Nach vielen nervenaufreibenden Stunden lenkte Moni den Wagen in eine freie Parklücke am Innsbrucker Bahnhof. Hier wurde sie von Kim und Käthe erwartet. Besorgt halfen sie Bruno aus dem Auto, gaben den kranken Hund frisches Wasser und legten ihn behutsam auf den Rücksitz von Kims Kleinwagen. „Ich bin so froh, dass ich euch habe. Vielen lieben Dank, ihr zwei,“ bedankte sich Moni leise. Ihre Stimme klang erschöpft. Sie küsste ihre Tochter auf die Stirn und drückte Kim herzlich. „Ist doch klar, dass wir helfen. Wir sind doch eine Familie.“
Die beiden Mädchen fuhren mit Bruno zu Tina, die auf ihrem Gnadenhof war, um die anderen Tiere zu versorgen, die medizinische Hilfe benötigen. Sie hatte dort zusammen mit einer befreundeten Tierärztin eine Praxis eröffnet. Moni sah weinend dem Auto hinterher, dann setzte sie sich zurück in ihren eigenen Wagen, um die letzten Kilometer zur Klinik zu fahren. Es war inzwischen sehr spät geworden. Jetzt konnte sie es kaum erwarten, endlich ihren Schatz zu sehen.
Leise betrat Moni das verdunkelte Krankenzimmer und schlich sich an Uwes Bett. Ihre Tasche legte sie vorsichtig auf den Tisch. Dann setzte sie sich auf den bereitgestellten Besucherstuhl. Betroffen betrachtete sie ihren Schatz, der wie ein Häufchen Elend eingerollt da lag. Seinen Arm, an dem die Infusion angebracht war, hatte er schräg über seinem Gesicht gelagert. Moni wischte sich die Tränen weg, dann nahm sie seine Hand, um sie zärtlich zu streicheln.
Sofort öffnete Uwe seine Augen und blinzelte. „Schatz, ich bin jetzt bei dir,“ flüsterte Moni. Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn, die sich eiskalt anfühlte. „Wie schön!“, ächzte er leise. „Wie geht es dir denn, mein Süßer?“
Anstatt einer Antwort biss sich Uwe auf die Lippen und schüttelte den Kopf. Tränen flossen über sein Gesicht. Moni streichelte seine Hand, er schloss wieder die Augen. Sie lehnte sich zurück auf dem Stuhl, atmete tief durch und spürte, wie die Müdigkeit Besitz von ihr nahm. So dösten sie beide eine Weile vor sich hin.
Dann klopfte es an der Tür. Victor brachte eine weitere Infusion. Sein ernster Gesichtsausdruck flößte Moni Angst ein. Während er die Flaschen austauschte, erklärte er Moni die Sachlage. Zusätzlich überreichte er ihr eine Notiz, darauf stand der Medikamenten- und Essensplan für die kommenden Tage. Nickend nahm sie den Zettel entgegen, bedankte sich und schnäuzte ihre Nase.
Uwe streckte seine Hände nach ihr aus. Er bestand darauf, sie in den Arm zu nehmen. „Komm zu mir mein Engel. Was ist mit Bruno?“, fragte er mit dünner Stimme. Doch Moni zuckte lediglich mit den Schultern. „Ich weiß es noch nicht. Er ist jetzt bei deiner Schwester. Ich bin mir sicher, sie wird sich gut um ihn kümmern.“
Moni hielt ihren Schatz in den Armen, wog ihn sanft hin und her bis sie an den regelmäßigen, leisen Atemzügen erkennen konnte, dass er wieder eingeschlafen war.
Liebevoll deckte sie ihn zu und stand schweren Herzens auf. Zuerst besuchte sie Georg und Rita, die noch in einem der Räume der Notaufnahme waren. Rita schien ebenfalls zu schlafen. Georgs Blick, eine Mischung aus Enttäuschung und Ablehnung, trieb ihr erneut die Tränen ins Gesicht. Doch gleichzeitig spürte sie, wie eine Art Wut in ihr aufkeimte. „Machst du etwa mich dafür verantwortlich? Nein, mein lieber Georg. Dein Sohn war schon Alkoholiker, bevor wir uns kennenlernten. Ihr habt bloß alle eure Augen verschlossen und es nicht wahrhaben wollen!“
Damit verließ sie ohne einen Gruß das Zimmer und eilte hinüber in die Wohnung. Hier roch es stickig und ungelüftet. Sie öffnete Türen und Fenster und schaltete die Kaffeemaschine an, obwohl es inzwischen zwanzig Uhr war. Nach einer schnellen Dusche kamen langsam ihre Lebensgeister zurück. Endlich klingelte ihr Telefon.
