Uwe hatte für den heutigen Abend im ruhigen Nebenzimmer reservieren lassen. Er vermutete das eine oder andere wichtige Gespräch mit seinem zukünftigen Oberarzt. Nachdem der Chef de Rang die Gäste wohlwollend empfangen hatte, führte er sie zu ihrem Tisch. Dieser war elegant und aufwändig geschmückt. Moni staunte nicht schlecht. Hübsche Tischkärtchen wiesen den Anwesenden ihren Sitzplatz zu. Die Speisekarte mit den heutigen Menüs war in zwei Sprachen gestaltet. Für Monis Bein stand ein Hocker mit Kuscheldecke bereit. Nicole hatte wie immer an alles gedacht. Obwohl das Oniriq ein exklusives Restaurant war, fühlte man sich sofort wohl und herzlich willkommen.
Der Sommelier schwebte elegant herbei, begrüßte ebenfalls die Gäste und fragte mit einer angenehmen Stimme: „Darf ich den Herrschaften die Weinkarte bringen?“ Moni beobachtete, wie Uwe gefasst und ohne mit der Wimper zu zucken antwortete: „Haben Sie vielen Dank, für mich bitte keinen Alkohol.“ Jo Baker grinste und hob seine Hand. „Oh, wie praktisch, meine Frau und ich trinken ebenfalls keinen Alkohol.“
Der Sommelier bedauerte das Gehörte, verbeugte sich vornehm und entfernte sich langsam. Moni blinzelte bei jedem Gericht, welches sie leise vor sich hin murmelte und grinste. An Iris gewandt flüsterte sie: „ Es ist wie überall, gell. Einmal Vollkost, einmal Schonkost und dann gibt es noch die vegetarische Variante. Sie verwenden hier nur Worte, die in keinem Wörterbuch stehen.“ Die Frauen hoben sich die Hände vor den Mund und prusteten los. Der Bann war gebrochen. Einer Freundschaft der beiden stand nichts mehr im Weg. Uwes Mundwinkel zuckten, doch Jo Baker lachte ebenfalls, so dass sich auch Uwes Gesichtszüge entspannten.
„Wir sind ja eher bodenständig,“ gab Iris zu verstehen. Moni nickte dankend und lächelte.
Nur wenige Sekunden später kam der Oberkellner und erklärte seinen Gästen die angebotenen Fünf-Gänge-Menüs. Moni ließ sich von ihrem Uwe Schatz beraten, der ihr die Tiroler Spezialitäten empfahl. Er selber entschied sich für das Fischmenü, bei dem der Koch mit unbekannten Wildkräutern experimentierte. So stand es jedenfalls auf der Karte. Moni zuckte mit den Schultern und streichelte Uwes Schenkel. „Du, wieder!“ Uwe hob seine Augenbrauen und zischte ein „Psst“. Die Situation war ihm ein wenig peinlich. Doch Jo Baker fragte genau in dem Moment, „Wie viele Hauben hat sich der Besitzer erkocht?“
„Vier Hauben hat sich Christoph Bickel, der ziemlich lange durch Europa gereist ist und in verschiedenen erstklassigen Restaurants gearbeitet hat, erkocht,“ kam die prompte Antwort von Uwe. Er wusste natürlich Bescheid.
Iris zwinkerte und Moni grinste. Der Abend verlief so harmonisch, damit hatten sie alle nicht gerechnet. Als wären die vier schon jahrelange Freunde. Sie redeten und lachten viele Stunden. Uwe und Jo stellten beide gleichzeitig fest, dass es viel besser wäre, zum Du überzugehen. Die Männer kamen schnell auf das Thema Afrika. Uwe erzählte von seinen schwierigen Jahren bei den Ärzten ohne Grenzen. Jo dagegen erwähnte, dass sie schon oft in Kenia waren, da dort seine Wurzeln lagen.
Moni erzählte von ihrer Familie, dem Unfall und von ihrem Strickcafé, welches sich leider in über 400 km Entfernung befand. „Ach herrje, bei euch ist ja allerhand los. Dagegen ist mein Leben ja richtig langweilig!“ Iris lächelte. „Unser Sohn ist jetzt 21 Jahre alt und bleibt im Haus in Michigan wohnen. Dort hat er seine Freunde und sein Studium.“ Moni nickte und fragte nach: „ Und was machst du beruflich?“
Iris hielt ihren Kopf schräg, „Na, ich halte meinem Mann den Rücken frei und bin einfach die Frau an der Seite von einem hervorragenden Gehirnchirurg.“
Noch lange hallte dieser Satz in Monis Ohren nach.
