Uwe regenerierte sich nur langsam nach diesem Absturz. Er verspürte starke Schmerzen im rechten Oberbauch, behielt es aber für sich. Mit Monis Telefon erledigte er die verschiedenen Anrufe in der Klinik. Seine Liebste war noch am selben Abend losgezogen, um ihm ein neues Handy zu kaufen. Seine Nummer konnte er leider nicht übernehmen, so dass sie Stunden damit verbrachten, die wichtigen Telefonnummern neu einzuspeichern. Nachts schlief Uwe eng an Moni gekuschelt, immer wieder zitterte er am ganzen Körper und hatte Schweißausbrüche. Moni machte sich deswegen ernsthafte Sorgen. Aber sie traute sich nicht, Georg oder Victor anzurufen, da es Uwe ausdrücklich verboten hatte.
Zwei Tage später sah Dr. Uwe Ortner zwar immer noch recht mitgenommen aus, fühlte sich aber in der Lage zurück nach Innsbruck zu gehen, um seine Arbeit wieder aufzunehmen. „Schatz, ich kann dich fahren, kein Problem,“ Moni meinte es gut und lächelte ihn liebevoll an. Uwe hielt den Kopf gesenkt. „Das ist schön, wie lange bleibst du bei mir?“ „Nun, am Mittwoch ist der nächste Workshop.“ Uwe nickte. „Ok, schade.“ Auf der Fahrt nach Innsbruck versprach Moni ihm, ab jetzt weniger Zeit in Stuttgart zu verbringen. Glücklich lehnte sich Uwe zurück, betrachtete die vorbei fliegende Landschaft und döste eine Weile.
An einer Raststätte machten sie Pause und liefen mit Bruno eine kleine Runde. Vor der Weiterfahrt kauften sie sich ein Eis, welches sie gemütlich auf einer Bank genossen. Da nahm Uwe Monis Hand und sah sie lange nachdenklich an. Leise sagte er: „Mein Engel, hör mir bitte zu. Wenn du mich wirklich liebst, dann komm zu mir und bleib da. Bitte!“ Moni schloss die Augen, dabei nickte sie vorsichtig. „Gib mir noch ein klein wenig Zeit, damit ich mich richtig und aus tiefstem Herzen von meiner Heimat verabschieden kann. Vergiss bitte nicht, dass ich damals im Urlaub war und nur durch den Unfall in Innsbruck gestrandet bin. Als ich in deiner Klinik aufwachte, hatte ich plötzlich ein neues, anderes Leben. Das muss ein Mensch alles erst verkraften. Manchmal fühle ich mich immer noch wie zerrissen.“
Uwe küsste ihre Hand, seine Stimme klang verständnisvoll, als er antwortete. „Ja, du hast recht, natürlich. Aber das ist jetzt alles eineinhalb Jahre her. Es ist an der Zeit, dass du dich endgültig entscheidest. Für oder gegen ein Leben an meiner Seite. Bedingt durch meinen Beruf kann das nur in Österreich stattfinden. Ich kann so nicht mehr weitermachen. Ich bin nervlich und körperlich am Ende! Es ist mir klar, dass es schwierig ist für dich, doch du wirst ja nicht gefesselt. Du bist frei und kannst jederzeit in die Heimat fahren. Deine Freunde oder Familie besuchen. Nur eben nicht so lange.“ Tränen liefen ihm übers Gesicht, schon wieder. Doch er schämte sich nicht dafür. Er stand auf und zog Moni zu sich. Dann nahm er sie in seine Arme und drückte sie fest an sich heran.
Sie erwiderte seinen Kuss, schlang ihren Arm um seinen Nacken. „Schatz, ich liebe dich. Bitte gib mir die Zeit, die ich noch benötige!“
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Zufrieden legte Uwe den Hörer auf. Er lächelte, denn er freute sich auf diesen Mann. Nächste Woche also würde Dr. Jo Baker mit seiner Familie für zwei Wochen nach Bayern reisen, wo seine Frau ihre Wurzeln hatte. An mindestens einem Tag würden sie nach Innsbruck kommen. Uwe wollte ihm die Klinik, sein Konzept und die Abläufe zeigen. Abends hatte er ein exklusives Galadinner in einem hochwertigen Restaurant geplant. Sollte Herr Baker Interesse an der Oberarztstelle haben, so würden sie gleich einen zweiten Termin vereinbaren, um den Vertrag und sämtliche Konditionen zu besprechen. Der amerikanische Arzt hatte bestimmt eine längere Kündigungsfrist. Uwe hätte dennoch bald wieder mehr Zeit für sich, Moni und Rondo. Was für eine wunderschöne Aussicht.
