Sixty Minutes Challenge
22.12.2021
Eisdecke
(Fortsetzung zu „Schneestaub“)
„Na, das hast du ja ganz toll hin gekriegt!“, motzte Juan, der über und über mit Schnee, der sich langsam zu einer dicken Eisdecke formte, bedeckt war. Der ganze Salon ging unter in der Masse, die nun mehr bedeckte, als nur den Weihnachtsbaum. Tatsächlich war es so, dass der Schnee von dort langsam hinab floss und sich um dessen Ständer ergoss. So erstrahlte er nun wieder in sattem Grün, während die Mannschaft noch nicht ganz begriffen hatte, was eigentlich passiert war. Das hieß, alle bis auf Serena und Ben hatten es noch nicht verstanden.
„Hier steht ganz klar: Nur im Freien benutzen!“, tadelte Serena, die beherzt aufgesprungen war und die mysteriöse Schneemaschine abgeschaltet hatte. Trotzdem war auch sie voller weißer, kalter Masse.
„Schnee?“, rief Chris aus, in seinen Augen begann es begeistert zu leuchten, während Trautman weniger erfreut aussah. Perplex blickte er sich in dem sonst so gemütlichen Raum, der nun ziemlich ramponiert war, um und schüttelte dann den Kopf. „Was um Himmels willen war das?“ Die Hände in die Hüfte gestemmt nahm er nun Ben ins Visier, der lieber den Kopf zwischen den Schultern einzog. Nicht, weil er sich Sorgen um mögliche Konsequenzen von seinem Vorgesetzten Gedanken machte, sondern, weil das alles ihm ziemlich peinlich war. Typisch, wie Ben eben war, reagierte er daher auch auf den Blick.
„Ich habe euch doch die ganze Zeit gefragt, was noch an diesem Baum fehlt! Und keiner von euch wollte mir helfen, mal so nebenbei bemerkt!“ Dabei beobachtete er vor allem Singh und Mike, die nun irgendwie noch mehr Interesse aneinander hatten. Es irritierte Ben sehr, aber er fuhr direkt mit seinem Tadel fort. „Um es kurz zu machen: Ich habe herausgefunden, was es ist, und hätte ich eure Aufmerksamkeit gehabt, dann hätte Serena mir sagen können, wie man dieses Ding benutzt! Diese … äh … Schneemaschine.“
„Also, eigentlich ist es ja keine Schneemaschine“, brachte Serena sich ein und zuckte belustigt mit den Schultern, wobei sie es nicht lassen konnte, ihre Finger abzulecken. – „Aber es steht doch Schneemaschine drauf.“ Jetzt war Ben noch mehr durcheinander und zu seinem Leidwesen fing Serena auch noch an zu lachen.
„Es sieht doch auch aus wie Schnee“, begann sie, blicktet dann aber irritiert zu Mike, der angefangen hatte an Singhs Hals zu knabbern. Das war nicht nur ihr aufgefallen und Ben ging das Verhalten der beiden ziemlich gegen den Strich. Was war eigentlich mit denen los? So schamlos im Salon? „Hey! Könnt ihr euch vielleicht ein Zimmer nehmen?!“, keifte er und hatte arg Mühe, sich wieder auf Serena zu konzentrieren.
„Schneemaschine ist nur ein Name, der das ganze eher mit Humor nimmt. Wozu sollte es auch eine Maschine geben, die überall Schnee verteilt?“ Das war eine seltsame Aussage, war doch überall im Salon genau das passiert. Der Schnee lag auf dem Boden, auf den Bücherregalen, auf den Sofas und vor allem klebte er hartnäckig an jedem einzelnem dran.
„Ja vielleicht könnte man dann dort Ski fahren, wo es keinen Schnee gibt?“, warf Ben ein und hatte schon die perfekte Geschäftsidee. Wenn es einmal nicht mehr so gut lief mit der Nautilus und er bis dahin herausgefunden hatte, wie diese Maschine funktionierte, würde er damit reich werden können. „Das wäre doch genial, oder? Man kauft ein Stück Land, zäunt es ein und dann verteilt man den Schnee. Gegen Bezahlung darf dann jeder Ski fahren!“
„Also ich finde, du spinnst!“, feixte Juan, roch an seinem Unterarm und begann vorsichtig an der Eisdecke daran zu knabbern. „Hey, ist das Schinken?“
„Wenn du willst, dass es welcher ist, dann ist es das“, gab Serena geheimnisvoll von sich und leckte ihren Handrücken ab. „Bei mir ist es Sonnenbeere. Ich habe diese Frucht geliebt. Eines der vielen Dinge, die ich aus Atlantis vermisse.“ So wie die junge Atlanterin, begannen nun auch die anderen vorsichtig an der Schicht zu knabber. Das hieß, alle bis auf Singh und Mike, die schon seit Minuten nichts anderes mehr taten, als sich gegenseitig von der Eisdecke zu befreien. Es war schwer die beiden außer Acht zu lassen, doch die Neugier brachte selbst den im Fremdschämen versunkenen Trautman zu der Eismasse auf seiner Kleidung zurück. Vorsichtig nahm er sich etwas davon auf den Finger und steckte sich den in den Mund. „Das ist der Rübeneintopf meiner Großmutter!“, rief der Mann vollkommen verstört aus. „Wie kann das sein?“
Während die Crew nun damit beschäftigt war, sich begeistert kauen aus allen Ecken die besagte Masse einzuverleiben, grinste Serena und brachte ihnen die Antwort, obwohl sie die unwissenden Gesichter sichtlich genoss.
„Mein Volk hat diese Maschine erfunden, für den Fall einer Hungersnot. Die Creme ist eisgekühlt und daher lange haltbar, sie hat alle Nährstoffe, die der Körper so braucht und sie passt sich geschmacklich den Vorlieben des Verzehres an. So ist es gesichert, dass sie auch wirklich gegessen wird. Jedoch ist diese Maschine recht schwer zu kontrollieren und nur für den Außengebrauch gedacht.“
„Hm“, machte Juan, sich begeistert eine weitere Portion in den Mund schiebend. „Das erklärt einiges. Ich habe diesen Schinken aus meiner Heimat geliebt und er hat mir in letzter Zeit wirklich gefehlt.“ Selig seufzte der junge Mann. „Allerdings habe ich immer noch eine Frage.“ Damit deutete er auf Singh und Mike, die vergessen zu haben schienen, dass sie im Salon nicht allein waren. Schinken, Rübeneintopf, Sonnenbeere und Vanillecreme schien wohl das eine zu sein, aber … „Was zum Teufel schmecken die beiden?“