[Inhalt: Nach den Wochen in Lemura haben Singh und Mike nicht nur äußerliche Wunden, die es zu pflegen gilt. Zusammen versuchen sie das Erlebte zu verarbeiten.]
[Beitrag zu einer Challenge: "1 Beginn, 1 Ende, 1 Wort" mit dem Wort "Zauber"]
[Wer zufällig die Bücher kennt: Setting: im Anschluss an Operation Nautilus Band 9 „Die Stadt der Verlorenen“, Rating: 16+]
„Ich kann nicht glauben, dass er uns mit diesem Zauber so schaden konnte“, hörte er Singhs Stimme hinter sich und zuckte erneut zusammen, als dessen Finger über seinen Rücken fuhren. Mike nickte bitter, er hatte in den letzten Tagen einfach nur gehandelt und nicht zugelassen, dass sich seine Gefühle in den Vordergrund stellten.
Doch jetzt wo sie wieder in Sicherheit an Bord der Nautilus waren, realisierte er durch welche Hölle er in den letzten Monaten gegangen war. Aber er hatte das Unterwassergefängnis, welches Lemura war, überlebt und sie hatten sogar ihr Schiff zurück. Es würde nur eine Weile dauern bis sie alle wieder die Alten waren, wenn das überhaupt möglich war.
„Wenn ich dagewesen wäre, hätte ich nicht zugelassen, dass sie dich so zurichten“, sagte Singh jetzt und in seiner Stimme schwang ein bedrohlicher Ton mit, während seine Hände nun sanft an Mikes Seite entlangstrichen. Dabei konnte er nicht verhindern, dass er erneut darüber erschrak wie dünn er geworden war. Beinahe jeden Knochen in Mikes Körper konnte er spüren und auch wenn er es nicht zugab: An Mikes fahrigen Bewegungen konnte er sehen, wie schwach er war.
„Wenn du da gewesen wärst, hätte man dir ebenfalls das Gedächtnis genommen. Du hättest nicht gewusst wer du eigentlich bist, noch wer ich bin. Du hättest mir sicher nicht helfen können.“
Mike vergrub das Gesicht in den Händen und fühlte sofort die Scham, über das, was er gerade gesagt hatte. Er wollte Singhs Gewissen beruhigen, aber so wie er es sagte, klang es eher wie eine Anschuldigung.
Singh schwieg. Schmierte die letzten Narben, die die Peitschenhiebe hinterlassen hatten, mit Salbe ein und wickelte dann sorgfältig einen Verband um Mikes Oberkörper.
„Es wäre besser gewesen, als in diesem Kerker zu sitzen und zu wissen das du da draußen bist“, sagte Singh schließlich stockend. „Und zu wissen, dass du leidest.“
Mike kuschelte sich vorsichtig an ihn – jede Bewegung wohl überlegt, da sein ganzer Körper sich in einen einzigen Schmerz verwandelt hatte – während Singh sorgfältig die warme Decke über sie ausbreitete.
Singh hatte beschlossen die Nacht bei ihm zu schlafen, aus Angst aufzuwachen und festzustellen, dass er immer noch in der Kerkerzelle in Lemura war. Wo Argos ihn immer und immer wieder aufsuchen würde, um ihm zu erzählen welche harten Arbeiten Mike in den Minen von Lemura verrichten musste und wie die Wächter nur zu gerne ihre Peitschen zu spüren gaben.
Das alles war schlimm genug. Aber das blanke Entsetzen packte ihn, als Argos ihm demonstrierte wie einfach er Singhs Aussehen annehmen konnte, um Mike so zu täuschen. Er hatte so gut es ging versucht nicht an Mike zu denken und daran was er für ihn fühlte, aber es war unmöglich seine Gedanken vor einem Mann wie Argos, der Magie beherrschte, zu verbergen.
Der Atlanter musste ihn nur ansehen, um seine Gedanken lesen. Jeden Wunsch, den er je hatte, aber auch jeden wunden Punkt. Und seine Schwachstelle war Mike.
Lächelnd registrierte Singh wie Mike auf seiner Brust regelmäßig zu atmen begann und streichelte ihm sanft über das Gesicht. Ein Gedanke ließ ihn seitdem einfach nicht los. Hatte Argos Mike etwas in seiner Gestalt angetan?
