Dr. Uwe Ortner führte ein langes Gespräch mit dem in Frage kommenden Oberarzt Dr. Jo Baker. Sie verschoben den Termin um eine Woche. Dies war Gott sei Dank für den Arzt aus den Staaten kein Problem, da er mit seiner Frau insgesamt vierzehn Tage in der Region verbrachte. Uwe freute sich, dennoch schlauchte ihn das Telefonat. Ebenso wie das das Kommen und Gehen der verschiedenen Besucher und Helfer. Sein neues Leben war im Moment sehr anstrengend. Er gähnte an einem Stück, als Moni wieder eintrudelte.
Nach wie vor quälten ihn Kopf- und starke Bauchschmerzen. Man sah es ihm schon von weitem an. Moni zwang ihn deswegen zu einem Mittagsschlaf. „Schatz, du siehst echt fertig aus! Sei doch vernünftig, du musst dich noch schonen!“ Am Liebsten hätte Uwe sogar seinen Dienst auf Station wieder angetreten, aber dafür war es wirklich zu früh. Er legte sich tatsächlich ins Bett.
Gleichzeitig war dieser Tag ein Wichtiger für Uwe. Bemerkte er doch, wie viele Freunde er hatte, vor allem wie sehr seine Familie zu ihm hielt. Er spürte, dass er es schaffen würde, vom Alkohol loszukommen. Für immer. Mit Moni an seiner Seite und dem Wissen um das Leben seiner Eltern, würde er wachsen und stark werden. Mit dem Gedanken, seiner Herzdame schon bald einen Heiratsantrag zu machen, schlief er zufrieden ein.
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Georg setzte sich an den großen Küchentisch. Seine Augen waren vom Weinen gerötet, er schien um Jahre gealtert. Die Traurigkeit über Ritas Tod stand dem alten Mann ins Gesicht geschrieben.
„Gerne möchte ich euch meinen Vorschlag unterbreiten. Bitte hört mir gut zu und denkt in Ruhe drüber nach. Den Hof werden wir auf keinen Fall aufgeben. Das wäre nicht im Interesse von Rita.“ Franz stieß die Luft laut aus, puh, hatte er sich deswegen schon große Sorgen gemacht.
„Olga und Stefan sollen weiterhin hier leben. Franz, du behältst den Stall und deine Kühe. Natürlich kannst auch du hier wohnen, solange du das möchtest. Elsbeth wird oben in mein Zimmer einziehen und euch bei allen anfallenden Arbeiten unterstützen. Da ihr, Max, Karl und du liebe Tina, genug zu tun habt, werde ich einen Betriebsleiter für den Huber Hof einstellen. Er wird sich um die Abläufe und Finanzen kümmern. Natürlich wird er auch körperlich mitarbeiten.“ Ein Raunen ging durch die Teilnehmer dieser kleinen Gesprächsrunde. Tina kniff die Augen zu, fragte aber nichts.
Das ukrainische Mädchen saß staunend da, hielt sich den Bauch und lauschte gespannt Georgs Worte. Ihr war immer noch ein wenig übel, obwohl sie sich heute schon zweimal übergeben hatte. „Olga, wenn es für dich in Ordnung wäre, würde ich Aaron gerne hier lassen. Ungern würde ich ihn von seinem gewohnten Umfeld rausnehmen. Der Hof braucht meiner Meinung nach sowieso einen Wachhund. Franz kann bestimmt die Betreuung übernehmen.“ Olga nickte, „Natürlich darf Aaron bleiben, ich mag ihn ja inzwischen sehr." Auch Franz nickte eifrig, dann stand er auf und öffnete alle Küchenschränke auf der Suche nach einer Flasche Schnaps. Doch Georg hielt ihn davon ab.
„In diesem Haus wird kein Alkohol mehr ausgeschenkt. Du darfst gerne in deiner Wohnung ein Bier trinken oder in den Gasthof gehen.“ Die Anwesenden hielten den Blick gesenkt.
Georg fuhr fort: „Xaver Ried, das ist der Hirte, der früher mit den Kühen der Tal-Bauern im Sommer auf die Bergalmen gezogen ist. Kennt ihr ihn? Er sucht dringend einen neuen Job. Er war schon nahe dran, Montan zu verlassen, um in der Stadt eine Arbeit zu suchen. Ich habe ihn überredet zu bleiben, und einen Vorvertrag angefertigt. Er wäre bereit, sofort anzufangen. Ihr werdet ihn mögen, er ist ein sehr umgänglicher Mensch. So, jetzt dürft ihr gerne Fragen stellen.“
Olga lächelte und schüttelte leicht den Kopf. Franz hob stumm den Daumen hoch. Tina und Max nickten ebenfalls. Tina war die Erste, die etwas sagte: „Pa, ich denke, dass dies ein guter Plan ist. Wir werden beide Höfe weiterführen, so dass Rita und Mama stolz auf uns wären.“
„Danke“, Georg stand auf und umarmte seine Tochter. Jetzt mischte sich Max in das Gespräch ein. „Liebe Frau, bitte denk auch daran, dass du viel zu viel Zeit mit deinem Gnadenhof verbringst. Du vernachlässigst das Leben und deine Familie hier.“
Im Raum war es mucksmäuschenstill.
