Das Essen im Montaner Biohotel war wie immer äußerst lecker und schmackhaft. Die Köche benutzten vor allem regionale Produkte und Zutaten. Noch dazu legten sie Wert auf traditionelle Speisen. Damit alle Gerichte auch wirklich frisch zubereiten werden konnten, war die Auswahl in diesem Restaurant nicht sehr groß. Doch es war immer für jeden etwas dabei. So boten sie mindestens auch eine vegetarische Speise an.
Zu dem ausgewählten Menü bestellte Uwe wie immer eine Flasche Wein. Moni beobachtete ihn dabei, wie er sich die ganze Zeit über beherrschte, sein Glas nicht in einem Zug zu leeren. Sie dachte darüber nach, ihn darauf anzusprechen, allerdings wäre dann die romantische Stimmung zerstört. Sie entschied sich, dieses Gespräch zu verschieben und auf einen besseren Zeitpunkt zu warten. Uwe nahm ihre Hand, küsste sie zärtlich und schaute sie verliebt an.
„Mein Engel, wie lange bleibst du hier?“, fragte er vorsichtig. Moni strahlte ihn an. „Ich weiß es nicht genau, schon noch ein paar Tage.“ Uwes Gesicht erhellte sich sofort. „Das ist ja wunderbar. Dann kommst du mit zu dem kleinen Kongress morgen Abend?“ Moni überlegte, „Oh, das hatte ich ja ganz vergessen. Na klar, aber ich habe gar nichts anzuziehen.“ Uwe dachte an Monis Kleiderschränke in den drei Wohnungen und brach in schallendes Gelächter aus. „Das können wir gerne ändern,“ fröhlich zwinkerte er ihr zu.
„Um vierzehn Uhr habe ich einen Termin bei Irina. Am besten wir melden dich gleich dazu an,“ fuhr Uwe fort. „Prima, darauf freue ich mich jetzt richtig!“ Moni stand auf, lief um den runden Tisch und drückte ihrem Uwe Schatz einen herzhaften Kuss auf den Mund. Die anderen Gäste schauten für einen kleinen Moment verdutzt, lächelten dann aber dem verliebten Paar zu.
Irina war die Frau von Uwes Oberarzt Dr. Victor Popow. Sie wohnten nur zehn Minuten Fußweg von der Klinik entfernt in einer rustikalen Villa. Zusammen mit ihrer Mutter, ihrer Cousine und einem Barbier hatte Irina im Erdgeschoss eine Art Schönheitsfarm im Miniformat eröffnet. Dort konnte man sich von Kopf bis zu den Zehen verwöhnen und pflegen lassen. Von Kosmetikbehandlungen, Fußpflege, Maniküre und Pediküre über Massagen bis hin zur trendigen Frisur. Zusätzlich gab es für Sonnenhungrige zwei Solarien. Abgerundet wurde das Angebot von einer großen Aussichtsterrasse mit Schwingliegen, Relaxinseln und Kuschelecken zum Entspannen. Beide Geschlechter kamen hier auf ihre wohlverdienten Kosten.
Irina war eine waschechte, stolze Russin. Sehr hübsch, sehr blond und vor allem äußerst charmant und liebevoll. Für Moni war sie inzwischen eine gute Freundin geworden. Irina verwöhnte ihre Kunden während der Behandlungen nicht nur mit verschiedenen Kaffee- und Teesorten, sondern auch mit Sekt und Champagner, toller Musik, kleinen Leckereien und natürlich mit dem neusten Klatsch und Tratsch der Innsbrucker High Society. Nach einem Besuch bei Irinas Schönheitsstudio fühlte man sich wie neugeboren, innen und außen. Sie selber erschien einem wie ein Paradiesvogel aus einer Reality Show. Ihr Körper, ihr komplettes Erscheinungsbild sowie ihre Kleidung entsprachen immer der aktuellen Mode und Fashion Trends nebenher verkaufte sie Parfüm, Schmuck und allerlei Accessoires.
