Schon nach einer halben Stunde war Moni wieder im Leben zurück. Uwe lag angezogen auf dem Beistellbett und wartete auf ein Zeichen. Mit schwacher Stimme brachte sie ein: „Huhu, bin wach“, zustande. Wie vom Blitz getroffen sprang Uwe auf. Schnell nahm er ihre Hand, küsste und streichelte sie. „Mein Engel, wie geht es dir? Hast du Schmerzen?“ Moni schüttelte den Kopf, „Nö, gar nicht. Ist alles gut verlaufen?“
Uwe nickte, „Ja, ja natürlich!“
„Ähm, ich glaub, ich muss pinkeln. Habe ich keinen, ähm, Urinbeutel?“
„Nein, mein Herzblatt, das war nicht notwendig. Wart, ich helfe dir.“ Uwe nahm die Krücken, welche neben dem Nachttisch bereitstanden, in seine rechte Hand. Mit der anderen half er Moni dabei, sich aufzurichten.
„Was? Aufstehen? Jetzt schon?“, fragte Moni ängstlich.
Uwe nickte wieder und lächelte, „Victor hat eine perfekte Leistung vollbracht und dich ohne Vollnarkose operiert. Wir bringen jetzt deinen Kreislauf in Schwung.“ Moni vertraute ihm und presste mutig die Lippen aufeinander. Beim ersten Aufsitzen wurde ihr leicht schwindelig, doch das legte sich schnell. Mit kleinen Schritten, nah an Uwes Seite, humpelte sie Richtung Toilette.
Wenige Minuten später lag Moni wieder im Bett. Sie gähnte herzhaft. „Mein Gott, bin ich müde. Außerdem quälen mich fürchterliche Kopfschmerzen, so wie nach einem Besäufnis.“ Uwe kratzte sich am Hinterkopf. „Mein Engel, das tut mir leid, ich hol dir ein kühles Tuch,“ während er ins Schwesternzimmer eilte, dachte er angestrengt über die Menge der verabreichten Medikamenten nach. Hatte er sich wirklich an der Dosis geirrt? Ein Blick auf das elektronische Krankenblatt sagte ihm, dass er keine Eintragungen vorgenommen hatte. Im Stillen schimpfte er mit sich selber.
Moni schlief den ganzen Tag. Sie wachte nur ab und zu auf, um zu trinken und ihre Position zu ändern. Gegen Abend verspürte sie pochende Schmerzen an Fuß und Ellenbogen. Sie war alleine im Zimmer, draußen war es noch ein wenig hell, sie fühlte sich plötzlich einsam. Schnell drückte sie den Schwesternruf. Victor und Uwe waren gleichzeitig zur Stelle.
Jetzt erst sah sie den bunten Blumenstrauß, der in einer hochwertigen Vase auf ihrem Nachttisch stand. An den Zweigen baumelten kleine rote Herzen mit schwarzer Aufschrift. Vorsichtig drehte sie eines davon um.
Ich liebe dich stand in verschnörkelter Schrift auf einem der netten Herzen .... du bist die Frau für mich auf einem anderen. Dankbar lächelte Moni und gab Uwe einen Kuss. Die beiden strahlten verliebt.
Victor kontrollierte ernst und ordnungsgemäß die Verbände. Dabei erklärte er seiner Patientin: „Alles wunderbar, meine Liebe. Ich bin sehr zufrieden. In ungefähr zwei Wochen ziehen wir die Fäden. Solange bitte nicht duschen, an die Wunden darf kein Wasser. Nach weiteren drei bis vier Wochen verschwinden die Schmerzen komplett. Du musst sie aber nicht aushalten, gerne bekommst du was dagegen. Ach, und um die tägliche Bauchspritze kommst du leider nicht drum herum. Das Bein bitte immer hochlegen, auf keinen Fall belasten! Nur wenn es unbedingt notwendig ist, darfst du aufstehen.“
„Zum Beispiel wenn ich zur Toilette muss?“ „Genau, richtig erkannt. Morgen kommt ein Physiotherapeut und zeigt dir verschiedene Übungen. Gönn dir eine kleine Auszeit, auch vom Stricken. Lass es ruhig angehen. In sechs Wochen ist alles so gut wie verheilt.“ Heute fiel es Moni zum ersten Mal auf, dass auch Victor eine äußerst angenehme und beruhigende Stimme hatte.
„Echt? Meine Angst war also völlig unbegründet?“ Victor nickte und zwinkerte ihr zu. Dann übergab er ihr feierlich einen Beutel. Breit grinsend meinte er: „Hier sind deine Schrauben und Ersatzteile.“ Moni verzog angewidert das Gesicht. „Igitt, das ist ja eklig.“
Uwe lachte, „Siehst mein Engel, die ganze Aufregung umsonst!“
***
Olga und Stefan räumten gemeinsam die Küche auf. Heute war ein ruhiger Tag auf dem Hof. Georg hatte bereits seinen Koffer mit dem Wichtigsten gepackt. Sein Zimmer hatte er ebenfalls schon ausgeräumt. Die wenigen Möbel standen an der Straße. Die Leute von der Caritas Österreich holten diese in den nächsten Tagen ab, denn Elsbeth brachte ihre eigene Einrichtung von ihrem Zuhause mit. „So wird mir die Umstellung leichter fallen,“ waren ihre Worte an Georg, der ihr gerne das Zimmer möbliert übergeben hätte. Zusammen mit einem Nachbarn hatte sie an nur einem Tag ihren Umzug bewältigt.
