Uwe wachte mitten in der Nacht auf und übergab sich ein weiteres Mal. Nach einer kalten Dusche lief er in Küche. Sein Magen rumorte laut. Aaron folgte ihm auf Schritt und Tritt. Die Anwesenheit des Schäferhundes tröstete Uwe ein klein wenig über die Einsamkeit hinweg. Frustriert schaltete er die Kaffeemaschine an und suchte sein Telefon. Es war halb vier in der Früh. Dennoch wählte er Monis Nummer, aber ihr Handy ausgeschaltet zu sein. In seinen traurigen Blick mischten sich Sorgen und Angst. Sie hatte ihm keine Nachricht geschrieben. Ob sie gut in München angekommen war?
Starke Kopfschmerzen trieben ihn zurück auf die Couch, wo er versuchte, noch einmal in den Schlaf zu finden. Später weckte ihn Georg mit einem kleinen Frühstück. Dankbar nahm sich Uwe ein Stück Käsebrot und aß die Portion Rührei.
„Wenn du möchtest, helfe ich dir in der Klinik ein paar Tage aus. Mit Rita habe ich bereits darüber gesprochen. Elsbeth wird sie die kommende Woche auf dem Hof unterstützen.“ Georg war gespannt auf Uwes Reaktion. Dieser nickte abwesend. „Danke, das ist eine tolle Idee. Ich freue mich.“
„Wir könnten uns endlich um einen neuen Oberarzt kümmern und die Stellenanzeige aufgeben. Du benötigst dringend Hilfe. Denk an deine Gesundheit, auch an dein Privatleben. Peter fehlt doch vorne und hinten oder?“
„Ja, das machen wir. Es wird Zeit!“
***
Mit den Enkelkindern an der Hand spazierte Moni durch den Park in Richtung Abenteuer-Spielplatz. Es war eine große Freude, den Kleinen beim Spielen und Toben zuzusehen. Die zuckersüßen Kinderstimmchen und die lächelnden Gesichtchen wärmten Monis Herz und ihre Seele. Mit Lina verstand sie sich inzwischen richtig gut. Durch ihren Freund Simon war ihre Tochter ein anderer Mensch geworden. Sie hatte sich so sehr zum Positiven verändert, es war unglaublich. Noch dazu wurde Lina damals durch den Umzug nach München in die Selbstständigkeit gezwungen, was ihr im Nachhinein aber gutgetan hatte. Moni war sehr stolz auf ihre Jüngste. Mit ihr und den Kindern fand Moni eine wunderbare Ablenkung, ebenso den dringend benötigten Abstand zu dem Mist, den Uwe fabriziert hatte. Ihr Handy hatte sie schon seit Tagen lautlos gestellt, schaute aber immer wieder mal nach. Auf ihrem Display stapelten sich seine Anrufe und Nachrichten. Nur einmal hatte sie bis jetzt geantwortet:
Lieber Uwe,
mir geht es hier in München bei meinen Enkelkindern ganz gut. Bitte verstehe, wenn ich mir nach all dieser Aufregung Abstand und Ruhe wünsche. Ich brauche Zeit, um mir darüber klar zu werden, ob und wie das mit uns weitergehen kann. Ich melde mich, sobald ich wieder in Stuttgart bin.
Kuss, deine Moni
Seit dieser Nachricht war Uwe ein einziges Nervenbündel. Er fühlte sich, als habe man ihm jegliche Freude am Leben genommen. Was, wenn sie ihn nicht mehr sehen wollte? Würde sie die Beziehung beenden? Immer wieder vertraute er sich sogar seinem Oberarzt und inzwischen guten Freund Victor an. Der hörte ihm zwar meistens nur zu ohne seine Meinung zu äußern, aber für Uwe war es wie ein Ventil, nicht an seinen Befürchtungen und den schrecklichen Gedanken zu ersticken.
Vor allem stürzte sich in die Arbeit und versuchte, seinen Alkoholgenuss zu minimieren. Das gelang Uwe jedoch nur teilweise. Zumindest schaffte er es, diese endlos erscheinenden Tage ohne Whiskey zu überstehen. Er genehmigte sich nur ab eine Flasche Wein oder Bier. Dafür telefonierte er täglich mit Thommy, der ihm geduldig zu hörte. Leider hatte er auch keine Lösung parat. Mit seinen Erzählungen von den Einsätzen der Bergrettung und von seiner Familie sorgte der Freund aber immerhin für Abwechslung.
