Vor der Kirche standen Monis Strickfreundinnen sowie weitere Freunde aus ihrer Heimat Spalier. In ihren Händen hielten sie einen ellenlangen gestrickten Schal aus bunter Restewolle, welcher kreuz und quer gespannt war. Das gute Stück war viel zu schade, um es durchzuschneiden, so musste das frisch gebackene Brautpaar gebückt unter dem Geflecht durchlaufen, was in Monis Kleid gar nicht so einfach war. Dahinter warteten ihre Töchter, um endlich ihre Glückwünsche loszuwerden. „Mama, ich hab dich so lieb!“ „Danke, meine Süße, du hast so wundervoll gespielt. Ich bin so stolz!“ Moni küsste Käthe auf die Stirn. Dann drückte sich Lina vorbei. „Muader, i winsch dr alles Guede, gell!“ Zärtlich strich Moni über Linas Bauch. „Danke, meine Kleine, ich freu mich schon auf Enkel Nummer drei.“ Dann umarmte Moni ihre jüngere Tochter und gab ihr ebenfalls einen Kuss.
Das halbe Dorf hatte sich inzwischen versammelt und freute sich für das sympathische Paar. Viele kannten Uwe schon seit seiner Kindheit. Für die Bewohner war es deswegen eine Riesenfreude, dass er seine Hochzeit ausgerechnet hier in Montan feiern würde. Manche warfen Reiskörner, manche klatschten Beifall oder schmissen kleine Blumensträußchen für die Frischvermählten und riefen ihre Glückwünsche zu. Die Leute warteten geduldig, bis sie an der Reihe waren, um zu gratulieren. Neben der Kapelle war ein Buffet mit Fingerfood und verschiedenen Getränke aufgebaut. Ein jeder durfte sich nach Herzenslust bedienen. Heute gab es kein Limit.
Ein lautes Geknatter unterbrach die fröhliche Gesellschaft. Georg trat zwischen Uwe und Moni und zeigte mit dem Finger nach oben. Über dem Dorf flog eine Chessna. Die Maschine zog einen Banner hinter sich mit dem Schriftzug: Just married – Moni und Uwe . Unter den Namen waren zwei ineinander verschlungene Herzen zu sehen. Wieder klatschten alle Beifall oder jubelten laut. Uwe schüttelte den Kopf. An seinen Vater gewandt sagte er lachend. „Deine Idee, schon klar.“ Georg hielt seine Freundin Heather an der Hand. Diese schenkte Uwe ein eher zurückhaltendes Lächeln, gratulierte ihm aber dennoch sehr herzlich.
„Mein Engel, ist das alles hier nicht wunderbar? Und du! Du siehst so umwerfend aus!“ Zärtlich nahm sich das Paar in die Arme und küsste sich vor versammelter Mannschaft.
Moni lächelte, zu mehr war sie im Moment nicht imstande. Frau Schön eilte an ihnen vorbei und fuchtelte erneut mit den Armen. Da löste sich die Menschenmenge auf, um die Straße freizugeben. Karl lenkte die Hochzeitskutsche vor die Kirche. Bruno saß stolz neben ihm. Sie hatten dem großen Hund eine grüne Fliege umgebunden. Kleine Straßsteine funkelnden an seinem Halsband. Moni hielt sich die Hand vor den Mund. „Ach Gottle, wie süß ist das denn!“ Im Blitzgewitter der Fotografen stiegen Moni und Uwe in die Kutsche ein. Lara, Irene, Linus und Gerhard durften ebenfalls mitfahren. Übermütig streuten sie die restlichen Rosenblätter über Brunos Kopf aus.
Langsam zuckelte die Kutsche Richtung Festplatz. Jetzt kam sich Moni tatsächlich vor wie eine Königin, die ihr Volk begrüßte. Sie nickte hier und winkte dort. Uwe nahm ihre Hand und drückte sie immer wieder aufgeregt. Dann klopfte er Karl auf die Schulter, bedankte sich überschwänglich bei seinem Stallburschen. Uwes Wangen glühten rot, er genoss dieses Bad in der Menge.
Die Kutsche zog die typischen Blechdosen hinterher, Luftballons stiegen auf, Kinder rannten fröhlich hinter dem feierlich geschmückten Gefährt her. Rondo hinterließ hier und dort seine Spuren. Diese Szene erinnerte Moni an einen Film, doch dessen Namen fiel ihr nicht ein.
Auf der Festwiese war der Rummel schon in vollem Gange. Die Schausteller hatten rund um das Bierzelt verschiedene Foodtrucks aufgestellt. Neben den typischen Essensangebote wie Wurst, Pommes, Käs-Spätzle und Steaks wurden auch Waffeln, Langos und Eis verteilt. Eine große Salatbar, an der es sogar frisch gepresste Säfte gab, rundete das Angebot ab. Neben dem Kinderkarussell blies ein Kompressor Luft in eine überdimensionale bunte Hüpfburg. Die Mitarbeiter steckten allesamt in Clownskostümen.
Die Erwachsenen konnten zwischen einer Fahrt mit dem Kettenkarussell oder der Schiffschaukel entscheiden. Oder auch beides. Akrobaten sowie Zauberer zeigten ihre Künste. Den zahlreichen Gästen stand ein abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm zur Verfügung.
