Triggerwarnung: Thema Selbstmord, nach dem Absatz mit den drei *** Sternchen
Rolis Geburtstag und die Verlobungsfeier waren ein absolutes Highlight. Die Stimmung, die Gäste und das Essen, alles passte perfekt. Die erste große Überraschung war der Auftritt von Johann. Als Zauberer verkleidet, zeigte er zwei alberne Tricks, die total in die Hose gingen, so dass seine Vorstellung eher an eine Clowns-Nummer erinnerte. Dafür erntete er lautes Gelächter und einen verwunderten Gesichtsausdruck von Uta. Moni kicherte hinter vorgehaltener Hand. Dann hielt Johann eine kurze Rede, bis ihn seine Schwester endlich erkannte. Freudig fielen sich alle drei Geschwister in den Arm.
Nach dem Essen spielte die Band Unterhaltung-Songs und Hits zum Mitsingen. Uwe stand nervös mit Tom immer ein wenig abseits des großen Trubels. Lediglich zum Abendessen hatte ihm Moni ein Glas Wein gegönnt. Er spürte diesen starken innerlichen Druck. Ein Alkoholiker ließ sich schließlich nicht rationieren. So gut es ging, biss er die Zähne zusammen und wartete sehnsüchtig auf das Ende dieses Abends. Wenigstens war Tom ein guter Gesprächspartner, mit dem die Stunden kurzweilig waren. Einige der Gäste hatten sich lustige Paarspiele ausgedacht. Andy trug ein Gedicht vor, indem sie die Kindheit mit ihrem Bruder humorvoll Revue passieren ließ.
Kurz vor der Mitternachtssuppe packte Roli die wunderschönen Verlobungsringe aus. Im Saal wurde es dunkel und leise. Aufgeregt nahm er das Mikrofon in die Hand. „Meine Liebste, nur durch einen Zufall haben wir uns kennengelernt. Darüber bin ich dermaßen froh, ich kann es ja gar nicht in Worte fassen. Du bist mein Glück, ich liebe dich!“ In diesem Moment knallten Feuerwerkskörper und glitzernde Fontänen stiegen im Vorgarten auf. Die Gäste rasten hinaus, um dem bunten Treiben zuzuschauen. Dazu gab es Applaus und Champagner. Moni schnappte sich zwei Gläser, suchte ihren Uwe Schatz und prostete ihm zu. „Hey, ist alles ok? Du guckst so traurig.“
Dankend nahm Uwe sie in den Arm, gab ihr einen Kuss und trank das ihm entgegen gestreckte Glas in einem Zug leer. „Mein Engel, ich bin sehr müde, lass uns nach Hause gehen.“
Den Sonntag verbrachten Moni und Uwe alleine. Nach dem Ausschlafen aßen sie die mitgebrachten Reste des Buffets vom Vorabend. Danach fuhren sie in Monis Heimatdorf, unternahmen einen ausgedehnten Spaziergang mit Bruno und besuchten die Gräber der Verstorbenen. Nachmittags regnete es, daher kuschelten sie sich auf die Couch. Moni packte einen der neuen Wollknäuel aus, um eine Musterprobe zu stricken. Uwe telefonierte lange mit der Klinik. Gegen Abend kippte seine Stimmung. Traurig betrachtete er seine zitternden Hände.
Moni setzte sich zu ihm und streichelte über seine Haare. „Schatz, wir schaffen das!“, versuchte sie ihn aufzuheitern. Doch Uwe zuckte nur mit den Schultern. Seine Augen füllten sich mit Tränen. „Mein Engel, du fährst nicht mit mir nach Innsbruck, oder vielleicht doch?“
Moni schloss ihre Augen und legte ihren Kopf in den Nacken. Nicht schon wieder dieses Thema. Leicht genervt atmete sie laut ein, „Ach Schatz, bitte versteh mich. Ich hab hier einiges zu tun. Du weißt ja, wie sehr mir es gefällt, im Laden zu sein. Das war schon immer mein größter Wunsch. Aber ich komme wie besprochen am Donnerstag.“ Liebevoll streichelte sie seinen Arm, kitzelte ihn an der Seite. Frech stupste sie seine Nase, dadurch versuchte Moni ihn aufzuheitern. Doch Uwe ließ sich nicht so schnell vertrösten. „Das halte ich nicht aus, so viele Nächte ohne dich.“
„Dann bleib einfach noch da,“ Monis Stimme klang inzwischen verführerisch. Sie legte ihr Strickzeug beiseite, knöpfte langsam ihre Bluse auf und drückte sich nah an Uwe ran. Dieser nahm sie liebevoll in seine Arme, um sie zärtlich zu küssen. „Hast du uns ein Fläschchen Wein?“ Endlich brachte er wieder ein Lächeln zustande.
Achtung *** Achtung
Es war inzwischen dunkel. In Ottos Trakt kehrte endlich Ruhe ein. Heute am Sonntag war er alleine im Zimmer, da sein Mitbewohner mit starken Bauchschmerzen auf der Krankenstation lag. Otto hatte ein wenig nachgeholfen, alles lief nach Plan. Aus dem Schrank holte er die drei Laken heraus, die er aus der Wäscherei gestohlen hatte. Mit viel Eifer band er sie geschickt zusammen. Noch war ihm das Konstrukt zu kurz und er wusste nicht wirklich, ob die Knoten seinem Gewicht standhalten würden. Sich erhängen in einer Gefängniszelle, war nicht so einfach. Aber man sprach natürlich darüber. Ein jeder hatte einen Tipp, doch kaum einer den Mumm dazu, es auch durchzuziehen.
Ihm gefiel diese Idee außerordentlich gut. Denn für ihn gab es jetzt, nachdem Uta zu eintausend Prozent nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, keinen Sinn mehr, auch nur einen Tag weiterzuleben.
Eine öffentliche Verlobungsanzeige, wie kam sie nur auf diesen Blödsinn? Otto nahm sein Bettzeug, knotete den Überzug und das benutzte Laken ebenfalls an den bestehenden Strang. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, nahm er ein Stück von dem Draht, den er sich mit seinem wenigen Geld besorgt hatte, und band damit das eine Ende des Konstruktes an den Gitterstab des Fensters.
Er schob den kleinen Tisch darunter. Mitsamt seinem Strang sowie dem letzten Stück Draht kletterte er darauf. Seine Unterschenkel band er mit dem Laken an seinen Oberschenkel fest. Er musste sich verkleinern, denn sonst würde er bestimmt nicht frei in der Luft hängen. Zum Schluss flocht Otto den Draht zur Verstärkung in eine Art Schlinge, die er ebenfalls aus seinem Bettzeug geknüpft hatte. Er musste sich beeilen, denn einer der Aufseher würde sicherlich nach ihm schauen. Jetzt wo er allein war im Zimmer. Noch ein letztes Mal überprüfte er den Abstand des Drahtes, denn es bestand die Möglichkeit, das Tuch könnte reißen. Dann wäre alles umsonst gewesen. Es kostete viel Kraft und Überwindung, die Schlinge zuzuziehen.
Ottos letzter Gedanke waren die Fotos der unschuldigen Mädchen aus seinem Computer, die er mit viel Sorgfalt und einem Haufen Geld aus dem Internet gekauft hatte. So süße, kleine, glatte Muschis.
Der Wärter fand ihn im Morgengrauen. Entsetzt blieb dieser am Türrahmen stehen und konnte nicht aufhören, auf den baumelnden Insassen zu starren.
Es war der hässlichste Anblick, den er je gesehen hatte.