Zusammen mit Andy packte Moni die neue Ware aus. Sie gähnte herzhaft, denn sie hatte kaum geschlafen. Der Streit mit Uwe gestern war richtig blöd gewesen. Im Nachhinein tat es ihr leid, sie vermisste ihn ja auch. Sie starrte noch einmal auf das Display ihres Handys, doch Uwe hatte sich nicht zurückgemeldet. Scheinbar war er ziemlich sauer. Jetzt schämte sie sich dafür, wie konnte sie ihm nur absagen? Eigentlich hatte sie sich erhofft, er würde zu ihr nach Stuttgart kommen. Die Tatsache, dass er der Chefarzt seiner eigenen Klinik war und dadurch nur wenig Freizeit hatte, verdrängte sie immer wieder. Warum das so war, wusste sie selbst nicht. Schon zweimal hatte sie ihm eine Sprachnachricht mit Entschuldigungen geschickt. Vielleicht war er im OP oder mit seinen Patienten beschäftigt. Traurig schlenderte sie nach draußen, um den letzten Karton der Lieferung zu holen, da sah sie, wie ein Taxi direkt vor der Tür am Straßenrand parkte.
Erstaunt erkannte sie, wer aus dem Wagen heraus stolperte und der Länge nach auf den Gehweg fiel. Vor Schreck schlug Moni ihre Hand vor den Mund. „Um Gottes willen, Uwe? Schatz! Was…?“
„Kannst du dem Fahrer vierhundert Euro geben?, fragte Uwe lallend, danach stolperte er auf sie zu. Jetzt roch sie seine extreme Alkoholfahne. Sein Anzug war stark verschmutzt. Es sah so aus, als hätte er Erbrochenes auf dem Hemdkragen. Inzwischen war Moni sauer, traurig und gleichzeitig der Ohnmacht nahe. Sie schimpfte laut: „Sag mal, spinnst du? Das bist ja ekelhaft!“ Andrea kam aus dem Laden gerannt und schob die beiden hinein, weg von der Straße. Dem Taxifahrer gab sie das fehlende Geld und bedankte sich freundlich. Anschließend kochte sie Kaffee und Tee und brachte alles zusammen mit einem Stück Kuchen ins Büro.
Wie ein Häufchen Elend saß Uwe schief auf dem Bürostuhl. Immer wieder fielen ihm die Augen zu. Moni hielt seine Hand und weinte. „Schatz, es tut mir so leid! Kannst du mir verzeihen? Ich war echt dumm!“
„Mein Engel, liebst mich denn überhaupt noch?“ Uwe liefen dicke Tränen übers Gesicht. Moni nickte schnell, „Aber Schatz, natürlich!“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn. In diesem Moment klingelte Monis Telefon. Es war Victor, der freundlich nachfragte, ob denn ihr Besuch schon angekommen sei. „Ja, er sitzt gegenüber von mir. Er ist, glaube ich, ziemlich am Ende.“ „Vielleicht solltet ihr dringend miteinander reden. Aber lass ihn erst ein paar Stunden schlafen.“ Dann erzählte der Oberarzt, dass er einen Anruf von dem Besitzer des Nachtclubs, den er glücklicherweise gut kannte, erhalten habe. Uwe war scheinbar so sehr betrunken, dass er anfing zu randalieren. Er hatte sein leeres Glas an die Wand geworfen, und einige der Tänzerinnen mit Schimpfworten verletzt. Sein Handy hatte er in der Toilette versenkt und solange die Spülung betätigt, bis es verschwunden war.
Diese Nachrichten trafen Moni wirklich hart. Ihr schlechtes Gewissen verstärkte sich dadurch. Sie saß reglos auf ihrem Stuhl und biss sich auf die Lippen. Nach dem Telefonat nahm sie ihren Uwe in den Arm. „Kannst du aufstehen? Komm Schatz, wir fahren heim, du möchtest dich bestimmt frisch machen.“ Uwe nickte stumm und ließ sich zum Auto führen. Andy unterstütze die beiden, denn Uwe konnte kaum einen Schritt vor den anderen setzen. Andys besorgter Gesichtsausdruck brachte Moni erneut zum Weinen. „Sollten wir nicht einen Arzt rufen?“, flüsterte Andy. Uwe funkelte die beiden Frauen böse an, „Wehe!“
Dieses Mal war es Moni, die sich rührend um ihren Schatz kümmerte. Sie half ihm beim Ausziehen der dreckigen Kleider, die sie auf sein Bitten hin sofort in die Mülltonne warf. Sie brachte ihm eine Schüssel mit Wasser, Seife und einen Waschhandschuh sowie seine Zahnbürste. Erschöpft fiel Uwe aufs Bett und schlief schnell ein. Moni stellte eine Flasche Mineralwasser und ein Glas Cola auf das kleine Nachttischchen. Vorsichtig und langsam flößte sie ihm einige Schlucke davon ein. Anschließend streichelte sie seine Hand. Als sie hörte, wie er sachte zu schnarchen begann, ging sie leise raus. Die Tür zum Schlafzimmer ließ sie offen stehen. Jetzt fiel ihr ein, dass sie in diesem ganzen Chaos Bruno vergessen hatte. Sie telefonierte mit Andy, die versprach, ihn später vorbeizubringen. „Kein Problem, ich mach das schon. Kümmere du dich um deinen Schatz. Das ist alles sehr bedenklich,“ Andys Stimme klang ziemlich vorwurfsvoll.
