Nach einer kurzen, aber heißen Nacht stand Uwe um halb fünf in der Früh vor seinem Teil des Kleiderschrankes. Durch die kalte Schnelldusche fühlte er sich topfit. Moni dagegen blinzelte verschlafen aus dem Bett in seine Richtung. Sie gähnte laut und war gerade im Begriff sich wieder umzudrehen, denn diese Uhrzeit war so gar nichts für sie. Da vernahm sie Uwes Stimme. „Oh, das ist ja eine liebe Überraschung. Hat da jemand meinen Schrank aufgefüllt?“ Vor ihm lagen, schön einsortiert mindestens zehn Paar neue weiße Socken, genauso viele schwarze Socken, weiße Slips und lässige Boxershorts mit lustigen Aufdrucken. Auf dem obersten Einlegeboden türmten sich verschieden farbige T-Shirts sowie ein Trainingsanzug. Ein Blick auf die Etiketten sagte ihm, dass die Wäsche aus seinem Lieblingsbekleidungshaus in Innsbruck stammten.
Aus dem Halbschlaf murmelte Moni: „Mhm, ich hab für dich bestellt, so dass du alleshastwas...“, dann hörte Uwe nur noch ihr leises Schnarchen. Schmunzelnd gab er ihr einen zärtlichen Kuss und zog sich rasch an. Draußen wartete bereits Herr Rudel mit dem Wagen auf ihn.
Auf der Fahrt nach Innsbruck döste Uwe träge vor sich hin und dachte an die vergangenen Tage. Wie sehr er seine Moni liebte und begehrte. Immer wieder war er darüber erstaunt, solch starke, innige Gefühle für eine Frau zu empfinden. Seit den Vorfällen in Afrika hätte er niemals daran geglaubt, dass ihm die echte Liebe noch einmal begegnen würde. Sein größter Wunsch war es, Moni zu heiraten und das restliche Leben miteinander zu verbringen. Seite an Seite mit ihr in der Klinik zu arbeiten. Das war sein aller größter Traum.
„Schatz, wir bleiben auf jeden Fall ein Liebespaar, doch wie es scheint, benötigen wir beide noch Zeit, um unserer Probleme aus der Welt zu schaffen. Ich liebe dich und glaube an uns!“ Das waren Monis Worte beim Zubettgehen gestern. Daraufhin blinzelte er einige Tränen aus den Augen. Insgeheim gab er ihr recht. „Ich liebe dich auch mein Engel. Für immer!“ Engumschlungen waren sie eingeschlafen.
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Der Anruf aus dem Gefängnis erreichte Uta beim gemeinsamen Frühstück mit ihrem Roli. Beide hatten sie sich ein paar Tage frei genommen, um Zeit für einander zu haben. An der Haustür warteten schon ihre Koffer. In einer Stunde wollten sie in den Schwarzwald fahren. Genauer gesagt nach Freudenstadt. Hier hatten sie ein Wellnesshotel gebucht. Zeit zu zweit – das war der Slogan, der ihnen auf bei der Suche nach einer Unterkunft im Internet sofort ins Auge gestochen war.
Die Nummer auf dem Display kam Uta bekannt vor, doch sie konnte sich nicht erinnern woher. So meldete sie sich ganz förmlich. „Grüß Gott, hier spricht Uta Nasser“.
„Justizvollzugsanstalt Freiburg, Schenker, guten Tag Frau Nasser.“ Uta hielt die Luft an und fuchtelte mit den Armen, so dass Roli aufmerksam wurde. Sie drückte auf den Lautsprecher und fragte vorsichtig nach: „Ja? Was gibt es?“ „Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass sich ihr Exmann das Leben genommen hat. Wir haben nur ihre Kontaktadresse hinterlegt, daher melden wir uns bei Ihnen. Falls Sie... „Oh mein Gott!“, schluchzte Uta und hob sich die Hände vors Gesicht.
