Sixty Minutes Challenge
09.05.2021
Voller Einsatz
oder „Interview mit Astaroth“
Es war eine laue Sommernacht, aber einer dunklen Vorahnung gleich, konnte ich nicht einschlafen. Ich versuchte es nun schon seit Stunden. Die Temperaturen waren merklich heruntergegangen und ich begrüßte es, dass meine Schlafkleidung nicht an mir klebte, wie in den letzten Nächten. Seufzend beschloss ich, noch einen letzten Eintrag in mein Tagebuch zu machen und dann wollte ich mich zu Bett begeben. Sollte der Schlaf nicht kommen, hätte ich immer noch lesen können.
Ein Geräusch vom Fenster ließ mich zusammenfahren. Unschlüssig blickte ich es an. Ich sah nur wie sich die Gardine sanft im Wind hin und her bewegte, sonst nichts. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass jemand mich beobachtete. Langsam, fast in Trance, ließ ich meinen Stift sinken und stand auf, da hörte ich die Stimme:
„Stift und Zettel wirst du noch brauchen“, sagte sie. Alarmiert fuhr ich zusammen, kramte in der Schublade nach dem Revolver, aber meine Finger zitterten zu sehr. Die Waffe entglitt meiner schwitzigen Hand und dann vernahm ich wieder die Stimme: „Die kannst du liegen lassen. Ich bin nur hier, weil ich ein Interview möchte.“
„Ein … Interview?“, wiederholte ich die Worte perplex. Und dann wurde es mir zu viel. „Wer ist das?“, rief ich fast schon aggressiv. „Zeigen Sie sich oder ich … ich schreie um Hilfe!“
„Na na, ich habe nichts schlimmes vor. Es geht mir nur um eine Richtigstellung.“
„Richtigstellung?“
„Ja. Wissen Sie, ich habe einen Freund, dem einige Heldentaten zugeschrieben werden. Seine Familie ist so berühmt, dass ihr sogar zwei Bücher gewidmet wurden, müssen Sie wissen. Ein Kollege namens Verne wurde dafür beauftragt und ich beauftrage nun Sie!“
„Be...auftr...tragen?“, stotterte ich. Mir wäre es lieber gewesen, wenn sich mein Gegenüber endlich gezeigt hätte. In verspannter Haltung stand ich da, starrte aus dem Fenster und konnte noch immer nichts erkennen.
„Dafür, dass Sie Autor sind, scheinen Sie mit Worten große Probleme zu haben“, kam es fast belustigt zurück, aber dann seufzte die Stimme. „Aber ich verstehe Sie und möchte auch lieber von Angesicht zu Angesicht mit Ihnen sprechen.“
Nervös starrte ich in das Dunkel hinter dem Fensterrahmen, etwas bewegte sich, aber ich konnte keinen Person ausmachen. Was ich jedoch sah, war eine schwarze, einäugige Katze.
„Ich bin ein Kater!“
„Aber natürlich!“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen, dann stutzte ich. „Was zum …“ Ein irres Lachen entfuhr mir. Nein, ich hatte nicht gerade mit einer Katze gesprochen! Jemand musste mir einen schrecklichen Streich spielen. „Wer ist da!“, rief ich nun ziemlich wütend. Alles was ich erreichte war, dass der Kater sich vor mir auf dem Schreibtisch hinsetzte und mich aus seinem einzigen, gelben Auge musterte.
„Ja, Sie sprechen gerade mit mir und nein, dies ist kein Traum. Könnten wir jetzt zum Geschäft kommen?“ Damit stand das Tier auf, schob mir einen Notizblock und einen Stift zu und setzte sich wieder.
„Geschäft?“
„Ja! Sie werden ein Buch schreiben, über mich.“ Der Kater gähnte ausgelassen, als sei das Gespräch mit mir eine Zumutung für ihn, dann rollte er sich zusammen und leckte seine Pfoten. „Wissen Sie, wie ich schon erwähnte, habe ich da diesen Freund. Er lebt auf einem Unterseeboot – nicht das die Details von Interesse seien. Aber wie es das Schicksal so will, hat er seine Freunde schon aus so einigen brenzligen Situationen gerettet. Nun, hier kommen wir zu dem Punkt, dessen Bedeutung klarzustellen, mir wichtig ist. Ohne mich wäre jede dieser Situationen gescheitert.“
Mit einem Satz war der Kater wieder auf den Pfoten, stellte den Schwanz auf und schritt majestätisch über den Tisch. „Hier kommen wir zu dem Moment, wo Sie sich detailliert Notizen machen müssen!“
„Aber natürlich!“, stieß ich auf und klappte mein Buch auf. Es war das seltsamste Interview, das ich je führen sollte, dennoch machte sich in mir ein Gefühl der Euphorie breit. Vielleicht träumte ich gar, trotzdem glaubte ich dem Bestseller nahe zu sein.
