Moni und Uwe überquerten den Parkplatz des Hotels, als zwei auffällig gekleidete Motorradfahrer direkt vor ihnen anhielten und den Weg versperrten. Laut ließen die Männer die Motoren ihrer heißen Maschinen aufheulen.
Zuerst wichen sie erschrocken zurück, doch dann meinte Uwe, zumindest einen von ihnen zu erkennen. „Thommy? Bist du das?“ Tatsächlich, Thommy nahm den Helm ab und strahlte übers ganze Gesicht. „Überraschung!“, rief er laut. Moni stand kopfschüttelnd daneben und grinste.
Jetzt gesellte sich Thommys Kamerad dazu. Er nahm ebenfalls seinen Helm ab, öffnete den Reißverschluss seiner orangefarbenen Jacke, welche perfekt zu seinem glänzenden Motorrad passte. „Hi, ich bin Theo!“ Mit tiefer Stimme, einem kräftigen Händedruck und dem typischen Südtiroler Dialekt begrüßte er Moni und Uwe.
Dann erinnerte sich Uwe schwach an ihn. Vor ein paar Jahren hatte er Theo auf Thommys Geburtstagsfeier kennengelernt. Uwe kam in den Sinn, dass er Filme drehte und gefährliche Stunts auf seinem Motorrad vorführte. Nebenher arbeitete er als Bergretter bei der Toblacher Bergwacht. Daher kannte er Thommy. Uwe konnte ihn nicht leiden. Irgendetwas an Theo fand er abstoßend. Außerdem wirkte er ungepflegt.
Moni begrüßte die unangemeldete Gäste freundlich. „Hallo, wie schön euch zu treffen. Das ist ja wirklich eine gelungene Überraschung, Thommy!“ Sie nahm Uwes Freund in den Arm und nickte Theo zu, der ihr frech zuzwinkerte.
Thommy klopfte Uwe auf die Schulter und verkündete: „Ich habe einen Tisch für vier Personen bei unserem Toni reserviert, passt euch das?“ Uwe wollte gerade antworten, da kam ihm Moni zuvor. „Das ist eine großartige Idee, wie schön! Wir kommen sehr gerne mit, oder Schatz?“ Lachend drehte sich Moni zu Uwe und wartete auf seine Reaktion. Dieser brachte es nicht übers Herz, Monis gute Laune zu zerstören, und willigte ein. Er hatte zwar andere Pläne für den Abend gehabt, doch nun musste der Heiratsantrag eben auf morgen warten. Auf den einen Tag kam es jetzt auch nicht mehr an.
„Na klar, super Idee Thommy! Wo sind eigentlich deine Frau und die Kinder?“ Thommys Gesicht verdunkelte sich. „Ach, sie sind mit ihren Eltern an die Adria gefahren. Es läuft im Moment nicht so gut bei uns.“ Uwe schaute böse drein. „Du hast so eine tolle Frau. Streng dich gefälligst an, du Stoffel!“ Seine Stimme klang richtig wütend.
Moni zog den Kopf ein und grinste zu Theo, der hinter Thommy stand und lustige Grimassen zog.
„Ja ja, Uwe. Ist schon gut.“ Mit diesen Worten setzte sich Thommy wieder auf seine Maschine. Uwe trat zu ihm und die beiden Männer unterhielten sich leise. Moni wich einen Schritt zurück, damit sie ungestört waren. Jetzt betrachtete sie Theo, der in seiner Jackentasche etwas zu suchen schien.
Ein schöner Mann war er wirklich nicht, aber dennoch konnte sie den Blick nicht abwenden. Irgendetwas an seiner eindrucksvollen Gestalt faszinierte sie. Vielleicht lag es daran, dass er eben nicht dem typischen Ideal entsprach, gerade deswegen aber auch so authentisch rüberkam. Ein bisschen wirkte er wie ein Waldschrat, denn er hatte ein markantes Gesicht, das von einem zotteligen Bart und langen, unordentlich zusammen gebundenen Haaren und kräftigen Augenbrauen umrahmt wurde. Ein sogenannter echter Kerl mit einer gut trainierten Figur in einer knallengen Motorrad-Lederhose.
An ihm fand man kein Gramm Fett. Theo drehte sich zu Moni um. Es schien so, als hätte er bemerkt, wie sie ihn musterte. Er schmunzelte, steckte sich eine Kippe in den Mund, zwinkerte ihr erneut zu, sagte aber nichts. Die Farbe seiner Augen erschien Moni undefinierbar. Doch sein feuriger Blick traf sie mit aller Wucht. Schnell wandte sie sich ab. Sie spürte die Hitze der Röte, die ihr ins Gesicht stieg. Das war ihr ja schon ewig nicht mehr passiert. Ein dicker Kloß setzte sich in ihren Hals. Sie bückte sich, um ihre Schuhe zu binden, obwohl die Schnürsenkel ihrer Sneakers perfekt saßen.
Der Abend in Tonis Pizzeria wurde sehr lustig. Nach einer langen und stürmischen Begrüßung servierte Toni italienische Köstlichkeiten. Niemand bestellte sich ein alkoholisches Getränk und dennoch war die Stimmung locker und beschwingt. Theo erwies sich als absolute Stimmungskanone. Moni lachte Tränen.
