Käthe lag gemütlich draußen auf der Liege und hielt ihr Telefon am Ohr. Sie hatte über zwei Stunden das neue Stück eingeübt. Sonate für Klarinette in Es-Dur von Johann Baptist Vanhal. Jetzt fühlte sie sich ausgelaugt, denn aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen lagen ihr diese Noten überhaupt nicht. Immer wieder stolperte sie und baute unnötige Fehler ein. So ein Ärger!
Daher kam ihr die Ablenkung des Telefonats gelegen. In der Leitung babbelte ihre Schwester munter drauflos: „Hi Sis, mir missed endlich iwerlega was mir dr Muader zum Geburtsdag schenged.“
Käthe kicherte, „Sag mal Lina, kannst du nicht endlich vernünftig reden?“
„Im Läbe net!“, nun kicherte auch Lina, hob sich dabei ihr wunderschön geformtes Bäuchlein. Sie hatte das Glück, dass sie bei ihren Schwangerschaften kein Gramm zu viel zunahm. So war es schon bei ihren Kindern Gerhard und Irene gewesen.
„Also i däd vorschlage, dass mir a schees Bild von uns zwei mached lasse. Vielleicht au von de Engele, was monsch?“
„Gute Idee, super. Ich dachte eher an einen Song, den wir gemeinsam komponieren, du singst, ich spiel.“
„Ha ja, des isch aa subber. Mir kenned ja boides mache odr?“
Je länger die beiden telefonierten, umso mehr Ideen kamen zustande. Jetzt freuten sich die Schwestern riesig auf die bevorstehende Feier in Montan. Sie würden schon samstags anreisen, um Olga bei den Vorbereitungen zu helfen. Gleichzeitig konnten sich die werdenden Mütter untereinander austauschen.
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In ihre große Handarbeitstasche legte Moni vorsichtig die fertig gestellten Strickarbeiten, welche sie mit der nagelneuen Wolle angefertigt hatte. Diese wollte sie im Schaufenster des Strickcafés anbringen.
Bei dem einen handelte es sich um ein überdimensionales Schultertuch mit einem sanften Farbverlauf. Der erste Teil ist hellgrün und wird im Verlauf immer dunkler. Dann kommt ein Übergang ins braun-grau und an der anderen Seite endet das Tuch mit der Farbe weiß. Diesen Verlauf hatte sie extra für dieses Projekt wickeln lassen, da es für Moni die Farben der Berge waren.
Um die neue Sockenwolle zu präsentieren, hatte sich Moni dazu entschlossen, Overknees Strümpfe zu stricken. Von jeder Farbvariante hatte sie 15 bis 20 cm gestrickt. Der Schaufensterpuppe würde diese Riesensocke bis zum Oberschenkel gehen. Sie freute sich darauf, was ihre Freundinnen dazu sagen würden.
Uwe überlegte ebenfalls, was er auf den kurzen Trip in Monis Heimat mitnehmen musste. Er steckte seine Tabletten ein, die ihn während dieser schweren Zeit unterstützten. Eine Art pflanzliches Beruhigungsmittel, hatte Hannes zu ihm gesagt. Er hatte ihm die Dragees ohne Verpackung und Namen in einer neutralen Dose übergeben.
Heimlich hatte Uwe für seine Moni schicke Ohrringe in Form einer Träne bei Swarovski gekauft. Beim letzten Bummel stand sie ewig vor dem Schaufenster und betrachtete diese verliebt. Auf die Frage, ob sie diese Ohrringe gerne haben möchte, schüttelte sie damals den Kopf. „Ach was, nein Danke, nicht nötig.“ Uwe hatte sie dennoch gekauft und weitaus mehr Geschenke für seine Liebste. Die warteten in Montan auf Moni.
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Moni lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie waren bereits auf der Rückfahrt nach Montan. Ihre Hand suchte die von Uwe. Doch der packte gerade das Notebook aus, um sich in den Klinikrechner einzuloggen. „Mein Engel, bestimmt haben sich tausende von E-Mails angesammelt!“, sagte er entschuldigend. Sie seufzte, „Kein Problem Schatz“. Dann schaute sie aus dem Autofenster und war inzwischen dankbar, dass sie einen Chauffeur hatten. Auf den Stress der langen Fahrt verzichtete sie gerne.
Die Autobahn war frei, Herr Rudel hatte den Tempomat eingeschaltet. Durch das monotone Brummen des Motors döste Moni dankbar und glücklich mit vielen kostbaren Erinnerungen ein.
Uta, Andy und die Strickfreundinnen hatten eine wunderbare Party für sie organisiert. Das Wetter hatte es gut gemeint, so konnten sie draußen feiern. Andy und ihr Mann Tom hatten den Garten bunt und fröhlich geschmückt. An den Wegen steckten Fackeln, bunte Lampions hingen an den dicken Ästen der Obstbäume. Klara und die Söhne von Herbert waren ebenfalls gekommen, was Moni besonders freute.
