Ein paar Tage vor dem ersehnten Urlaub lagen Moni und Uwe gemütlich auf der Couch. Moni hatte ihren Schatz dazu überredet, endlich wieder ein Wochenende in Montan zu verbringen. Schließlich konnten sie, dank der heutigen Technik, von hier aus arbeiten. Nach einem eher langweiligen Krimi zappte Uwe durch die Programme.
„Schatz, lass uns mit den E-Bikes an den See radeln, ist doch gar nicht so weit!“, rief Moni in die Stille. Uwe blinzelte skeptisch. Nach den aufregenden letzten Wochen fühlte er sich urlaubsreif wie schon lange nicht mehr. In Gedanken lag er faul auf einer bequemen Liege im Pool oder am See und ließ sich bedienen. In der Hand einen alkoholfreien Cocktail. Bald würde er wissen, wie sich ein Urlaub als Ex-Alkoholiker anfühlte.
Ihm fiel keine passende Antwort ein, daher zuckte er nur mit den Schultern und drückte auf der Fernbedienung herum.
„Na komm, was denkst du? Direkt am Fluss gibt es ja den Inntal-Radweg. Von Innsbruck bis zum Achensee sind es nur etwa fünfzig Kilometer. Mit einem E-Bike ist das überhaupt kein Problem. Bitte, bitte!“ Moni schmiegte sich an Uwe und küsste ihn liebevoll. „Das würde mir sooo gut gefallen.“
Uwe drehte den Kopf zu ihr und lächelte. Vorsichtig schob er mit seinem Finger eine Haarsträhne aus Monis Gesicht. Dann kratzte er sich verlegen am Hinterkopf. „Ok, wenn du meinst, dass ich das schaffe. Witzige Idee, wir fahren mit dem Rad in den Wellnessurlaub.“ „Genau, das wird lustig und aufregend. Unser Gepäck lassen wir uns von Jan Rudel mit dem Auto bringen. Ist doch klasse, wenn wir vor Ort flexibel sein können.“
Uwe biss sich auf die Lippen. „Aber mein Engel, wir sind doch sowieso flexibel. Jan wird Tag und Nacht abrufbereit für uns zur Verfügung stehen.“
Moni verdrehte die Augen. „Aber genau das gefällt mir nicht. Ich möchte mit dir alleine den Tag verbringen und etwas unternehmen, ohne einen Chauffeur im Schlepptau. Ohne Luxus und dem Firlefanz drumherum. Einfach nur Urlaub machen, so wie andere Paare auch.“ Uwe verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Dann nickte er und hob beschwichtigend die Arme. „Ok ok, schon kapiert. Herr Rudel kann in Innsbruck bleiben und wenn wir ihn doch mal benötigen, dann ist er ja innerhalb einer Stunde hier.“
Den Sonntag verbrachten die beiden hauptsächlich auf dem Spielplatz. Lina und ihre kleine Familie kamen zu Besuch auf den Hof. Uwe hatte seiner Schwester versprochen auf Lara und Linus aufzupassen, so dass Tina den Sonntag mit Arbeiten auf dem Gnadenhof verbringen konnte. Max dagegen nutze die freie Zeit und fuhr in die Stadt. Es kriselte also immer noch zwischen ihnen. Uwe gefiel das überhaupt nicht, denn er wünschte sich für die Kinder ein harmonisches Familienleben.
Abends verabschiedete sich Moni überschwänglich von ihren Enkeln, denn nach ihrem eigenen Urlaub würde auch Lina ein paar Wochen in die Ferien ans Meer fahren. „Isch doch besser mir machet Urlaab, wenn i schwanger bin. Weil mid drei gloine Kindr kann i mir des gar net vorschtelle,“ hatte Lina ihr erklärt. Nach wie vor amüsierten sich alle köstlich über Linas Dialekt, den sie auf Biegen und Brechen beibehielt.
Uwe nahm seine Nichte und seinen Neffen an die Hand und spazierte mit ihnen Richtung Koppel. Rondo wartete mit seinen Gefährten schon an dem großen Tor. Gemeinsam mit den Kindern versorgte er die Pferde und führte sie in den Stall, den Karl bereits sauber gemacht und mit frischem Heu gefüllt hatte.
***
Zusammen mit seinem Vater und Jo Baker führte Dr. Uwe Ortner eine große Visite durch. Kim hatte Semesterferien, welche sie grundsätzlich in der Klinik verbrachte. Interessiert begleitete sie die Ärzte. Die Übergabe der Station an die beiden erfahrenen Männer stellte kein Problem dar.
Moni arbeitete in ihrem Büro in der Verwaltung. Sie sortierte Unterlagen, schrieb Mails und erledigte die Post. Sie schufteten beide bis spät in der Nacht, damit sie die freien Tage genießen konnten. Wobei Uwe natürlich täglich mit seinem Vater telefonieren würde, das war Moni schon klar. Bruno würde weiterhin in der Stadtvilla bei Kims Mutter bleiben, auch wenn Moni ihren Hund am Liebsten mitgenommen hätte. Dieses Mal ging das leider nicht.
Mit viel Freude packte Moni noch mitten in der Nacht die Fahrradtaschen für die Tour. Uwe bestand auf Sicherheit. Seine Augen blitzten streng, als er Moni dabei ertappte, wie sie den Helm zurück in den Schrank legte.
