Simon starrte Lina mit weit aufgerissenem Mund an. „Du bist was? Aber das ist... das ist ja einfach nur wundervoll!“, jetzt stürmte der junge Mann auf seine Freundin zu, legte seine Hände an ihre Hüften und stemmte sie hoch in die Luft. „Juchu! Was für eine schöne Nachricht. Ich werde Papa. Wow! Meine Kleine, ich liebe dich!“ „Hilfe, bisch du verriggt? Lass me runder!“,schrie Lina, strahlte aber wie ein Honigkuchenpferd. Sie küssten sich lange und innig. „Was sagt deine Mama dazu?“,fragte Simon augenzwinkernd.
„Leider hab i se no net erreicht. Awer die ruft beschdimt glei zrick.“
„Und Uwe?“
Lina riss die Augen auf, „Auf los, den rufen wir jetzt an“, Simons Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. Er selber war ein Waisenkind und hatte keinerlei Verwandte. Umso mehr freute er sich für Linas Sippschaft.
***
Enttäuscht legte Uwe sein Telefon zurück auf die Ladestation. Dieses Mal war er es, der bei Moni nur die Mailbox erreichte. Er nippte an seinem Kaffee und aß gedankenversunken den Kuchen. Nebenher checkte er seine E-Mails, sortierte diese nach Wichtigkeit, Angelegenheit und Absender. Werbung landete sofort im Mülleimer. Seine Augen brannten, er wurde müde und legte sich auf seine Pritsche. Nach etwa einer halben Stunde Ruhepause klopfte es an der Tür. Sein Vater streckte den Kopf herein und fragte mit freundlicher Stimme: „Servus, kommst du mit mir auf einen kleinen Spaziergang in den Park?“ Dabei zeigte er ihm zwei Äpfel, die er in den Händen hielt. Uwe nickte grinsend, gähnte und erhob sich. „Ok, ganz kurz aber nur, ich erwarte ein wichtiges Telefonat,“ lautete seine Antwort. Er nahm sein Handy und steckte es in die Manteltasche.
Unterwegs trafen sie auf Schwester Maria, welche beide Ärzte gleichermaßen übertrieben anhimmelte. Georg runzelte die Stirn und gab seinem Sohn einen Ellenbogen-Puffer. „Was hat sie denn?“ Uwe zuckte mit den Schultern. „Ach die...“. Jetzt brummte sein Telefon und er beschleunigte seinen Gang. Leider war es nicht seine Liebste. Auf seinem Display erschien das Foto ihrer Tochter Lina. Mit Blick auf seinen Vater schüttelte er den Kopf, „Pa sorry, aber heute scheint ein verrückter Tag zu sein. Es ist Lina, ich geh mal ran!“
„Hi, i bins. Gehts grad bei dir?“
„Hallo Lina, wie schön, dass du dich bei mir meldest. Ja es passt bei mir. Mache gerade eine Pause. Was gibt es denn?“, fragte Uwe vorsichtig aber neugierig.
„Uwe, du wirsch Schtiefoba.“ Lina kam direkt auf den Punkt, mit ihrem schwäbischen Dialekt hörte sich dieser kurze Satz zuerst witzig an. Langsam aber spürte Uwe, wie sich all die vielen kringeligen Härchen auf seinen Armen nach oben stellten. Die Gänsehaut erreicht seinen Nacken und Tränen traten ihm in die Augen. Er blieb stehen.
„Ach Lina. Das ist ja mal eine schöne Überraschung. Erzähl!“
Im Park traf er seinen Vater, der ihm einen neugierigen Blick zuwarf. Fröhlich erzählte er ihm von den Neuigkeiten. Für Uwe war es jetzt ganz klar, warum seine Moni ihn so oft angerufen hatte. „Ist es nicht wunderbar?“
„Dann bist du wohl bald wieder öfters in München, Stiefopa!“, lachend klopfte Georg seinem Sohn auf die Schulter. Die Männer aßen ihre Äpfel, redeten über die heutige Operation, über verschiedene Patienten und deren Therapiepläne, bis sich Georg verabschiedete. „Ich fahre zurück nach Montan. Sollte es erforderlich sein, dann komme ich gerne am Freitag wieder als Aushilfe.“ Dankend nahm Uwe ihn in den Arm.