„Auf jedes Krachen und jeden Hilfeschrei, den man so auf diesem besagten – und namenlos bleibenden – Unterseeboot hört, folgt immer eine Sache. Es ist diese eine entscheidende Sache, die meist den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmacht und dennoch vergisst man sie hinterher. Es ist der Schrei nach mir: Dem großen und einzigartigen Kater Astaroth! Äh, könnten Sie das bitte auch genau so aufschreiben?“
„Ähm … Ich.“ Schweiß lief mir über die Stirn und ich war mir nicht sicher, ob es Zufall war, dass der Kater gerade jetzt seine Krallen ausfuhr. „Aber natürlich!“, gab ich schnell zu verstehen und folgte den weiteren Ausführungen.
„Denn wenn alle verzweifelt sind und nicht weiterwissen, dann trägt die Hoffnung sie zu mir. Dann heißt es: Astaroth, kannst du unbemerkt vorauseilen und uns den richtigen Weg weisen? Wie viele Echsenwesen hast du gesehen und ist diese Lichtung frei von Dinosauriern? Hey, kannst du auf diesem Hai reiten und ihn davon überzeugen, uns nicht zu fressen?“
„Moment“, unterbrach ich ihn. „Echsenwesen? Dinosaurier?“ Ich blinzelte, aber dann fiel mir ein, dass ich mit einer Katze sprach. „Ach, vergessen Sie's. Und dann?“
„Oder einmal, als dieses Wrack auf dem Meeresgrund lag und mein Mensch keine anderen Sorgen hatte, außer, dass er dieses eine Buch haben wollte. Wohlgemerkt – seine Bibliothek ist voller Bücher! Da fiel ihnen wieder ein, dass da doch ein Kater war, der unter Wasser atmen kann. Was glauben Sie, wer dieses Buch nachher geholt hat?“
„D...der einzigartige … Kater Astaroth?“
„Exakt!“, sagte er mit einem Gesichtsausdruck, der einem Grinsen nahe kam. „Ein Kinderspiel für mich. Naja, fast, ich wäre ohne meinen Menschen in dieser überfluteten Kabine gefangen gewesen und in einen tiefen Schlund gefallen. Wäre nur diese dumme Tür nicht zugefallen! ABER, ohne mich hätte mein Mensch sich da nie raus ins Wasser gewagt.“ Ich machte eilig Notizen, blickte aber irritiert auf, als der Kater nahe neben meinem Buch zu schnüffeln begann. „Sie verschweigen doch mein Missgeschick mit dieser Tür, oder? Was mir wichtig ist, ist, dass man meinen Einsatz im Rahmen dieser Crew erkennen und würdigen kann. Das können Sie doch nachvollziehen, oder?“
„Aber sicher“, machte ich nur, unterstrich den letzten Punkt und verfolgte den Kater mit meinem Blick, bis er sich an den Kamin legte. „Was … was für eine Art Buch wünschen Sie sich denn?“ Ich war immer noch fassungslos einen Kater als Auftraggeber zu haben.
„Heroische Abenteuer!“, stieß das Tier aus. „Raue See, steife Brisen, ein unbeugsamer Wille und dabei ungebrochen dieser eine Kater! Seine Seele so wild wie das verschlungene Atlantis und das Herz aus Gold. Und natürlich verdient er sich seine Prinzessin. Eine Meerjungfrau, vielleicht? Wissen Sie, ich liebe Fisch!“
„Prinzessin. Fisch. Salzwasser“, diktierte ich laut, während ich meine Notizen machte. So vergingen die Stunden, bis der Morgen zu grauen begann und meine Stirn müde auf die offene Seite hing. Ein sanftes Schnurren hielt mich gänzlich davon ab einzuschlafen. Müde rieb ich mir die Augen, doch das Bild blieb: Vor mir saß eine schwarze, einäugige Katze und sie wollte, dass ich ein Buch über sie schrieb.
„Machen wir Schluss für heute“, sagte sie. Ich fuhr zusammen, weil es trotz der vergangenen Stunden plötzlich wieder ein Schock war, dass sie sprach. „Wenn Sie die bisherige Zusammenarbeit angenehm fanden, so würde ich heute Abend wieder kommen. Das Schiff meines Menschen ist für eine Woche im Hafen vor Anker und ich denke, diese Zeit sollte ausreichen, um alle Details des Buches zu klären.“
Erschöpft nickte ich. Gut, dann bekam ich nun eben täglichen Besuch einer sprechenden Katze. Vielleicht verlor ich ja den Verstand, aber die Dinge, die er mir erzählten, schienen es Wert zu sein.
„Oh, das werden sie“, meinte der Kater im Brustton der Überzeugung. „Unser Werk wird so einzigartig sein, das Jules Verne mit seinem 20 000 Meilen unter dem Meer und Die vergessene Insel einpacken kann. Nemo sei Dank, nun beginnt meine Sternstunde!“