Moni verabschiedete sich von Uwe mit einem langen Kuss und ließ ihn mit den Worten, „Bis später bei Irina,“ auf seiner Station K1 zurück. Gut gelaunt verließ sie das Krankenhausgelände und spazierte am Inn entlang in die Innenstadt. Obwohl sie ihren Bruno liebte, war sie froh, dass sie ihn heute bei Olga und Rita auf dem Hof gelassen hatte.
Uwe hatte ihr Das Schindler vorgeschlagen, um exzellent Frühstücken zu gehen.
Käthe stand schon vor der Eingangstür und winkte fröhlich. „Hey Mama, wie schön!“ Sie fielen sich in die Arme und drückten sich ausgiebig. Erst jetzt wurde ihnen klar, wie lange sie sich nicht mehr gesehen hatten. „Mensch Käthe, hast du abgenommen? Rauchst du wieder?“, fragte Moni besorgt. Ihre Tochter nickte und verdrehte die Augen. „Mama, das kann bei dem Stress schon passieren.“
„Was genau?“
„Na beides. Lass mich bloß in Ruhe und spar dir deine Kommentare. Ich habe mich so gefreut auf dich!“, entgegnete Käthe vorwurfsvoll. „Na komm, lass uns rein gehen“ Moni nahm lächelnd ihre Hand.
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Nach der Visite mit Eva, seiner Stationsärztin, war der Moment gekommen. Dr. Uwe Ortner betrat sein Arztzimmer und schloss hinter sich ab. Mit fahrigen Bewegungen öffnete er den Schrank und kramte in einer Stofftasche, die er an der Rückwand hinter seinen weißen Kitteln befestigt hatte. Mit zitternden Fingern drehte er am Verschluss der kleinen Flasche und kippte sich den Inhalt hastig in den Mund. Er schluckte, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Die Wohltat des brennenden Alkohols und das Wissen um seine Schwäche, trieben ihm Tränen in die Augen. Er hätte es keine Minute länger ausgehalten. Schon seit er heute Morgen aufgestanden war, spürte er diesen maßlosen Drang. Das kam bestimmt daher, dass er sich mit dem Trinken sehr zurückgehalten hatte, seit Moni bei ihm war. Resigniert setzte er sich mit einer zweiten Flasche auf seinen Bürostuhl, starrte aus dem Fenster und trank in kleinen Schlückchen. Das Zittern seiner Hände ließ langsam nach. Er stand auf, um sich die Zähne zu putzen. Jetzt fiel ihm ein, dass er immer noch nichts gegessen hatte. Das sollte er dringend tun.
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In dem stilvoll eingerichteten Lokal wurden Moni und Käthe zu ihrem reservierten Platz direkt am Fenster begleitet. Der freundliche Mitarbeiter nahm ihnen die Jacken ab und rückte die Stühle zurecht. Käthe schnitt eine freche Grimasse, woraufhin Moni sofort kicherte. „Ha, hier ist es aber richtig geil!“ Käthe hob den Daumen nach oben und blätterte in der Frühstückskarte. Moni sah sich um. In dem großen Raum herrschte eine behagliche Atmosphäre. Das Lokal war gut besucht, aber nicht überfüllt. So war die Geräuschkulisse angenehm. Aus den Lautsprechern erklang dezente Jazzmusik. An der Kleidung und am Schmuck der anderen Gäste, konnte man sofort erkennen, dass es sich hier um ein gehobenes Lokal handelte.
„Haben die Damen schon gewählt?“ Während Käthe im Begriff war ihre Bestellung aufzugeben, kratzte sich Moni am Kinn. „Äh, entschuldigen Sie bitte. Nein, noch nicht.“ Schnell vergrub sie ihren Kopf in der Karte. Sie entschieden sich beide für das Frühstück Goldenes Dachl. Zu der üblichen Auswahl an Heißgetränken und Orangensaft wurde ein Glas Prosecco serviert. Auf einer dreistöckigen Etagere bekamen sie zum ofenfrischen Gebäck, Rührei mit Tiroler Schinken und Bircher Müsli kredenzt. Zusätzlich beinhaltete dieses Frühstück eine Portion Beef Tatar und gebeizten Lachs. Das Essen war wirklich lecker und von höchster Qualität. Käthe erzählte pausenlos von ihren neuen Freundinnen, der Schule und von dem damit verbundenen Lernen. Moni hörte interessiert zu. Die Augen ihrer Tochter leuchteten, wenn es um das Thema Studium in Salzburg ging. „Stell dir vor, Mama, Uwe hat mir die große Suite in seinem Hotel angeboten. Er meinte, für ein Wochenende würde euch auch die Kleine ausreichen. Ist er nicht verrückt?“ Moni staunte nicht schlecht, freute sich aber sehr für ihre Tochter. Sie nahm dabei Käthes Hände in die ihren und drückte sie fest. „Das ist richtig toll! Ja meine Süße, Uwe ist tatsächlich total verrückt!“ Kichernd aßen die beide ihre feudalen Frühstücksportionen leer. Dann war es auch schon Zeit, sich wieder zu verabschieden.
