Moni saß im Taxi mit dem dumpfen Gefühl, ihr Kopf sei in Watte gepackt. Das Pfeifen im Ohr empfand sie als äußerst unangenehm. Sie fühlte sich gedemütigt und war immer noch fassungslos. Wie konnte er ihr das nur antun? Auf der Fahrt befürchtete sie immer wieder, sie müsse sich übergeben. Sie spürte die besorgten Blicke des sympathischen Taxifahrers im Rückspiegel. Tapfer zwang sie sich trotz ihrer Tränen zu einem Lächeln und nickte ihm freundlich zu. Am Ziel angekommen half er ihr beim Ausladen und berührte fürsorglich ihre Schulter. „Gnäädge Frau, ich wünsche Ihnen, dass alles wieder gut wird, ja?“, sein Wiener Dialekt brachte Moni zum Schmunzeln, dankend schloss sie die Augen.
„Sie können mich jederzeit anrufen, ich fahre sie, wohin sie wollen.“ Er steckte ihr eine Visitenkarte zu. In seinem Blick erkannte sie, dass er es ernst meinte.
Moni gab ihm zum Abschied ein ordentliches Trinkgeld und nahm ihn flüchtig in die Arme. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich nach und nach die Räume des Hauses erhellten.
Georg nahm das heulende Elend liebevoll in Empfang. Er hörte sich Monis Geschichte in Ruhe an und brauchte viel Geduld, um sie mit Worten und Streicheleinheiten zu beruhigen. „Liebes, bitte glaube ihm. Niemals würde er fremd gehen! Ich sag dir, es war sehr dumm von Uwe. Die ganze Sauferei ist scheiße! Aber glaube mir eins, nie im Leben würde er rumhuren, mit anderen Frauen anbandeln oder etwas in dieser Richtung. Niemals!“
Rita stand blass, nur mit ihrem Nachthemd begleitet, an der Tür. Ihr Blick war traurig. Sie hatten schon geschlafen und jetzt wirkte die alte Dame total verstört. Trotz ihrer eigenen Probleme, bemerkte Moni sofort, dass es Rita schlecht ging. Doch sie schaffte es nicht, in diesem Moment nachzufragen.
Olga betrat den Raum, nahm Moni liebevoll in die Arme und beruhigte sie. „Moni, das wird sich alles wieder einrenken. Ihr liebt euch doch. Ach herrje, wie konnte das nur passieren.“
In der Zwischenzeit war auch Bruno bei Moni. Er leckte ihre Hand und ließ sie den restlichen Abend nicht aus den Augen. Oben in der Wohnung dachte Moni über ihre Situation nach und fasste den Entschluss, sofort nach München zu fahren. Schließlich war ein Besuch bei Lina sowieso geplant. Sie gab ihrer Tochter kurz Bescheid, dann packte sie in aller Ruhe ihre Sachen zusammen. Bruno würde sie selbstverständlich mitnehmen, also füllte sie auch seine Tasche. Sie blickte sich ein letztes Mal um, damit sie sicher war, nichts zu vergessen, da hörte sie, wie draußen ein Wagen hielt. Uwes Auto parkte direkt an der Außentreppe, er sprang aus der Beifahrerseite heraus und polterte die Stufen hoch.
Er baute sich schwankend vor ihr auf. Sein Gesicht war aufgequollen, unter seinen Augen hatten sich tiefe, rote Ränder gebildet. Moni roch seinen ekligen Schnaps-Atem. Angewidert drehte sie sich sofort um. „Boah, wie du stinkst!“
„Mein Engel, bitte! Verlass mich nicht. Ich bin ein großer Trottel. Aber bitte glaube mir, ich habe in dem Club nur getrunken. Von mir aus auch gesoffen. Zusammen mit den Salzburger Kollegen. Aber sonst nichts. Bitte glaube mir! Mich interessieren keine anderen Frauen, ich liebe doch nur dich!“
„Selbst jetzt hast du gesoffen!“
Uwe nickte schnell. „Ja stimmt. Aber… Ich krieg das in den Griff!“ Uwe zitterte am ganzen Körper.