Alle eingeladenen Gäste brachten Salate, Kuchen und Getränke mit. Auf einem langen Tisch baute Andy ein exklusives Buffet auf. Niemand hatte den Alkohol vermisst. Denn zum Trinken gab es nur Kaffee, Tee, Wasser, Säfte und die üblichen Erfrischungsgetränke.
Uta hatte ihre alte Schallplattensammlung mitgebracht. Aus den Lautsprechern ertönte bekannte Schlagermusik, diese lud zu lustigen Tänzen ein. Das Highlight des Abends waren die Spiele aus den früheren Kindergeburtstagen, wie Topfschlagen, Eierlauf und blinde Kuh. Selbst das Spiel die Reise nach Jerusalem, bei dem alle Gäste teilnahmen, fand beinahe kein Ende. Was war das für ein Spaß!
Bruno sprang den ganzen Abend zusammen mit Utas Hunden freudig durch den Garten.
Tom und Uwe waren allerdings schlechte Grillmeister, denn durch ihre tiefsinnigen Gespräche hatten sie immer wieder die aufgelegten Wurst- und Fleischstücke auf dem Rost vergessen. Einige der Gäste kratzten mürrisch an einer schwarzen Kruste. Moni wurde überhäuft mit liebevoll ausgedachten Geschenken. Nur die Zahl 50, die ihr immer wieder entgegenlachte, war ihr ein Dorn im Auge. „Dafür bist du eben schon Oma,“ meinte ihre Schwester Uta ganz nebenbei.
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Olga lief in die Küche und überlegte, ob sie auch wirklich an alles gedacht hatte. Nervös strich sie immer wieder ihre Schürze glatt. Mit einem stolzen Lächeln blickte sie auf ihr Bäuchlein. Draußen hupte ein Wagen. Olga sah das Taxi auf den Hof fahren. Käthe stieg aus und Olga rannte ihr entgegen. „Käthe! Ich freue mich so sehr, dich zu sehen!“ Sie fielen sich in die Arme und hielten sich lange Zeit fest.
„Und ich erst, wie schön du aussiehst! Die Schwangerschaft steht dir ausgezeichnet.“ Käthe drückte ihrer Freundin einen Kuss auf die Wange.
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Uwe hatte eine Stunde lang E-Mails beantwortet oder gelöscht und machte es sich jetzt ebenfalls bequem. Neben ihm hörte er seine Liebste gleichmäßig atmen. Die Augen hatte sie geschlossen. Auch er nutzte jetzt die lange Fahrt, um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Was waren das für turbulente Monate, die hinter ihm lagen. So viele Schicksalsschläge, so viel Leid. Aber das Leben hatte ihm Moni geschenkt. Mit ihr an seiner Seite würde er wachsen, weit über sich hinaus. Diese Kraft spürte er schon lange.
Er hielt sich tapfer an alle Vereinbarungen, die ihn dauerhaft von seiner Alkoholsucht befreien sollten. Sämtliche Angebote und Möglichkeiten waren ausgeschöpft. Kleine, hauchdünne Nädelchen steckten in seinem Ohr und waren mit einem transparenten Pflaster befestigt. Die Akupunktur war Hannes Idee. Uwe verpasste keinen Termin der Gesprächstherapien. Er hielt sich streng an den Essensplan, ging viel spazieren, so wie es sein Terminkalender eben zuließ. Wenn sie in Montan waren, unternahm er lange Ausritte. Victor meinte, er solle in sein Fitnessstudio gehen. Doch so weit war Uwe noch nicht. Jedes Mal, wenn er nur in die Nähe kam, drehte sich ihm beinahe der Magen rum. Susan hatte eine tiefe Wunde hinterlassen, die scheinbar noch immer nicht verheilt war.
Sollte das Verlangen nach Wein oder Whiskey zu stark werden, so hatte er seine Skills, wie z.B die Zigarren. In besonders schwierigen Momenten telefonierte er mit Hannes und Thommy, je nachdem, welches Thema ihn belastete.
Bei einer der heftigen Attacken, die vorzugsweise abends auftraten, hielt ihn Moni fest an sich gedrückt. Sie baute ihn immer wieder auf, mit Worten und mit viel Zärtlichkeit. Sie beruhigte ihn, wenn er kurz davor war, laut zu schreien, durchzudrehen oder der Versuchung zu erliegen. Dr. Schaller war zuversichtlich, denn nach der letzten großen Blutuntersuchung nickte der Internist. „Du es bald geschafft, deine Leberwerte sinken wöchentlich und werden sich bald in einem gesunden Maß einpendeln!“ Diese Worte schürten Uwes Ehrgeiz.
Jetzt freute er sich darauf, seiner Liebsten die Geschenke zu überreichen, die in Montan auf sie warteten. Nicht nur Schmuck hatte Uwe besorgt, sondern auch zwei exklusive, hochmoderne Trecking-E-Bikes mit sämtlichem Zubehör und einer schicken Tourenausrüstung. Er hatte alles direkt nach Montan liefern lassen und Karl darum gebeten, das komplette Equipment im Pferdestall abzustellen. Eine weitere Überraschung war eine Reise an den Achensee. Den Termin dafür würde er mit Victor und Eva abstimmen, denn bald begann die Einlernphase von Dr. Baker.