Den Sonntag verbrachten Moni und Uwe bei herrlichstem Frühsommerwetter entspannt auf dem Hof. Morgens half Moni Franz mit den Kühen. Nach wie vor liebte sie es, die großen, anmutigen Tiere zu versorgen. Mittags stand sie mit Käthe, Kim und Olga in der Küche und schnippelte das Gemüse klein. Sie hatten extra für Uwe gesunde Mahlzeiten vorbereitet. Dieser tobte mit den Kindern auf dem Spielplatz und besuchte Rondo. Für die Pferde war es heute der erste Tag auf der großen Koppel unterhalb des Grundstückes. Vergnügt sprangen die Tiere wild hin und her. Sie genossen ebenfalls die wärmende Sonne und erfreuten sich an den zarten Gräsern.
Pünktlich zur Kaffeezeit trudelten die Überraschungsgäste aus München ein. Lina, Simon sowie Monis Enkelkinder Irene und Gerhard sprangen fröhlich aus dem Auto. Moni freute sich riesig, ihre schwangere Tochter endlich in den Armen zu halten. „Lina! Wie du strahlst! Ach, ich freue mich so sehr für euch.“ Dann nahmen die Kleinen Besitz von ihrer Oma. Natürlich hatte Moni Geschenke für die Kleinen besorgt und übergab sie ihnen.
„Wo isch en dein Schatz?“ Hörte sie Lina fragen.
„Kommt mit rüber, wir holen ihn ab. Brauchst du was von ihm?“
„Ach wa, mir müssed eich was scheenes sage!“
Uwe breitete seine Arme aus, damit Gerhard und Irene gleichzeitig ihren Stiefopa begrüßen konnten. „Oba, Oba“, riefen sie um die Wette und küssten ihn mit ihren feuchten Lippen mitten ins Gesicht.
Uwe strahlte. „Na, ihr kleinen Racker, nicht so stürmisch. Gehts euch gut?“ Uwes Glück könnte nicht größer sein. Er war in seinem Element, umgeben von vier Kindern, die ihn liebten und an ihm zerrten.
Lina rief laut: „Alle amol herhöre! Schtelld eich vor, i krieg an Buub.“ Moni und Uwe klatschten Beifall. „Der Kloi wird Kai -Uwe heiße. Extra wegge dir!“ Lina zeigte mit dem Finger auf Uwe. Das war der Moment, an dem sich nun doch eine Träne auf den Weg machte. Eine Glücksträne sozusagen. „Ist das lieb! So ein schönes Geschenk, das berührt mich tief!“ Uwes Wangen glühten vor Freude.
An diesem Abend verabschiedeten sich Moni und Uwe schon früh vom Rest der Familie. Ein paar Stunden nur zu zweit, das hatten sie sich beide gewünscht. Die letzten Tage und Wochen waren so turbulent verlaufen, dass Sex und Leidenschaft zu kurz gekommen waren. Beide spürten eine große Lust aufeinander. Sie badeten zusammen, cremten sich gegenseitig ein und nahmen sich Zeit für ausgiebige Streicheleinheiten.
Moni fand nicht in den Schlaf, immer wieder kam ihr die bevorstehende Operation in den Sinn. Uwe spürte ihre Unruhe und versuchte, sie zu beruhigen: „Mein Engel, ich liebe dich über alles! Ich werde rund um die Uhr bei dir sein, hab keine Angst! Victor macht das gut, glaub mir.“ Moni nickte zufrieden. „Was ist eigentlich mit seinem Privatleben?“ Uwe streichelte ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, „Tja, das ist im Moment nicht der Hit, ihre Probleme sind wohl noch nicht aus der Welt geräumt.“ „Mhm, und in diesem Zustand wird er mich operieren?“, gab Moni zu bedenken.
„Mach dir keine Sorgen, Victor ist genauso professionell wie ich. Das verspreche ich dir!“, er küsste Moni zärtlich, die kurze Zeit später einschlief.
***
Käthe und Kim suchten Olga im ganzen Haus. Sie fanden sie schließlich in ihrem Zimmer. Hier stand sie mit dem Telefon in der Hand wie erstarrt mitten im Raum. „Olga, was ist denn passiert?“ Diese drehte sich langsam um, ihre Mundwinkel zuckten, dann brach es aus ihr heraus. „Käthe, ich krieg Zwillinge!“ „Was? Aber warum denn? Ähm“, Käthe schüttelte den Kopf und schämte sich für ihre dumme Frage. Dann fielen sich die Mädchen in die Arme und glucksten vor Freude. „Das ist ja sagenhaft! Juchuu“, Käthe nahm Olga und Kim an die Hand und stürmte mit ihnen aus dem Haus, um den anderen diese wunderbare Nachricht zu erzählen.
Leider war Stefan schon mit Elsbeth zur Kirche gefahren. Zusammen mit dem Gärtner aus dem Nachbardorf hatte sie sich bereit erklärt, den Blumenschmuck anzubringen. Stefan übte noch einmal die Kirchenlieder, welche Georg mit dem Pfarrer ausgesucht hatte.