„Tztztz, denk daran, wie wichtig dein Kopf ist. Vergiss für diesen Tag die Frisur. Schließlich war es deine verrückte Idee.“ Moni hasste es, einen Helm zu tragen, aber freilich gab sie ihm recht.
So kam es, dass zwei gut ausgerüstete Radfahrer mit leichtem Gepäck früh morgens bei bestem Wetter am Inn entlang fuhren. Auf den ersten Kilometern war Uwe noch ein wenig unsicher unterwegs, doch schnell hatte er den Umgang mit dem neuen Fahrrad gelernt. Bis jetzt waren sie kaum dazugekommen, die neuen Räder zu benutzen. Umso mehr freute sich Moni, mit ihnen in den Urlaub zu fahren.
In den Rad-Taschen hatte Moni belegte Brötchen, Uwes Lieblingstrüffel, Wasserflaschen, eine Thermoskanne mit Kaffee und Handtücher eingepackt. Kurzfristig hatte sie sich von Käthe ein altmodisches Transistor-Radio ausgeliehen. Wie immer hatte sich Moni gut vorbereitet und die Strecke im Internet recherchiert. Dabei hatte sie einige idyllische Plätze direkt am Uferstrand des Flusses entdeckt. Hier plante sie ein kleines Picknick. Glücklich trat sie in die Pedalen, welche dank der elektrischen Unterstützung ohne große Mühe das Fahrrad zügig nach vorne brachte. Die herrliche Bergwelt immer im Blick. Für Uwe hatte sie damals ebenfalls eine enge Radlerhose gekauft. Moni fand ihn äußerst sexy in dem Outfit. Ihm war die Sache allerdings sehr suspekt, ein klein wenig schämte er sich sogar, in diesem Aufzug unterwegs zu sein. „Schatz, bitte schau nicht so grimmig drein. Mit der Sonnenbrille und dem Helm erkennt dich schon niemand.“ Moni lachte ihn aus.
Sie erinnerte sich zurück, als sie ihn bat, die gepolsterte Radlerhose anzuprobieren. „Mein Engel, ähm, guck mal.“ Uwe deutete mit dem Finger zwischen seine Beine. „Man sieht ja hier die Ausbeulung.“ Moni nickte und gab ihm zu verstehen: „ Ja mein Schatz. Stell dir vor, das ist bei Männern normal, die haben da vorne was.“ Sie brachen damals in schallendes Gelächter aus. Denn das war wieder typisch für ihren Uwe.
Verschwitzt, staubig aber unheimlich glücklich und stolz erreichten die beiden ihr Reiseziel am frühen Nachmittag. Das Seehotel Einwaller lag in unmittelbarer Nähe zum Achensee, nur durch eine Straße getrennt. Leider war diese sehr belebt und laut. Direkt am glitzernden See gab es einen privaten Badesteg mit Liegen, Sonnenschirmen und Seezugang. Der Anblick alleine genügte, um sofort zu entspannen und Stress abzubauen. Uwe hatte das Hotel persönlich ausgewählt, da er es schon kannte. Denn hier in Pertisau hatte er früher seinen Zweitwohnsitz. Inzwischen war das Haus sowie die Yacht, die er Moni bisher verschwiegen hatte, verkauft. Zuviel würde ihn an Susan erinnern.
Moni und Uwe hatten fest geplant Familie Lauterbach, die ehemaligen Nachbarn, zu besuchen. Bei ihnen war er an dem Abend zum Essen eingeladen, an dem das schreckliche Unglück passierte. Damals, als das Schicksal seinen Lauf nahm.
Moni war gespannt, inwieweit Susan ihre Schatten an diesem Ort hinterlassen hatte.
Nach dem Einchecken in das luxuriöse Hotel und Aufräumen der Räder spazierten Moni und Uwe Hand in Hand an der Uferpromenade entlang bis zum Schiffsanlegeplatz. Nur wenige Geschäfte säumten den Weg. Dafür schien der Ort nur aus Pensionen, Hotels und Bushaltstellen zu bestehen. Alles war hier auf Tourismus ausgelegt. Trotzdem gab es kaum Restaurants, Bars und Einkaufsmöglichkeiten. „Mhm,“ brummte Moni, als sie sich umsah. „Hier liegt ja echt der Hund begraben.“ Sie hatte sich diesen Ort weitaus lebhafter vorgestellt.
„Wenn du mehr Action benötigst, fahren wir mit dem Schiff rüber nach Maurach,“ erklärte Uwe. „Von dort können wir mit der Seilbahn hoch ins Rofan-Gebirge fahren. Es wird dir gefallen!“
Moni nickte begeistert. „Ja gerne, lass uns das für morgen einplanen." Gemütlich spazierten sie auf dem geschotterten Wanderweg direkt am Achensee entlang, bis es Moni zu kalt wurde und sie umdrehten. Immer wieder blieb Moni stehen und betrachtete den grüntürkis schimmernden See. Bei dem Anblick war ihr klar, warum ihn die Einheimischen liebevoll die Tiroler Karibik nannten. Sie gab Uwe einen lauten Schmatz auf die Wange. „Hier ist es einfach nur herrlich. Vielen Dank, dass ich hier sein darf.“ Glücklich wanderten sie zurück zum Hotel.