Gut gelaunt begleitete Uwe seine Moni am nächsten Tag in das Strickcafé. Der Laden war brechend voll, wie fast jeden Samstag. Conny und Andy wirkten gestresst hinter der Theke. Sie wuselten hin und her und kamen kaum nach, die moderne Kaffeemaschine zu befüllen und zu säubern. Die Technik der Kuchenvitrine hatte Probleme, die Kühltemperatur zu halten, da die Tür ständig geöffnet wurde. Es standen aber auch immer so leckere Torten und Kuchen zur Auswahl. Diese Tatsache hatte sich im Viertel schnell rumgesprochen.
Die Topfavoriten waren die Donauwelle und der Hefezopf von Uta, sowie die Zitronen- und Haselnusstorten von Sandy. Zusätzlich gab es täglich einen einfachen Rührkuchen und mindestens einen Obstkuchen im Sonderangebot. Die Preise hielten die Freundinnen extra niedrig, so dass sich auch die älteren Herrschaften und Familien mit geringem Einkommen, die in den benachbarten Hochhäusern wohnten, mit Leckereien eindecken konnten, ohne dafür weit laufen zu müssen. Gerade an den Wochenenden kamen sie gerne vorbei und nahmen sich die Kuchenstücke mit nach Hause.
Immer wieder entdeckten die Omis aus der Nachbarschaft die schöne Wolle, die es heutzutage zu kaufen gab. Vielen von ihnen war es altersbedingt nicht mehr möglich, selber zu stricken. So gaben sie öfters Socken in Auftrag, um nach wie vor die Enkel oder Urenkel zu beschenken. Diese Arbeiten übernahmen vor allem Conny und Moni. Das waren die Sockenstrick-Expertinnen.
Tom, Andys Mann, nahm Uwe sofort in Beschlag und schleppte ihn mit sich ins Lager. Hier türmten sich die Kartons mit neuer Ware neben vielen leeren Getränkekästen. In Tom hatte Uwe einen wahren Freund gefunden. Sie hatten nach wie vor die gleichen Interessen, Themen und Meinungen. Noch dazu trank Tom normalerweise keinen Alkohol, da er ihn einfach nicht mochte. Mit viel Spaß und Muskelkraft brachten sie das Lager und die Vorratsräume auf Vordermann. In dieser Zeit war Moni mit der Büroarbeit beschäftigt. Das komplette Rechnungswesen sowie die Buchhaltung waren ihr Metier.
Zur Mittagszeit jonglierte Uwe ein beladenes Tablett zu seiner Liebsten ins Büro. „Mein Engel, hier kommt eine süße Sünde, alles klar bei dir? Ich würde mich gerne in den Klinikrechner einloggen,“ mit diesen Worten stellte er ihr einen Kuchen und eine Tasse Kaffee vor die Nase, platzierte seinen Laptop auf den Schreibtisch und hauchte ihr einen Handkuss zu. Moni lächelte ihn an, dabei nickte sie, tippte aber fleißig weiter. Dann hob sie den Kopf und betrachtete Uwes verschwitztes Gesicht und seine zitternden Hände. „Schatz, was ist denn mit dir?“ Uwe biss sich auf die Lippen und hielt die rechte Hand mit seiner linken Hand fest. Leise antwortete er, „So ist das immer, wenn ich über längere Zeit nichts trinke.“
Moni hob entsetzt ihre Augenbrauen, „Ach, das ist ja... furchtbar. Was kannst du denn dagegen tun?“ Uwe zuckte mit den Schultern, „Alkohol trinken.“ Erstaunt und gleichzeitig geschockt nahm sie ihren Schatz in den Arm. „Ich könnte uns ein Glas mit Sekt holen.“ Er gab ihr keine Antwort, sondern biss sich auf die Lippen.
