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[Inhalt: Als die Crew der Nautilus im Dschungel eine ungewöhnliche Entdeckung macht, wird Mikes gesamtes Leben aus der Bahn geworfen.]
Ich hörte ihre Stimmen schon von weitem, drehte mich verwundert um und blinzelte aufgrund des Sonnenlichts, das mich blendete. Ben und Chris kamen aus dem Wald gestürmt. Vollkommen aufgeregt und ohne die Bananen, die sie eigentlich ernten sollten.
Verwirrt tauschte ich einen Blick mit Trautman, der auf einem kleinen Felsen saß und die Füße im feinen, warmen Sand des Strandes vergraben hatte.
„Was ist passiert?“, rief Singh alarmiert. Der Inder lief den beiden jungen Männern entgegen, die heftig außer Atem waren.
„Wir … haben ...“, begann Chris, der sich auf seinen Knien abstützte und schwer Luft holte. „Etwas gefunden“, beendete Ben den Satz. Auch er war fix und fertig – die beiden mussten gerannt sein, als sei der Teufel hinter ihnen her.
„Ja, offensichtlich keine Bananen“, stichelte Juan, der zusammen mit Serena das kleine Beiboot der Nautilus mit den bisher gesammelten Vorräten bepackt hatte. In diesem hatte sich bereits der Kater Astaroth, der keine normale Katze war, zum Schlafen zusammengerollt und damit war die gesamte Besatzung der Nautilus versammelt.
„Juan!“, ermahnte Trautman den jungen Spanier und sah dann die anderen beiden besorgt an. „Jetzt noch einmal ganz in Ruhe: Was war los?“
„Wir waren im Dschungel, um wie besprochen die Bananen zu holen. Und … als ich auf den Baum rauf bin, da hab ich es gesehen.“
„Was gesehen?“, drängte Trautman Chris endlich klar zu sprechen, aber diesmal war es Ben, der antwortete.
„Ich weiß es nicht genau. Es muss recht groß gewesen sein, aber so genau kann ich das gar nicht sagen. Es sah ziemlich kaputt aus. Vielleicht war es ein Schiff ...“
Zweifelnd sah ich Ben an und auch die anderen sahen sehr verwirrt drein. „Ein Schiff?“, wiederholte ich was Ben gesagt hatte. „Im Dschungel?“
„Ja, was weiß ich?! Vielleicht hat die Flut es dahin gebracht, aber eines ist klar: Es ist da!“ Wild fuchtelte Ben mit den Armen in der Luft herum und deutete immer wieder in den Wald hinein.
„Ist ja gut, Ben. Ich glaube dir.“ Auffordernd sah Trautman Singh an, der sofort nickte. „Singh und ich werden uns das ansehen. Ben, du führst uns hin und ihr bleibt hier am Strand.“
Es folgte ein allgemeiner Protest der übrigen Besatzung, denn jeder war neugierig auf den geheimnisvollen Fund im Dschungel. Als nach einer ausführlichen Diskussion ihm trotzdem alle folgten, seufzte Trautman resigniert.
„Aber wir bleiben alle dicht zusammen und dass mir keiner von euch vor rennt! Habt ihr mich verstanden?!“
Begeistert nickten alle und sie konnten es kaum erwarten, zu sehen, was Chris und Ben so in Aufregung versetzt hatte.
Sie liefen keine 20 Minuten durch den Dschungel, als Ben plötzlich stehen blieb.
„Da vorne muss es sein!“
Trautman nickte und winkte Singh zu, der ihm folgte und vorsichtig das Gestrüpp beiseite schob.
„Mein Gott, was ist das?!“, stieß ich aus und sah direkt in Trautmans Gesicht, das mich erst verblüfft und dann schon mehr wütend ansah.
„Du solltest da hinten bei den anderen warten!“, stieß er zornig aus. „Hört hier eigentlich überhaupt jemand auf mich?!"
Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern, während Singh leicht die Hand hob und nun waren auch die anderen meinem Beispiel gefolgt. Das Objekt vor uns war wirklich recht groß. Es bestand aus einem weißen Metall und war zum Teil von Büschen und Lianen überwuchert. Vermutlich musste es hier schon eine Weile herumliegen und offensichtlich war es begehbar.
„Es ähnelt beinahe ...“, murmelte Serena, schüttelte dann aber den Kopf. Nun sprach aber Chris seinen Verdacht aus.
