Schon früh morgens klingelte es Sturm. Uwe wunderte sich: „ Was ist denn hier los?“ Er fühlte sich wie gerädert und ihm war schlecht, gerade so wie nach einem Besäufnis. Er hörte seine Moni neben sich gleichmäßig schnaufen, sie schien noch im Tiefschlaf zu sein. Leise verließ er das Schlafzimmer und öffnete die Haustür. Es war Hannes, der ihn sofort freudestrahlend begrüßte. „Guten Morgen mein lieber Uwe, ab jetzt haben wir beide täglich mindestens eine halbe Stunde ein Rendezvous.“ Uwe bat ihn freundlich herein und bot ihm eine Tasse Kaffee an. Er berichtete Hannes von den aktuellen Vorkommnissen auf dem Hof. Die Nachricht von Ritas Tod stimmte auch Hannes traurig.
Ebenfalls erwähnte Uwe die neu gewonnenen Infos über seine Eltern und deren beschissenes Leben. Der Psychologe hörte ihm zu und fragte nicht nach. Erst kurz bevor er sich verabschiedete, meinte er beiläufig: „Uwe du darfst den jetzigen Zustand nicht auf die leichte Schulter nehmen. Du hast zwar jetzt deinen körperlichen Entzug so gut wie hinter dir, aber das Wichtigste kommt noch. Denn du möchtest ja nicht mehr rückfällig werden, oder? Da liegt ein harter Weg mit viel Arbeit vor dir. Denk bitte an Moni und deine Familie, denn auch für sie wird es nicht einfach werden!“
Uwe nickte und fuhr sich über die Stirn, die sich kalt und feucht anfühlte. „Ja, das glaube ich dir. Danke für deine Hilfe, die ich sehr gerne annehme. Jetzt möchte ich diese üblen Kopfschmerzen loswerden. Er begleitete Hannes zur Türe. Wir sehen uns morgen wieder. Ach, noch eine Frage, was für Therapien kommen auf mich zu?“
Hannes antwortete lächelnd, da er sich über Uwes Bereitschaft für die Behandlung ernsthaft freute. „Nun ja, wir haben jede Menge Gespräche vor uns. Ich empfehle dir, trotz deiner Chefarzttätigkeit einen geregelten Arbeitstag, gesunde Ernährung und zumindest ein klein wenig Sport. Zusätzlich würde ich eine Lichttherapie, Akupunktur sowie Neuro-Elektrische Stimulationen gepaart mit Achtsamkeits- und Entspannungsübungen vorschlagen.“
Uwe gab sich geschlagen, lächelte aber tapfer, „Puhh, alles klar.“
In der Küche entdeckte Uwe Victor und seine Herzdame. Sie hielten eine Tasse Kaffee in den Händen. „Ach herrje, wir haben ja Besuch.“ Kopfschüttelnd gab er Moni einen Kuss, Victor einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und verschwand im Badezimmer.
„Ich bin schon weg. Danke für alles! Moni, deine OP habe ich auf nächste Woche, Dienstag 08:00 gelegt. Bitte sei dafür bereit!“ Victor winkte und marschierte in Richtung Klinik.
Moni nickte geistesabwesend. Bei dem Gedanken an die bevorstehende Operation, um all diese Metalle und Schrauben entfernen zu lassen, wurde ihr ein wenig mulmig zumute.
Das private Handy von Uwe summte und brummte, so dass Moni einen neugierigen Blick drauf warf. Es war Uwes Schwester, daher nahm sie den Anruf entgegen. „Hey Tina, ich bins, Uwe ist gerade im Bad. Wie gehts euch denn inzwischen?“
Tina erzählte Moni von der traurigen Stimmung auf dem Hof und dass sie nachmittags Käthe und Bruno zu Kim in die Stadtvilla fahren würde. „Ist es ok, wenn wir alle zusammen bei euch vorbei kommen?“ „Na klar, er wird sich über die Abwechslung sicher freuen. Bringst du die Kids mit?“
„Nein, das schaffe ich heute leider nicht, du weißt doch, wie viel Arbeit es auf meinem Gnadenhof gibt. Vielleicht schicke ich Max morgen mit den Kleinen vorbei.“
Uwe hatte sich nach seinem Entspannungsbad und zwei Schmerztabletten wieder ins Bett gelegt und weiter geschlafen. Moni hatte in dieser Zeit einen frischen Eintopf zubereitet. Sie deckte den Tisch draußen auf der sonnigen Terrasse. Den Sonnenschirm stellte sie so auf, dass Neugierige oder unerwünschte Personen von der Straße aus keine Einblicke hatten.
