Aufgeregt rieb sich Chefarzt Dr. Uwe Ortner die Hände und steckte sie wieder zurück in die großen Manteltaschen seines Arztkittels, welchen er wie immer nur halbherzig über der normalen Kleidung trug. Er lief ein paar Schritte weiter, kontrollierte die Eingangstüre, konnte aber seinen Besuch nirgends entdecken. Dann kratzte er sich nervös am Kinn und blickte auf seine wertvolle Uhr, die er extra für diesen Tag ausgesucht hatte. Normalerweise störte ihn Schmuck bei der Arbeit. Doch heute hielt er für angemessen, seinen Status zu präsentieren. Sein Handy brummte, auf dem Display strahlte ihm Moni entgegen.
„Mein Engel, wie kann ich dir helfen?“ „Du, ich habe eben den Kalendereintrag entdeckt. Das Vorstellungsgespräch findet heute statt?“
„Ja genau, sie müssten jeden Augenblick kommen.“ „Ah, ok. Schatz, dann möchte ich dich nicht länger stören, tschühüss.“ Noch bevor Uwe antworten konnte, hatte seine Moni schon wieder aufgelegt.
Der Chefarzt setzte sich auf einen der Stühle im Wartebereich und faltete die Hände. Sein Blick fiel auf die neue Jeans, die Moni für ihn ausgesucht hatte. Modern, mit weißen Nähten, aber dennoch elegant geschnitten. Genauso wie er es am Liebsten hatte. Die hellblauen Leder-Sneakers hatten sie beim letzten Stadtbummel gekauft. Unter dem weißen Kittel trug er ein hellblaues Hemd mit weißen Applikationen an Brusttasche und Kragen, die Farben waren allesamt stimmig. In seinem Outfit fühlte sich Uwe äußerst wohl.
Dann endlich entdeckte er Dr. Jo Baker und seine Frau. Schnellen Schrittes eilte er zu ihnen, stellte sich vor und gab ihnen die Hand. Mit seinem schönsten Lächeln fragte der Chefarzt: „My dear colleague, welcome to my kingdom. Did you have a good arrival?“ Herr Baker schmunzelte vergnügt, antwortete aber auf deutsch: „Herzlichen Dank mein Bester. Wir sind schon einige Tage in der Region. Ich muss schon sagen, Innsbruck und Umgebung, very amazing.“ Jo Baker entsprach aus den ersten Blick genau dem Typ Mann, den sich Uwe vorgestellt hatte. Für den ersten Moment war er sehr zufrieden.
Dann widmete sich Uwe der Frau an seiner Seite. Iris Baker lächelte freundlich, begrüßte ihn jedoch zurückhaltend. Sie war eine zierliche Person mit einer lustigen Stupsnase. Tausend kleine Sommersprossen funkelten mit ihren hellen Augen um die Wette. Durch die freche Kurzhaarfrisur wirkte sie jugendlich, denn die lockigen, roten Haare standen kreuz und quer ab. Sie trug einen klassischen dunkelblauen Hosenanzug. Ihre weiße Bluse hatte einen überdimensionalen Rüschenkragen. Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln bat er seinen Besuch, ihn doch freundlicherweise zu begleiten. Nicole hatte in seinem Besprechungszimmer eine Kleinigkeit vorbereitet. Unterwegs erklärte Uwe die Räumlichkeiten und Abteilungen, an denen sie zufällig vorbei kamen.
„Und wo haben sie Ihre Verlobte versteckt?“ Iris Baker sprach ein einwandfreies Hochdeutsch. Ihre bayrischen Wurzeln konnte man beim besten Willen nicht heraushören. Uwe hob seine Hand und erklärte mit wenigen Worten die aktuelle Situation und Monis Zustand nach der OP. Ein wenig enttäuscht hakte sie nach, „Ach wie schade, aber sie begleitet uns sicher heute Abend zum Dinner?“ Uwe nickte, „Ja natürlich!“
In dem hellen Besprechungszimmer standen Getränke und kleine Snacks bereit. Dr. Jo Baker sah begeistert aus dem Fenster, von dem man einen wunderbaren Blick über einen Teil von Innsbruck hatte. Im Hintergrund sah man die anmutigen Berge. Uwe hatte auf seinem Platz eine Mappe mit Unterlagen der Klinik sowie einen vorbereiteten Arbeitsvertrag gelegt. Er schon ihn zur Seite, diesen Teil wollte er erst später durchführen.
Nicole kam vorbei und brachte dem Besuch Schutzkleidung, so dass einer Besichtigung der Stationen nichts mehr im Wege stand. Uwe erzählte stolz von der Stiftung, die sein Vater ins Leben gerufen hatte und vom Konzept der Privatklinik.
„Mein Vater, Dr. Georg Ortner, hatte sich bei der Gründung damals vor allem auf Langzeitkoma-Patienten spezialisiert. Ein paar Jahre später wurde die Klinik auf Drängen der Regierung erweitert, mit der Notfall Unfallchirurgie für Kopf- und Gehirnverletzungen. Dafür erhielt er entsprechende Gelder. Mein Oberarzt Victor leitet inzwischen diese Station, sie werden ihn gleich kennenlernen. Seit ich mit dabei bin, haben wir zunehmend Tumorpatienten, denn das ist mein Metier.“
Dr. Jo Baker war hellauf erfreut und nickte immer wieder zustimmend. Sein Gesichtsausdruck zeigte große Bewunderung.
