Uwes Nervosität stieg von Tag zu Tag. Es war Donnerstag und sein vorerst letzter Arbeitstag in der Klinik. Damit sich das Brautpaar in Ruhe vorbereiten konnte, hatte Frau Schön ihnen ans Herz gelegt, Freitags auszuschlafen, das freigegebene Programm durchzuarbeiten und erste Dinge vorzubereiten. Die jeweiligen Überraschungen waren nur zeitlich erwähnt. Als Moni und Uwe diese Übersicht zum ersten Mal in den Händen hielten, wurde es ihnen fast schwindelig. „Ha ha ha, wie sollen wir das alles an einem einzigen Tag schaffen?“ Moni verging sprichwörtlich das Lachen.
Mit Victor und Jo überarbeitete Uwe den Dienstplan der kommenden Wochen. Wenn er die Tage der Hochzeit und die Flitterwochen zusammen zählte, würde er knapp einen Monat fehlen. Diese Zeit galt es bestmöglichst zu überbrücken. Denn er hatte versprochen, im Urlaub nicht täglich zu arbeiten. Georg hatte sich wie immer bereit erklärt, in der Klinik auszuhelfen, er wolle nicht sofort wieder zurück in die Staaten reisen. Scheinbar hatte er eine Überraschung im Gepäck.
Uwe war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er aus Georgs Andeutungen nichts schließen konnte. Außerdem haderte Uwe in letzter Zeit mit dem Gedanken, ob und wann er wieder Alkohol trinken durfte. Es verging kaum ein Tag, an dem er sich nicht sehnlichst ein Glas Rotwein oder wenigstens ein kühles Bier wünschte. Er sprach mit niemand darüber, auch nicht mit Hannes. Vermutlich war es einfach die Aufregung und die Vorfreude. So eine Hochzeit war eben doch etwas Besonderes.
Auch Moni saß mit ihren Kolleginnen und Kollegen der Verwaltung in einer Besprechung. Sie überlegten gemeinsam, wie sie die anfallenden Aufgaben am besten verteilten. „Wenn alle Stricke reißen, könnt ihr uns natürlich kontaktieren. Ich gehe davon aus, dass wir einmal am Tag die Mails checken,“ meinte Moni. Nicole nickte grinsend. „So wie ich Uwe kenne, denke ich das auch.“
Nach zwei Stunden ließ Monis Konzentration nach. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Sie dachte an die fröhlichen und unbeschwerte Stunden, an den Nachmittag mit Theo. Schon lange nicht mehr hatte sie sich so lebendig gefühlt. Was hatten sie gelacht. Neben ihm kam sie sich unheimlich jung und frei vor. Klar hatte sie zu Beginn der Ausfahrt Angst gehabt, es war schließlich ihre erste Fahrt auf einem Motorrad überhaupt. Wie sie über die Landstraßen geflogen sind, war einfach himmlisch. Sie hatte dem erfahrenen Stuntman vertraut, sich eng an ihn gedrückt und ihn fest umklammert, so dass sie zusammen mit der Maschine zu einer Einheit verschmolzen waren. Er entschied sich für die aussichtsreiche Strecke ins Stubaital. An dem bekannten Ort Neustift vorbei bis zum Alpengasthof Schallerhof. Als Moni am Ziel vom Motorrad stieg, zitterten zwar ihre Beine ein wenig vor Anspannung, doch sie kam sich sehr cool vor und gab Theo in ihrem Glücksgefühl einen dicken Kuss auf den Mund. „Danke, für dieses einmalige Erlebnis!“ Der nickte schmunzelnd und nahm sie in seine kräftigen Arme. Mit seinem durchdringenden Blick sah er sie lange an. „Hey Moni Maus, bitte heirate nicht!“, flüsterte er. Moni riss sich los und lachte verlegen, dabei hob sie sich spaßeshalber die Ohren zu.
Sie saßen bei Kaffee und Kuchen, erzählten von sich, lachten und alberten herum. Schnell wurde es Zeit für die Rückfahrt. Ein Blick auf die Uhr ließ Moni aufspringen. „Oh je, ich müsste längst zurück sein. Komm, lass uns fahren!“ Theo stand auf, bezahlte die Rechnung und sagte kein Wort mehr. Selbst als Moni in Montan beim Abschied nach seiner Telefonnummer fragte, blieb Theo stumm. Sein trauriger Blick hatte sich in ihr Gehirn gebrannt.
„Oder was sagst du dazu, Moni? Moni?“ Nicole riss sie aus ihren Gedanken und sie hakten die übriggebliebenen Aufgaben ab.
***
Die Gäste von außerhalb reisten teilweise schon freitags an. Lina, Stefan und die Kids wohnten übers Wochenende bei Tina und Max. Käthe und Kim richteten sich bei Olga ein. Für Georg hatte Uwe das Gästezimmer vorgesehen. Thommy, Resi und die Kinder buchten ein großes Familienzimmer im Biohotel. Andy und Tom begnügten sich mit einem einfachen Doppelzimmer. Monis Freundinnen zogen in der Pension ein und Uta reiste mit Roli und den Hunden im Wohnmobil an. Ihr Bruder und seine Familie würden ebenfalls im Hotel das Wochenende verbringen.