So richtig erholt hatte sich Uwe seit dem Vorfall am vergangenen Wochenende noch nicht. Er hatte immer noch diese Bauchschmerzen, fühlte sich ausgelaugt und müde. Manchmal zitterten seine Hände, seine Konzentration ließ zu wünschen übrig. Doch dieses Mal schaffte er es, nichts zu trinken. Nicht einmal ein Glas Bier zum Abendessen. Auf der einen Seite war er sehr stolz darauf, wusste aber, dass etwas nicht stimmte. Da er jedoch Weltmeister im Verdrängen war, wurstelte er sich durch die Tage, ohne es jemandem zu sagen.
Gewissenhaft wie eh und je erledigte der Chefarzt seine Arbeit auf Station, nahm seine Post mit ins Arztzimmer und wählte Monis Nummer. Es war erst der zweite Tag, an dem sie wieder in Stuttgart war. Sie wollte unbedingt den Workshop leiten aber spätestens übermorgen zurück sein.
Sofort meldete sich Moni fröhlich, „Hey Schatz, na wie gehts dir?“ „Ganz gut soweit. Hör zu, mein Engel. Nächste Woche kommt Dr. Baker mit seiner Familie. Ich wünsche mir, dass du an diesem Tag die Frau an meiner Seite bist.“ „Na klar, sehr gerne. Ich freue mich schon.“
An diesem warmen Frühsommerabend spazierte Moni lange mit Bruno durch den Stuttgarter Schlosspark. Dabei ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. Sie beobachtete Mütter und Väter mit ihren Kinderwagen, Jogger, Radfahrer sowie andere Sportler. Verliebte Pärchen schlenderten Hand in Hand an ihr vorbei. Viele lächelten zu Bruno, denn der Hund konnte sich geschickt in den Vordergrund drängen, indem er sich mitten auf den Weg legte und damit den Passanten den Durchgang versperrte.
Moni dachte an ihren verstorbenen Mann Herbert. Der Unfall, es war alles so schrecklich gewesen. Sie würde ihn nie wieder treffen. Das gemeinsame Haus war inzwischen ebenfalls weg. Selbst ihre Töchter lebten nicht mehr hier. Dann Ottos Geheimnis und sein Selbstmord. So viele Dinge waren in den letzten Monaten geschehen. War das hier überhaupt noch ihre Heimat?
Jetzt spürte sie das Vibrieren ihres Telefons. Auf dem Display erschien Käthes süßes Gesicht. Lächelnd nahm Moni das Gespräch entgegen. „Hi meine Große.“ „Hallo Mama, sag mal!“ Käthes vorwurfsvolle Worte ließen Moni stutzen. „Was ist denn das für eine Begrüßung?“
„Olga hat so einiges ausgeplaudert. Was ist denn jetzt mit dir und Uwe?“ Moni fand beruhigende Worte für ihre Tochter. Geschickt lenkte sie das Gespräch in Richtung Käthes Besuch in München. „Alles gut, sag mir lieber, wie es dir bei Lina und den Kids ergangen ist. Du hast mir noch gar nichts erzählt.“
Doch Moni hörte ihr gar nicht richtig zu. In Gedanken war sie bereits in Montan und bei ihrem Uwe Schatz. Sie würde gleich morgen früh ihren Freundinnen Bescheid geben, dass sie sich vom Strickcafé zurückziehen würde. Eine neue Mitarbeiterin war sicherlich schnell gefunden. Sie konnte trotzdem Teilhaberin bleiben, denn so hätte sie nach wie vor ihr eigenes Geld. Obwohl sie die paar Kröten an der Seite eines Millionärs wohl kaum benötigen würde.
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Käthe lief stirnrunzelnd durch die große Wohnung der Innsbrucker Stadtvilla. Sie öffnete jede Tür und blieb kopfkratzend in den verschiedenen Räumen stehen. Was nur sollte sie alles mitnehmen? Die Suite in Uwes Hotel war zwar geräumig, aber komplett möbliert und nicht dafür gedacht, langfristig darin zu leben. Es war noch genügend Zeit bis zu ihrem Umzug, doch Uwe hatte gestern angerufen und gefragt, ob sie ihn bei seiner nächsten Vorlesung nach Salzburg begleiten möchte. Dann würde er sie in diesem Zuge den Hotelangestellten vorstellen und ihr die Suite übergeben. Käthe fühlte sich großartig, sie freute sich wahnsinnig auf ihre Zukunft.