„Meint ihr, es ist so eine Art Flugobjekt?“
„Wie eine fliegende Untertasse?“, fragte Juan etwas ins Lächerliche gezogen, aber mit belegter Stimme. Sie hatten tatsächlich schon einmal eine Flugscheibe aus dem Weltall gesehen und dies hier, kam dem wirklich nahe.
„Lasst uns rein gehen!“, rief Ben aus und war im nächsten Moment durch die offene Luke verschwunden.
„Ben! Nein! Komm zurück!“, schrie Trautman ihm hinterher, während er und der Rest der Besatzung dem Engländer folgten.
Die Luke, durch die sie kamen, führte zu einer weiteren Tür, die sich automatisch vor ihnen öffnete. Das Innere war genauso fremdartig, wie die äußere Hülle und obwohl alles kurz und klein geschlagen war, ging sofort ein dämmriges Licht an. Eine Seite des Raumes, in dem sie sich befanden, war vollgestopft mit technischen Konsolen und Bildschirmen. Viele davon waren zerbrochen, aber einiges sah noch vollkommen intakt aus. Was ein Wunder war, so wie es hier drinnen aussah.
Auf der anderen Seite befand sich ein großer runder Tisch mit vier Stühlen darum, die wohl kreuz und quer im Raum gelegen hätten, wenn sie nicht im Boden festgemacht gewesen wären. Darunter lag etwas, das aussah wie ein Stofftier. Ich ging hin und hob es auf, konnte aber absolut nicht sagen, was es darstellen sollte. Vielleicht eine Krake oder etwas, was noch nie ein Mensch gesehen hatte.
„Ist das Licht gerade von alleine angegangen?“, sagte Juan entgeistert. Trautman wollte ihm antworten, als plötzlich eine Stimme durch den Raum hallte.
„... hier abgestürzt … haben schwere Schäden erlitten ...“
„Was war das?“ Serena sah sich suchend im Raum um und sah dann Trautman fragend an, der sichtlich zitterte.
„Geht es Ihnen gut, Trautman?“, fragte ich, doch der Steuermann der Nautilus sah an mir vorbei zu Singh. Auch dieser war deutlich blass geworden. „Was ist los?“
„Diese Stimme“, brachte Singh mühsam hervor. „Das ist ...“
„... auf uns wurde geschossen ...“, ertönte die Stimme wieder und Trautman folgte ihr, um die Quelle zu finden. „... haben das Haupttriebwerk verloren. Die Gravitation des Planeten zog uns an … mussten notlanden …“
Wie erstarrt blieb Trautman vor einem der Monitore stehen und ich erkannte bei näherem Hinsehen, dass ein verzerrtes Bild darauf zu sehen war. Es flackerte immer wieder und kurz rissen Bild oder Ton ab, aber es war da.
Der Mann, der ihnen entgegenblickte, hatte eine heftige Schramme auf der Stirn und schien ziemlich angeschlagen zu sein. „Ich weiß nicht warum“, fuhr der schwer verletzte Fremde fort. Er schloss die Augen und für einen kurzen Moment dachte ich, er sei vielleicht ohnmächtig geworden. „Ich habe sie mehrfach gerufen, aber keine Antwort erhalten.“
Ein schrilles Schreien und Wimmern ertönte aus dem Hintergrund, woraufhin der Mann heftig zusammenzuckte und sich keuchend in die Höhe stemmte. Er verschwand kurz aus dem Bild und so wie er lief, musste es ihm sehr schlecht gehen.
Aber es gab nichts, was wir hätten tun können. Es war eine Aufzeichnung, da war ich mir jetzt sicher und wer weiß, wie alt sie war. Betroffen sah Trautman mich an und auch Singhs Blick zeigte eine Mischung zwischen Fassungslosigkeit und Bedauern. Ich verstand nicht, warum sie mich so ansahen und zuckte mit den Achseln. Gerade als Trautman den Mund aufmachte, um etwas in meine Richtung zu sagen, erschien der Mann wieder im Bild.
Er hielt jetzt einen, wohl erst wenige Wochen alten, Säugling im Arm, der bereits unter seinen Schreien rot anlief. Der schwarzhaarige Mann lehnte sich in seinem Sessel weit zurück, streichelte und küsste das Baby immer wieder über den Kopf und schien einer Bewusstlosigkeit absolut nahe zu sein. Mit halb geschlossenen Augen versuchte er zu sprechen, schaffte es aber erst, als er sich so etwas wie eine Spritze in den Arm rammte.