Beim gemeinsamen Essen nutzte Uwe die Gelegenheit, seiner Moni endlich von dem Gespräch mit seinem Vater zu erzählen. Seine Herzdame staunte nicht schlecht, als sie die gut behüteten Geheimnisse seiner Eltern erfuhr. „Mein Gott, deine Mama... sie war...“ Doch Moni hielt inne, holte tief Luft und sprach leise weiter: „Wie tragisch das ist. Aber auch gut, dass du jetzt endlich alles weißt, oder?“ Moni küsste ihren Schatz zärtlich. Der schluckte hart und antwortete kaum hörbar: „Ja, das stimmt! Aber ehrlich gesagt fühle ich mich daduchr befreit. Habe endlich klare Sicht. Ich weiß gar nicht genau, wie ich das erklären kann. Die dunklen Schatten der Vergangenheit. Sie sind weg!“
Der restliche Tag verlief turbulent. Uwes Telefon klingelte immer wieder. Georg hatte ein paar Fragen wegen der Beerdigung. Seine Stationsschwester benötigte Informationen. Victor brachte nachmittags wichtige Unterlagen und Schriftkram vorbei. Er selber bereitete die Operation von Moni vor und besprach die Details mit seinem Chef. Uwe war zwar dankbar über diese Abwechslung, aber sein Körper spielte nicht ganz mit. Immer wieder musste er sich auf die Couch legen, um ein wenig zu dösen.
Dann kam der angekündigte Besuch von Tina und den Mädels. Bruno sprang kläffend durch den Garten. Er war wieder fast der Alte und hatte sich von seiner Vergiftung ein wenig erholt. Moni erzählte Käthe von der bevorstehenden Operation. „Mama, dann bleibe ich nächste Woche hier in Innsbruck und steh dir bei. Du brauchst keine Angst haben, ich lass dich nicht allein, ok?“ „Ach meine Süße, das ist so lieb. Olga braucht dich bestimmt auch, oder?“ Käthe zuckte mit den Schultern, „Gut möglich, aber du bist mir doch viel wichtiger, Mama!“ Moni küsste ihre Tochter liebevoll auf die Wange. Sie war sehr stolz auf ihre Käthe.
***
Georg hatte an diesem traurigen Tag gemeinsam mit Stefan die Beerdigung geplant und alles Nötige dafür organisiert. Rita würde am kommenden Montag hier in Montan beigesetzt werden. Das war ihr sehnlichster Wunsch. Nicht in Innsbruck, wo sich die Familiengruft befand. Stefan hatte die passenden Lieder ausgesucht. Das Trauergespräch mit dem Pfarrer würde gleich morgen stattfinden. Georg fühlte sich leer und ausgelaugt. Heimlich hatte er sich einen Flug in die Staaten gebucht. Schon Ende der nächsten Woche wollte er abreisen. Es war eine Art Flucht, das war ihm bewusst, aber egal.
Auf elf Uhr war der Gottesdienst geplant, damit Moni und Uwe pünktlich zurück nach Innsbruck fahren konnten. Der Chefarzt bestand darauf, dass Moni einen Abend vor der OP auf Station aufgenommen wurde. Zusammen mit Victor wollte Uwe unbedingt noch einmal aktuelle Röntgenaufnahmen machen. Auch das wichtige Gespräch mit dem Anästhesisten stand an.
Olga rannte beinahe den ganzen Tag zwischen Toilette und Küche hin und her. Was hatte sie sich da nur eingefangen. Ein schlimmer Virus? Oder war sie womöglich doch... Sie konnte den Gedanken nicht zu Ende denken. Obwohl es nichts Kriminelles wäre, fühlte sie sich schlecht. Immer wieder fing sie an zu weinen.
Georg kam von einem langen Spaziergang mit Aaron zurück. Franz lehnte rauchend an der Stalltüre und winkte ihm traurig zu. Olga öffnete die Tür, ihr Gesicht verkrampfte sich zu einem mühsamen Lächeln. Georg nahm das hilflos wirkende Mädchen in seine Arme und streichelte über ihre Haare. „Ach Liebes, komm her. Das ist leider der Lauf der Dinge. Du wirst sehen, alles wird gut.“ Während er diese Worte sprach, liefen einzelne Tränen über sein Gesicht. Olga schluchzte laut. „Was soll denn ohne Rita aus mir werden?“
„Meine liebe Olga, du hast jetzt den Stefan. Er und du, ihr seid die Zukunft!“ Olga überlegte, ob sie ihm von ihrem Verdacht erzählen sollte, traute sich aber nicht. Sie schlich mit hängenden Schultern in die Küche und bereitete ein kleines Abendbrot vor.
Georg kramte in Ritas Schubladen, er suchte immer noch ihren Ausweis und die Krankenkarte. Dabei entdeckte er einen roten Umschlag, auf dem in wackeliger Schrift sein Name stand. Seufzend nahm er ihn an sich, lief ins Wohnzimmer und setzte sich auf Ritas Fernsehsessel.
Mein geliebter Georg,
wenn du diesen Brief findest, dann bin bereits an der tückischen Krankheit gestorben. Zusammen mit meiner geliebten Schwester schaue ich ab jetzt zu euch herab und warte auf ein Wiedersehen im Himmel. Ich danke dir für die letzten gemeinsamen wunderbaren Monate. So schön, dass du mir an meinem Lebensende doch noch deine Liebe geschenkt hast und mir einen Platz in deinem Herzen gegeben hast. Schon so lange wünschte ich mir ein Leben an deiner Seite. Denn ich hatte mich bereits bei unserer ersten Begegnung unsterblich in dich verliebt, wusste ich ja nur zu gut über die Neigung meiner Halbschwester Bescheid. Leider hast du es in all deinem eigenen Schmerz nie erkannt. Doch bald sind wir alle wieder vereint.
In ewiger Liebe
DEINE Rita