Die fünf Gänge zogen sich durch den kompletten Abend. Erst um 22 Uhr legte Moni den kleinen Dessertlöffel zurück. „Obwohl ja kaum was auf den Tellern war, bin ich jetzt echt satt.“ Sie sprach extra leise, um ihren Schatz nicht zu verärgern. Doch daraufhin fielen sie alle miteinander in großes Gelächter. Dieser Abend war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Dr. Jo Baker nahm Monis Hand und gab ihr einen eleganten Handkuss. „Ich habe noch nie eine so bemerkenswert fröhliche und unbekümmerte Frau wie dich kennengelernt. Vielen Dank für diesen wunderbaren Abend.“ An Uwe gewandt, „Ich gehe davon aus, dass Sie diese Frau genauso lieben wie ich meine.“ Zärtlich gab er Iris einen Kuss auf die Wange. „Wir sind jetzt dreißig Jahre verheiratet. Wie sieht es bei euch aus?“
Während Uwe überlegte, was er darauf am besten antworten sollte, kam ihm Moni kichernd zuvor. „Wir noch gar nicht, aber wer weiß, vielleicht ändert sich das ja bald, gell,“ sie zwinkerte und warf Uwe einen Kuss mit der Hand zu. Ein wohliges Gefühl breitete sich in Uwes Körper aus, dabei dachte er Ja, mein Engel, das möchte ich sehr gerne. Ich warte nur noch auf den richtigen Moment.
***
Auf Monis Wunsch verbrachten sie das Wochenende in Montan. Sie vermisste es, dort oben in der herrlichen Bergwelt zu sein. Mit der frischen, reinen Luft, den Tieren und den lieben Menschen hier im Dorf. Olga wartete schon lange auf Moni, denn sie hatte so viele Fragen. Uwe freute sich vor allem auf sein Pferd und auf die unbeschwerte Zeit mit den Kindern.
Sie hatten es sich Samstag abends im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Moni blätterte in einem neuen Strickmagazin und Uwe zappte durch die Programme. „Schatz, ähm, kann ich dich was fragen?“ Begann Moni die Unterhaltung.
„Na natürlich mein Engel, schieß los.“
„Ähm, wie geht es dir inzwischen in Bezug auf, naja...,“ es fiel Moni schwer, das Wort auszusprechen. „Nun, ich meine, ähm... wegen Alkohol, du weißt schon. Wie ist es für dich? Denkst du oft daran?“ Uwe schob seine Unterlippen nach vorne und runzelte dabei die Stirn, „Immer wieder mal, ja. Aber ich habe gelernt, mit diesen Gedanken und dem Drang nachzugeben, umgehen. Mach dir keine Sorgen, ich werde unsere Liebe und Beziehung auf keinen Fall gefährden. Du bist alles für mich!“ Moni sah ihm an, dass er noch etwas sagen wollte und wartete. Doch scheinbar hatte er es sich anders überlegt.
Sie atmete tief durch, „Gott sein Dank mein Schatz,“ flüsterte sie, dabei streichelte sie liebevoll Uwes Rücken. Er schaltete den Fernseher aus und legte die Fernbedienung zur Seite, um sich seiner Liebsten zu widmen. Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, fuhr mit dem Finger über ihre Lippen und wollte sie gerade küssen, da schlug sein Pager Alarm. Vor Schreck stieß Uwe einen Seufzer aus. „Mist, das ist ein Notruf.“ Moni lächelte verständnisvoll, „Schatz geh nur, es ist kein Problem. Ich hoffe, es ist nichts allzu Schlimmes passiert!“ „Ich melde mich“, vernahm Moni von weitem, da fiel auch schon die Haustüre ins Schloss.
Sie dachte noch eine Weile nach, dann nahm sie ihr Handy und wählte Andys Nummer. Vielleicht konnte sie ihr das komplizierte Muster erklären, welches sie vorhin entdeckt hatte. Dem neuen Sommerpulli wollte Moni unbedingt ein raffiniertes Outfit geben.
„Was ich dich schon länger fragen wollte. Wo und wie feierst du eigentlich deinen fünfzigsten Geburtstag?“ Andy sprach diese schreckliche Zahl einfach aus. Moni überlegte lange. „Ähm, keine Ahnung. Wer möchte schon so alt werden?“ Die Freundinnen lachten, denn Andy wurde ebenfalls dieses Jahr fünfzig.
„Weißt du, ich würde gerne bei euch feiern. Aber gleichzeitig mag ich in Montan sein. Mit Uwe habe ich ausgemacht, dass wir in die Sextner Dolomiten fahren. Das heißt also, dreimal Party.“ Ihre Freundin Andy ließ sich nicht beirren. „Hiermit lade ich dich ganz herzlich zu deiner eigenen Geburtstagsfeier ein.“ Andy meinte es ernst. „Ich schick dir heute noch die Einladung per Mail.“
Vergnügt drückte Moni den Knopf des Radios, um sich berieseln zu lassen. Doch anstatt schöner Musik, hörte sie die schreckliche Meldung.