***
Die kleine Trauergemeinschaft schritt langsam hintereinander an das offene Grab von Rita. Ein jeder hielt eine dunkle Rose in der Hand, betete im Stillen und warf anschließend die Blume auf den Sargdeckel. Als die ersten Töne der Alphornbläser erklangen, brach Georg zusammen. Er weinte laut, Max und Franz eilten herbei und setzten ihn auf eine Friedhofsbank.
Lina war mit ihrer Familie wieder abgereist. Beerdigungen waren nichts für sie.
Aber Tina und Max hatten sich dafür entschieden, ihre Kinder mitzunehmen. Sie fanden es nicht ungewöhnlich, dass ein älterer Mensch krank wird und stirbt. Die Verwandten und Angehörige weinen zu sehen fand Tina normal. Die Trauer gehörte zum Leben dazu. Daher sollten die Kleinen den Lauf der Dinge kennenlernen.
Für Moni waren es schreckliche Stunden, musste sie doch ständig an Herbert denken. Immer wieder fing sie an zu weinen. Uwe hielt sie die ganze Zeit liebevoll an der Hand und wich keinen Zentimeter von ihr.
Er hatte zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, kein Diensthandy und keinen Pager dabei.
Olga fühlte sich in ihrem Gefühlschaos hin- und hergerissen. Sie betete laut und hielt sogar eine kurze Ansprache. Rita war für das ukrainische Mädchen weit mehr wie nur eine gute Freundin gewesen.
Nach der Beisetzung traf sich die Trauergemeinde mit Freunden und Bekannten im Gasthof zum sogenannten Leichenschmaus. Serviert wurde ganz traditionell Tafelspitz mit Semmelkren. Für die Vegetarier hatte Georg einen Nudelauflauf mit Gemüse bestellt. Doch niemand hatte so recht Hunger. Käthe und Olga stocherten lustlos in ihrem Essen. Auch Moni brachte keinen Bissen hinunter. Uwe und Georg hatten sich mit ihren Tellern ins Nebenzimmer verzogen, scheinbar gab es Wichtiges zu besprechen.
Moni nutzte diese Zeit und verabschiedete sich in aller Ruhe von ihren Liebsten.
Dann war es soweit. Jan Riedel fuhr pünktlich mit dem Wagen vor. Die Klinik wartete auf Moni. Es gab kein Zurück mehr. Warum nur hatte sie dermaßen Angst davor?
Käthe hatte Olga versprochen, noch ein paar Tage auf dem Hof zu bleiben und zu helfen. Elsbeth war zwar schon provisorisch eingezogen, doch Olga musste sich erst noch an die Veränderungen gewöhnen. Bruno würde auf jeden Fall die nächsten Tage ebenfalls auf dem Hof verbringen.
***
Schwester Heidi und Eva warteten bereits auf ihre Patientin. Sie gaben ihr das Krankenzimmer, welches gegenüber von Uwes Arbeitszimmer lag. Für ihn hatten sie ein Zustellbett organisiert. Uwe und sein Assistenzarzt machten eine Art Übergabe, denn der Chefarzt wollte trotz seiner Therapie ab morgen wieder arbeiten.
Der witzige Anästhesist ging mit Moni den Fragebogen durch. Eva nahm Blut ab, Schwester Heidi notierte alle Vitalwerte und trug sie in das elektronische Datenblatt ein. Sie versprachen Moni für abends eine Gemüsesuppe mit Weißbrot. „Ach, ist das meine Henkersmahlzeit?“ Die Anwesenden lachten, doch Moni wurde es noch mulmiger. Nachdem die Untersuchungen abgeschlossen waren, spazierten Moni und Uwe zu ihrer Wohnung. Wie ausgemacht, wartete Irina mit all ihrem Equipment vor der Türe und rauchte hastig eine Zigarette.
Moni hatte bei Irina das große Pflegeprogramm bestellt. Auch die Haare sollten vom Hinterkopf nach vorne zu zwei Zöpfen geflochten werden, so dass durch das viele Liegen keine Nester und Knoten entstehen konnten. Da Haare waschen in den ersten Tagen wahrscheinlich nicht möglich war, hatte Irina ihr ein Spray für die juckende Kopfhaut mitgebracht.
Victors Frau verpasste Moni Pediküre und Maniküre, zupfte alle lästigen Gesichtshärchen und legte eine dicke Topfenmaske aufs Gesicht. „Schätzchen, du wirst die gepflegteste Patientin sein, die diese Klinik je gesehen hat.“ Moni lächelte schief, „Na, wenigstens das.“ Sie war inzwischen noch aufgeregter. Uwe hatte ihr versprochen, ihr später etwas Gutes dagegen zu geben.
Nach der Schönheitsprozedur verließen sie gemeinsam die Wohnung und begleiteten Irina zu ihrem Wagen. Dort stand Victor mit einem überdimensionalen Strauß roter Rosen.