf den Boden, bis er plötzlich auf Singhs Schuhe sah und realisierte, dass der Inder direkt vor ihm stand.
Er hob, wieder auf die gleiche Art wie in der Tauchkammer, seinen Kopf an und allein diese kleine Bewegung reichte aus, um Mikes Sinne beinahe komplett zu vernebeln.
„Was willst du denn, dass es ist?“
Mike spürte wie ihm das Blut in den Kopf schoss und er schloss und öffnete den Mund wieder, vollkommen perplex.
„Ehrlich gesagt, ist das alles für mich extrem verwirrend. Ich meine, ich verstehe meine eigenen Gefühle nicht mehr.“
Singh nickte verstehend und setzte sich neben ihn auf den Tisch.
„Ich verstehe dein Problem und glaub mir, es ist normal so zu fühlen.“, Singh machte eine Pause und lächelte Mike aufmunternd zu. „Es ging mir nicht anders, als ich damals in deiner Situation war. Wenn man merkt, dass man anders ist und der Rest der Welt einen dafür verurteilen will, dann ist es zunächst schwer das zu akzeptieren.“
Mike sah ihn aufmerksam an und ließ dann schließlich, etwas mutiger geworden, den Kopf gegen Singh Schulter sinken.
„Wenn du noch Zeit brauchst, dann verstehe ich das“, meinte Singh und nahm Mikes Hand in seine.
Den Moment vollkommen genießend schloss Mike die Augen.
„Wie war es bei dir?“, fragte er schließlich, die Augen nach wie vor fest verschlossen und atmete Singhs Geruch ein.
Singh zuckte mit den Schultern.
„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich war allein, ich brauchte eine Weile um es zu verstehen und der Rest war eher körperlich, keine wirkliche Liebe bis jetzt.“
Mike nickte und öffnete dann schlagartig die Augen, als ihm klar wurde, was Singh ihm gerade gesagt hatte.
„Keine wirkliche Liebe bis jetzt?“, wiederholte er perplex. „Soll das heißen du…?“
In Singhs Augen trat ein warmer Ausdruck und seine Mundwinkel schnellten nach oben, als er nickte.
„Ja, das soll es heißen. Ich liebe dich, Mike.“
Das Herz schlug Mike bis zum Hals und ohne, dass er es hätte verhindern können, stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen.
„Ich laufe dir nun schon seit gut einem Jahr hinterher, wenn du also noch etwas Zeit brauchst, dann kann ich damit leben“, erklärte Singh erneut und Mike sprang auf, als hätte ihn etwas gestochen.
„Ein Jahr? Du liebst mich seit einem Jahr?“, fuhr Mike fassungslos auf und wurde im nächsten Moment wieder an Singh herangezogen, wodurch er jetzt zwischen dessen Beine stand.
Die Erkenntnis war zu viel für Mikes Verstand, der stets alles zerdenken wollte und nun mutiger geworden drückte er Singh den ersten Kuss auf, der von ihm ausging. Hungrig erwiderte der Inder den Kuss, ließ seine Hände zu Mikes Po hinabgleiten und drückte ihn fest an sich. Als Mike überrascht aufkeuchte, fuhr er mit seiner Zunge über dessen Lippen, um dann zwischen sie zu gehen.
Als Mike Singhs Zunge in sich spürte, war er im ersten Moment komplett überrascht und verschränkte dann jedoch seine Hände in Singhs Nacken, um ihre Berührung noch zu intensivieren. Mutiger geworden stieß er ihm seine Zunge entgegen und strich sanft Singhs Nacken hinab. Mike konnte fühlen, wie sich die kleinen Härchen an Singhs Nacken aufstellten und sah erschrocken auf, als der Inder sich plötzlich vom Tisch gleiten ließ, auf dem er bis eben gesessen hatte.
Hatte er etwas falsch gemacht, fragte sich Mike.
Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, hob Singh ihn hoch, drehte sich mit ihm um die eigene Achse und setzte ihn auf den Tisch ab. Grinsend sah er auf ihn herab, nahm dann schließlich wieder Mikes Lippen gefangen und drückte ihn während des Kusses auf die Tischplatte herab.
Widerstandslos ließ Mike es geschehen und seufzte tief in den Kuss, seine Sinne waren bereits komplett vernebelt und er wollte nur noch diese Berührungen fühlen.
Mit einer Hand stütze Singh sich neben ihm ab, die andere wanderte zu Mikes Hals und legte sich leicht auf seine Kehle.
Es war eine einfache Geste, aber sie ließ Mike seinen letzten Zweifel über Bord werfen und er krallte seine Finger in Singhs Haar. Er war dabei recht grob, aber Singh schien es nichts auszumachen, es schien ihn im Gegenteil sogar noch mehr zu erregen.
Singhs Hand wanderte langsam weiter und verschaffte sich geschickt Einlass in Mikes Hemd. Seine Fingerspitzen streichelten sanft sein Schlüsselbein entlang, während sein Mund zu Mikes Ohr wanderte und der heiße Atem ihm schier den Verstand rauben wollte.
Mike konnte nicht verhindern, dass er laut aufstöhnte und biss sich erschrocken auf die Lippe, um den Laut zu ersticken.
Sofort legten sich Singhs Lippen wieder auf seine, um dann im nächsten Moment sanft den Kopf zu schütteln.
„Mach das nicht, ich will dich hören“, raunte er ihm zu und widmete sich dann erneut der kleinen Stelle hinter Mikes Ohr, von der er gerade gelernt hatte, dass sie ihn verrückt machte, wenn man ihr nur genug Aufmerksamkeit schenkte.
Genießerisch schloss Mike die Augen, als Singh sich seinen Hals hinabküsste und schloss besitzergreifend die Beine um seinen Körper. Schließlich wanderten Singhs Lippen zurück zu seinen und sie versanken wieder in einem intensiven Kuss.
Vollkommen außer Atem trennten sich schließlich ihre Lippen und Stirn auf Stirn sahen sie sich in die Augen.
„Das war etwas zu intensiv, dafür das ich dir Zeit versprochen habe“, lächelte Singh ihm zu und Mike fühlte deutlich die Beule, die sich in dessen Körpermitte gebildet hatte. Zwar ging es ihm nicht viel anders, doch war das eine Thematik, die ihn schon noch nervös machte.
Und wieder konnte er sich auf Singhs Feingefühl verlassen.
„Keine Sorge, das eilt nicht“, sagte er und blickte an sich herab. „Und der beruhigt sich auch wieder, da habe ich Erfahrung mit.“
Aus verklärten Augen sah Mike ihn an.
„Ich brauche keine Zeit mehr, um zu wissen was ich fühle“, sagte er, setzte sich auf und schlang die Arme erneut um Singh. „Ich liebe dich.“
In Gedanken dankte Mike Astaroth, ohne den Kater wäre es wohl nie so gekommen.
„Dein Kater, dein Freund und Helfer“, hörte er Astaroth in seinem Kopf – er las also doch schon wieder seine Gedanken. „Ach übrigens, du brauchst nie wieder Geschirr zu spülen. Ihr habt keines mehr.“
„Warum haben wir kein Geschirr mehr?“, entfuhr es Mike laut und Singh fing an zu lachen, was Mike mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte.
„Astaroths Ablenkungsmanöver: Er sprang auf einmal wie ein Irrer auf den Tisch und ließ alles zu Bruch gehen, was er finden konnte.“
„Und das gesamte Geschirr war auf dem Tisch?“
Singh zuckte mit den Achseln.
„Nein, nein“, meinte Astaroth. „Aber ich dachte mir, was ich angefangen habe, dass bringe ich zu Ende. Wie mit euch beiden.“
ENDE