Nach dem leckeren Essen erzählten die Freunde Geschichten von früher. Toni, Thommy und Uwe kannten sich schon seit ihrer Kindheit. Theo und Moni hörten gespannt zu. Immer wieder ertappte sich Moni dabei, wie sie den extrem coolen Kerl beobachtete und musterte. Irgendwann traute sie sich, ihn freundlich zu fragen: „Wo kommst du her? Also, ich meine, wo wohnst du?“
Theo schenkte ihr zuerst ein herzliches Lächeln, dann antwortete er brav. „Geboren bin ich in Bruneck. Wohnen tu ich eigentlich in Sexten, die meiste Zeit aber bin ich unterwegs.“ Er breitete seine Arme aus und kniff die Augen zu. „Auf der ganzen großen Welt. Wie ein Vagabund weißt du.“ Moni kicherte. Ihr gefiel, wie er redete.
„Ein Vagabund also. Soso. Und was arbeitest du?“ Theo überlegte lange, bevor er in wenigen Sätzen erklärte, dass er Stunts mit seinem Motorrad vor laufender Kamera vorführte und das große Glück hatte, für sein Hobby auch noch Geld zu bekommen. „Ahh“, Moni war sichtlich beeindruckt.
„Ich mache so gut wie alles, was verrückt und unmöglich erscheint.“ „Wow“, antwortete Moni. Wieder zwinkerte Theo frech und fragte: „Und ihr wohnt in seiner Klinik?“, dabei deutete er auf Uwe. Moni warf den Kopf zurück und hielt sich kichernd die Hand vor den Mund. „So weit kommts noch. Ja, also die meiste Zeit leben wir in Innsbruck. Obwohl ich am allerliebsten in Montan bin. Wir haben da eine...“
„Montan?“ Theo unterbrach sie und schlug sich mit der Hand auf die Stirn. „So klein ist die Welt, was? Erst vor kurzem habe ich das Haus meiner Großmutter übernommen, das helle Bauernhaus mit den grünen Fensterläden und der Scheune, gleich neben der Kapelle.“ Moni starrte ihn an. „Echt jetzt?“
Uwe war so sehr ins Gespräch vertieft, dass er die Szene nicht mitbekam. Das war auch gut so, denn Theo sah sie inzwischen mit einem dermaßen durchdringenden Blick an, der auf Moni hypnotisierend, oder besser gesagt, erotisierend wirkte und dem sie nicht standhalten konnte. Sie entschuldigte sich und verschwand Richtung Toiletten. Dort erfrischte sie ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser. Sie sah in den Spiegel und sprach leise zu sich: „Aber hallo!“ Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. „Was soll das denn, liebe Moni? Bist du jetzt komplett verrückt geworden?“ Sie schob diese heftige Reaktion auf die Hormone, schließlich war sie eine Frau mitten in den Wechseljahren. Der Kerl da drinnen, war mindestens fünf Jahre jünger. Vor allem liebte sie Uwe.
Als Moni ein paar Minuten später zurück zum Tisch kam, waren Thommy und Theo dabei, sich zu verabschieden. Enttäuscht nahm sie diese Tatsache zur Kenntnis. Damit man ihr das nicht ansah, tippte sie auf ihrem Handy herum und starrte auf das Display. Auch Toni schaute traurig drein. „Mensch, bleibt doch noch ein wenig. Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen“.
Thommy runzelte die Stirn. „Leute, wir haben zwei Stunden Fahrt vor uns. Es wird ja bald dunkel. Wir sollten jetzt wirklich los.“ Theo nickte, schnappte sich seinen Helm und die Jacke, hob die Hand zum Abschied und marschierte zur Tür, ohne sich noch einmal zu Moni umzudrehen.
Uwe begleitete die Männer nach draußen. Hochinteressiert begutachtete er jetzt die Motorräder und nickte anerkennend. „Echt geile Maschinen!“ Lächelnd steckte er seine Hände in die Hosentasche und dachte an die Zeit zurück, in der er selber Motorradfahrer war. Er sah den beiden hinterher, bis sie nur noch kleine Punkte am Horizont waren.
***
Sie verließen die Autobahn auf die Bundesstraße Richtung Pustertal. Theo setzte den Blinker und fuhr auf einen Parkplatz. Thommy blieb mit laufendem Motor neben ihm stehen, öffnete das Visier und rief: „Pinkelpause?“ Theo schüttelte den Kopf. Er stieg ab, stellte seine Maschine auf den Ständer und hob die Hände hoch. „Oh mein Gott!“ Schrie er laut und schien verzweifelt. Skeptisch fragte Thommy nach: „Was ist denn mit dir los? Hast du einen Geist gesehen?“
„Nein, viel schlimmer. Ich habe heute meine Traumfrau kennengelernt.“
Thommy schob die Unterlippe nach vorne. Als ihm klar war, wen er meinte, gab er zu verstehen: „Vergiss es, sie heiraten bald!“
„Was? Aber warum denn gleich heiraten?“ Theo war sichtlich schockiert. Thommy zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich hab Moni schon vor ihm gewarnt. Sie will ihn trotzdem." „Aber sie passen doch gar nicht zusammen." Thommy zuckte erneut mit den Schultern. Theo zündete sich eine Zigarette an.
„Wer ist sie? Was weißt du von ihr? Raus mit der Sprache! Bitte!“