Genervt nahm Moni die Abkürzung durch den Park. Sie hatte leichte Kopfschmerzen, welche sie dem Stress und der Aufregung zuordnete. Aber es war geschafft. Sie hatte alles erledigt. In der Hand hielt sie eine kleine Tüte mit leckerem Kuchen. Das war die heutige Belohnung.
Sie hatte Unterwäsche, Nachthemden, zwei weite Jogginghosen sowie einige Oversize - Shirts gekauft. Die freundliche Mitarbeiterin vom Modehaus Einwaller hatte versprochen, die Kleidungsstücke frisch gewaschen am Montag in die Klinik zu liefern.
Schon beim Öffnen der Haustür hörte sie laute Männerstimmen. Da es lustig klang, machte sich Moni keine Sorgen und räumte in aller Ruhe Jacke und Schuhe auf. Danach inspizierte sie die Waschmaschine. Zum Schluss schnappte sie sich die Tüte mit den Kuchen, um sie in den Kühlschrank zu räumen.
Am Esszimmertisch waren die Ärzte beschäftigt und lachten laut. Moni sah Uwe und Victor dabei zu, wie sie sich über einen Torso, der erschreckend echt aussah, beugten und mit einer Nadel herumfuchtelten. „Was macht ihr denn da Schreckliches?“
„Ah, mein Engel!“, Uwe grinste breit.
„Wir üben!“
Jetzt mischte sich Victor ein: „Genau, wir lernen die Rückstichnaht und den Mittelfingerknoten. Dein Chefarzt stellt sich ziemlich ungeschickt an, er hat wohl einiges verlernt.“ Dann lachten die beiden Chirurgen laut und schallend.
Automatisch suchte Moni nach leeren Flaschen. War es möglich, dass sie ihren Schatz so ausgelassen vorfand, ohne dass er Alkohol getrunken hatte? „Habt ihr einen Kaffeerausch oder einen Joint geraucht?“, fragte Moni vorsichtig.
„Ha ha ha,“ Uwe gab ihr einen lauten Kuss auf den Mund. „Orangensaft und Apfelsaft mit einigen Spritzern Zitrone.“
Moni lachte nun ebenfalls, ihr fiel ein Stein vom Herzen. „Gut, dann wünsche ich euch weiterhin viel Spaß dabei. Ich möchte euch nicht aufhalten! Schatz, ich geh meine Taschen packen.“ Mit diesen Worten verschwand sie im Schlafzimmer.
***
„Wie findest du Hans?“
Entsetzt starrte Lina zu Simon. „Sagemol, schbinnsch du? Des isch ja en bescheuerder Nome.“ Simon zuckte unschuldig mit den Schultern, „Echt? Und Horst?“ Lina wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. „Hasch du no älle Tasse im Schrank? Uff koin Fall!“
Seit heute Morgen wussten die beiden, dass es ein Junge wird. Linas Bauch zeigte bereits eine stattliche Wölbung, was scheinbar normal war, wenn man schon das dritte Kind erwartete.
„Kannsch du dir net an normale Nome eifalle lasse?“ Doch Simon wollte unbedingt einen norddeutschen Namen für das Baby. Lina hatte ihm versprochen, dass er den Namen aussuchen durfte. „Ok, dann vielleicht Kai?“
Lina winkte ab, „Des geht grad no.“ Leicht verärgert marschierte sie ins Kinderzimmer.
„Warte,“ rief Simon mit aufgeregter Stimme. „Ich habs, wir nennen ihn Kai-Uwe. Was meinst du dazu?“ Lina blieb stehen, drehte sich um und strahlte übers ganze Gesicht. „Boah, isch des a guade Idee. Komm, mir rufed glei mei Muader oa.“ „Nein Lina, wir sagen es ihnen persönlich. Wir fahren am Sonntag nach Montan und überraschen die Familie. So wie ich weiß, sind alle dort wegen Ritas Beerdigung.“
***
Während Moni bei Jan Rudel im Wagen Richtung Stuttgart saß, ließ sich Uwe von seinem Vater nach Montan fahren. Er fühlte sich körperlich wieder fit genug, um heute mit Rondo auszureiten. Nachmittags hatte er ein Date mit Lara und Linus. Georg plante ein gemeinsames Abendessen mit der ganzen Familie und den Mitarbeitern beider Höfe, um offiziell den neuen Betriebsleiter Xaver vorzustellen. Moni würde zwar erst sehr spät zurückkehren, doch darauf konnte er ausnahmsweise keine Rücksicht nehmen.
Moni vertrieb sich die Fahrzeit mit Stricken, nebenher dudelte ihre Lieblingsmusik. Ihr Telefon summte und brummte. Auf dem Display erschien Victors Gesicht. Sie drückte auf den Knopf, der die Trennscheibe hochfahren ließ, um ungestört zu telefonieren. Bestimmt wollte er sie zum wiederholten Mal wegen der anstehenden OP sprechen.