Nicht nur viele Gäste erwartete das Brautpaar auf dem Festplatz, sondern auch lautes Getöse. Strahlend wurden sie von Thommy in Empfang genommen: „Herzlichen Glückwunsch mein Guter!“ Überglücklich nahm er Uwe in den Arm. „Was hast du nur für ein Glück, so eine tolle Frau zu haben. Kommt mit ihr zwei!“ Thommy führte die beiden hinter das Festzeit. Hier stand der glänzende Helikopter der Bergwacht Toblach bereit.
Moni hielt sich ein weiteres Mal die Hand vor den Mund, als ihr klar wurde, dass sie hier jetzt einsteigen würden. Uwe flüsterte in ihr Ohr: „Es ist dein Rettungshubschrauber von damals.“ Thommy wartete einen Moment, bis die Näherinnen Moni die Schleppe abgenommen hatten. Nur so war es möglich, in den Hubschrauber einzusteigen. Uwe freute sich und zwinkerte seinem Kumpel zu. „Wow, starke Idee von dir!“
Monis Herz schlug laut, ihr Puls pochte in den Schläfen. Es war ihr ein wenig mulmig zumute. Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie konnte nur hoffen, dass ein Mensch so viel Emotionen und Freude an einem Tag aushält. Schnell gewannen sie an Höhe. Thommy drehte zuerst eine Runde über den Festplatz, dann über das ganze Dorf. Moni erkannte ihre Schwester, wie sie mit Bruno und ihren eigenen Hunden auf einem Feldweg spazieren ging. Es war einzigartig schön, die Welt von hier oben aus zu betrachten. Auch wenn der Lärm sehr gewöhnungsbedürftig war. Uwe nahm wieder ihre Hand, küsste sie und strahlte sie an. Sie redeten nichts, aber das war nicht weiter schlimm. Man würde sowieso kein Wort verstehen. Thommy flog über die Höfe, kreiste so lange, bis Karl und Xaver sie schließlich entdeckten.
Anschließend nahm Thommy Kurs auf Innsbruck. Uwe hatte sich das schon gedacht und nickte zufrieden. Als er seine Klinik entdeckte, schloss er dankbar die Augen. Moni freute sich für ihn. „Schatz, ist es nicht eine wundervolle Idee?“ Sie küsste ihren Uwe auf den Mund, danach kuschelte sie sich an ihn, denn nun waren sie auf dem Landeanflug. Gekonnt setzte der erfahrene Pilot seinen Helikopter auf dem Dach der Klinik ab.
Hier wurde das Brautpaar von Uwes Ärztinnen, Ärzten und den Stationsmitarbeitern begrüßt. Auch hier standen sie Spalier. Moni sollte mit einer riesengroßen, stumpfen Schere die Binden, die gespannt waren, durchschneiden. Was natürlich ein schwieriges Unterfangen war. Uwe half ihr lachend dabei, so gut es eben ging.
Eva hatte alkoholfreien Sekt organisiert. Mit diesem und mit Orangensaft stießen die Mitarbeiter auf Uwe an. Sie trällerten sogar ein kleines Liedchen mit typischen Medizinersprüche für ihren Hirnchirurg. In silbernen Gefäßen, die die Form einer Nierenschale hatten, warteten belegte Brötchen mit Lachs, Schinken und Käse auf ihren Verzehr. Nachdem alle ihre Glückwünsche überbracht und Uwe sich bei jedem einzelnen mit Handschlag bedankt hatte, klatschte Thommy in die Hände. „Es tut mir leid, aber wir müssen wieder zurück!“
Moni genoss die herrliche Aussicht auf dem Rückflug nach Montan. Wie einzigartig die Bergwelt von hier oben war. Diese bisher noch nicht gekannte Perspektive eröffnete ihr ganz andere Ansichten der Täler und der Gipfel. Die Welt erschien Moni auf einmal so klein. So niedlich. Aber auch irgendwie verletzlich. Wenn es nach ihr ginge, wäre die Feier jetzt zu Ende.
Nach der Landung zog sich Moni in den Pavillon zurück. Hier warteten viele helfende Hände. Sie nahm sich eine Tasse Kaffee, einen Schluck Wasser sowie ein Bonbon für den fahlen Geschmack in ihrem Mund. Frau Schön begleitete die Braut zur Toilette, denn mit diesem Kleid würde sie heute auf Hilfe angewiesen sein. Danach kümmerte sich Irina um die Frisur und das Makeup.
Als sie fertig war, äußerte Moni einen Wunsch. „Bitte, ich möchte nur fünf Minuten alleine sein.“ Sie setzte sich auf die Couch und starrte in den Spiegel. Auf was hatte sie sich da eingelassen. „Herbert,“ flüsterte sie, „Wie konnte das alles nur passieren?“ Weitere Tränen bahnten sich ihren Weg. Dann schloss Moni ihre Augen.
***
„Kommst du morgen mit?“
„Nö, warum denn? Was soll ich dort?“
„Naja, wir sind ja alle eingeladen!“
Theo zuckte mit den Schultern. „Mir doch scheißegal!“
„Willst du sie nicht noch einmal sehen, bevor...?“
„Nein, auf keinen Fall!“