Victor, Irina, Jo und Iris wollten nachts mit dem Taxi wieder zurück nach Innsbruck fahren. Sie benötigten keine Unterkunft in Montan.
Klara und Monis Stiefsöhne sagten kurzfristig ab. Darüber war Moni enttäuscht und Uwe sehr dankbar. Er fand es unpassend, dass Moni ihre Verwandtschaft aus der früheren Ehe zur Hochzeit eingeladen hatte. Sie bekamen sogar einen kleinen Streit. „Was hast du gegen sie? Diese lieben Menschen haben dir nichts getan und gehören zu meiner Vergangenheit!“, hatte Moni gewettert.
„Ja genau! Zu deiner Vergangenheit! Wir aber sind im Jetzt und Hier!“ Uwes Worte trafen sie und Moni stürmte mal wieder mit Bruno im Schlepptau hinaus in den Park. Ein Telefonat mit ihrer Schwester Uta beruhigte sie. „Die Nerven liegen blank, kein Wunder. Das ist oft so. Ihr seid ja beide total im Stress. Wir fahren gleich morgen früh um sechs Uhr los. Dann bin ich bei dir und unterstütze dich, gell?“ Moni weinte ein paar Tränen und spazierte gemütlich zurück. Uwe wartete an der Tür. Er breitete liebevoll seine Arme aus. „Entschuldige bitte, ich bin das reinste Nervenbündel.“ Moni murmelte, „Ja, ist schon gut. Komm, lass uns jetzt gleich nach Montan fahren.“
***
Monis Handy klingelte, Uwe war unter der Dusche. Thommy meldete sich: „Guten Morgen, na, bist du schon aufgeregt?“ „Ja, und wie! Möchtest du mit Uwe sprechen?“ „Nein, mit dir. Wollte nur einen lieben Gruß ausrichten. Na, an wen denkst du?“ Moni hatte zwar einen Verdacht, sprach es aber nicht aus. „Keine Ahnung, sag schon.“ Thommy ließ nicht locker. „Na komm, das weißt du ganz genau. Er ist unsagbar traurig und kann dich einfach nicht verstehen!“ Moni beendete kopfschüttelnd dieses seltsame Gespräch. Vielleicht war Thommy betrunken. Von Uwe wusste sie, dass es um seine eigene Ehe im Moment sehr schlecht stand. Resi begleitete Thommy nur zur Hochzeit, da sie wusste, wie schlimm es für Uwe wäre, wenn sie nicht zusammen als Familie zum großen Fest kamen. Resi hatte sich vorgenommen, Uwe in die bevorstehende Trennung einzuweihen, sobald er von den Flitterwochen zurück kommen würde.
Uwe streckte den Kopf aus der Badezimmertür und fragte fröhlich: „War es Pa? Ist er schon gelandet?“ „Nein, es war Thommy, aber er wollte nichts Besonderes.“ Sie küssten sich, dann trennten sich ihre Wege für die nächsten Stunden. Immer wieder las Moni die Termine des heutigen Tages. Von wegen ausschlafen. Die Zeit, in der Uwe zusammen mit Herrn Rudel die letzten Einkäufe und Erledigungen tätigte, nutzte Moni für eine weitere Anprobe des aufwändigen Hochzeitkleides. Der Treffunkt mit Frau Schön war in der Kapelle. Heute würde sie lernen, wie sie damit durch die Menschenmenge bis zum Altar laufen würde. Oder besser gesagt stolzieren, denn alleine die Schleppe des Schleiers war einige Meter lang. So ein Irrsinn. Dieses Kleid war ein absoluter Traum. Uwe würde begeistert sein. Sie freute sich so sehr auf seine Reaktion.
Mit der Hilfe zweier Mitarbeiterinnen und der Näherin stand Moni zum ersten Mal in dem Kleid in der Kapelle. Sie fühlte sich, als wäre sie in die Rolle einer Prinzessin geschlüpft, die sie eigentlich nie sein wollte. Eben wie im Märchen. Aber es fühlte sich richtig an, denn schließlich heiratete sie morgen einen österreichischen Millionär. Einen erfolgreichen Chefarzt. Wer konnte das schon von sich behaupten. Sie kicherte und lies sich genau erklären, wie sie sich damit auf einen Stuhl setzen konnte. Gemeinsam übten sie das Aufstehen. Denn das alles musste morgen bei der Trauung ohne Hilfe funktionieren. Für die verschiedenen Aktionen am Mittag konnte man die Schleppe komplett abtrennen.
Die Näherin steckte ein weiteres Mal den Stoff an ihren Brüsten ab. „Chef hat gesagt, nicht viel Haut. Nix gut, wenn so viel Haut zeigen.“ Moni lächelte und bestätigte, „Ja genau, sonst wird der Chef eifersüchtig," wieder kicherte Moni.
Draußen warteten neben dem Pfarrer und dem Standesbeamte, bereits die Musikerinnen und Musiker, die ebenfalls heute ihre Generalprobe hatten.