Moni kochte Kaffee und setzte sich damit raus in den Garten. Auf dem Display ihres Handys sah sie zwei verpasste Anrufe. Sie stammten von Käthe und Lina. Anstatt zurückzurufen entschied sich Moni für eine kurze Nachricht, dass sie sich abends melden würde. Dann lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und dachte nach. So konnte das Leben nicht weiter gehen. Der Gedanke, dass er wieder in einem Nachtclub war, versetzte ihr einen Stich ins Herzen.
Sie nahm all ihren Mut zusammen und telefonierte mit Georg. Scheinbar erwischte sie keinen guten Moment, denn er wirkte grimmig und genervt. „Entschuldige, wenn ich dich störe. Es geht um Uwe.“
Sie hörte, wie Uwes Vater tief Luft holte. „Ach Moni! Ehrlich gesagt habe ich derzeit meine eigenen Probleme. Victor hat mir Bescheid gegeben und ich bin schon auf dem Weg in die Klinik.“ Jetzt wurde seine Stimme lauter, „Für euren Scheiß habe ich keinen Nerv. Rita geht es schlechter und ich muss sie jetzt euretwegen alleine lassen!“ Moni hörte nur noch ein leises *klack*, dann war das Gespräch beendet.
Erneut füllten sich ihre Augen mit Tränen. Unruhig lief sie hin und her, rannte immer wieder ins Schlafzimmer, um sich zu vergewissern, dass Uwe noch atmete. In der Küche öffnete sie alle Schränke und überlegte, was sie dem armen Kerl zu essen machen könnte. Sie entdeckte Suppennudeln, Kartoffeln und Delikatessbrühe. In der Tiefkühltruhe hatte sie verschiedene Kräuter eingefroren. Daraus zauberte sie eine duftende Suppe, in der sie zusätzlich noch zwei Eier gab. Sie konnte sich daran erinnern, dass er sich so eine Brühe mit Ei-Einlauf schon einmal bestellt hatte. Leider hatte sie kein Brot zuhause. Krampfhaft überlegte sie, ob sie ihren Uwe Schatz kurz alleine lassen konnte. Der nächste Bäcker war nur zehn Minuten entfernt.
Doch dann hörte sie seltsame Geräusche und rannte erneut zu ihm ans Bett. Uwe würgte und röchelte. Schnell half sie ihm, den Oberkörper aufzurichten. Mit der anderen Hand hielt sie ein Taschentuch an seinen Mund. Dankend nahm er es und übergab sich ein weiteres Mal. Danach trank er die Wasserflasche halb leer, rülpste und entschuldigte sich gleichzeitig. Jetzt lächelte ihn Moni liebevoll an. „Gehts dir besser, Schatz?“ Uwe nickte und legte den Kopf wieder aufs Kissen. „Hast du Schmerztabletten im Haus?“
„Ja, ich hol welche. Hast du Hunger?“ Uwe schüttelte den Kopf. „Ich würde gerne duschen, danach vielleicht.“ Moni begleitete ihn ins Badezimmer, wartete, bis er fertig war, und brachte ihm neue Unterwäsche. Frisch duftend setzte er sich auf die Terrasse. Es klingelte an der Tür. Bruno stürmte kläffend zu Uwe und freute sich über seine Streicheleinheiten. Andy hatte zwei Brezeln in der Hand, welche Moni freudig entgegennahm. „Ach ist das lieb, vielen vielen Dank.“ Die Frauen nahmen sich in den Arm. „Gerne, kein Problem. Dafür sind Freunde ja da.“