„Es... er... Ich konnte ihn nicht retten.“ Uwes Augen funkelten böse.
„Das tut mir wirklich sehr leid. Möchtest du etwas essen, soll ich dir einen Kaffee bringen?“ Moni versuchte, ihn ein wenig abzulenken.
Uwe nahm Monis Arme und legte sie zur Seite, damit er sich frei bewegen konnte. Schnell öffnete er die Terrassentür und raste draußen wie ein Tiger im Käfig hin und her. „Ich brauch jetzt Alkohol, es geht nicht anders. Hol mir was!“, schrie er wütend. Moni handelte blitzschnell und brachte ihm eine Zigarre, so wie Hannes es ihr erklärt hatte. Dazu reichte sie Uwe eine weitere Flasche Cola. Immer wieder streichelte sie liebevoll über seinen Rücken, griff nach seiner Hand und drückte sie leicht, um ihn zu beruhigen. Er biss sich auf die Lippen und starrte dabei verärgert in die Luft. Bruno kam ebenfalls auf die Terrasse, setzte sich vor sein Herrchen und kläffte laut.
Uwe starrte auf den Hund. Geräuschvoll zog er an der Zigarre, inhalierte tief und hustete sofort.
„Scheißdreck da!“, schimpfte er mit sich selbst. Dann endlich setzte er sich auf den Liegestuhl, trank in kleinen Schlückchen aus der Flasche und schien sich tatsächlich zu beruhigen. Moni blieb an seiner Seite. Sie hörte nicht damit auf, seine Hand zu streicheln und zu küssen. Einige Minuten lang herrschte Stille. Endlich drehte Uwe den Kopf zu ihr. Er lächelte schwach. „Ich liebe dich mein Engel. Heute habe ich versagt! Der Patient ist verstorben.“
Moni schüttelte den Kopf, „Aber nein. Sicher hast du das nicht. Du kannst nicht jeden retten. Manchmal gelingt das eben nicht, bestimmt war die Verletzung sehr groß.“
Uwe nickte, „Ja, in der Tat. Ein Teil der Gehirnmasse war ausgetreten.“ Bei dieser Vorstellung wurde es Moni schlecht. „Oh mein Gott, Schatz. Das ist ja furchtbar.“ Dann erzählte Uwe von den vergangenen Stunden. Während er ihr alles genau erklärte, beruhigte er sich zunehmend.
Gemeinsam hatten sie diese gefährliche Situation gemeistert. Moni ließ Uwe ein duftendes Schaumbad ein, versorgte ihn mit kleinen Häppchen und seinen Lieblingstrüffel. Im Radio suchte sie einen Sender, der klassische Musik spielte. Uwe lag entspannt in der Wanne. Moni nutzte die Gelegenheit und wuselte durch alle Räume. Sie schaute in jede Schublade, in jeden Schrank, ob auch tatsächlich keine Flasche versteckt war. Nach so einer langen Zeit wäre ein Rückfall sicherlich fatal.
***
Xaver hatte mit den Mitarbeitern beider Höfe beschlossen, dass sie den Ausschank in Gedenken an Rita, am Wochenende wieder öffneten. Elsbeth würde Olga bei allen Tätigkeiten in der Küche unterstützen und die Bewirtung übernehmen. Xavers Frau hatte versprochen, mindestens zwei Kuchen zu backen und beim Abwasch des Geschirrs zu helfen. Tina erklärte sich bereit, sonntags den Ausschank zu übernehmen. Max und seine Mutter Margit waren für das leibliche Wohl verantwortlich. Die Speisekarte aber hielten sie klein, es gab nur Grillwurst vom eigenen Rind, Ziegenkäse und selbstgebackenes Brot. Kaffee und Kuchen nur solange der Vorrat reichte. An Getränke würde es neben Wasser, Sprudel, Bier und Säfte auch frische Milch geben.
Im winzigen Hofladen konnten sich die Besucher mit verschiedenen Molkereiprodukten und anderen Kleinigkeiten eindecken. Franz hatte Olga versprochen, die schweren Lasten zu übernehmen. Stefan würde nur beim Auf- und Abbau helfen, denn an den Wochenenden spielte er entweder in der Kirche oder gab Konzerte bei den gebuchten Veranstaltungen. Karl und seine Freundin übernahmen die Fütterung und das Ausmisten der Tiere.
Xaver ernannte sich selbst zum Mann für alle Fälle, zum sogenannten Springer. Der motivierte Betriebsleiter überlegte sogar, ein Selbstbedienungsmilchhäusle zu bauen. Damit sich Wanderer auch unter der Woche mit den frischen Produkten versorgen konnten. Nachdem sie mit den Besprechungen fertig waren, fuhr Xaver mit Max zum Einkaufen. Olga wählte Monis Nummer, um sie zu fragen, ob sie ebenfalls bei der Eröffnung dabei sein wollte.
„Hallo meine liebe Olga, das ist eine supertolle Idee von Xaver. Ich freue mich sehr für euch.“ Moni würde am Liebsten alles liegen und stehen lassen, und sofort nach Montan fahren, um bei den Vorbereitungen zu helfen.
