Mit Sorgfalt und einer großen Portion Liebe schnipselte Moni Äpfel, Bananen, Birnen und Trauben klitzeklein. Zum Schluss gab sie ein paar Tropfen Zitronensaft dazu und mischte alles mit einem halben Glas Naturjoghurt. Sie aß ein wenig von dem Obstsalat und stellte die Schüssel in den Kühlschrank. Im Wohnzimmer legte sie sich ihre Strickarbeit zurecht, telefonierte kurz mit ihrer Schwester und zappte durch die Programme. Von einer innerlichen Unruhe gepackt, schritt sie durch die Wohnung und öffnete alle Fenster. Angenehm frische Luft strömte herein und es wurde schnell kühl.
Im Gästezimmer angekommen, fiel ihr Blick auf Uwes Sakko, welches unordentlich über der Lehne des Bürostuhls hing. Ein seltener Anblick, denn so achtlos ging Uwe normalerweise mit seinen Kleidungsstücken nicht um. Seltsam. Sie nahm die Jacke und holte einen Kleiderbügel aus dem Schrank. Da bemerkte sie eine ungewöhnliche Ausbeulung in der rechten Tasche. Neugierig fasste Moni hinein und zog ein silbernes Etui heraus, indem zwei dicke Zigarren stecken. Leicht verwundert kramte sie weiter, denn sie hatte noch einen Gegenstand gespürt.
In der Hand hielt sie eine große Streichholzschachtel mit aufgedruckter Werbung in auffallenden Farben. In lila Großbuchstaben standen die Worte Club TAKE-FIVE KITZBÜHEL. Unter der Schrift erkannte sie die Umrisse einer nackten Frau.
Moni stutzte, presste die Lippen aufeinander und runzelte die Stirn. Dann langsam dämmerte es ihr. Eine Welle der Erregung erfasste ihren Körper. Sie spürte, wie es ihr heiß und kalt gleichzeitig wurde. Kurz darauf bebte sie innerlich. Das Blut schien in ihren Beinen festzustecken, denn es war ihr nicht möglich, sich zu bewegen. Ihre Hände fühlten sich feucht an. „Ein Club?“, schoss es ihr durch den Kopf. „Ein Nachtclub?“
Scheinbar sorgte ihr Körper jetzt für einen ordentlichen Adrenalinschub. Außer sich vor Wut griff sie zu ihrem Telefon. Doch leider meldete sich nur Uwes Mailbox. Wie von Sinnen stürmte sie nach draußen und preschte in Richtung Klinikeingang.
Ihre Schritte wurden langsamer, sie hielt inne. Nein, diese Blöße wollte sie sich und dem Chefarzt nicht geben. Keine Szene vor den Mitarbeitern oder gar Patienten. Brav lief sie zurück in die Wohnung.
Unendlich enttäuscht und mit Tränen in den Augen stand sie unschlüssig in der Diele. An diesem Tag war sie es, die sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Um die Wartezeit zu überbrücken, kochte sie Tee und ließ sich zusätzlich einen Espresso aus der Maschine laufen. Sie stellte drei Tassen auf den Tisch. Unfähig sich auf irgendeine Weise sinnvoll zu beschäftigen, zündete sie sich eine der entdeckten Zigarren an, nur um sie hustend sofort wieder auszudrücken.
Nach einer gefühlten Ewigkeit klingelte ihr Handy. „Mein Engel, ich bin auf dem Weg und in wenigen Minuten bei dir. Freue mich schon.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, hatte er gleich wieder aufgelegt. Monis Herz schlug wild und laut klopfend, ihre Hände fingen zu zittern. Sie schluckte einen dicken Kloß hinunter.
Sie erwartete ihn direkt an der Haustür. „Gut, dass du endlich kommst,“ schnauzte sie ihren Schatz böse an, der sofort einen Schritt zurückwich. „Mein Engel, was ist denn passiert?“
„Was ist denn passiert?“, äffte sie ihn übertrieben nach. „Komm schon, dann zeig ich es dir.“ Mit voller Wucht knallte sie ihm die Streichholzschachtel auf den Tisch. „Was soll das? Hä?“ Ihr Ton war laut und schrill, ihre Augen füllten sich ein weiteres Mal mit Tränen.
Uwe warf einen kurzen Blick auf die Streichhölzer und hatte es kapiert. Spontan fiel im keine passende Antwort ein. Er stand einfach nur da. Seine Arme hingen schlaff herunter, den Blick hielt er gesenkt. Dann verzog er den Mund zu einer bedauernden Grimasse und zuckte beinahe in Zeitlupe mit den Schultern. „Ach,“ war alles, was er im ersten Moment hervorbrachte.
Moni schaute ihn lange Zeit nur an, bevor es aus ihr herausbrach. „Ach? Das darf echt nicht wahr sein. Ach, der Herr Dr. Ortner!