Er traute sich nicht ihn zu fragen und erinnerte sich mit einem flauen Gefühl an Mikes Blick, als sie sich nach ihrer Befreiung wiedersahen. Das erste was er machen wollte war Mike in seine Arme zu schließen und ihn nie wieder loszulassen. Jedoch war er sofort stehengeblieben, als er den Ausdruck von Panik in Mikes Augen gesehen hatte. Doch sofort hatte dieser wieder angefangen zu lächeln und Singh dachte, dass er sich getäuscht haben musste. Aber Mike lag stocksteif in seinen Armen und schien erleichtert, als er ihn wieder losließ.
Was war nur vorgefallen, fragte sich Singh und bereute es, seinem Impuls nicht gefolgt zu sein und Argos jede Narbe und jedes Hämatom, welches Mike davongetragen hatte, heimzuzahlen.
„Es tut mir leid“, hörte er Mike leise sagen und seine Hand erstarrte über Mikes Haar.
„Ich dachte du schläfst“, flüsterte er zurück, hauchte ihm einen Kuss auf den Kopf und genoss, wie Mike sich enger an ihn kuschelte. „Wie meinst du das?“
„Dass ich deine Hände mit seinen verwechselt habe und mich so von ihm habe täuschen lassen.“ Mike stockte, suchte sichtlich nach Worten und Singh spürte, wie sein Hals ganz trocken wurde. Argos hatte doch nicht etwa in seiner Gestalt …?
Nein, daran wollte er gar nicht denken, doch das nagende Gefühl ließ ihn einfach nicht los und das was Mike ihm erzählte, bestärkte ihn nur in seinem Verdacht.
„Deine Hände sind viel sanfter als seine und es tut mir leid, dass ich ihn auch nur eine Minute für dich gehalten habe“, hörte Singh ihn sagen und ihn beunruhigte nicht nur das was er sagte, sondern wie er es sagte.
Mit einem Ruck setzte er sich auf, sodass Mike erschrocken von ihm zurückprallte.
„Was hat er getan?“, presste Singh hervor und bereute im gleichen Moment den aggressiven Ton in seiner Stimme. Wahrscheinlich hatte er Mike damit jetzt endgültig verschreckt und dieser würde ihm gar nichts mehr sagen. Aber die Vorstellung, wie Argos ihn angefasst hatte, machte ihn so wütend, dass er sich kaum zügeln konnte.
Beschämt war Mike von ihm weggerückt, schlang die Decke eng um sich und sah zu Boden. Singhs Herz klopfte ihm bis zum Hals. Glaubte Mike jetzt, dass er in der Lage wäre gewalttätig ihm gegenüber zu sein? Würde er jedes Mal, wenn er ihn berührte den Singh sehen, den Argos ihm gezeigt hatte?
Er musste es wissen. Musste klären was in Lemura passiert war, bevor es sich zwischen sie stellte. Wenn das nicht schon geschehen war.
„Mike, hat er …?“
Nein, er konnte es einfach nicht aussprechen.
Mike sah ihn ernst an, dann schüttelte er den Kopf und Singh atmete erleichtert auf. Zu früh, wie sich herausstelle.
„Du … er … hat Dinge gesagt, die ziemlich wehtaten. Mir hätte da schon klar sein müssen, dass das unmöglich du sein kannst. Aber woher hätte ich denn wissen sollen, dass er in der Lage war deine Gestalt anzunehmen?“, fuhr Mike fort und in Singh baute sich bereits wieder die Wut auf. „Als ich dir in diesem Lager begegnete, war ich einfach nur froh mein Gedächtnis wieder zu haben und nicht mehr alleine zu sein. Ich hätte beim ersten Anzeichen misstrauisch sein sollen, dann wäre es vielleicht nie so weit gekommen.“
Betreten saß Singh neben Mike und nahm vorsichtig seine Hand – auf Ablehnung gefasst – doch Mike verschränkte sofort seine Finger in seine.
„Aber du hast mich auch gerettet, obwohl du nicht da warst“, sagte er dann und lächelte Singh an, als dieser fragend die Augenbraue hob. Mike zuckte mit den Schultern, atmete tief ein und beschloss solange zu reden, bis alles raus war. Wenn er jetzt noch länger darüber nachdenken würde, würde es sich tief in ihn hineinfressen und ihn irgendwann kaputt machen.