Uwe räusperte sich und riss Moni aus ihren Gedanken. Dann fiel ihr wieder ein, was sie ihren Schatz unbedingt fragen wollte: „Hältst du morgen Abend eine Rede?“ „Nun, wenn du das so ausdrücken möchtest, ja. Ich nenne es eher eine Präsentation.“ Uwe schenkte seiner Liebsten ein gütiges Lächeln. „Georg und Rita sind ebenfalls dabei. Mein Vater wird einer der Ehrengäste sein.“
Moni nickte anerkennend, „Das ist wirklich toll. Für Rita ist so ein Abend immer etwas Besonderes. Dann sind wir wieder zu viert, wie damals bei der Gala?“ „Genau!“
„Wie schön! Und dein Thema ist die Wach-Operation?“ Ein breites Grinsen huschte über Uwes Gesicht, „Ja so ähnlich. Mein Beitrag handelt von den verschiedenen Möglichkeiten der Tumor-Entfernung am Sprach- und Motorikzentrum.“
Der Kellner kam vorbei und fragte nach, ob die Herrschaften noch einen Wunsch hätten. Uwe betrachtete die leere Flasche Wein, öffnete den Mund und wollte gerade antworten, da kam ihm Moni zuvor. „Nein danke, die Rechnung bitte.“
Uwe kniff seine Augen zusammen, „Bist du heute der Bestimmer?“ „Ja, mein Schatz, wir spazieren jetzt gemütlich zum Hof und gönnen uns zuhause noch ein Gläschen. Wir müssen bestimmt morgen früh zeitig aufstehen, oder?“
***
Tatsächlich klingelte schon um sechs Uhr der Wecker. Bruno sprang kläffend aufs Bett und zog seinem Frauchen die Decke weg. Sie streichelte und knuddelte ihren Hund ausgiebig, der sich jetzt auf ihre Beine legte. Uwe hantierte lautstark und fluchend in der Küche, die Kaffeemaschine summte. Durch das gekippte Fenster fühlte Moni, wie die klare, kalte Luft hereinströmte. Dann hörte sie die Kühe rufen. Sie reckte und streckte sich, spürte das angenehme Gefühl der Zufriedenheit. Der Stress der letzten Wochen fiel langsam von ihr ab. Mit der Freude auf den heutigen Tag stand sie munter auf und gab ihrem Schatz zur Begrüßung einen Klaps auf den Po. „Guten Morgen mein Loverboy.“
„Mein Engel, guten Morgen,“ freute sich Uwe. Sie küssten sich liebevoll, dann löste sich Moni aus seiner Umarmung und musterte ihn ungeniert. „Schatz, du siehst ganz schön fertig aus.“ „Vielen Dank für dein wunderbares Kompliment, darf ich dir einen mit Liebe gebrühten Kaffee reichen?“ „Ehrlich gesagt würde ich lieber einen mit Koffein nehmen,“ Moni lachte laut, zog ihn an den Haaren und lief spaßeshalber ein paar Schritte zur Seite. Uwe schmunzelte ebenfalls, er liebte es, wie sie ab und zu miteinander herumalberten. Sowas kannte er aus seiner früheren Beziehung überhaupt nicht. Für ihn war Moni wie ein Jungbrunnen. Wenn er mit ihr zusammen war, fühlte er sich lebendig, frei und unheimlich männlich.
Uwe beobachtete, wie Moni pfeifend mit ihrer Tasse im Badezimmer verschwand. Er lächelte immer noch, obwohl sie es nicht mehr sehen konnte. Mit der Handfläche fuhr er nervös über seine verschwitzte Stirn. Er wusste selbst, dass er morgens schrecklich aussah, denn in letzter Zeit kämpfte er mit massiven Schlafproblemen. Beim Blick auf seine zitternden Hände schämte er sich. Ob sie es bemerkt hatte?
Wenn er sich zu einem Entzug entscheiden würde, dann nur wegen ihr. Sie war es wert. Für ein Leben an Monis Seite würde er alles tun. Sein komplettes verdammtes Geld würde er verschenken. Doch eine andere, viel schwierigere Aufgabe wartete auf ihn. Den ersten Schritt zu gehen, das war der Knackpunkt. Resigniert gönnte er sich noch einen zweiten Kaffee und stellte sich dabei vor, wie wunderbar es wäre, diesen mit einem Schuss Cognac zu einer Art Kaisermelange werden zu lassen. Nervös lief er hinaus auf den Balkon.
Es war ihm schon lange bewusst, dass er süchtig war. Dabei fragte er sich in diesem Moment, ob das seiner Familie ebenfalls klar war?