Erst nach einigen Minuten fühlte sie sich imstande, bei der JVA zurückzurufen. Jetzt hörte Uta aufmerksam zu, was man ihr zu berichten hatte. Selber schuld, war der Idiot. Sie hatte kein Mitleid mit Otto. Dennoch war sie schockiert, damit hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Roli nahm sie in den Arm, tröstete sie mit den Worten: „Liebste, wir fahren trotzdem in unseren wohlverdienten Kurzurlaub, oder?“ Uta nickte eifrig. „Ja natürlich, jetzt erst recht! Sollte ich diese Nachricht nicht an Käthe und Lina weitergeben?“, fragte sie mit Tränen in den Augen.
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Moni fuhr in ihr Heimatdorf, um Klara zu besuchen. Sie hatte ihre Schwägerin längere Zeit nicht mehr gesehen. Erstaunt über Klaras positiv verändertes Erscheinungsbild rief Moni laut aus: „Aber hallo! Du siehst ja bezaubernd aus!“ Klara rieb nervös ihre Finger aneinander und strahlte. „Ja gell Moni. I dank dir recht schee für alles, gell!“
Es war nämlich Monis Idee gewesen. Schließlich hatte sie ihrer Schwägerin in den letzten Monaten immer wieder Geld zu gesteckt. Da Klara aber eine waschechte Schwäbin war, hatte sie sich nur wenig davon genommen. Beim letzten Besuch hatte ihr Moni ans Herz gelegt, das Geld auch auszugeben. Vor allem sollte sie die Vergangenheit hinter sich lassen, nach vorne schauen und sich um sich selber kümmern. Jetzt stand Klara vor ihr mit einer modischen Frisur, einer neuen Brille und einem schicken Hosenanzug. Lächelnd nahm Moni sie in den Arm.
„Komm rei mei Schätzle, i hab uns a guts Frühstück gmacht!“
„Gerne meine Liebe,“ fröhlich stieg Moni die Treppen hoch und begrüßte Klaras Mann, der bereits am Tisch auf sie wartete. Die selbstgemachte Erdbeermarmelade war sehr lecker, das Rührei dazu ein Traum. Moni wischte sich den Mund ab, da hörte sie ihr Handy brummen. Sie verzog genervt das Gesicht, denn sie hatte Uwe in Verdacht, dass er wieder alle paar Stunden irgend eine Idee hatte, nur um ihre Stimme zu hören.
Aber es war ihre Schwester, die anrief. Daher nahm Moni das Gespräch entgegen. Erstarrt saß sie auf ihrem Stuhl, hörte zu und nickte abwesend. „Das ist ja ein Ding,“ war alles, was ihr im ersten Moment dazu einfiel. Achselzuckend erzählte Moni ihrer Schwägerin von Ottos Selbstmord. „Irgendwie muss ich darüber jetzt ernsthaft nachdenken, warum mir das gar nichts ausmacht. Utas Idee mit der Verlobungsanzeige war wohl nicht so gut.“ Klara fing sofort an zu weinen. Ihr Mann räumte wie in Trance den Frühstückstisch ab, obwohl sie doch gar nicht fertig waren.
Mit Bruno lief Moni einmal um den Block, bevor sie mit ihm zurück nach Stuttgart fuhr. Heute waren der Laden und das Café zwar geschlossen, doch sie freute sich darauf, die ersten Workshops vorzubereiten. Außerdem gab es in einem Büro immer was zu tun. Während der Fahrt kam ihr natürlich Otto in den Sinn. Die Tatsache, dass er ihre Töchter sexuell missbraucht hatte, war nicht zu verzeihen. Niemals!
Sie empfand keine Trauer wegen seinem Tod, ihre Gefühle ähnelten eher einer Art Befreiung. Über die Freisprechanlage ihres Wagens wählte sie Uwes Nummer, doch sie erreichte nur seine Mailbox. Auf Station sagte man ihr, dass er bereits im OP stand und für einige Stunden nicht zu sprechen war. Schwester Heidi fragte nach, ob sie Uwe etwas ausrichten sollte. „Nein nein, es ist nicht so wichtig. Ich melde mich später wieder.“
Plötzlich kam ihr Paul in den Sinn. Natürlich musste Moni die Neuigkeit unbedingt ihrem Exmann, dem Vater ihrer Töchter, erzählen. Doch im selben Moment klingelte ihr Handy. Eine ihr unbekannte Nummer rief sie an. Neugierig meldete sich Moni nur mit einem langgezogenen „Jaa?“
„Ähm, servus. Hier spricht Karl.“