Monis Telefon klingelte. Es war Käthe, die übermütig aber gleichzeitig verkatert ins Ohr flötete. „Mami, es ist so wunderbar gelaufen. Das Leben ist einfach nur geil! Ich hab ein saugutes Gefühl bei meinen schriftlichen Prüfungen.“ „Wie schön, das freut mich so sehr. Du klingst aber seltsam, was ist denn?“
„Oh Gott Mami, stell dir vor, wir haben gefeiert. So wie sich das gehört. Es ist ja schließlich Wochenende. Misch dich bloß nicht schon wieder ein.“ Erstaunt hob Moni ihr Handy von sich weg. „Hey hey, so war das doch nicht gemeint. Reg dich bitte nicht auf. Ich bin deine Mutter, so sind Mütter eben,“ jetzt kicherte Moni. Munter redete Käthe weiter: „Am Montag findet das Vorspielen statt. Zuerst ein Solo auf der Klarinette nach meiner Auswahl. Anschließend musizieren wir in der Gruppe eine Komposition, die wir erst kurz vorher zum Einstudieren bekommen. Mit nur einer halben Stunde Zeit für die Vorbereitung.“
„Das klingt ja nach Expertenmodus! Ich bin so stolz, meine Süße!“
Uwe hatte das Gespräch teilweise mitgehört und klatschte leise Beifall. Lächelnd stand er auf und ging zur Tür, „Siehst du jetzt haben wir was zu feiern. Ich hol den Sekt.“
Uta und Roli hatten heute frei, die Turteltäubchen waren damit beschäftigt, die Feier vorzubereiten. Im Gemeindezentrum hatten sie einen Saal gemietet, noch dazu einen Cateringservice sowie eine professionelle Band für Unterhaltungsmusik beauftragt. Überraschungsgäste des Abends waren ihr Bruder Johann mit seiner Frau. Nur Moni wusste darüber Bescheid. Was für eine Freude, denn die Geschwister hatten sich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.
Moni und Uwe schlossen den Laden ab. Sie verabschiedeten sich von Conny und Andy, die im Café nebenan noch mit putzen und aufräumen beschäftigt waren. „Bis später, bringt viel Hunger und gute Laune mit. Wir kommen gegen 19 Uhr.“
Damit Bruno seinen benötigten Auslauf bekam, spazierten sie zusammen in den nahe gelegenen Park. Dort setzte sich Moni auf eine Bank und knipste den Hund von der Leine los. „Uwe Schatz, ich hab da noch eine Bitte.“ Uwes Gesicht verdunkelte sich, „Die da wäre?“
Moni zögerte einen Moment, bevor sie weitersprach. „Wegen der Feier heute Abend, ich möchte dich bitten...“
„...Das ich nicht viel trinken werde, ja ich versprechs dir,“ fiel ihr Uwe ins Wort. „Am Besten, ich bleibe den kompletten Abend bei Tom, dann passiert mir nichts,“ Uwe zwinkerte ihr zu. Moni lächelte dankbar und küsste ihn.
***
Olga band sich die Haare zu einem einfachen Zopf zusammen und nahm den Schrubber in die Hand. Nur noch die Böden wischen, schon war die Putzaktion beendet. Sie war stolz auf sich, dass sie alle Arbeiten alleine erledigt hatte. Rita saß auf ihrem Ohrensessel im Wohnzimmer und hatte die Augen geschlossen. Zum Abendessen waren sie bei Margit auf dem Nachbarhof eingeladen. Die Mutter von Max verwöhnte heute die Familie und Mitarbeiter beider Höfe mit Tiroler Speckknödel, Sauerkraut und einer raffinierten Pilzsoße. Olgas Freund Stefan war zusammen mit dem Pfarrer in der Kirche. Sie probten ein neues Eingangslied für die Messe morgen früh. Leise fragte Olga: „Rita, wie geht es dir heute?“ Rita öffnete die Augen, ein sanftes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie streckte die Arme nach dem Mädchen aus. „Olga, meine Liebe. Ich bin sehr müde und fühle mich schlapp. Aber das ist halb so schlimm.“ Olga setzte sich seufzend neben sie. „Gehst du morgen mit uns zur Kirche? Denkst du, das klappt?“ Rita streichelte Olgas Hand. „Das würde ich sehr gerne, ich hoffe schon!“
Olga nahm den Putzeimer und lief zur Abstellkammer, da hörte sie einen Aufschrei. Schnell rannte sie zurück ins Wohnzimmer, wo Rita halb gebückt vor ihrem Sessel stand und sich den Bauch hielt „Um Gottes willen, was ist passiert?“ Sofort hatte das Mädchen Tränen in den Augen.
„Psst Olga, bitte nichts verraten. Vor allem nicht Georg. Es geht schon wieder. Manchmal habe ich so ein komisches Ziehen, da erschrecke ich mich.“ Mit diesen Worten versuchte Rita das besorgte Mädchen zu beruhigen. Mit einem unguten Gefühl räumte Olga ihre Putzutensilien auf. Sie würde den Vorfall zumindest ihrem Stefan erzählen.
Auch Georg hatte versprochen, pünktlich da zu sein. Er übernahm immer noch viel zu gerne die Vertretung seines Sohnes und fühlte sich in der Klinik nach wie vor sehr wohl.