Die braunen Augen, die irgendwie ein vertrautes Gefühl in mir auslösten, klärten sich wieder und auch die Stimme wurde wieder deutlicher. Unbewusst krallten sich meine Finger um das Stofftier, als er fortfuhr. „Wir sind die einzigen Überlebenden.“ Die Augen gingen für einige Sekunden ins Leere, dann blinzelte er die Tränen weg und sah erneut in die Kamera. Es musste ihm wahnsinnig viel Kraft abverlangen. „Meine Frau Tarah und mein ältester Sohn Ravindra starben beim Aufschlag. Ravi löste seinen Gurt ...“ Der Mann stockte wieder und es war, als würde er eher vor sich hin murmeln und nicht jemanden anderes seine Geschichte erzählen. „Er hatte Angst – wie wir alle – und wollte zu seiner Mutter. Tarah hat versucht ihn aufzuhalten und dann … Es ging so schnell. Ich konnte nichts tun.“
Der Säugling war mittlerweile auf seiner Brust eingeschlafen und das Bild löste so eine Ruhe in mir aus, dass es mich verängstigte. Verwirrt ließ ich den Blick über die Gesichter meiner Freunde wandern. Ben und Juan sahen ebenso verwundert drein, wie ich. Kein Wunder, wir standen hier und hörten einem Mann zu, der berichtete von den Sternen gefallen zu sein.
Serena weinte und auch Chris schien den Tränen nahe, aber am meisten verunsicherten mich Trautman und Singh. Die beiden sahen so betroffen aus, als hätten sie den Mann gekannt.
„Ich weiß nicht, ob jemals jemand diese Nachricht empfangen wird. Das Kommunikationssystem ist zum großen Teil zerstört und die Reichweite nur noch begrenzt.“ Er seufzte. „Ich wundere mich, dass hier überhaupt noch etwas funktioniert. Aber bleiben können wir nicht. Ich habe, noch von der Luft aus, eine Siedlung gesehen.Vielleicht ist da jemand, der uns helfen kann. Wir werden uns bis dort durchschlagen und hoffen auf das Beste.“
Ich schluckte, nicht nur, weil es nicht so aussah, als wäre der Mann in der Lage irgendwo hinzugehen, sondern, weil er mir so sonderbar vertraut vorkam. Mit einem flauen Gefühl im Magen drückte ich das Stofftier an mich. Es schien mir einfach Richtig zu sein.
„Wir sind weit weg von Zuhause und ich weiß nicht, woher ich die Kraft nehmen soll. Aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass Dakkar eines Tages seine Heimat sehen wird.“
Erschrocken richteten sich jetzt nicht nur die Augen von Trautman und Singh auf mich – sondern alle. Während ich mich fühlte, als wäre mir gerade das Herz stehen geblieben.
Dakkar. Das war mein Name!
Auch, wenn alle mich Mike nannten. Den Namen, den mein Vater wählte, um meine wahre Identität geheimzuhalten und mich in einem britischen Internat anzumelden. Ich sollte leben wie ein normaler Junge und nicht, wie ein indischer Prinz, der ich angeblich war.
Nun erkannte ich, dass selbst das eine Lüge gewesen war. Ich war …
Ich war nicht zum ersten Mal hier und es war, als hätte ich plötzlich die Seiten getauscht. Nun starrte ich mich von der anderen Seite des Bildschirms an.
Ironischerweise stellte ich fest, dass das Baby (Ich!) wieder wach war und in diesem Moment direkt in die Kamera sah. Es gluckste zufrieden und seine kleinen Finger umklammerten das Stofftier, welches auch ich gerade hielt.
Und das, obwohl gerade seine (meine!) Mutter und sein (mein!) Bruder gestorben waren. Es kuschelte sich an den Mann, der niemand anderes als mein Vater – Kapitän Nemo – war und ich begann unkontrolliert zu zittern. Ich fühlte mich, als hätte man mir gerade den Boden unter den Füßen weggezogen und wenn man es genau betrachtete, dann war genau das passiert.
Was war schlimmer, als zu erfahren, dass man nicht der war, für den man sich hielt? Vermutlich zu wissen, dass die Welt, auf der man lebte, nicht die eigene war.
Ich rannte.
Ich hörte, wie die anderen nach mir riefen, aber ich konnte nur laufen. Weglaufen vor der Wahrheit, der ich nie mehr entkommen würde.
- Ende Teil 1 -