Sixty Minutes Challenge
05.05.2021
„Das kannst du doch nicht tun!“
Mit einem Seufzer, der ihm kurz die Luft aus der Lunge trieb, landete Mike nun zum gefühlt tausendsten Mal auf der Matte. Unschlüssig blickte er zu Singh auf, der ihm abermals die Hand hinhielt, aber wenn Mike es recht bedachte, dann hatte er gar keine Lust mehr aufzustehen.
„Nicht aufgeben!“, wies der ihn zurecht, als er die Unmut in den Augen seines Gegenübers sah. „Auch das richtige Fallen will gelernt sein, von daher ist das hier nicht vergebens.“
Mike stieß ein kurzes Lachen aus. Singh hatte eine charmante Art ihm zu sagen, dass er das mit dem Kampfsporttraining einfach nicht vernünftig hinbekam und so nie in der Lage wäre, allein auf sich Acht zu geben. Nein, er würde immer Singh, in Form seines Leibwächters, bei sich haben müssen, weil er dem einfachsten Schlag nicht ausweichen konnte und direkt zu Boden ging. Sie trainierten nun schon seit gut zwei Stunden und alles was Mike tat, war zu fallen und wieder aufzustehen und dabei hatte er kein einziges Mal Singh aus dem Stand gehebelt. Ja, er brachte ihn nicht einmal zum Schwitzen.
In seinem Stolz ignorierte Mike die ihm hingehaltene Hand. Er zog es vor liegen zu bleiben, schloss die Augen und seufzte erneut. „Also gut. Machen wir eine Pause“, hörte er den Mann über sich sagen. Das leise Rascheln neben sich, ließ ihn dann vermuten, dass Singh sich ebenfalls auf den Boden gesetzt hatte. Mike blieb noch eine Weile liegen, begnügte sich simpel damit zu atmen und die Scham über sein Unvermögen ziehen zu lassen. Als er sich ruhiger fühlte, öffnete er zaghaft ein Auge und schielte neben sich. Singh lag ruhig da, blickte zur Decke und nur der Allmächtige schien zu wissen, was er gerade dachte. Aber in Mike reifte ein Plan. Der Plan, um sich für zwei Stunden erbarmungsloses Training, durch den Mann den er liebte, zu rächen.
„Nutze den Moment“, hallte es durch seinen Kopf und ein schelmisches Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Dann fuhr er ohne Vorwarnung hoch und schwang sich über den neben ihn liegenden Mann. Es musste allein die Überraschung gewesen sein, die Singh veranlasste, ihn nicht direkt wieder auf die Matte zu schicken. Die Augen des Mannes unter ihm hatten sich vor Schreck und Überraschung geweitet, aber vielmehr blickten sie auf Mikes Finger, die, an dessen Hand, hocherhoben über seinem Oberkörper schwebten.
„Das kannst du doch nicht tun!“, stieß er aus. „Das ist ziemlich unfair und eine linke Nummer.“
Mike grinste nur. „Wenn die Fähigkeiten fehlen, dann muss eben Erfindungsreichtum her oder das berühmte Überraschungsmoment!“ Damit ließ er die Finger hinabsausen und sie überall an Singhs Oberkörper entlanggleiten, besonders unter den Achseln und an den Seiten, denn da war er besonders kitzelig. Das wusste Mike.
„Aufhören!“, rief Singh unter einem Lachen, das in Tränen erging. Aber Mike gab sich noch einen kleinen Moment dem Triumph hin, auch wenn ihm klar war, dass Singh ihn gewähren lies. Wäre er nach dem Moment des Überrumpelt-seins nicht damit einverstanden gewesen, was gerade geschah, dann sehe die Kräfteverteilung für Mike nun schon ganz anders aus. „Ich gebe mich geschlagen!“, kam es lachend von Singh. „Das Training ist für heute beendet!“
Aber nun war es Mike, der ihm keine Gnade erwies. „Was bekomme ich dafür?“
„Du willst noch etwas dafür?“ Singh hob die Augenbrauen hoch. „Ich erlasse dir schon eine Stunde.“
„Ich will etwas dafür“, gab Mike bestimmend zurück.
In den Augen seines Gegenübers erschien ein nachdenklicher Ausdruck, dann griff er nach den Händen und stoppte sie so davor, noch weitere Agonie über seinen Nerven zu bringen. „Also gut. Wie ist es damit?“ Sanft küsste er die Finger, nahm sie dann in seine und zog seinen meuternden Schüler zu sich herab.
Als Mike die Arme um sich fühlte, nuschelte er. „Hm, das ist ein Anfang, aber es stellt mich nicht zufrieden.“
„Hm“, überlegte Singh laut. „Wie wäre es, wenn wir das Training morgen ausfallen lassen und du etwas vorschlägst?“
Davon war Mike vollends begeistert. Freudestrahlend setzte er sich auf und lächelte zu dem Mann unter sich herab. Sie hatten in den letzten Wochen wie Besessene trainiert, weil Singh der Meinung war, dass er mehr auf sich selbst aufpassen müsste, aber der ausbleibende Erfolgt machte Mike mürbe.
„Lass uns tauchen gehen!“, rief er begeistert aus. „Ich will mir auf keinen Fall dieses Korallenriff entgehen lassen!“ Mike war schon halb auf die Füße gesprungen, langte nach seinem Handtuch und legte es sich grinsend um die Schultern. Singh jedoch ließ sich Zeit, lächelte und beobachtete den Jüngeren bei seinen Freudensprüngen. Das leichte Grinsen konnte er sich jedoch nicht verkneifen, als er nach Mike Hand griff und sie sanft drückte.
„Du weißt, dass du die Stunden dafür nächste Woche nachholen musst?“
Mike gefror das Lachen, aber nur kurz, dann ließ er das Handtuch gespielt sauer auf Singh herabsausen. „Du Sklaventreiber.“