Georg blickte seiner Tochter lange in die Augen und wartete gespannt auf ihre Antwort. Tina wandte sich an ihren Mann: „Ja, das stimmt, du hast Recht. Ich werde mich bemühen, das zu ändern. Bin schon dabei, eine geeignete Tierärztin zu finden, die mir hilft.“
***
Nachmittags trudelten die Besucher bei Moni und Uwe ein. Da Georg in der Klinik aushelfen wollte, fuhr ihn Max nach Innsbruck. Hinten saßen Lara und Linus, die sich sehr auf ihren Onkel freuten, da sie ihn ja nicht oft sahen. Gut, dass Moni dran gedacht hatte, bei dem Großeinkauf zwei Überraschungseier zu notieren.
Uwe öffnete die Tür und der kleine Linus sprang direkt an ihm hoch. „Onkel Uwe, Onkel Uwe, lieb haben.“ Uwe wuschelte dem Knirps über seine lockigen Haare, nahm ihn auf den Arm und drückte ihm einen lauten Kuss auf die Wange. „Na du kleiner Spatz, wie geht es dir?“ Dann nahm er sich Zeit, um auch Lara liebevoll zu begrüßen. Sie hatte eine große Anzahl an Barbie Puppen in ihrem Rucksack. „Spielst du nachher mit mir Modeschau?“ Uwe schloss die Augen, „Wenn es unbedingt sein muss.“ Lara lachte und kitzelte ihren Onkel. „Vorher müssen wir sie alle kämmen und schön anziehen.“ „Aber natürlich“, Uwes säuerlicher Gesichtsausdruck war köstlich und nicht zu beschreiben.
Moni setzte sich mit ihrem Strickzeug auf die Couch und hörte dem bunten Treiben amüsiert zu.
Nach ein paar fröhliche Stunden kehrte wieder Ruhe ein. Max fuhr mit den Kindern zurück nach Montan. Victor und Georg arbeiteten in der Klinik. Die Ärzte absolvierten die große Visite, besprachen den Ablauf von Monis Operation und das weitere Vorgehen von Uwes Therapie. Auch Dr. Jo Baker war ein Thema. Georg fragte Victor. „Was weißt du über ihn?“
„Mhm also, Dr. Jo Baker lebt und arbeitet derzeit noch in Lansing im Bundesstaat Michigan und ist 50 Jahre alt. Seine Frau Iris stammt ursprünglich aus Deutschland. Und zwar aus Mittenwald direkt an der Grenze zu Österreich. Nach Innsbruck sind es nur knappe 40 km.“
Genervt unterbrach ihn Georg. „Wo Mittenwald ist, weiß ich selber.“
„Ja von mir aus. So lass mich halt erzählen. Ihre Eltern leben noch dort, sind nun aber beide krank. Daher möchte seine Frau Iris wieder zurück in die Heimat. Sie haben einen 22-jährigen Sohn, der Jura studiert und in Lansing bleiben wird. Er wohnt zusammen mit der Freundin im Haus und hält die Stellung.
Jo ist ebenfalls Hirnchirurg und auf Tumore spezialisiert. Uwe möchte, dass er ihn in allen Bereichen entlastet und unterstützt. Eventuell soll er sein Stellvertreter werden.“
Georg nickte, sein Gesichtsausdruck wirkte nicht mehr gelangweilt. „Das hört sich gut an. Aber wie ist das für dich?“
„Für mich ist das vollkommen in Ordnung. Ich bin kein Chefarzt Typ. In meiner Rolle als Oberarzt mit eigener Unfall Station fühl ich mich pudelwohl. Mein Privatleben ist mir übrigens auch wichtig. Da läuft es im Moment nicht so gut.“
„Victor, das tut mir aufrichtig leid. Ich hoffe, ihr bekommt das wieder in den Griff! Gibts noch einen Haken wegen Dr. Baker?“, fragte Georg neugierig.
Victor zuckte mit den Schultern, „Keine Ahnung. Eine der Voraussetzungen für die Einstellung sind die Wochenenddienste. Uwe wünscht, dass Herr Baker mindestens einmal im Monat von Freitag bis Sonntag arbeitet. Zusätzlich einmal pro Monat die Rufbereitschaft im Vordergrund und einmal im Hintergrund übernimmt. So dass er selber kaum noch an den Wochenenden in der Klinik sein muss. So wie ich das verstanden habe, möchte er mehr Zeit mit seiner Moni verbringen.“
Georg fuhr sich mit der Hand übers Kinn. „Ja mei, das ist eine gute Idee. ich bin stolz auf meinen Sohn!“
Er würde mit ruhigem Gewissen seine österreichische Heimat verlassen können.