„Habt ihr am Wochenende Zeit? Das wäre schön, wenn du auch dabei wärst.“ Moni überlegte nicht lange. „Am Samstag fahr ich nach Stuttgart, aber am Sonntag komme ich auf jeden Fall vorbei. Uwe muss leider arbeiten.“
Sie telefonierten insgesamt über eine Stunde, denn Olga hatte viel zu erzählen. Von der Schwangerschaft, von ihrem geliebten Stefan und vom Alltag hier in Montan. Wehmütig dachte Moni daran, wie sehr es ihr gefallen würde, wenn sie ebenfalls dort leben könnte. Ohne den Stress der Klinik und der Großstadt.
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Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Moni hatte alle wichtigen Dinge erledigt und saß samstags schon um sechs Uhr in der Früh bei Jan Rudel im Wagen, um sich in ihre Heimat kutschieren zu lassen. In ihrer Tasche hatte sie die Unterlagen von ihrem Notar dabei.
Mit bunten Girlanden und Luftballons wurde Moni in Stuttgart empfangen. Im Hintergrund lief Partymusik. Sandy hatte eine dreistöckige Torte vorbereitet. Roli brachte einen Karton mit Sektflaschen. Uta wirkte sehr nervös, immer wieder zupfte sie ihre Kleidung zurecht. Andy hatte Tom im Schlepptau, der unbedingt dabei sein sollte, um alles zu überwachen. Das war Uwes Vorschlag, da er selber nicht teilnehmen konnte.
Feierlich übergab Moni mit einer kurzen Rede den Schlüssel des Strickcafés an ihre Schwester. Die beiden Frauen unterschrieben, die Sektkorken knallten und Moni hatte feuchte Augen, obwohl sie lächelte. Die Freundinnen stießen fröhlich auf die Zukunft an. Moni trank einen Schluck Sekt und hatte sofort ein schlechtes Gewissen, denn Tom schielte zu ihr herüber. War das ok für Uwe? Sollte sie ihm davon erzählen, oder war das für ihn klar, dass sie ab und zu Alkohol trinken würde. Sie schob diesen lästigen Gedanken zur Seite, er musste es ja nicht erfahren.
Das Café war heute für Besucher und Kunden geschlossen. Das Geschäft für Wolle und Zubehör aber war geöffnet und Moni arbeitete zwei Stündchen mit. Sie suchte besonders weiche Wolle für Babys aus und beauftragte Conny damit, drei Erstling- Sets zu stricken. „Und in welchen Farben? Weißt du schon ob Mädchen oder Junge?“ Doch Moni schüttelte den Kopf. „Nein, die werdenden Eltern möchten das Geschlecht nicht wissen, sondern sich lieber überraschen lassen. Wir nehmen neutrale Farben, so wie das hier.“ Moni hielt einige naturfarbene Wollknäuel in der Hand. „Soll ich drei gleiche Sets stricken?“, fragte Conny nach.
„Ja bitte, das wäre voll nett. Mütze, Jäckchen und Schuhe. Ich freue mich, vielen Dank.“ Conny nahm Moni in den Arm. „Du wirst uns sehr fehlen,“ dann weinte auch sie ein paar Tränen.
Claudi, Sandys Tochter, brachte Moni ein Stück Kuchen. Auch sie nahm Moni herzlich in die Arme. „Vielen, vielen, lieben Dank. Ohne dich könnte ich meinen Traum nicht wahr werden lassen.“ „Schon gut, das mache ich wirklich sehr gerne für dich.“ Claudi durfte nämlich in Monis Wohnung ziehen. Mit dem riesengroßen Garten und der günstigen Lage außerhalb der Stadt, war es der perfekte Ort für ihre kleine Hundepension, die sie eröffnen wollte. Uwe hatte Moni dazu überredet, die Wohnung zu vermieten. Sie würden in Zukunft einfach ein Hotel buchen oder bei Andy und Tom unterkommen. So oft würde das sowieso nicht vorkommen. Nach diesem Satz wurde Moni traurig, aber sie gab ihm Recht.
Pünktlich um 16 Uhr fuhr Herr Rudel mit dem Wagen vor. Moni wartete bereits am Parkplatz auf ihn. Sie hatte zwei prall gefüllte Taschen in der Hand. Diese waren mit aktueller Sockenwolle gefüllt, ein Abschiedsgeschenk von ihrer Schwester. Sie umarmte ein aller letztes Mal all ihre Freundinnen, dann stieg Moni ein und winkte aus dem Fenster. Sie vergoss weitere Tränen, denn es fühlte sich an wie ein Abschied für immer.
Den ersten Teil der Heimfahrt döste Moni vor sich hin. Irgendwann durchstöberte sie die Tasche mit der Wolle, um sich abzulenken. Beim Blick aus dem Fenster erkannte sie die Berge. Auf dem richtungsweisenden Autobahnschild las sie das Wort Innsbruck. Es wurde ihr dabei ganz warm ums Herz und sie lächelte. Jetzt freute sie sich auf die Zukunft an der Seite ihres Chefarztes. Die Arbeit in der Klinik war eine große Herausforderung, die sie aber gerne annahm. Ihr Handy klingelte, es war ihr Schatz. Moni kam es so vor, als könne er ihre Gedanken lesen.