Deswegen meldete sie sich frech: „Hallo bester Oberarzt der Welt, was muss ich denn noch alles beachten?“
„Hallo mein Sonnenschein, ähm, bist du gerade alleine?“ „Ja, warum denn? Mach es nicht so spannend. Uwe ist in Montan und ich fahr nach Stuttgart. Das haben wir dir doch erzählt.“ Sie hörte Victor zustimmend brummen. „Gut, hör mir bitte zu. Ich möchte dir was sagen. Du bist mir eine so wichtige Freundin geworden.“ Er zögerte.
„Na sag schon, um was geht es?“
„Also meine Liebe. Ich habe soeben alle Auswertungen und Testergebnisse von Dr. Haller erhalten. Wenn sich Uwe weiterhin so gut hält, ist alles in bester Ordnung. Sollte er allerdings rückfällig werden, wird er sich innerhalb weniger Tage totsaufen!“ Moni schürzte die Lippen und hielt den Atem an. „Ok“, sie antwortete nur knapp, weil das Gehörte noch nicht in ihrem Hirn angekommen war.
„Das heißt?“ Hakte sie nun nach.
„Sobald es körperlich mit ihm wieder aufwärtsgeht, wird die Lust auf Alkohol womöglich zurückkehren. Also, pass auf ihn auf! Lass ihn so wenig wie möglich alleine.“
„Ach, du gibst mir die Verantwortung? Na toll!“ Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie fühlte sich hilflos wie ein kleines Kind.
„Nein, nein,“ versuchte Victor Moni zu beruhigen. „Mir war es nur wichtig, dass du den Ernst der Lage erkennst. Jetzt wo die Beerdigung vor der Türe steht und deine Operation. Das wird ihn bestimmt innerlich aufwühlen. Und das ist das Gefährliche. Eigentlich solltet ihr zwei einige Wochen in Urlaub fahren. Ich wollte dir ...“
Jetzt schrie Moni in ihr Telefon, so dass Herr Rudel sie auch mit Trennscheibe hören konnte: „Weißt du, MICH wühlt das alles ebenfalls auf. Wer fragt sich denn, wie es mir geht? Hallo? Ich habe so viel um die Ohren und dreh vor lauter Angst schier durch. Bin ich jetzt für alle und jeden verantwortlich? Da muss er jetzt halt durch. Friss oder stirb. Mir reichts!“ Moni legte verärgert auf.
Wie konnte Victor nur so blöd daherreden. Inzwischen weinte sie hemmungslos. Die Scheibe bewegte sich ein Stück nach unten. Jan Rudel fragte mit einem besorgten Gesichtsausdruck nach, ob alles in Ordnung wäre. „Soll ich den nächsten Rastplatz anfahren?“ Moni nickte weinend.
***
Dr. Uwe Ortner stand mit dem nervös wirkenden Rondo am Gatter. Karl half ihm auf das große Pferd. „Brrr, ist guuut,“,Uwe sprach beruhigend auf ihn ein. Rondo spürte Uwes Unsicherheit. Der letzte Ausritt war schon eine Weile her. Uwe entschied sich daher, nur einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Max hatte die Szene beobachtet und rief seinem Schwager zu: „Warte, wir begleiten dich ein Stück.“ Er hievte Lara und Linus zu ihm auf einen der Haflinger. Gemütlich schritten sie nebeneinander her. Bruno sprang voraus und führte die kleine Gruppe kläffend an.
Uwes Handy unterbrach die Idylle. „Mein Engel, wie schön, dass du dich meldest. Wo seid ihr inzwischen?“ „Hallo Schatz, wir sind soeben an Ulm vorbei. In einer knappen Stunde haben wir unser Ziel erreicht.“ „Gut, du hast mich hoch zu Ross erwischt.“ Uwe lachte.
„Schatz, ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe!“ Uwe freute sich über diese Worte, dennoch wurde er skeptisch. „Was ist los? Warum sagst du das in einem so seltsamen Ton?“
„Ich habe Angst! Um uns“!
Uwe zog die Zügel an und Rondo blieb stehen. „Ich liebe dich auch mein Engel. Du bist der wichtigste Mensch für mich. Hab keine Angst. Ich werde dich nicht mehr enttäuschen. Bitte glaube mir. Du kommst doch heute Abend zurück, oder?“
„Ja natürlich, es wird wohl spät, aber ich komme auf jeden Fall. Bleiben wir in Montan bis Montag?“
„Natürlich, ich weiß ja, wie sehr du es liebst, hier in den Bergen zu sein.“
Lächelnd lehnte sich Moni in ihrem Sitz zurück. Sie spürte die Ehrlichkeit in seinen Worten und glaubte ihm. Jetzt freute sie sich auf ihre Schwester, die Freundinnen und auf eine große Menge neuer Wolle.