„Es tut mir leid! Ich reise ab.“
Enttäuscht und völlig überfordert über diese Worte, hielt er sie an den Oberarmen ziemlich fest. Doch sie zerrte sich sofort los und schenkte ihm einen bösen Blick. Nervös fuhr sich Uwe mit der Zunge über die Lippen und biss sie blutig. Seinen Tränen ließ er freien Lauf.
„Scheiße Scheiße Scheiße!“ Uwe schrie laut seine Wut hinaus. Er wusste, er war kurz davor durchzudrehen. Aber jetzt bemerkte er, wie ihn jemand festhielt. Dann erkannte er seinen Vater. „Uwe, hör auf. Du weckst den ganzen Hof auf! Sagamal, spinnst du!“
Georg spritzte ihm ein Beruhigungsmittel, half ihm auf die Couch, zog seine Schuhe aus und deckte ihn zu. Auf den Tisch stellte er eine Flasche Cola und ein Glas Wasser. „Trink!“, befahl er seinem Sohn. Aaron kam herbei und schnüffelte an Uwes Hand.
Rita packte für Moni ein wenig Verpflegung ein. Gemeinsam verstauten die Frauen das Gepäck im Wagen. Aufgeregt sprang Bruno zwischen Monis Beine und kläffte freudig. Auf einmal nahm Rita Monis Hand und sprach ganz leise: „Meine Liebe, bitte geht niemals im Streit auseinander.“ In Ritas Blick lag so viel Erfahrung, deswegen nahm sich Moni ein Herz und lief noch einmal zurück in die Wohnung, um sich zu verabschieden.
Die Männer waren noch im Wohnzimmer, Moni lauschte Uwes Erzählungen… „die Kollegen von Salzburg waren in Innsbruck auf einem Seminar. Letzte Woche. Sie haben mich überredet, mitzukommen. Ich… wir haben gesoffen, ja. Deswegen habe ich es ja niemandem erzählt. Ich...“ Uwe brach ab und schüttelte den Kopf. Er legte den Kopf aufs Kissen und schloss seine Augen.
Georg saß still neben seinem Sohn und betrachtete ihn traurig, als Moni leise ins Zimmer schlich. Mit großem Abstand blieb sie stehen. „Uwe, hör zu. Ich bin ein paar Tage bei Lina in München. Danach fahre ich zurück nach Stuttgart. Nächstes Wochenende ist Rolis Geburtstagsfeier, das weißt du ja. Vielleicht sehn wir uns da?“ Zum Abschied gab sie Uwe einen Kuss auf die Wange. Daraufhin fing er wieder an zu weinen. Sie nahm Georg halbherzig in den Arm und dann war sie auch schon weg. Die Männer lauschten dem Geräusch des abfahrenden Autos.
Georg hob seine Augenbrauen und zuckte mit den Schultern. Uwe suchte die Hand seines Vaters, dann wirkte das Beruhigungsmittel und er schlief ein. Georg machte sich auf den Weg zu Rita, denn sie benötigte seine Hilfe ebenfalls. Aaron ließ er bei Uwe, damit er nicht alleine war, wenn er aufwachte.
***
Kaum saß Moni im Auto, wählte sie die Nummer von Lina. „Hi, ich bins. Ich bin erst jetzt losgekommen.“ „Ach Muader, habt ihr echt Schtreit?“
„Lina, ich erklärs dir morgen, ok?“ „Alles klar, de Simon hat Schpätschicht, also koi Problem. I geh scho amol ins Bett. S Zimmer isch nogrichtet.“ Danke meine Süße, bis morgen dann. Ich bin auch ganz leise.“
„Aber net klingeln, sonscht wachet die Kloine uff.“
Dank Linas Dialekt brachte sie doch noch ein Lächeln zustande. Es war wirklich spät geworden, dafür war die Autobahn frei. Moni nahm einen großen Schluck Kaffee aus dem To-Go Becher und schaltete das Radio an. So sehr sie sich es auch wünschte, aber sie bekam ihren Uwe nicht aus dem Kopf. Ein Nachtclub! Wie konnte er nur. Eine weitere Welle der Wut floss durch ihren Körper. Sie lenkte den Wagen auf den nächsten Parkplatz und stieg aus.
Mutterseelenalleine stand sie in der dunklen Kälte und heulte Rotz und Wasser. Die Stiche in ihrem Herzen zeigte ihr, wie sehr sie in liebte.