Sixty Minutes:
Verletzter Stolz
Er konnte nicht glaube, dass Mike das von ihm verlangte. Mit ernstem Blick saß Singh in seiner Kabine und starrte auf den Beutel hinab, der vor ihm lag, und der das beinhaltete, dass es ihm schwer machte diesen Tag als einen Guten anzusehen. Und das, wo heute doch Heiligabend war: Ein Tag, den er besinnlich mit seiner Familie verbringen wollte, auch wenn er eigentlich einer anderen Religion angehörte. Er war ein Sikh, jedoch war Mike das Weihnachtsfest wichtig und er wollte dieses auch ihrer Ziehtochter Mastani nahe bringen. Damit hatte Singh kein Problem. Immerhin feierten sie Weihnachten, seit sie beide auf der Nautilus waren, immer zusammen. Es waren in den letzten sieben Jahre immer wundervolle Feste gewesen. Doch das, was Mike nun verlangte, ging einfach zu weit, vor allem, weil er sich schuldig fühlte es innerlich abzulehnen, obwohl es etwas war, dass er für Mastani tun sollte.
Er seufzte tief, nahm den Beutel zum zwanzigsten Mal in den letzten Minuten auf und starrte zweifelnd hinein. Grummelnd und ziemlich sauer auf seinen Ehemann nahm er ein Teil heraus und hielt es sich vor den Körper, den Blick skeptisch zum Spiegel gerichtet.
„Das ist doch vollkommen absurd!“, fluchte er. „Warum soll gerade ich das machen?“ Angestrengt überlegte er, ob er Mike mit irgendetwas verärgert hatte, dass dieser das von ihm verlangte. Nein, da war nichts und selbst wenn, dann hätte Mike ihm das schon gesagt. Sie waren ehrlich miteinander, auch wenn es einmal zum Streit kam.
Es klopfte.
„Ja?“, rief er angespannt und seufzte erneut, als Mike den Kopf zur Tür hereinstreckte.
„Bist du fertig?“, fragte der und runzelte die Stirn, als er Singh in der üblichen Borduniform erblickte. „Brauchst du Hilfe?“
Wieder seufzte Singh und hielt seinem Mann den roten Mantel entgegen. „Warum muss ausgerechnet ich das machen?“ Auf dem Gesicht seines Mannes erschien ein leicht spöttisches Lächeln, als er die Tür hinter sich schloss und ihm entgegen trat. Ein Kuss reichte aus, um seinen aufgebrachten Gegenüber wieder etwas zu beruhigen, aber der verletzte Stolz war Singh ganz klar anzusehen. „Trautman wäre doch besser geeignet. Immerhin hat der die weißen Haare und den passenden Bart!“ Den Bart hatte Singh als Sikh zwar auch, aber der war noch lange weit entfernt von weiß oder in seinem Fall eher Grau. Er war ziemlich stolz auf den gepflegten, schwarzen, vollen Bart, den er sein Eigen nannte. Aber das machte ihn noch lange nicht zum Weihnachtsmann!
„Ich weiß, dass du dich damit nicht ganz wohl fühlst, aber es ist für Mastani“, erklärte Mike, mit einem verlegenen Lächeln. „Und es ist auch wirklich nicht albern oder etwas wegen dem du dich schämen müsstest. Sie freut sich drauf und das ist doch die Hauptsache. Komm, 10 Minuten. Länger musst du es auch gar nicht tragen.“
„Aber warum kann nicht Trautman der Weihnachtsmann sein?“, begehrte Singh auf. „Er hat den dicken Bauch, den Bart und … Ach, er sieht eben so aus!“
„Lass ihn das nicht hören.“ Mike zwinkerte ihm zu, gab seinen Ehemann einen weiteren sanften Kuss und lächelte dann verlegen. „Trautman kommt leider nicht in Frage. Mastani hatte mich gefragt, wie es sein kann, dass der Weihnachtsmann an einem Abend auf der ganzen Welt ist. Da habe ich ihr erzählt, dass jedes Kind seinen eigenen Weihnachtsmann hat.“ Er zuckte mit den Schultern. „Nun, dann hat sie ihren gezeichnet.“
Mike holte das Papier heraus, dass er zusammengefaltet in seiner Tasche hatte. Singh nahm es ihm ab und musste schmunzeln. Darauf zu sehen war Mastanis Version des Weihnachtsmannes, der ziemliche Ähnlichkeit mit ihm aufwies. Dunkle Haut, ein tiefschwarzer Bart und den roten Mantel, über den er sich ein buntes Tuch gelegt hatte.
„Ein indischer Weihnachtsmann, hm?“ Nun musste er lachen. „Der trägt dann aber sicher nicht nur diesen Mantel.“ Zuversichtlich kramte er in seinem Kleiderschrank, holte einige traditionelle und bunte Kleidungsstücke heraus und kombinierte sie mit dem Mantel. Das Ergebnis kam dem auf dem gezeichneten Bild tatsächlich nahe. Zufrieden drehte Singh sich im Kreis, die Arme ausgestreckt und dann stolz in die Hüfte gestemmt. „Na, wie findest du es?“
„Als wärst du direkt einer Kinderzeichnung entsprungen“, gestand Mike grinsend. „Fehlt nur noch der Sack mit den Geschenken und … die Rute.“ Mikes Grinsen wurde breiter, als er das Glitzern in Singhs Augen sah.
„Die hast du ganz klar verdient, weil du mich in solche Situationen bringst.“ Damit zog er Mike an sich und küsste ihn, den verletzten Stolz vergessen.
„Merk dir das für später“, hauchte Mike ihm zu. „Ich hol mir mein Geschenk dann privat vom Weihnachtsmann ab. Jetzt müssen wir aber los. Das heißt, ich. Du kommst ja nach.“
„Stimmt.“ Singh betrachtete sich wieder im Spiegel. Ganz zufrieden, aber etwas fehlte, dann fiel sein Blick auf den Säbel seines Vater, der in seiner Kabine als Andenken hing. Andächtig nahm er ihn von der Wand und befestigte ihn an seinem Kostüm. „Perfekt!“, murmelte er und war ziemlich stolz. Das Lachen des Weihnachtsmannes übend, klatschte er in die Hände, rieb sich diese und öffnete die Kabinentür. „Dann wollen wir doch mal sehen, ob alle brav waren!“