***
Sorgenvoll setzte sich Georg auf den Stuhl und betrachtete seinen schlafenden Sohn. Uwe blinzelte ihn an. Überraschte fragte er leise: „Wo ist Moni?“ „Sie kommt bestimmt gleich wieder, keine Angst! Uwe, mein lieber Sohn, es tut mir alles so leid!“ Uwe nickte, drehte sich zur Seite und schloss die Augen. Dann sprach er endlich aus, was ihn schon seit vielen Jahren bedrückte: „Warum hast du Mama und uns Kinder früher so oft alleine gelassen? Warum hattest du andere Frauen? Was war bei euch los?“
Er hörte, wie sein Vater laut schnaufte und brummte. Georg erkannte, dass die Zeit für die Wahrheit gekommen war. „Bist du bereit für unsere Geschichte, auch wenn sie dir nicht gefallen wird?“ Uwe rieb sich die Augen und gähnte. „Ja, auf jeden Fall!“ Dann setzte er sich aufrecht ins Bett, damit er seinem Vater aufmerksam zuhören konnte.
„Es war einmal ein junger Mann, der über beide Ohren wahnsinnig in die schönste Frau Österreichs verliebt war. So sehr, dass er alles dafür tat, um seine Liebste so oft wie möglich zu sehen. Das war damals gar nicht so einfach. Noch dazu stammte sie aus feinem, reichen Hause. In dieser Zeit gab es im Sommer immer wieder kleine Feste mit Tanz und Musik. Also lud der junge, verrückte Mann seine Auserwählte ein, ihn auf so eine Veranstaltung zu begleiten. Die Dame zögerte, ihr Lächeln wirkte gekünstelt, in ihrem traurigen Blick lag eine geheimnisvolle Sehnsucht. Blind vor Liebe ignorierte er diese Tatsache. Es wurde es ein wunderbarer Abend. Sie lachten, tanzten und hatten jede Menge Spaß. Nach ein paar Gläser Wein landeten die beiden in einer Scheune und liebten sich, als gäbe es keinen Morgen.
Schon nach wenigen Wochen erhielt der verliebte Mann, der in Innsbruck Humanmedizin studierte, einen Brief von ihr. So erfuhr er, dass diese Nacht nicht folgenlos geblieben war. Sie erwartete ein Kind von ihm und hoffte, dass er sie nicht im Stich lassen würde.“
Fassungslos saß Uwe in seinem Bett. „Ihr habt mich im Stroh gezeugt?“ Georg nickte, stand auf und lief unruhig im Zimmer hin und her. Die Erinnerungen an früher schienen ihn zu quälen. Bevor er weitersprach trank er ein Glas Wasser und räusperte sich.
***
„Tina!“
„Hallo Moni, also ich habe den armen Kerl jetzt gründlich untersucht. Es scheint so, als handelt es sich um eine Vergiftung. Hat er irgendetwas Fremdes gefressen?“ Moni überlegte krampfhaft und zuckte mit den Schultern. Dann hob sie ihre Hand. „Keine Ahnung, du weißt ja, Bruno schnüffelt überall herum. Möglich könnte das sein. Aber wer tut so etwas?“
„Leider gibt es genug Menschen, die Hunde hassen! Er bekommt von mir jetzt eine Infusion mit Medikamenten und Schmerzmittel. Er benötigt viel Flüssigkeit, deswegen nehme ich Bruno über Nacht mit nach Montan. Mach dir keine Sorgen, er wird das gut wegstecken. Kümmere du dich um meinen Bruder, bitte. Ich melde mich morgen wieder bei dir. Tschüss.“
Ein wenig erleichtert suchte Moni in der Küche nach etwas Essbarem. Natürlich gab es rein gar nichts, daher wählte sie die Nummer des italienischen Restaurant und bestellte einen großen, gemischten Salat sowie ein Pizzabrot.