Am nächsten Tag stand Uwe Punkt fünf unter der Dusche und war bereit für einen strengen Arbeitstag. Sein Vater sollte die nächste Zeit bei Rita in Montan bleiben. Daher würde er den Dienstplan für die kommenden Wochen ohne ihn gestalten. Eva hatte ihrem Urlaub ab heute wieder Tagdienst und Victor übernahm die Nächte sowie den Notdienst. Gemeinsam mit den Assistenzärzten würde er die anfallende Arbeit gut bewältigen. Außerdem trudelten nach und nach die ersten Bewerbungen für die ausgeschriebene Oberarztstelle ein. Freilich waren es nur wenige, aber das war klar.
Ein Blick auf den Kalender zeigte Uwe, dass schon in drei Wochen Ostern war. Ach herrje, ob Moni an den Kurzurlaub am Gardasee dachte? Gedankenversunken kratzte er sich am Kopf. In dem exklusiven Hotel, in dem er letztes Jahr dem unsympathischen Oligarchen das Leben gerettet hatte, war die große Suite für sie beide reserviert. Er kritzelte sich eine Notiz auf ein Blatt Papier und legte es auf die Tastatur, so würde er es hoffentlich nicht vergessen, seine Liebste daran zu erinnern. Sein erstes Ziel war heute der Patient, den er gestern operiert hatte.
Eva kam um acht und gemeinsam führten sie die große Visite durch.
Chefarzt Dr. Ortner arbeitete sieben Stunden durch, aß eine Kleinigkeit in der Kantine und spazierte durch den Park bis zu seiner Wohnung. Auf der kuscheligen Couch schlief er sofort ein. Das schrille Klingeln seines Handys weckte ihn auf. Es war sein Freund Thommy, dem er nun all die Neuigkeiten erzählen konnte. Nebenher aß er zwei Äpfel, trank eine Tasse Kaffee und setzte sich dabei in die warme Nachmittagssonne auf die Terrasse. „Thommy, sei mir nicht böse, ich muss Schluss machen. Aber ich habe noch einiges zu tun. In der Verwaltung türmen sich Unterlagen und Verträge“, erinnerte Uwe sich selbst. „Kein Problem, Großer. Denk dran, wir sollten uns auch bald wieder treffen. Kommt doch an einem Wochenende zu uns nach Toblach!“, die Freunde hatten sich schon längere Zeit nicht mehr gesehen. „Ja, unbedingt“, versicherte Uwe.
Wie bereits befürchtet, lagen einige größere Stapel mit Unterlagen auf seinem Platz. Die Verwaltungsleiterin schlug drei Kreuze, als sie ihren Chef entdeckte. „Hallo Uwe, endlich!“ Uwe nickte ihr zu und verzog das Gesicht zu einer Entschuldigungsgrimasse. „Was liegt an?“ Sie setzten sich zusammen an den Schreibtisch und er ließ sich von seiner Mitarbeiterin die wichtigen Verträge und Unterlagen erklären. Er unterschrieb, sortierte, las sich durch sämtliche Formulare, bis ihm schließlich die Augen brannten. „Ich brauch ne Pause.“
„Megan von der Personalabteilung hat heute Geburtstag. Komm doch mit rüber. Sie hat leckeres Essen dabei.“ Uwe nahm dankend die Einladung an. Es war an der Zeit, dass er sich auch hier in der Verwaltung wieder öfters zeigte. Sie kamen genau in dem Moment ins Zimmer, als Megan die Sektflasche öffnete. Uwe beobachtete seine Angestellte, mit gemischten Gefühlen. War Alkohol am Arbeitsplatz überhaupt erlaubt? Sein eigenes Problem schob er schnell weit weg. Für einen kurzen Moment, dachte er über ein Alkoholverbot in der gesamten Klinik nach, nahm sich aber schließlich doch sehr gerne ein Glas Sekt. Dann gratulierte er Megan, die heute dreißig Jahre alt wurde, was unschwer an den Girlanden und Ballons zu erkennen war. Auf bunten Tellern lagen hübsch angerichtete Häppchen und Fingerfood. Uwe probierte einiges davon, bedankte sich freundlich, nahm ein zweites Glas und ging damit zurück in sein Büro.