„Kommen Sie gerne mit!“ Uwe führte seinen Besuch durch die Gänge. Auf seiner Station K 2 stellte Uwe alle Mitarbeiter, welche gerade im Dienst waren, mit Namen vor. Eva und Victor waren ebenfalls gekommen, um den neuen Arzt zu begrüßen. Frau Iris Baker schien genauso begeistert zu sein. „Sehr schick haben Sie es hier, Herr Dr. Ortner. Modern, hell und freundlich. Überhaupt nicht steril. Eine Privatklinik, wie man sie sich vorstellt!“
Uwe freute sich über das Kompliment. Doch immer wieder schweiften seine Gedanken ab in Richtung Moni. Hatte er sie auch an das große Dinner heute Abend erinnert? Oder war sie womöglich nach Montan gefahren?
Die beiden Herren hatten sich wieder im Besprechungszimmer eingefunden, um sich den weiteren Fakten zuzuwenden. Nicole und Frau Baker unternahmen in der Zwischenzeit einen Spaziergang durch den Park.
„Ich habe mir erlaubt, eine Art Vorvertrag anfertigen zu lassen. Gerne können wir diesen Punkt für Punkt zusammen durchgehen. Oder sie lesen ihn alleine und in Ruhe durch. Ganz wie Sie es wünschen.“ Mit diesen Worten übergab Uwe ein Bündel Papiere an Herrn Baker. Doch der winkte gelassen ab. „Am Liebsten wäre es mir, Sie würden mir das Wichtigste mit ihren eigenen Worten erklären.“ Dr. Jo Baker lächelte, „Das Kleingedruckte lese ich gerne irgendwann später.“
Jetzt lächelte auch Uwe. „Nun, wir haben ja bereits öfters telefoniert. Nachdem ich mich im Vorfeld von Ihren fachärztlichen Qualitäten und Ihrem Können überzeugt habe, würde ich Sie gerne so schnell, wie es bei Ihnen möglich ist, als Oberarzt und stellvertretender Chefarzt einstellen. Selbstverständlich lerne ich Sie persönlich ein. Wir werden die ersten Wochen Seite an Seite verbringen. Ich selber möchte in naher Zukunft mehr Freizeit und endlich ein Privatleben haben. Diese lange Arbeitstage, vierzehn Stunden hohe Konzentration, und das rund ums Jahr, stehe ich nicht mehr durch. Mein Leben war in der Vergangenheit, ähm, wie soll ich sagen,“ Uwe räusperte sich und holte tief Luft. Krampfhaft überlegte er, welche Worte er benutzen sollte. Doch Dr. Baker nutzte die Pause. „Ja, so ein Leben als Workaholicer hinterlässt Spuren. Ich weiß.“
Uwe fuhr mit seiner Ansprache fort:
„Kommen wir zur Vergütung. Ich habe eine Art Dreistufenplan entworfen. Die ersten sechs Monate in der Probezeit erhalten Sie ein Einstellungsgehalt in Höhe von 7.000€ brutto. Nach einem ausgiebigen Gespräch, für ein gegenseitiges Feedback, wird der Betrag ab dem siebten Monat auf 7.500 € erhöht, sollte die Zusammenarbeit funktionieren. Die Probezeit endet nach einem Jahr. Dann setzen wir uns zusammen und führen ein weiteres Gespräch. Wenn alles klappt und wir beide zufrieden sind, wird Ihr monatliches Gehalt 8.100 € brutto betragen. Sondervergütungen wie Urlaubs und Weihnachtsgeld erhalten Sie in Höhe von jeweils 5.000€.“
Erstaunt hob Dr. Baker die rechte Augenbraue. „Alle Achtung, das ist ein guter Plan! Bin begeistert und absolut interessiert an dieser Oberarzt-Stelle. Was erwarten Sie von mir?“
„Ich erwarte höchste Einsatzbereitschaft, Loyalität und Engagement. Immer hundertprozentige Leistung. Wichtig sind mir die Wochenende- und Notdienste. Ich selber werde höchstens noch einmal diese Schicht übernehmen. Gemeinsam mit Victor und Eva werden wir einen zufrieden stellenden Dienstplan ausarbeiten. Keine Sorge, die Woche wird durchschnittlich die 60 Stunden nicht übersteigen.
„Rufbereitschaft gibt es auch, oder?“ Uwe nickte, „Ja, natürlich. Wir haben dafür Räume in der Klinik. Aber in den Nebengebäuden bieten wir schöne möblierte Zimmer, oder Apartments, welche man auf Dauer mieten kann.“
„Wunderbar, besprechen wir alles Weitere beim Abendessen?“ „Sehr gerne, treffen wir uns um halb sieben. Ich schicke Ihnen ein Taxi vorbei.“
***
Zum Glück fiel Moni das geplante Abendessen im schicken Restaurant Oniriq ein. Mit Käthes Hilfe hatte sie sich schick gemacht und sie darum gebeten, Bruno bis morgen mitzunehmen. Dafür gab sie ihre Tochter einige Scheine, die Käthe zuerst nicht annehmen wollte. „Ach Mama, das ist doch nicht nötig, du musst mich nicht bezahlen, ich helfe dir gerne.“
„Ja, ich weiß, meine Süße. Aber ich bin dir so dankbar und ihr könnt das sicher gut brauchen,“ Moni zwinkerte ihr fröhlich zu.
Jetzt wartete sie entspannt auf der Couch. Ihr rechtes Bein lagerte hoch auf dem Hocker. Moni hielt ihr Strickzeug in der Hand, als sie hörte, wie der Schlüssel in der Haustür gedreht wurde. Uwe stürmte herein.
Was er sah, machte ihn sehr glücklich.
Auf der Couch saß eine gestylte, bildschöne Frau in einem eleganten Kleid Dankbar schloss er die Augen, „Oh Gott sei Dank, mein Engel! Ich hatte solche Angst, dass du das Essen vergessen hast.“