Mittlerweile war es 18 Uhr und dunkel geworden. Zurück auf seiner Station wählte Uwe noch einmal Monis Nummer. Danach würde er sich mit der Abendvisite beschäftigen. Endlich hörte er ihre Stimme, ihm fiel Stein vom Herzen. „Mein Engel,“ hauchte er sanft. „Uwe Schatz, ich kann dir sagen, heute ist ein verdammt schwarzer Tag. So viele schlechte Nachrichten.“ Moni klang aufgedreht, irgendwie aggressiv.
„Echt?“ Uwe war verwirrt. Freute sie sich etwa nicht, Oma zu werden?
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, hast du überhaupt Zeit? Du warst ja stundenlang nicht zu erreichen.“ „Ja das stimmt, aber jetzt bin ich da für dich, meine Liebe.“ Uwe schenkte Kaffee nach, setzte sich auf den Bürostuhl und legte die Füße gemütlich auf den Schreibtisch.
Moni holte tief Luft. Zuerst berichtete sie über Ottos Selbstmord, was Uwe dazu brachte, sofort wieder aufzustehen. Fassungslos hörte er Moni zu. „Das ist ja unglaublich!“
„Schatz, leider erhielt ich eine noch traurigere Nachricht.“ Uwe öffnete das Fenster, um die kalte Luft ins Zimmer zu lassen. Was sollte an Linas Schwangerschaft so traurig sein? Er konnte es sich beim besten Willen nicht erklären. Daher war ein in die Länge gezogenes „Hmm“, das Einzige, was ihm darauf einfiel.
„Ich möchte gerne, dass du darüber entscheidest, was wir mit dem Wissen anstellen.“ Uwe schluckte. „Meine allerliebste Moni, jetzt machst du es aber sehr spannend. Um was geht es denn überhaupt?“
„Es geht um Rita, es geht ihr wohl sehr schlecht. Olga, Franz und Karl machen sich große Sorgen, da sie zufälligerweise ein Telefonat von ihr mitgehört hatten. Sie haben sich bis jetzt nur an mich gewandt. Bestimmt weil sie mit der Situation total überfordert sind.“
Uwe biss sich auf die Lippen. „Oh je, oh je.“ Damit hatte er tatsächlich nicht gerechnet. „Mein Engel, danke, dass du es mir gesagt hast. Ich brauche nicht lange nachdenken, um zu wissen, was zu tun ist.“ Seine Stimme klang deprimiert.
„Uwe Schatz, Kopf hoch! Ich liebe dich! Du, es tut mir leid, ich muss jetzt aufhören, können wir später noch einmal telefonieren?“ Uwe hörte nur noch ein schmatzendes Geräusch, welches er einem Kuss zuordnete, schon war das Gespräch beendet.
Es wurde weit nach Mitternacht, bis Uwe endlich mit seine Arbeit auf Station fertig war. Jetzt stand er lange unter der entspannenden Dusche. Was für ein langer Tag. Er fühlte sich total übermüdet und freute sich auf Erholung und Schlaf. Heute würde er hier in seinem Arztzimmer auf der schmalen Pritsche übernachten, wie schon so oft in letzter Zeit. Spätestens um fünf Uhr wollte er alle Werte des frisch operierten Patienten überprüfen. Noch dazu einige Messungen durchführen. Aus seiner Wohnung hatte er sich zwei Flaschen Bier geholt, die er sich nach so einem harten Tag verdient hatte. Zumindest sah er die Dinge so. Schließlich war Bier nicht so schlimm, das hatte ihm ja sein Freund Thommy schon vor langer Zeit bestätigt.
Seine Oma Moni hatte ihm versichert, er könne auch noch spät in der Nacht anrufen, was er jetzt vorhatte. Schmunzelnd tippte er auf seinem Handy eine Nachricht.