Nachdem es nun offiziell war, freute sich sehr Olga darüber, dass sie Mama von Zwillingen werden würde. Immer wieder hielt sie schützend ihre Hand an ihren noch flachen Bauch. Stefan war ebenfalls glücklich, auch wenn ihm ein Baby gereicht hätte. Dennoch hingen dunkle Wolken über dem Hof, denn Rita fehlte allen hier. Franz zog sich immer mehr zurück. Lediglich zu den gemeinsamen Mahlzeiten saß er kurz am Tisch bei den anderen.
Heute war Xavers erster offizieller Arbeitstag. Georg und Max zeigten ihm den Hof und erklärten bis aufs kleinste Detail, was sie von ihm erwarteten. In erster Linie sollte er Franz mit den Kühen unterstützen, wie ausmisten des Stalles, melken und füttern der Tiere. Ab und zu musste die Gülle abtransportiert und Heu gemäht werden. Falls Karl deine Hilfe bei den Pferden benötigt, wäre das auch deine Aufgabe. Das Ausbessern der Weidezäune, organisieren des Futters sowie Hilfe bei Max auf dem Nachbarhof wenn nötig, vermerkte Georg als zusätzliche Positionen auf dem Arbeitsvertrag.
„Alles klarrrr, ich weiß Bescheid. Das werrrrden wohl so sechs bis acht Stunden täglich sein, odrrrr?“ Für einen waschechten Tiroler rollte Xaver das R auf eine seltsame Art und Weise.
Georg nickte, „Je nachdem, was alles zu tun ist. Du kannst mich jederzeit kontaktieren, ansonsten ist Max dein Vorgesetzter. Mein Sohn Uwe und seine Moni bewohnen den oberen Stock. Auch er wird ein Ansprechpartner für dich sein.“ Xaver gab Georg die Hand und schüttelte sie kräftig. „Vielen Dank Georg, für diese Chance!“ Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln, krempelte die Ärmel seines karierten Flanellhemdes hoch und stapfte hinüber zum Kuhstall.
***
Die ersten Tage verliefen weitaus besser, als Moni sich das je erträumt hatte. Kein Vergleich zu der Zeit nach ihrem schweren Unfall damals. Sie fühlte sich kräftig und munter. Nur schade, dass sie eine Weile ans Bett gefesselt war. Das Fernsehprogramm erschien ihr öde und eintönig, stricken funktionierte nicht und um ein Buch zu lesen, fehlte ihr die nötige Konzentration. Die Wunden schmerzten zwar ein wenig, doch es war auszuhalten. Für die ersten Nächte, in denen Uwe sie nicht eine Minute aus den Augen ließ, gab er ihr ein starkes Schmerzmittel.
Schnell wurde es Moni langweilig und sie war sehr dankbar, dass sich Käthe bereit erklärt hatte, schon einen Tag früher zu kommen.
Uwe nahm morgens seine Termine bei Hannes und bei Dr. Schaller wahr. Die Therapie nahm er absolut ernst. Den Rest des Tages arbeitete er auf Station. Eva war aus ihrem Urlaub zurück, daher gab er Victor eine Woche frei.
„Ich danke dir für alles mein Freund. Nimm auch du dir eine kleine Auszeit. Kümmere dich um deine Frau. Wie kann ich mich erkenntlich zeigen? Was hältst du von einer Sonderzahlung?“ Uwe bedankte sich eben auf seine Art beim Oberarzt. Victor winkte ab, „Ach da hält ja nur das Finanzamt die Hände auf. Es ist alles gut, ihr habt mir ja ebenfalls geholfen.“ Doch Uwe hatte eine Idee: „Komm mit!“ Sie liefen in sein Arztzimmer. Hier stellte Dr. Uwe Ortner einen Barscheck in Höhe von 1.000 Euro aus und gab ihn feierlich an Victor. „Nimm das, bitte! Kauf deiner Irina eine schöne Kette oder einen Ring!“
Käthe verfrachtete Moni in den Rollstuhl und fuhr sie hinüber zur Wohnung. Hier wartete Bruno kläffend auf sein Frauchen. Die Begrüßung fiel recht stürmisch aus. Lange saßen sie draußen auf den gemütlichen Liegen, tranken Cappuccino und warfen abwechselnd ein Stöckchen für Bruno. Der Hund schien einfach nie müde zu werden. „Stell dir vor meine Süße, für das Wochenende haben sich deine Tante Uta und die Strickfreundinnen angekündigt. Nur Sandy und Claudi halten die Stellung im Café.“
„Wie schön für dich. Mama, dann kann ich ja mit Kim nach Salzburg fahren, oder? Wir sind zu einem besonderen Geburtstagsfest eingeladen.“ „Kein Problem Käthe, geht nur.“ Sie umarmten sich liebevoll. Jetzt wurde Moni müde und döste ein.