Der großartige Hirnchirurg! Huu, verliebt sich in eine seiner Patientin und heuchelt ihr die einzigartige Liebe vor. Und dann? Ein Ach?“ Ihre laute, schrille Stimme überschlug sich. „Ach, er bumst sich durch die österreichischen Clubs. Gehts eigentlich noch? Was...“ Sie brach abrupt ab und schluchzte. Hilflos setzte sie sich auf den Stuhl.
Uwe eilte zu ihr, nahm sie zögernd in seine Arme. Auch er schien hilflos und stammelte einfach drauf los: „Um Gottes Willen, Liebes! Ich... Ich bumse doch nicht... Ich... Ja, ich war dort. Ich... Wir haben einen getrunken und ja es tut mir unheimlich leid, dass ich nichts davon erzählt habe. Ich... Ich hatte Angst vor deiner Reaktion. Die Kollegen...“
Unter Tränen brachte sie stammelnd hervor: „ Ach, die Kollegen sind wieder schuld! Warum sollte ich dir dein verlogenes Geschwätz glauben? Trinken? Im Nachtclub? Ha ha, ha, dass ich nicht lache! Du fährst also weiß Gott wohin, nur um zu Saufen? Zwischen halbnackten jungen Weibern? Was glaubst du eigentlich, mit wem du es zu tun hast? Wie kannst du mich so anlügen und betrügen? So lasse ich mich nicht behandeln. Auf keinen Fall. Nicht von einem beschissenen Alkoholiker!“ Moni stand auf und fuchtelte wild mit ihren Armen. „Such dir eine Andere! Am besten eine junge, dumme Schnepfe!“
Uwe war inzwischen unfähig, sich zu bewegen oder irgendeine Reaktion zustande zu bringen. Er stand weiterhin nur da, mitten im Zimmer und starrte sie ungläubig an.
Mit einer fahrigen Handbewegung wischte sich Moni ihre Tränen aus dem Gesicht und packte in Windeseile ihre Handtasche. Dann stürmte sie erneut aus der Wohnung. „Du bist so ein Arschloch!“, war das Letzte, was er von ihr hörte.
Dann herrschte eine unangenehme Stille. Entsetzt hielt er sich eine Hand vor den Mund. Langsam sank er auf den Stuhl, auf dem eben noch seine Liebste saß.
Leise murmelte er, „Das darf alles gar nicht wahr sein. Oh nein. Ich bin so ein Idiot!“ Jetzt endlich liefen auch bei ihm die Tränen. Er nahm eine der Kaffeetassen, die Moni unberührt auf dem Tisch hat stehen lassen und warf sie mit voller Wucht gegen die Wand. Auf den dumpfen Schlag folgte fast gleichzeitig das zarte Klirren des feinen Porzellans. Fasziniert beobachtete er, wie die braune Brühe in kleinen fließenden Bewegungen die Tapete herunter kroch. Auf dem Boden tropfte sie in den Scherbenhaufen. „Scheiße!“, brüllte er laut.
Dann passierte es.
Darauf war er nicht vorbereitet. Nicht nur seine Hände fingen an zu zittern. Eine Art Schüttelfrost erfasste seinen kompletten Körper. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, zuerst in Form von vielen kleinen Tröpfchen, dann lief ihm die Flüssigkeit wie ein Rinnsal an den Schläfen herab und breitete sich in seinem Gesicht aus. Sein Herz klopfte so laut und schnell, er hatte Angst, dass es aus seiner Brust sprang. In Panik drückte er mit seiner Hand gegen seinen Brustkorb. Er schien kaum Luft zu bekommen. Er zwang sich dazu, langsam ein und auszuatmen.
Ein starkes Ziehen im linken Bauchraum ließ ihn aufspringen. Schnell rannte er ins Badezimmer und übergab sich mehrfach. Aus seinen Mundwinkeln tropfte unkontrolliert schaumiger Speichel. Fix und fertig blieb er auf dem eiskalten harten Boden sitzen und schloss die Augen. Tausende kleiner Nadeln stachen ihm in die Schläfe, er wollte laut aufschreien, doch er hatte überhaupt keine Kraft dazu.
Erst nach vielen, endlos erscheinenden Minuten war es ihm möglich, aufzustehen. Er schleppte sich auf die Couch, schaffte es mit großer Mühe, von dort aus die Tür zu öffnen. Die hereinströmende kalte Luft tat ihm gut. Er lag auf dem Rücken, hielt die Augen geschlossen und atmete bewusst durch die Nase ein und durch den Mund aus. Mit heftigen Kopfschmerzen und einem einsamen Gefühl, das ihm wieder und wieder Tränen in die Augen trieb. Mit dem Gedanken, alles zerstört zu haben, wollte er nur noch sterben. Es dauerte sehr lange, bis es ihm gelang, sein Telefon zu finden.
„Thommy, ich ... ich brauche dich.“