[Beitrag zur 60 Minutes Challenge, Rating: 12/16+]
[Inhalt: Ein unliebsamer Zwischenstopp im ewigen Eis wird zum romantischen Ereignis.]
Abwarten und Tee trinken
„Tja, das war’s dann wohl“, sagte der Steuermann der Nautilus, blickte uns der Reihe nach an und schaltete das Triebwerk aus. Der heulende Motorenlärm erstarb sofort und wurde durch eine bleierne Stille ersetzt.
„Soll das heißen, wir hängen hier fest?“, fragte Ben entsetzt. Seufzend blickte ich aus dem großen Aussichtsfenster, vor dem nun nicht der vertraute Anblick des Meeres vorherrschte, sondern eine verschneite Winterlandschaft.
„Guck doch mal aus dem Fenster“, sagte ich schon etwas entnervt. „Wir sind festgefroren!“ Der Winter in der Arktis war dieses Jahr wirklich früh dran. Ich erinnerte mich noch an letztes Jahr, als wir diese Strecke ohne Probleme gefahren waren und sogar öfters aufgetaucht waren. Dies war unser erster Stopp, um die Sauerstofftanks zu füllen und prompt hatte das Eis uns eingeschlossen.
„Ja, aber die Nautilus ist doch kein gewöhnliches Schiff und hat starke Motoren!“, warf Ben unwirsch dazwischen. Ich holte Luft für eine entsprechende Entgegnung, aber diesmal war es Trautman, unser Steuermann und ältester noch lebender Freund Nemos, der Ben auf den Boden der Tatsachen zurückholte.
„Da hast du Recht“, gab er zu. „Dennoch ist das Eis im Moment zu dick. Wir versuchen es in ein paar Tagen noch einmal. Wenn wir Pech haben, werden es Wochen.“ Er hob beruhigend die Hände, als ein wildes Gemurmel im Salon ausbrach. „Das ist kein Grund zur Besorgnis. Wir haben genug Vorräte, können Trinkwasser generieren, haben es warm und die Panzerplatten der Nautilus sind stark genug, dass uns das Eis nicht zerdrück.“
„Dass uns das Eis nicht zerdrück?!“, schrie Ben entsetzt, der bis eben wohl nicht an diese Option gedacht hatte. Warum hatte Trautman dieses Detail nicht einfach ausgelassen?, dachte ich genervt. Mir war klar gewesen, dass diese Gefahr bestand, aber da ich das Schiff meines Vaters gut kannte, hatte ich mir keine Sorgen gemacht. Nun würden wir uns die nächsten Tage – oder Wochen! – jeden Tag Bens Gejammer anhören müssen. Bei jedem Knirschen würde er wahrscheinlich entsetzt von Bord springen.
„Du kannst ja draußen in nem Zelt schlafen“, stichelte ich grinsend. Ben starrte mich an und wurde noch blasser. Es war vielleicht fies, aber da er sonst derjenige war, der seit wir uns kannten keine Gelegenheit ausließ, um mir gegen das Schienbein zu treten, genoss ich das heute etwas.
„Mike!“, wies Trautman mich zurecht und auch Singh hatte eine Augenbraue gehoben.
„Das war ein Scherz“, versicherte ich den beiden und konnte nicht glauben, dass sie dachten, ich würde das ernst meinen.
„Kein Guter“, raunte mir mein Freund ins Ohr, was mich veranlasste Singh in die Seite zu kneifen.
„Er macht ständig solche Scherze und wenn ich mal …“ Schmollend verschränkte ich die Arme. „Ach, egal.“
Eine Weile war das ewige Eis da draußen noch das Thema, aber bald ging alles wieder seine natürliche Wege. Wir aßen, wir unterhielten uns und wir langweilten uns alle schrecklich. Und das Schlimme war, so vergingen die nächsten Tage. In absoluter Langeweile.
Es klopfte an meiner Tür. Ich hatte meine Kabine seit ein paar Tagen nicht verlassen, denn es gab ja auch absolut nichts zu tun. Ich bat den Störenfried meiner Langeweile herein und meine Laune hob sich etwas, als ich sah, dass es Singh war.
Er kam gerade recht. Vielleicht konnten wir zusammen eine Runde kuscheln oder mehr. Aber selbst das wurde langsam eintönig. Nicht zu glauben!
„Kommst du mal mit raus?“, fragte mein Freund. Ich brummte nur unwirsch.
„Wozu denn?“
Auf Singhs dunklem Gesicht zeichnete sich ein verhaltenes Lächeln ab. „Nun“, druckste er herum. „Das kann ich dir nicht sagen. Es ist eine Überraschung.“
Nun hatte er definitiv meine Aufmerksamkeit.
„Eine Überraschung?“, fragte ich aufgeregt. „Was ist es denn?“
Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde gequälter. „Komm doch einfach mit“, meinte er. Sofort sprang ich auf und rannt so los, wie ich war. Auf Socken und mein Hemd hing halb aus der Hose. Als ich meine Kabine verlassen wollte, hielt Singh mich auf.
„Du solltest dir schon was anziehen“, meinte er mit einem kritischen Blick. „Polarfest.“ Ohne zu Fragen – das brauchte er auch nicht – ging er an meinen Kleiderschrank und kramte eine warme Hose, Pulli und Polarjacke hervor.
„Gott, was hast du vor?“, stieß ich entsetzt aus. „Ich gehe nicht wandern!“
Schließlich schaffte er es aber, dass ich mich anzog und ich folgte im komplett verwirrt. Unser Weg führte uns zum Turm der Nautilus, wo wir – ich hatte es befürchtet – nach draußen gingen. Als wir jedoch da ankamen staunte ich nicht schlecht.
Das Deck der Nautilus war nicht wiederzuerkennen. Alles war eingeschneit und glich einer Zuckerbäckerlandschaft, aber das war es nicht, was mich erstaunte. Kleine Holzbänke waren im Kreis aufgestellt und das ganze Deck des Schiffes erstrahlte im Leuchten von 1000 Kerzen. In der Mitte des Kreises stand eine rote Kanne, die den Duft von frisch aufgebrühtem Tee verströmte, und dazu sieben rote Becher.
„Das ist wunderschön!“, stieß ich aus. „Hast du das alles gemacht?“
Singh legte den Arm um mich und zog mich fest an sich. „Ich dachte, wir alle brauchen etwas Abwechslung und eigentlich ist es hier wunderschön. Findest du nicht?“
Ich nickte überschwänglich und ließ mich von ihm zu den beiden letzten freien Plätzen führen. Die anderen begrüßten mich direkt fröhlich – sogar Ben.
„Hier, trink den“, sagte Trautman und reichte mir meinen Tee. Ich bedankte mich, lehnte mich gegen Singh und genoss die Nordlichter. Ich beschloss, mir diesen Moment in meinem Gedächtnis fest einzuprägen. Denn er war perfekt.
Ende