Uwe lehnte sich entspannt auf seinem Bürostuhl zurück. „Maria, was verschafft mir die Ehre, dass du mich hier in der Verwaltung besuchst?“ Seine Stimme klang freundlich, aber sein Blick ruhte skeptisch auf der Flasche, die seine Oberschwester dabei hatte.
„Hallo Uwe, hast du einen Moment für mich? Bitte!“, fragte Maria und hielt die Flasche Whiskey hoch.
„Kommt drauf an, ich habe leider noch jede Menge zu tun“, antwortete er und deutete auf die verschiedenen Unterlagen, die vor ihm lagen.
Maria zwinkerte ihm zu. „Ach, bestimmt trinkst du mit mir ein Gläschen, oder?“, dabei lächelte sie verschmitzt. Uwe fühlte sich sofort durchschaut. Dieses Gespräch schien sehr unangenehm zu werden. Sah sie es ihm an, dass er nicht mehr nüchtern war?
„Nein, auf keinen Fall, tut mir leid.“ Uwe kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
Trotzdem öffnete sie die Flasche und fragte nach einem Glas. Uwe stand auf und brachte ihr ein normales Wasserglas. Der Geruch des Whiskeys stieg ihm in die Nase, was ihn noch nervöser werden ließ. Dankend nahm sie das Glas entgegen und schenkte sich ein.
„Uwe, ich weiß, es klingt blöd und...“, Maria hielt inne. Ihren Blick richtete sie nach oben an die Decke, gerade so, als stünde dort das Wort, nach welchem sie suchte.
Uwe riss ängstlich seine Augen auf und betete insgeheim, dass genau jetzt irgendein Telefon klingeln würde.
„Jetzt, wo Moni weg ist, da dachte ich... Naja...Wir... Äh... Du weißt ja, ich liebe dich!“
Uwe sog laut die Luft ein und atmete langsam wieder aus. Dann drehte er den Kopf weg und schaute aus dem Fenster. „Maria, das Thema hatten wir doch schon. Es tut mir leid, aber ich empfinde nicht dasselbe für dich.“ Er sah ihr dabei zu, wie sie ihr Glas leer trank und gleich wieder füllte.
Nebenbei verkündete sie stolz: „Hab ich von dir gelernt, leer trinken und nachschenken.“ Uwe nickte und fuhr sich mit der Hand über den Mund.
Unbeirrt quasselte Maria weiter. „Schon damals, als dich dein Vater als Nachfolger vorstellte, hat es bei mir gefunkt. Ich habe dich schon immer verehrt und geliebt. Hast du es wirklich nie bemerkt? Gib es doch zu, dass du mich ebenfalls begehrenswert findest.“ Bei dem Gehörten verschlug es Uwe die Sprache. Er schüttelte den Kopf. Maria stand auf, ging ein paar Schritte auf ihn zu und streckte die Arme nach ihm aus.
„Bitte, schlaf mit mir. Heute noch. Das wünsche ich mir von ganzem Herzen. Nur einmal.“
„Maria, um Gottes Willen hör auf damit. Setz dich wieder hin! Was ist passiert bei dir?“ Vorsichtig schob er sie zurück an ihren Stuhl.
Kichernd schenkte sich die Stationsschwester noch ein drittes Mal nach. Während sie inzwischen einen betrunkenen Eindruck machte, fühlte er sich inzwischen wieder stocknüchtern. Er rückte die Tastatur näher zu sich und schaltete den Monitor ein.
„Bekomme ich wenigstens einen Kuss?“ Uwe blickte zu seiner langjährigen Mitarbeiterin. Gerne hätte er ihr die Flasche aus der Hand gerissen und selber daraus getrunken. Doch er riss sich zusammen, nahm seine Computermaus in die Hand und klickte auf das Symbol seines Schreibprogrammes, welches sich sofort öffnete.
„Maria, du weißt genau, dass ich so etwas nie tun würde. Ich mag dich sehr, du bist ein guter Mensch und ich dachte, wir sind Freunde. Ich schätze deinen Fleiß und kompetenten Einsatz hier in der Klinik. Du bist eine wahrlich engagierte, erfahrene und zuverlässige Krankenschwester.“ Seine Stimme klang resigniert.
Sie blieb ruhig sitzen, nahm ab und zu einen Schluck Whiskey, blinzelte ihn verliebt an und hörte ihm dann eine Weile zu, wie er wild auf die Tastatur einhämmerte.
„Uwe, nur einmal. Niemand würde davon erfahren.“ So schnell würde sie nicht aufgeben.