Er genoss den Alkohol in kleinen Schlückchen. Das Verlangen nach Whiskey wurde dabei immer größer. Auf dem Display seines Telefons erschien das Gesicht von Moni, was ihm ein Schmunzeln hervorlockte. Als hätte sie den Braten gerochen. Freudig drückte er den runden Button. „Mein Engel, wie schön, dass du dich meldest.“
„Uwe Schatz, stell dir vor, unsere Kurse sind bis zu den Sommerferien komplett ausgebucht.“ Monis Stimme klang lauft und aufgedreht. Munter berichtete sie von ihrem erfolgreichen Tag. Er freute sich mit ihr und vergaß dabei, den Urlaub am Gardasee zu erwähnen. Mit dem Satz, „Schatz, können wir später noch einmal telefonieren?“, beendete Moni kurzfristig das Gespräch, in dem Uwe kaum zu Wort gekommen war. Lächelnd lief er zum Kühlschrank. Er freute sich für Moni, sie schien so glücklich und voller Energie zu sein. Dennoch vermisste er ihre Nähe unheimlich. Es war heute erst der zweite Tag ohne sie. Es kam ihm aber vor, als hätte er sie ewig nicht mehr gesehen.
Uwe fand eine halbe Schachtel mit Schnapspralinen, die er nach und nach aufaß. Megan verabschiedete sich mit einer angefangenen Flasche Sekt, welche er gerne in Empfang nahm.
Mit dem Gefühl, einen sitzen zu haben, blätterte er die ersten Bewerbungen durch. Die Ablenkung, die er durch seine abwechslungsreichen Tätigkeiten fand, tat ihm gut. Umso mehr er zu tun hatte, umso schneller verging die Zeit, bis er seine Liebste wiedersah.
Langsam wurde es ruhig im Verwaltungstrakt, die Mitarbeiter hatten Feierabend. Doch plötzlich klopfte es an der Tür, die kurz darauf ungefragt geöffnet wurde.
Überrascht über den unerwünschten Besuch zog Uwe die Augenbrauen hoch. „Du?“
***
Viel zu schnell fuhr Moni die kurze Strecke auf der Autobahn in ihr Heimatdorf, um noch rechtzeitig am vereinbarten Treffpunkt auf dem Friedhof zu sein. Vor lauter Stress mit der neuen Woll-Lieferung hätte sie den Termin fast vergessen. Andy hatte sie daran erinnert, ein Hoch auf die Freundin. Zusammen mit Klara wollte sie heute das Familiengrab für den Frühling richten. Ihre Schwägerin kümmerte sich um die Blümlein und die Erde, während Moni wie immer die Rechnungen bezahlte und ihr beim Einpflanzen half.
Neben Klara entdeckte Moni auch Tim, den jüngsten Sohn ihres verstorbenen Mannes Herbert. Zu ihm hatte sie den engsten Kontakt, da er immer sehr anhänglich war. Tim strahlte über das ganze Gesicht, als er ihren Wagen sah und stürmte auf sie zu. „Moni, stell dir vor, ich habe eine Schule gefunden, in der ich das Abi nachholen kann. Die machen das extra für solche Spätzünder, wie ich einer bin.“ Grinsend stand der Teenager vor ihr.
„Mensch Tim, das sind ja wunderbare Nachrichten. Richtig toll ist das!“ Sie wuschelte ihm fröhlich über seine Haare. „Na, wie siehts aus, hilfst du uns mit dem ganzen Kram?“ Er nickte und erzählte dabei stolz von seinem Vorhaben. Für ihn freute sich Moni besonders, denn er war nie ein guter Schüler gewesen. Das Lernen fiel im schwer, die Noten waren dementsprechend nicht so gut in all den letzten Jahren.
Zu dritt schufteten sie über eine Stunde und waren hinterher zufrieden mit dem Ergebnis. Dann war es schon wieder Zeit sich zu verabschieden. Bruno wartete bestimmt schon sehnsüchtig auf die große Abendrunde.
Auf der Rückfahrt erhielt Moni einen Anruf von Uwes Oberarzt Victor. Dieser ermahnte sie wieder einmal daran, dass sie endlich ihre Schrauben, Platten und Nägel entfernen lassen sollte. „Moni, meine Gute, die ollen Metalldinger müssen endlich raus. Bitte warte nicht mehr lange, spätestens Ende April liegst du im OP Saal, ok?“ Moni versprach ihm, gemeinsam mit Uwe nach einem passenden Termin zu schauen. „Danke für die Erinnerung, ich meld mich bald bei dir. Grüße an deine Irina! Tschüßle.“