Noch einmal umarmten sich Mutter und Tochter feste. „Käthe! Du schaffst das! Alle Daumen sind gedrückt!“ Mit diesen Worten reichte ihr Moni drei einhundert Euro Scheine. „Wer weiß, wann wir uns wieder sehen. Kauf dir was Schönes, meine Süße.“ Käthe sperrte Augen und Mund auf, steckte das Geld schnell in ihre Handtasche. „Wow, Mami, wie geil ist das denn! Danke und tschühüß.“ Winkend marschierte Käthe los, sie drehte sich aber noch einmal um, lief rückwärts weiter und rief: „Mami, ich hab dich lieb!“ Moni winkte nickend zurück und sah ihr lange nach. Bis sie in der Menschenmenge eines Freitagnachmittags verschwand.
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Uwe hatte eine Stunde auf seiner schmalen Pritsche geschlafen und fühlte sich überraschend fit. Er hob seinen Kopf ins Waschbecken und drehte das kalte Wasser auf. Danach putzte er ein weiteres Mal die Zähne. Er sprühte Deo auf seinen Oberkörper, Hals und Nacken und lief einigermaßen zufrieden ins Schwesternzimmer. Hier stand immer ein Korb mit frischem Obst für die Mitarbeiter bereit. Davon nahm er eine Banane und einen Apfel, ließ sich Kaffee einschenken und schaute nebenher Befunde und Auswertungen an. Dann erinnerte ihn sein Handy an den Termin bei Irina.
Moni lag bereits auf einer der Wellness-Liegen. Auf ihrem Gesicht thronte eine dicke weiße Quarkschicht. Ihre Augen waren mit kühlenden Pflegepads bedeckt. Lachend begrüßte Uwe die anwesenden Damen.
„Moni, meine Gute, dein Uwe Schatz ist soeben angekommen. Setz dich, mein Lieber, setz dich.“ Fröhlich begrüßte Irina ihren Stammkunden.
Moni brummte zufrieden und hob grüßend die Hand in Richtung der Stimmen.
Irina hauchte dem Neuankömmling einen Kuss auf die Wange. Dann trippelte sie in ihren High Heels zu einem der Waschbecken und machte eine einladende Handbewegung. „Komm zu mir mein Burli.“ Uwe staunte über den äußerst knappen Minirock mit Leopardendruck, den sie heute trug. Ob Victor sich an ihren Klamotten nicht störte? Er hatte das Gefühl, dass wenn sich Irina bückte, könnte man einen sehr intimen Einblick erhaschen. Noch dazu hatte ihr knapp sitzendes Oberteil einen wahnsinnig weiten Ausschnitt. Uwe hatte Angst, die üppigen Brüste würden bei der nächsten Bewegung aus ihrem Versteck hüpfen. In diesem Moment war er froh, dass sich seine Moni mit Jeans und längeren Röcke oder Kleider begnügte. Irina war zwar um einiges jünger, trotzdem fand er ihr Outfit viel zu gewagt.
„Darf ich dir ein Gläschen Prosecco bringen?“, fragte die ebenfalls erotisch angezogene Mitarbeiterin. Ihre falschen Wimpern passten wunderbar zu den aufgespritzten, knallroten Lippen. Sie warf ihre Haare nach hinten und zeigte stolz ihren tiefen Ausschnitt. Uwe antwortete höflich, „Nein Danke, im Moment nicht.“
Moni ließ heute ihre Haare pflegen, die Spitzen schneiden und den Ansatz sowie die Augenbrauen färben. Uwe genoss eine Gesichtsmassage und die langersehnte Bartpflege. Irina überredete ihn dazu, sich die Haare wieder deutlich kürzer schneiden zu lassen. „Wie läufst du rum? Bist du Penner oder Chefarzt? So geht das doch nicht! Uwe!“ Mit ihrem immer noch leichten Akzent hörten sich ihre Worte charmant an. Er nickte brav und murmelte ein „Na gut,“ wartete auf eine Reaktion von seiner Moni. Aber sie schien eingeschlafen zu sein. Dann schloss auch Uwe seine Augen und entspannte sich.
Zum Schluss vereinbarten Sie die Uhrzeit, an der Irina abends vorbei kommen würde, um Moni eine schicke Frisur zu zaubern, und ihr ein passendes Make-up anlegen würde. Bei so einem Kongress waren Presse und Fotografen nicht wegzudenken.