***
Achtlos warf Moni ihre Taschen in die Diele. Sie öffnete die Terrassentür, um gemeinsam mit Bruno in den Garten zu rennen. Hier draußen waren schon viele Frühlingsboten aus dem Boden gewachsen. Lila und rosafarbige Krokusse strahlten mit den letzten Schneeglöckchen um die Wette. Die Sonne schien von einem makellosen Himmel. Moni warf ihrem Hund den Ball zu, den er geschickt mit seinem Maul auffing. Sie spielten fast eine halbe Stunde, dann begann es auch schon zu dämmern.
Uta hatte versprochen abends vorbeizukommen, um ihrer Schwester von den letzten Tagen zu berichten. Morgen war schon Freitag, da hatten sie Moni im Laden fest eingeplant. Sie freute sich auf ihre Freundinnen und war sehr gespannt, wie es ohne sie gelaufen war. Zurück in die Wohnung räumte sie sämtliches Gepäck aus und belud die Waschmaschine. Uwe hatte Recht, so eine Haushaltshilfe wäre eine feine Sache. Gleich morgen würde sie eine Anzeige schalten. Nach einer erfrischenden Dusche zog sich Moni den gemütlichen Hausanzug an. Zusammen mit ihrem Handy, einer Tasse Kaffee und Bruno legte sie sich aufs Bett. Jetzt war der Moment gekommen, sie war bereit für ein erstes Gespräch. Als hätte er darauf gewartet, meldete sich Uwe sofort.
„Mein Engel!“, seine Stimme klang wie das heisere Krächzen eines sterbenden Vogels. Uwes Herzschlag setzte vor Glück einen Moment aus. „Wie schön, dass du dich meldest, sag wie geht es dir?“ Moni hörte seine Ergriffenheit durch das Telefon. „Hallo Uwe Schatz, ich bin jetzt wieder in der Stuttgarter Wohnung. Bei mir ist alles ok, die Zeit mit den Kindern war so schön.“ Uwe räusperte sich, „Ja das glaube ich dir gerne. Mir geht es nicht so gut, ich vermisse dich wahnsinnig. Ich... Es tut mir alles so leid. Ich liebe dich mein Engel.“ Er sah auf seine zitternden Hände und war froh, dass ihn Moni nicht sehen konnte.
Moni fragte ihn direkt: „Wann sehn wir uns? Kommst du am Wochenende?“
„Oh ja, gleich morgen Abend!“
In diesem Moment klingelte es bei Moni an der Haustür. „Schatz, ich ruf dich später noch einmal an, zum Gute Nacht sagen, ok?“
Uwe drückte sein Telefon an die Brust und schloss seine Augen. Eine große Last fiel von ihm ab, endlich konnte er wieder tief durchatmen. Mit einem Lächeln öffnete er das E-Mail Programm, denn er saß noch in seinem Arbeitszimmer. Hier gab es wie immer genug zu tun.
***
Uta kam mit ihren drei Hunden und Roli. Er hielt einen riesengroßen Karton in der Hand. „Haben eine Familienpizza mitgebracht,“ flötete Roli und lachte dabei. Für die Hunde legte er Pansen Stücke auf den Boden.
Bis aufs kleinste Detail ließ sich Moni von ihrer Schwester erzählen, wie es ihnen im Laden ergangen war. Uta bestätigte, dass es immer noch täglich brechend voll war und sie oftmals die Kunden aus Platzmangel wieder wegschicken mussten. Moni plauderte über die Zeit auf dem Hof und zeigte aktuelle Fotos von ihren Enkelkindern. Den Streit mit Uwe behielt sie für sich. Kauend fragte sie nach: „Alles ok bei euch zwei? Ihr macht einen so süßen, verliebten Eindruck.“ Roli drückte Utas Hand und nickte.
„Moni, wir möchten dir sagen, dass wir uns an meiner Geburtstagsfeier offiziell verloben.“ Fassungslos blinzelte Moni die beiden an. „Echt jetzt? Übermorgen?“ Utas Wangen färbten sich zart rot.
„Wie schön!“ Moni stand auf und nahm ihre Schwester in den Arm.
„Wir haben sogar eine Zeitungsannonce gestaltet“, entgegnete Uta voller Eifer. Moni stutzte, „Ihr macht das ganz offiziell? Bestimmt wird es Otto erfahren. Ob das eine gute Idee ist? Ihr seid ja noch gar nicht lange geschieden.“ Uta zuckte mit den Schultern. „Ist doch mir scheißegal. Das Arschloch hat es nicht anders verdient!“ Moni kratzte sich an den Mundwinkeln. Natürlich hatte Uta recht, doch Moni beschlich ein ungutes Gefühl.