„Maria, du kannst getrost nach Hause gehen. Ich würde jetzt sowieso keinen hochkriegen. Du weißt doch, Alkoholiker sind impotent. Also verschwende nicht deine Zeit!“ Uwe versuchte es auf die harte Tour. Dann klickte er auf das Symbol drucken.
Der Drucker spuckte das Blatt beinahe lautlos aus. Uwe nahm es in die Hand, überflog es auf die Schnelle und setzte seine Unterschrift darunter.
„Was ist das für ein wichtiges Schreiben?“ , fragte Maria beschwipst.
Uwe streckte ihr das Blatt Papier entgegen. „Für dich. Es ist deine Kündigung. Es tut mir im Herzen weh, so eine hervorragende Mitarbeiterin zu verlieren. Aber bedauerlicherweise bist einen großen Schritt zu weit gegangen.“
Perplex starrte Maria auf das Kündigungsschreiben und fing an zu weinen.
„Das Schreiben habe ich per E-Mail an die Personalleitung geschickt. Bitte, verlasse jetzt mein Büro! Deine Papiere, sowie ein qualifiziertes Arbeitszeugnis gehen dir per Post zu.“ Schnell steckte er seine zitternden Hände in die Hosentaschen, lief zum Fenster und riss es auf.
***
Moni hing bis zum Abend am Telefon. Sie holte Preise von neuen Lieferanten ein und gab neugierigen Kunden verschiedene Auskünfte. Zum Schluss wählte sie die Nummer vom Huberhof und erkundigte sich nach Ritas Empfinden. Olga versicherte ihr, dass heute ein guter Tag war. Jetzt aber würde Rita schlafen. Moni versprach bald wieder zu Besuch zu kommen. Dann wurde es höchste Zeit für eine Pause. Sie lief rüber ins Café, nahm sich das letzte Stück Marmorkuchen und einen Kaffee und setzte sich damit in die Ecke des Raumes. Conny war gerade dabei, der neuen Putzperle die verschiedenen Reinigungsmittel zu erklären. Bruno beobachtete gespannt sein Frauchen. Dann streckte sich der große Hund, gähnte herzhaft und kläffte laut. Moni lächelte ihm zu. „Bruno mein lieber Schatz. Wir gehen gleich ne Runde.“ Als würde er jedes Wort verstehen, setzte er sich wartend neben sie.
„Moni, hast du die Arbeitspläne für die beiden Osterwochen schon erstellt?“, wollte Conny wissen. „Bis jetzt noch nicht, mach ich aber spätestens morgen“, gab Moni zur Antwort. „Alles klar, ich wünsche dir einen schönen Abend.“ „Danke, dir auch. Tschüss.“
Leider fing es während ihres Spaziergangs mit Bruno zu regnen an, daher liefen sie nur die kleine Runde. Moni dachte an ihre eigenen Pläne für die Osterwoche, da fiel ihr siedend heiß der Gardasee ein. Sie lächelte, denn darauf freute sie sich. Das Luxushotel ließ keine Wünsche offen und der Blick über den herrlichen See war einzigartig. Ein paar Tage nur zu zweit fernab von den anderen, schon bei dem Gedanken an die Wellness Wanne auf dem Balkon, fühlte sie sich entspannt und erholt. Ob Uwe auch daran dachte?
Sie kramte ihr Handy aus ihrer Jacke und wählte seine Nummer. Es klingelte ewig, bis er sich leise meldete. „Mein Engel.“ Seine Stimme klang müde und kaputt. „Hey Schatz, alles gut bei dir?“ Lange Zeit hörte sie ihn nur atmen. „Nein, überhaupt nicht“, antwortete er ehrlich. „Was ist denn los? Ist was passiert?“ Sie hörte ihn schnauben, „Ach, großer Mist ist passiert. Warum bist du so weit weg von mir? Ich würde alles darum geben, abends bei dir zu sein, dich an meiner Seite zu spüren. Stattdessen sitz ich hier alleine und werde schier verrückt.“
Moni hörte ihn weinen. Sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen. „Schatz, komm erzähl es mir. Bist du noch in der Klinik?“ Krampfhaft überlegte sie, ob er wohl getrunken hatte. Sollte sie nachfragen? Doch sie entschied sich dafür, es lieber nicht zu tun. Seine Worte und Sätze klangen zwar traurig, aber am Klang seiner Stimme meinte sie zu erkennen, dass er nüchtern war.
„Ja, ich sitze hier in der Verwaltung, mutterseelenallein und fühle mich beschissen. Dabei hatte der Nachmittag so schön angefangen.“
Fassungslos hörte Moni ihrem Schatz zu, was dieser von Schwester Maria zu berichten hatte.
„Das ist ja unglaublich!“, mehr fiel ihr beim besten Willen nicht dazu ein.