„Deine Frage vorhin: Er hat es versucht. Als ich nicht wollte, wurde er wütend und aggressiv.“
Mike stockte und deutete an die Hämatome an seinem Hals. „Das war er. Ich dachte er bringt mich um und war verzweifelt, wie jemand sich in so kurzer Zeit so verändern kann. Doch dann erinnerte ich mich, was du mir beigebracht hast und konnte ihn abwehren. Er versuchte es danach nie wieder und ich glaubte, dass du irgendwie unter Argos´ Einfluss stündest. Dass es von Anfang an er selbst war, hätte ich nie gedacht.“
Außer sich vor Wut sprang Singh auf und lief zur Tür. Doch bevor er die Klinke ganz herunterdrücken konnte, warf Mike sich gegen die Tür.
„Was hast du vor?“, rief er alarmiert und erschrak, als er den Ausdruck im Gesicht des Inders sah.
„Ich muss in die Kontrollzentrale“, meinte er nur ernst und drängte sich an Mike vorbei. Dieser war so perplex, dass er für einige Sekunden nur dastand und ihm dann beinahe schon panisch nachlief. Mike hatte ein ganz mieses Gefühl.
Kurz vor der Wendeltreppe, die ins Innere des Schiffes führte, hielt er Singh auf.
„Und was wirst du tun, wenn du da bist? So in Rage, wie du gerade bist?“, fragte Mike flüsternd, um nicht die Aufmerksamkeit ihrer Freunde auf sich zu lenken. Die befanden sich wahrscheinlich einige Decks unter ihnen im Salon, aber man konnte ja nicht wissen.
„Ich werde das Schiff wenden! Wir fahren zurück nach Lemura und dann bekommt Argos was er verdient!“, Singhs Stimme bebte regelrecht vor Wut. „Und jetzt las mich gehen.“
Mike seufzte. Zog Singh dann schließlich hinter sich her, in eines der leeren Quartiere und schloss fest seine Arme um ihn. Er konnte nicht anders, aber in ihm breitete sich ein Gefühl von Freude aus. Das Singh so die Fassung verlor, zeigte ihm, wie sehr er ihn liebte und doch musste Mike ihn jetzt vor einem schweren Fehler bewahren.
„Und was willst du Trautman sagen, warum du nach Lemura zurückwillst? Denkst du er wendet einfach die Nautilus, wenn du ihm sagst, dass du Argos töten willst?“
„Mir ist egal was Trautman dazu sagt! Argos hat dich angefasst – und er hat es so aussehen lassen, als wäre ich es – und dafür wird er bezahlen!“
Es flackerte in den Augen des Inders. Obwohl seine Stimme noch viel Wut verriet, spürte Mike auch, wie ihn langsam die Energie verließ. Daher drückte er ihn weiter fest an sich, bevor er etwas tun würde, dass er später bereute.
„Argos wird bezahlen. Nicht nur dafür was er mir antat, sondern auch für alles, was sein Volk erleiden musste. Er hat keine der Kristalle mehr und somit keine magischen Kräfte. Sein Volk wird bald erkennen wie er sie manipuliert hat“, erklärte Mike und sah Singh dann fest in die Augen. „Es ist nicht deine Aufgabe ihn zu bestrafen. Das wird sein Volk wahrscheinlich schon getan haben. Vielleicht lebt er nicht einmal mehr.“
Es glänzte feucht in Singhs Augen, als er Mikes Wange sanft berührte und die Stirn gegen seine drückte.
„Aber mir reicht ein Vielleicht nicht aus. Nicht nachdem er uns wochenlang wie Marionetten gehalten, uns monatelang eingesperrt, dich und die anderen zu Sklavenarbeitern gemacht hat und dann – als wäre das nicht genug – dich vergewaltigen wollte und dich dabei fast getötet hätte.“
Mike begann zu zittern. Die Aufzählung der Dinge, die ihm in den letzten Monaten widerfahren waren, hatte viel in ihm ausgelöst, aber er musste nun stark sein. Es mochte sich jetzt für Singh richtig anfühlen seiner Rache nachzugehen, doch das war es nicht.
Außerdem wollte Mike diesen Ort nie wiedersehen.
„Mir reicht es aus“, sagte er daher und drückte Singh einen Kuss auf die Lippen. Und es war keinesfalls gelogen. Alles was er brauchte, um das Erlebte zu verarbeiten, hatte er hier. „Ich will einfach so weit weg von diesem Ort, wie es geht und ich will das du bei mir bist.“
Singh nickte und die Zeit, in der sie sich einfach in den Armen lagen und so fest hielten wie sie konnten, kam ihm fast wie eine Ewigkeit vor. Und es schien ein Zauber zu sein, wie die Liebe dieses Mannes in der Lage war, seine Wunden zu heilen.
ENDE